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Safari im Kakadu Nationalpark

 

 

 

 

 

 

NEUE FRAGEN
STEINALTE KULTUR

01. Oktober 1998, Donnerstag

 

Oh Gott, was habe ich bloss für ein wunderbares Leben !! Ich muss mich immer mal wieder kneifen um festzustellen, dass das wirklich Realität zu sein scheint: Ich bin in Australien und alles ist so schrecklich einfach !! Nachdem ich wieder zwei Tage in einem Cabin auf dem Sunland CaravanPark geschlafen habe, deponiere ich dort heute morgen meinen blauen Seesack (sehr praktisch!) und kündige an, dass ich mein 20 $ Guthaben am 08. Oktober in Anspruch nehmen werde: Dann komme ich für 24 Stunden hierher zurück, bevor ich (leider) wieder nach Europa fliegen muss. Die Dame an der Rezeption freut sich über den Stammkunden, wir verabschieden uns und sie ruft mir ein Taxi. Mit einem grossen und einem kleinen Rucksack lasse ich mich für 10 $ zum Flughafen fahren. Das ist nicht weit weg, zur Not kann man dahin auch laufen. Aber muss das sein? Also ich fahre mit der Taxe und weil ich noch so viel Zeit habe, lege ich mich in den weitläufigen Anlagen des Airports gegen 10:30 Uhr erst mal für drei Stunden unter einen schönen Baum mit ganz fein gefiederten Blättern. Es sind eher grosse Fächer aus Federn, als Blätter. Das erste Mal habe ich einen solchen Baum in der Zitadelle von Hue in Vietnam gesehen und fotografiert. Gelbe Blüten rieseln auf mich nieder, Wolken ziehen über mich hinweg, Flugzeuge landen und starten.

Das alles stört mich auf meiner ISO-Matte nicht. Ich schlafe, döse, träume, fühle mich wohl, bin völlig entspannt und ich denke über dieses phantastische Leben und auch über meine Vergangenheit nach. Dass mein Leben so traumhaft schön ist, liegt an zwei Dingen: Ich bin gesund und ich habe Geld. Das ist die Voraussetzung für alle Freiheiten, die diese Welt zu bieten hat. Ohne diese zwei Voraussetzungen läuft nichts und dann kann man natürlich auch nicht so rundherum mit seinem Leben zufrieden sein, wie ich es bin. Mit meiner Existenz auf dieser Welt war ich schon immer sehr zufrieden. Hier in Australien aber geht es mir besonders gut. Ich habe hier nicht eines meiner europäischen Wehwehchen mehr: Keine Migräne, keine kalten Füsse, keine verspannten und zu kalten Schultern, keine Allergien, das rechte Knie tut nicht weh, die Verdauung funktioniert reibungslos – ich bin ganz einfach fit und habe eine hervorragende Kondition! Wo und bei wem kann ich mich dafür bedanken ?! Jeden Morgen auf dem WC tue ich das bei meinem so fabelhaft funktionierenden Body. Genau so wichtig wie die Gesundheit aber ist das Geld: Ich habe Kreditkarten von VISA und AMEX. Solange die funktionieren, gibt es für meine Freiheit keine Grenzen. Es gilt die ganz einfach Gleichung: Geld ist Freiheit und Freiheit ist Geld. Irgendwann begreift das jeder, einschliesslich der Konsequenzen.

Draussen auf meiner ISO-Matte habe ich mindestens 15 Ameisen ums Leben gebracht. Ameisen hasse ich. Sie beissen und es bilden sich grosse Quaddeln, die eine ganze Woche fürchterlich jucken. Aber eigentlich ist es ein Jammer. Mit einer Ameise macht man ein hoch komplexes Systeme kaputt. Einfach so. Auch im kleinsten und einfachsten Lebewesen ist die Fähigkeit zur Reproduktion der Art eingebaut. Selbst Einzeller können das. Auch der Baum über mir kann das, ausserdem produziert er Blüten und Samenschoten (zur gleichen Zeit !) und vergrössert unbeirrt seine Äste und seine Wurzeln. Das sind komplexe Prozesse, die eine ausgefeilte Steuerung und Logistik für Energie-, Stoff- und Informationsprozesse voraussetzen. Wo ist die Produktionsinformation versteckt, wie wird sie aktiviert, wer hat sie programmiert, wer hat sie wo installiert ?! Solche Fragen stellen sich einfach, wenn man Zeit und Musse hat, sich unter einen Baum zu legen. Auch wenn MJ jetzt wieder den Kopf schüttelt und an Esoterik und die Grundfrage der Philosophie denkt. Es darf einfach keine verbotenen Fragen geben! Am allerwenigsten deshalb, weil man sie nicht beantworten kann. Genau das aber ist ein uralter Trick von Leuten, denen es nur darum geht, das einmal konstruierte physische und/oder gedankliche System aufrecht zu erhalten, wenn alle Argumente erschöpft sind, sogar mit Gewalt und mit ‚verbotenen Fragen‘. Zu diesen Leuten gehört MJ natürlich nicht. Aber solche Fragen sind ihm trotzdem suspekt. Sie sind zu einfach gestellt, so trivial darf man das nach seiner Meinung nicht sehen, weil das Erkenntnisproblem viel komplexer ist. Damit hat er zweifelsohne völlig recht. Aber auch wenn ich die Fragen komplexer stelle – auch dann sind sie nicht zu beantworten. Wie sagt Tucholsky am Ende des schönen Gedichts vom Lehrer Kuhle, den alle nur Papa nannten ...? In diesem Gedicht geht es um ein Teilproblemchen: ‚Wie wird denn det mit uns nu nach dem Tode ??!‘ Und nach einigen Erörterungen kommt er zu der abschliessenden Überzeugung: ‚Sie wissen et nich, sie wissen et nich ...!‘, nämlich die Kirche und die Philosophen.

Mir geht es nicht nur um das Leben, zu dem der Tod ganz einfach (in unserer Welt) dazu gehört. Mir geht es in erster Linie um die Frage nach dem ‚Grossen Ganzen‘. Was ist der Mensch, was das Leben, was ist Natur, was sehe ich nachts am Sternenhimmel und was ist das, wir als Universum bezeichnen und das heute unseren Entdeckerdrang begrenzt? Aus meiner subjektiven Sicht ist das ganze Universum, in dem ich gerade unter einem Baum liege, der gelbe Blüten auf mich rieseln lässt, am ehesten als ein Experiment zu verstehen: Für einem Raum wurden Randbedingungen gesetzt. In den leeren, abgeschlossenen Raum wurde eine punktförmige Energiemenge eingebracht. Durch den Urknall wurde das Experiment gestartet und jetzt wird beobachtet, was sich unter diesen Bedingungen im diesem Raum entwickelt. Sogar wir Menschen können für eine extrem kurze Zeit, ausgestattet mit nur wenigen Sensoren, an der Beobachtung teilnehmen. Die Randbedingungen und die Energiemenge sind uns dadurch in grossen Zügen bekannt. Der Experimentator und sein Wesen ist und bleiben unbekannt für Lebewesen unserer Qualität. Aber irgendwer oder irgendwas hat in diesem Universum willkürlich (!!) Randbedingungen gesetzt und das Experiment gestartet. Dieses Universum hat nach unserem heutigen Verständnis einen Anfang, also muss es eine Entscheidung für den Start gegeben haben. Beispiele für die Randbedingungen sind die Naturgesetze, das periodische System der Elemente, das Grundprinzip des Lebens, die Gene.

Die Tatsache, dass die Randbedingungen willkürlich gesetzt sind ergibt sich aus meiner Sicht logisch und zwangläufig daraus, dass man sich ohne jede Schwierigkeiten ein Universum mit modifizierten oder völlig anderen Naturgesetzen vorstellen kann oder ein unperiodisches System mit anderen Elementen. Eine Welt ohne Sauerstoff und ohne Kohlenstoff – warum nicht? Nur zwei Elemente sind verschwunden und es entsteht eine völlig andere Welt und (vielleicht) völlig anderes Leben. Auf jeden Fall ist das vorstellbar. Wie sagte Einstein: ‚Denkbar und deshalb auch im Bereich der Möglichkeit.‘ Daraus folgt: Die Randbedingungen unserer Welt sind willkürlich gesetzt.

Damit aber gibt es zwei weitere Fragen: Aus welchem Reservoire prinzipieller Möglichkeiten wurde ausgewählt und wer hat wie letztendlich die Randbedingungen gesetzt? Dann taucht die nächste Frage auf, woher stammt der Raum und wie kam da die punktförmige Anfangsenergie hinein ?! Wer oder was hat solche Recourcen zur Verfügung und die dazugehörige Entscheidungsbefugnis ?! Das sind Fragen, die nie beantwortet werden. Die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sind damit erreicht und ab hier beginnt das weite Feld der Spekulationen über Gott und den Sinn des Universums und des Lebens auf der Erde. Vieles ist ‚denkbar‘ aber hier sind auch dem Optimismus Einsteins Grenzen gesetzt. So kann man sich zwar vorstellen, dass es eine höhere Qualität dessen geben könnte, was wir als Intelligenz bezeichnen und was wir untrennbar auch nur zusammen mit dem Menschen denken können. Diese höhere Intelligenz könnte für das gesamte Experiment verantwortlich sein. Das ist zwar denkbar, aber man kann es nicht einmal eine Hypothese nennen, weil wir keine Chance haben, sie jemals zu verifizieren. Solche Überlegungen greifen mit grosser Wahrscheinlichkeit zu kurz, weil der menschlichen Denk- und Erkenntnisfähigkeit Grenzen gesetzt sind. Der Mensch ist gefangen ‚in seiner Schicht‘. Am besten wird diese Situation durch den schönen Satz charakterisiert: ‚Könnten die Dreiecke denken, würden sie sich ihren Gott dreieckig vorstellen.

Im Bereich der nicht verifizierbaren Hypothesen scheint alles erlaubt, alles ‚denkbar‘ zu sein. Aber das ist nicht mehr mein Ding. Für mich ist dann die Grenze der Seriosität erreicht, wenn in absehbarer Zeit keine Chance besteht, das Grundgerüst solcher Hypothesen mit wissenschaftlichen Mitteln zu beweisen. Das ist die Schwelle, wo aus Hypothesen bodenlose Spekulationen werden und wo Wissen in Glauben umschlägt. Im Glauben aber war ich weder bei den Religionen noch bei den Ideologien stark genug. Meine Zweifel waren und sind immer wesentlich stärker.

Eine interessante Frage ist noch die nach dem Sinn des Ganzen. Für Menschen gibt ihn nicht, diesen Sinn. Vielleicht gibt es ihn prinzipiell, aber er ist für uns auf Dauer nicht erkennbar. Das ist für mich völlig klar. Das einzige, was uns Menschen bleibt ist, für sich selber subjektiv zu entscheiden, welchen Sinn man seinem Leben gibt. Das setzt aber schon ein ungeheures Mass von Einsicht und Freiheit voraus, die die meisten Menschen gar nicht haben. Für diese Entscheidung sind zwei Umstände gravierend wichtig: Muss man seinen Lebensunterhalt erarbeitet oder hat man durch Geburt, Glück, Erbschaft oder durch Erreichung der Altersgrenze auch ohne Arbeit genug Geld, um gut leben zu können. Wenn man arbeiten muss, hat man gar keine andere Wahl: Man kann sein Wirkungsfeld, den Sinn seines Lebens, nur innerhalb der durch die Arbeit gesteckten Grenzen frei bestimmen. Die Freiheit ist stark eingeschränkt und der Schwerpunkt kann dabei in der Regel nur auf Aktivität, Veränderung, Erzeugung von Wirkungen liegen. Aber auch bei eingeschränkter Wahlfreiheit ist es absolut möglich, sich ganz subjektive Ziele für sein Leben zu setzen, die auf Dauer Befriedigung und Zufriedenheit gewährleisten.

Muss man nicht für seinen Lebensunterhalt arbeiten, dann sind die Freiheiten bei der Wahl seiner Ziele deutlich grösser. (Erstaunlich ist, dass manche Menschen gerade mit diesem grossen Mass an Freiheit nicht fertig werden. Dazu gehören auch die Leute, die ohne ihren Psychiater nicht mehr lebensfähig sind.) Mich interessiert besonders die nur unter diesen Umständen mögliche passive Variante, sein Leben zu gestalten. Ist die Arbeit wirklich das Gattungswesen des Menschen oder kann man sein ganzes Leben auch wie eine Kuh auf der Weide stehen und über das Universum nachdenken ?! Ich behaupte das geht, solange man über irgend etwas nachdenkt. Man kann sich weitestgehend passiv verhalten und auf einen Beobachterstatus zurück ziehen. Dieses passive Beobachten kann man nach meiner Meinung nicht mehr als Arbeit bezeichnen.

(Encarta Enzyklopädie 99: Arbeit, die Aufwendung physischer, geistiger oder emotionaler Anstrengung für die Herstellung von Waren zum eigenen oder fremden Gebrauch sowie die Erbringung von Dienstleistungen.)

Wenn man es sich finanziell leisten kann, hat man die hoch interessante Möglichkeit, sich auf einen reinen Beobachtungsposten zurück zu ziehen: Man kann sich selber in den unterschiedlichsten Situationen beobachten: Wie reagiere ich auf was, von welchen Umständen ist welches Feeling abhängig, was muss ich tun, um mich am wohlsten zu fühlen, um zufrieden zu sein? Die andere, äussere Seite der Beobachtung ist genau so spannend und interessant: Wie funktioniert das Leben um mich herum, wie kann ich es erforschen und erkunden. Ein lohnendes Lebensziel kann durchaus sein, völlig passiv zu beobachten, was sich zwischen Menschen, was sich in einem Korallenriff, im Regenwald oder in einer Mikro-, Makro- oder Astrowelt abspielt: Das laufende Experiment beobachten, fasziniert wahrzunehmen, welche Konstellationen und Entwicklungen die Anfangsenergie mit den Randbedingungen hervorbringt. Das Ergebnis ist, man wundert sich über die Vielfalt des Lebens, der Natur und des Universums, bewundert die unendliche Komplexität und obwohl man völlig passiv ist und sich nur um einen möglichst hohen Grad von Bewusstsein in dieser Welt bemüht, ist man mit sich im Reinen, fühlt sich wohl und ist zufrieden. Was kann man eigentlich mehr von diesem Leben wollen ?!

Wenn es überhaupt ein allgemein anzustrebenden Ziel für ein menschliches Leben geben sollte, so läge es nach meiner Auffassung darin, sich wohl zu fühlen und zufrieden zu sein. Zufrieden, gleichzeitig aber neugierig zu sein, das scheint mir der optimale Zustand zu sein, den ein Mensch überhaupt erreichen kann. Nur absolute Zufriedenheit und Ruhe zu erreichen, wie es der Buddhismus anstrebt, erscheint mir zu wenig. Aus meiner Sicht ist das nicht mehr als ein kontrollierter Tiefschlaf.

Gleich nach dem eigenen Seelenfrieden kommt das Bemühen, anderen zu helfen, auch in einen Zustand von Wohlbehagen zu gelangen. Dieses Bestreben aber besitzt eine andere Qualität und geht wohl darauf zurück, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Vorsicht! Das an sich positive Anliegen, anderen Menschen behilflich zu sein, kann sehr schnell in missionarischen Eifer und das Gegenteil von dem umschlagen kann, was eigentlich gewollt ist: Bevormundung und Diktatur. Die menschliche Kulturgeschichte ist voll von unsäglichen ‚Missionen‘ zum Wohle anderer Menschen. Hier ist höchste Vorsicht geboten !

Aus diesen hochfliegenden Gedanken werde ich jetzt ziemlich abrupt wieder in die Realität zurück geholt: Ich habe Hunger, ich brauche etwas zum Essen. Genau das stört jetzt mein an sich so grosses Wohlbehagen. So schnell kann man durch ganz banale Bedürfnisse diese herrlicher Balance verlieren!

Diesen Text habe ich im Abflugterminal des Airports von Cairns geschrieben. Während ich so auf das ‚Grosse Ganze‘ und die Philosophie konzentriert war, wollte sich gleichzeitig ein Mann aus Adelaide (40) mit mir gegen 14:15 Uhr über meinen und seinen Trip unterhalten. Er kommt gerade aus New Guinea, wo er 14 Tage im bergigen Regenwald auf Trekking-Tour war. Auch das kann man von Australien aus buchen (teuer, 1500 $). Ein netter Mann, seine Vorfahren stammen aus Dresden. Daher sein grosses Interesse an english conversation mit einem Deutschen.

15:22 Uhr, Cairns Airport

Auch in der australischen Geschichte gibt es wunde Punkte. Der schlimmste davon heisst Aborigines. Die Ureinwohner kamen vor 40 bis 50.000 Jahren in den Norden Australiens. Dort lebten sie ungestört und völlig mit sich und der Natur im Reinen bis vor 250 Jahren. Sie hatten ganz Australien besiedelt, ihre Kultur ist die älteste der Menschheit. Ihre Philosophie ist sehr eng mit der Natur verbunden: Wald, Flüsse, Berge, See, Savanne, Bush, Vögel, Pflanzen und Tiere, das alles sind Verwandte der Menschen. Man tut ihnen nur soweit Gewalt an, wie es zum Überleben der eigenen Art unbedingt notwendig ist. Ihr historischer Background ist die ‚Dreamtime‘ (dieses Wort ist eine schlechte, unzutreffende Bezeichnung für ihre Gedankenwelt und ihre Lebensauffassung). Die Dreamtime ist nicht schriftlich fixiert, sie besteht aber aus Mythen und Geschichten, die mündlich überliefert werden. Darin hat jeder Baum, jeder Hügel, jedes Tier des Territoriums, in dem ein Clan lebt, eine mythische Bedeutung. Das oberste Ziel, der entscheidende Grundsatz ist: Der Mensch lebt in Frieden und Harmonie mit den Tieren und Pflanzen und der gesamten Natur.

Die Engländer gingen bei ihrer Ankunft in Australien davon aus, dass das ganze Land unbewohnt ist und keinem gehört (Terra Nullius). Deshalb kann es uneingeschränkt in Besitz genommen werden. Die damals existierenden 300.000 Aborigines waren kulturlose ‚Wilde‘ auf dem Niveau der Känguruhs. Sie wurden wie Tiere behandelt und zu tausenden abgeschlachtet, weil sie mehr Schwierigkeiten machten, als die Känguruhs. Später erklärte sich der Staat zum Mündel aller Aborigines. Das war fast noch schlimmer als die nicht gelungene Ausrottung, denn Kinder wurden ihren Eltern weggenommen und in englischen Konfessionsschulen (endlich ordentlich) erzogen. Die Eltern wurden in Konzentrations- und Umerziehungslager gesteckt! Es ist unvorstellbar und es wird heute völlig verdrängt, was europäische Nationen in der Kolonialzeit (das ist z.B. in Australien noch keine 50 Jahre her !!) fremden Völkern und Kulturen angetan haben! Deshalb ist es auch so absolut heuchlerisch, heute nur den jüdischen Holocaust im II. Weltkrieg in den Vordergrund zu schieben. Erst im Jahre 1967 erhielten auch die Aborigines in Australien die vollen Bürgerrechte und das Wahlrecht. Und sogar erst im Jahr 1992 (!!!) erklärte der High Court of Australia die Terra Nullius Doktrin für ungültig. Sie war die Grundlage der totalen Enteignung der Aborigines. Seit dieser Zeit laufen zahlreiche Prozesse und die Aborigines erhielten teilweise ihr Land zurück ... wenn der Staat keine besonderes Interesse daran hatte. Es entstanden viele Aboriginal-Reservate, allerdings ist die Nutzung des eigenen Landes in vieler Hinsicht eingeschränkt. So wurden die Aborigines z.B. mehr oder weniger offen gezwungen, den Uluru (Ayers Rock bei Alice Springs), das heiligste Gebiet des ganzen Aboriginalvolkes, für 100 Jahre an den Staat für touristische Zwecke zu einem lächerlichen Preis zu vermieten.

Jetzt heisst das Schlagwort ‚Reconciliation‘, Versöhnung. Aber nach 250 Jahren ist es zu spät, um den Aborigines das Leben wieder zu ermöglichen, was sie über Jahrtausende geführt haben. Sie haben sich immer der Assimilation widersetzt, weil das Leben der Weissen nicht mit ihrer Gedankenwelt in Einklang zu bringen ist. Hier kollidieren die auf Harmonie und Natur ausgerichteten Werte einer Urgesellschaft mit der gegenwärtigen Zivilisation. Die kennt nur noch einen Wert: Das Geld. Und in ihr hat die Gewalt gegen Menschen und die Natur einen entsetzlich hohen Stellenwert. Ohne Motivation, ohne Sprache, ohne Ausbildung und gezeichnet durch ihre buchstäblich schwarze Haut finden die Aborigines keine Jobs in der australischen Wirtschaft und keine Position in der weissen Gesellschaft. Ihrer angestammten Kultur sind sie entfremdet, weil sie untrennbar mit dem Land zusammenhängt, was ihnen genommen wurde. Was bleibt, sind Alkohol, Drogen, Kriminalität und ein Leben am untersten Rand der Gesellschaft.

Der Umgang der Engländer mit den Aborigines ist ein schrecklicher Teil der neueren Geschichte. Er reiht sich nahtlos ein in die Ausrottung ganzer Völker und die Zerstörung von Hochkulturen durch die Europäer: Azteken, Indianer, Eskimos, Afrikaner, Juden, Aborigines: Der Mensch, das gefährlichste Tier dieser Erde.

Man begegnet Aborigines in allen Teilen des Landes. Man gewinnt sofort den Eindruck, dass sie nur im Keller der Gesellschaft arbeiten, wenn sie überhaupt Arbeit haben. Hier, direkt neben mir in der Departure Lounge, macht jetzt in diesem Moment eine Aboriginalfrau sauber. Ich würde wetten, dass schon der Chef der Reinigungstruppe ein Weisser ist. Staff am unteren Ende, das ist wahrscheinlich das Maximum, was für ältere Aborigines erreichbar ist. Ich habe bisher nicht einen Aboriginal hinter einem Schalter eines Shops oder einer Agency gesehen. Keinen Busfahrer, keinen Koch, keinen Bootsmann. Im CarPark arbeiten nur Weisse als Staffs und von den Campern, die dort ihren ständigen Wohnsitz haben, sind 80 bis 90 % Weisse, der Rest sind Asiaten. Es gibt nicht einen Aboriginal unter ihnen. Im Zentrum von Cairns sieht man ganze Gruppen betrunkener Aborigines. Laut werden sie selten, sie betteln auch nicht. Der einzige Lichtblick sind wenige Artshops und noch weniger Travel Agency’s, die von Aborigines betrieben werden. Allerdings habe ich den Verdacht, dass auch hier Weisse im Hintergrund die Fäden ziehen. Die Aboriginal-Kultur wird als ‚Original Australia‘ von den Weissen aggressiv vermarktet. Kaum ein Tourist, der ohne ‚handmade‘ Boomerang oder Didgeridoo nach Hause fährt. Aber das meiste wird schon längst industriell und in Massen hergestellt, wirklich ‚Original Aboriginal‘ ist in Cairns nichts mehr. Auch das, was in Artshops von Aborigines angeboten wird, ist zu 99% unter marktwirtschaftlichen Bedingungen (vielleicht, hoffentlich von Aborigines ...!) produziert worden. Wie sollte es auch anders sein.

Die Situation der Aborigines ist trostlos. Hoffnung gibt es nur unter zwei Aspekten: Inzwischen existieren wieder Regionen, in denen die Aborigines versuchen, so zu leben wie ihre Vorfahren. Das geht wahrscheinlich nur im ‚festen Glauben‘ an die eigenen, überkommenen Werte. Denn das ist ein Leben ohne alle Segnungen der Zivilisation, völlig im Einklang mit der Natur aber auch völlig abhängig von ihr. Wer ist nur aus Überzeugung so stark, dass er auf die Dusche, den Zahnarzt und das Dosenbier verzichtet, obwohl alles ein paar Kilometer weiter weg verfügbar ist? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich mitten in der marktorientierten Konsumgesellschaft wieder auf steinzeitliche Verhaltensnormen, Produkte und Werkzeuge reduzieren kann. Kein Mensch kann das und auch kein Aboriginal, denn wahrscheinlich sind sie nur äußerlich verschieden von den anderen Menschen. Diese Frage ist problematisch, aber hochinteressant (s.u. 05. Oktober 1998, Seite 129) !!

Die einzig reale Alternative für die Aborigines ist die Assimilation. Sie tut sich besonders jungen Aborigines auf, die bereit sind, den Spagat zwischen zwei völlig unterschiedlichen Kulturen zu wagen. Offiziell haben die Aborigines heute alle Bürgerrechte, sie müssen sie nur wahrnehmen. Wie die Realität aussieht, ist eine ganz andere Frage. Es ist unübersehbar, dass der Rassismus gegen die Aborigines bei den Australiern tief verwurzelt ist. Die Situation ist durchaus mit der in den USA vergleichbar, aber Australien hinkt mindestens noch 20 Jahre hinter den USA hinterher. Deswegen werden es alle Original-Australier, denen man ihre Herkunft sofort ansieht, schwer haben, sich in dieser Leistungsgesellschaft gleichberechtigt zu bewegen.

17:00 Uhr, Cairns Airport

Was ich bisher heute geschrieben habe, ist in der Departure Lounge des Flughafens von Cairns entstanden, wo ich auf den Abflug nach Darwin gewartet habe. Gegen 16:30 Uhr wurde ich meinen grossen Rucksack beim Check-In los. Der Flug startete pünktlich um 18:18 Uhr. Wir flogen mit einer Maschine, die ich noch nie gesehen habe: BAe 146, 4 Triebwerke, 3 + 2 Sitze in einer Reihe, ca. 20 Reihen macht ca. 100 Passagiere. Die Maschine war voll, leider hatte ich keinen Fensterplatz. Das kommt davon, wenn man beim Check-In schläft. Aber ich habe nicht sehr viel versäumt. Die Schleife über der Beach von Cairns habe ich gesehen, dann eine Stunde Abendrot auf der linken Seite. Wir fliegen mit der Zeit, deshalb geht die Sonne so langsam unter. Ein schmaler, tief roter Streifen direkt über dem Horizont, der dann über ein strahlendes Gelb in das tiefe Blau im Zenit übergeht. Die Natur hat die Farbverläufe erfunden, nicht Photoshop !! Unter uns liegt eine graublaue Wolkendecke, es ist nichts zu sehen. Nach einer Stunde ist alles dunkel. Wir landen um 19:35 Uhr, die Uhr wird um 30 Minuten zurück gestellt: Darwin Time. Nach dem Aussteigen finde ich mich auf einem richtigen Buschflugplatz wieder. Die Piste ist aus Beton, aber die Gebäude klein und provisorisch, wie in der Provinz. Es ist warm, schwül und dunkel. Es geht familiär zu, es gibt keine Kontrolle, die Toiletten werden heftig frequentiert, das Gepäck kommt auf Handwagen angefahren. Direkt am Zaun aus Maschendraht können sich die Passagiere ihr Gepäck aussuchen. Keiner fragt nach einem Gepäckschein, keine Taxen sind zu sehen und mein Rucksack kommt auch nicht. Ich frage einen Staff, ob irgendwo ein Rucksack übrig ist. Erst mit seiner Antwort merke ich, dass wir gar nicht in Darwin sind !! Wir sind in Nhulunbuy zwischengelandet! Nach einer halben Stunde Pause steigen die meisten wieder in den Flieger ein und wir sind noch einmal eine gute Stunde in der Luft.

Um 21:17 Uhr aber landen wir in Darwin. Das Gepäck kommt zügig, hier gibt es auch genug Taxen, ich steige ein und dirigiere den Fahrer zur Park Lodge. Die habe ich mir bei Loose ausgeguckt. Es gibt jede Menge Lodges in Darwin, von dieser hier hatte Loose einen guten Eindruck. Wir fahren ziemlich weit und ich bezahle 14 $. Ich sage noch zu dem Taxifahrer: ‚Hoffentlich haben die hier noch ein Zimmer für mich!‘ ‚Na klar ...!‘ sagt er und fährt ab. Ich klingele den Mann von der Rezeption raus aber er winkt verschlafen ab: Alles belegt!

Da stehe ich armer Mensch also gegen 22 Uhr mit zwei Rucksäcken aber ohne ein Bett mitten in der Nacht in einem Vorort von Darwin, in der Nähe des Botanischen Gartens. Was nun? Kein Problem mit einer Taxe, aber wo kriege ich eine her? Der Mann von der Rezeption schläft schon wieder und hier auf der Strasse ist absolut nichts los. Also schultere ich meinen Rucksack I und II und laufe in Richtung der Hauptstrasse. Das sind die Situationen, die man beherrschen muss: Nimm nur das Gepäck mit, was Du zur Not auch alleine fünf Kilometer tragen kannst! Ich erreiche schnell die Hauptstrasse, die vom Flughafen nach Darwin führt. Aber da fahren jetzt um die Zeit kaum Autos. Na, macht nichts, da laufe ich eben. Da wird einem schnell warm, denn hier ist es ziemlich schwül und knapp 30 Grad! Aber bevor ich mir noch das letzte Hemd ausziehe, kommt doch eine Taxe vorbei: ‚Darwin City Lodge, please!‘, die Nummer zwei auf meiner Auswahlliste. Der Taxifahrer erzählt etwas davon, dass diese Lodge wegen Umbau vielleicht zu hat, aber er fährt erst mal in die Richtung, die ich mir nach der Karte in meinem Kopf vorstelle. Aber er hält nicht vor der Darwin City Lodge, sondern vor der Gecko Lodge. Wahrscheinlich kennt er hier den Manager und hat was davon, wenn er hier einen Gast abliefert. Die City Lodge muss hier direkt nebenan sein. Na, das macht ja nichts, ich kann mir ja auch die Gecko Lodge mal ansehen. Hier kommt gleich ein freundlicher Mann aus dem Haus: ‚Dormitory ?‘ ‚Nein, das muss nicht sein. Wenn ich hier Quartier nehme, brauche ich ein Zimmer!‘ Er sagt o.k., geht mal nachsehen und zeigt mir dann ein Zimmer im Erdgeschoss: Ein breites Bett, ein Nachtschränkchen, AC, Kühlschrank, Neonröhre an der Decke. Das ist die komplette Möblierung und mehr brauche ich auch nicht. Es ist sauber, Dusche, WC gleich daneben, Swimmingpool auf der anderen Seite. 40 $ soll die Nacht kosten. Ich sage o.k., gebe dem Taxifahrer, der bis jetzt gewartet hat, 7 $ und habe für zwei Nächte in Darwin ein Quartier. Allerdings erst, nachdem sich herausgestellt hat, dass die VISA-Karte funktioniert. Nichts geht in dieser Welt ohne Geld.

 

 

Nach dem Duschen setze ich mich aufs Bett und schreibe. Dabei beobachte ich die Temperaturen: Ohne AC waren es 30 Grad, mit AC und viel Krach sind es schnell 24 Grad und es geht auch noch kälter. Was mache ich in der Nacht? Sicher werde ich ohne AC schlafen, das ist kein Problem. Als ich so sitze und schreibe, was läuft da auf dem weiss gekachelten Fussboden lang? Die gleiche ‚Grille‘ die mir vor ein paar Tagen ins Zelt gesprungen war! Aber es scheint eine ganz ordinäre Kakerlake grossen Ausmasses zu sein. Stefan wird sich wie ich sofort daran erinnern: Es war in dem schönen Hotel mit Sicht auf den dampfenden Vulkan Sibayak in Sumatra. Stefan erschlug ein ähnlich schönes Tier mit einem gezielten Wurf seines Schuhes. Mal sehen, ob mir das auch gelingt. Als die Kakerlake mal wieder an meinem Bett vorbei kommt, lasse ich meine Supersandale auf sie fallen. Das überlebt sie nicht. Die Leiche verstecke ich unter dem Kühlschrank. Auch so kann man Probleme lösen.

Jetzt ist alles gesagt und getan. Ich packe noch meinen Schlafsack aus (gegen Morgen wird es kühl) und dann lege ich mich erst mal genüsslich in das schöne, breite Bett. Morgen habe ich einen ganzen Tag frei, um mir Darwin anzusehen. Die Safari in den Kakadu Nationalpark startet erst übermorgen, aber dann schon früh um 6 Uhr!

23:10 Uhr, Gecko Lodge, Darwin

 

 

 

 

 

 

 

SANDPAPER UND
STEINE IN DARWIN

02. Oktober 1998, Freitag

 

Das beeindruckendste Gebäude von Darwin steht am Freiheitsplatz und ist die öffentliche Bibliothek. Aussen: Wuchtig, bedeutungsvoll, weiss, volle Breitseite zum Meer. Innen: Hell, hoch, kalt, leer und ruhig. So eine schöne Bibliothek habe ich noch nie gesehen, sie ist wundervoll. Aber mir fehlt mein Pullover, denn in meinem nass geschwitzten Hemd friere ich hier drin. Aber diese Ruhe, diese Ferne vom hektischen, normalen Leben, das ist Balsam für die Forscherseele ...

 

 

Sofort werde ich an die Zeit erinnert, wo ich in Leipzig täglich vom IPM zur Deutschen Bücherei gegangen bin. Es ging um mechanische Schwingungen und dann um eine Studie zur Lärmbekämpfung. Ich musste mich in ‚westlicher‘ Literatur informieren und ich hatte soviel Zeit, dass ich monatelang fast jeden Nachmittag in diese schöne Bibliothek gehen konnte. Es war ca. 1965, die SPIEGEL-Affäre war gerade gelaufen. Weil ich an der Quelle war versuchte ich, mir den aktuellen oder wenigstens alte Jahrgänge des SPIEGEL auszuleihen. Das ist mir trotz vieler Kopfstände nicht gelungen. Fachliteratur mussten die Kommunisten zulassen, aber politische Literatur ?! Da blieb der Giftschrank hermetisch verschlossen.

Bis 8 Uhr habe ich heute sehr gut geschlafen. Ich stehe auf und mache mir ein Sparfrühstück, aber mit Tee, den ich mir in der Gemeinschaftsküche kochen kann. Dann laufe ich die Mitchel Road runter, sie führt direkt ins Zentrum von Cairns. Bei der ersten Telefonzelle klappt es schon: Ich melde mich bei Adventure Tours und sage Bescheid wo ich wohne. Morgen um 6:05 Uhr werde ich zur Safari in den Kakadu Nationalpark abgeholt. Damit habe ich das erledigt, was heute unbedingt zu tun war. Jetzt habe ich den ganzen Tag frei. Ich wandere an dieser Bibliothek vorbei. Sie steht auf dem Fort Hill, einem Hügel, von dem man nach zwei Seiten eine weite Sicht auf das Meer hat. Ich suche die Bibliothek, ich will mich nach einem Internet-Rechner erkundigen. Dieses pompöse Gebäude sehe ich viel eher das Parlament oder das Höchste Gericht an. Aber die Schilder Public Library weisen auf dieses Gebäude. Seltsam. Ich laufe den Hügel runter und komme bei den Tunneln raus. Sie stammen aus dem II. Weltkrieg, ein unterirdisches Treibstofflager, sie sind zu besichtigen. Kein Interesse. Ich gehe zum Hafen, mache ein paar Fotos, erkundige mich nach einer Hafenrundfahrt. Das ist kein Problem, mehrmals am Tag kann man in See stechen. Ich laufe unten am Strand um den Fort Hill herum und zur Stadt zurück. Man kommt hinter der Bibliothek wieder auf den Hügel zurück. Ein schöner Park mit einem schrecklichen War Memorial. Bis nach Darwin war der II. Weltkrieg gekommen, nicht zu fassen. Aber die schöne Aussicht auf das Meer entschädigt.

Das Wetter ist hart !! Ich schätze, es sind 32 bis 34 Grad im Schatten. Es ist sehr feucht und schwül. Das schlaucht und der Schweiss fliesst. Das Klima ist hier deutlich anders als in Cairns, feuchter und wärmer. Deshalb muss ich jetzt etwas essen und trinken gehen. Ausserdem hole ich mir hier ohne Pullover eine Erkältung. Den Internet-Termin habe ich gebucht, heute gegen Abend komme ich wieder hier her.

11:05 Uhr, Public Library, Darwin

Gerade habe ich ein Selbstporträt gemacht: AL kaputt auf dem Bett in der Gecko Lodge . Das Wetter hier ist ein Hammer und es schlaucht. Die hohe Luftfeuchtigkeit macht sogar mir Konditionsprobleme. Aber mehr nicht. Ich habe keine Schwierigkeiten mit Herz und Kreislauf, es gibt keine Turbulenzen, es fehlt nur die Kondition, die Leistung. Aber nach ein paar Tagen Akklimatisation werde ich mich auch an dieses Wetter gewöhnt haben. Erstaunlich, wie anpassungsfähig der Körper ist, wenn man ihm Ruhe und Gelegenheit zur Eingewöhnung gibt.

Trotzdem habe ich heute viel von Darwin gesehen. Ganz faul konnte ich nicht sein, ich habe in Darwin nur diesen einen Tag. Nach der Library ging ich in die Galeria, ein Einkaufszentrum. Dort bekommt man problemlos jede Menge zu Essen und zu Trinken.

 

 

Anschliessend entdecke ich die pinkfarbene, ganz auf ‚in, cool und chic‘ gestylte ‚The Mall‘. In Darwin musste nach dem Taifun Tracy, der hier 1975 schwerste Verwüstungen angerichtet hat, die gesamte City neu aufgebaut werden. Da man sich natürlich nicht auf einen Baustil einigen konnte, besteht Darwin jetzt aus einem ziemlich wilden Gemisch von Gebäuden. Das fängt bei Bruchbuden aus Pappe und Wellblech an, geht über stabile alte Holzhäusern im Kolonialstil, die den Taifun überlebt haben, bis hin zu nützlichen Zweckbauten aus Stahl und Beton, wenigen Hochhäusern, ca. 15 Stockwerke hoch und hypermodernen Komplexen, wie z.B. The Mall und das Entertainment Centre. Gerade das ‚Opernhaus‘ ist ein grässliches Stück Architektur, einschliesslich der Farben ist es komplett dem Zeitgeist gewidmet. In ein paar Jahren wird man sich dafür schämen. Aber es gibt auch noch genug Häuser und Bruchbuden, die nur auf den nächsten Taifun warten, um wegzufliegen. An sich gefällt mir Darwin besser als Cairns. Diese Stadt macht wenigstens den Eindruck einer kleinen Stadt, wie man sie aus Europa gewöhnt ist. Das liegt wahrscheinlich an den vielen mehrstöckigen Häusern und den engen Strassen. In Cairns ist alles breit und flach. Dort hat man den Eindruck, die Leute haben sich erst mal nur auf Zeit eingerichtet.

Ich kaufe mir Sonnenschutzcreme für den Fall, dass meine zuende geht. Bei Woolworth, einem riesigen Schuppen, kaufe ich Getränke und Notproviant. Dann laufe ich in der Mittagshitze nach Hause. Ach ist das herrlich, dass ich gleich unter der Dusche stehen werde und mir einen Mittagsschlaf leisten kann! Vorher mache ich schnell noch ein Foto: AL vor der Gecko Lodge. Aber wo ist die Kamera ??! Nach kurzem Überlegen ist mir klar: Das alte Problem der unkontrollierten Reflexe: Die Kamera habe ich am Einkaufswagen von Woolworth hängen gelassen. Also alles kehrt und zwei Kilometer wieder bei high noon (der Schatten ist knapp zwei Fuss lang) zurück zu Woolworth. Na klar, ich bin doch der Glückspilz: Die Kamera wurde gefunden und abgegeben und ich bekomme sie zurück. Aus Dankbarkeit verzichte ich wieder auf den Bus und laufe zurück nach Hause.

 

 

Vor der Gecko Lodge mache ich jetzt das Foto, was ich schon vor einer knappen Stunde machen wollte. Dann aber – was für eine unbeschreibliche Wonne !! – unter die Dusche und eine knappe Stunde Siesta bis 13:45 Uhr.

Jetzt nehme ich den Bus und fahre vier bis fünf Stationen bis zum Museum der Northern Territories. Das ist ein grosser Gebäudekomplex am Meer hinter dem Botanischen Garten. Interessante Ausstellungen und das lokale Heimatmuseum. Das beste Museum, was ich bisher in Australia gesehen habe. Es läuft gerade die 15. landesweite Ausstellung der Aboriginal-Kunst. Mit der Malerei der Aborigines kann ich nicht viel anfangen. Es springt mich nicht an, erreicht nicht meine Emotionen. Es gibt wenige Arbeiten, die ich mir schenken lassen würde. Aber das ist ja Gott sei Dank subjektiv.

Nach Kaffee und Kuchen im museumseigenen Restaurant will ich mir die Beach ansehen, an der dieses Museum liegt. Das ist die Fanni Bay. Ein schöner Strand, Segelboote, dunkle Gewitterwolken über dem Meer und ... ganz phantastische Steine !! Was ist das für ein Material? Ist es vulkanischen Ursprungs, ist es Tuff? Es muss etwas Vulkanisches sein, denn die Steine sind teilweise auffällig leicht. Ganz Darwin sehe ich anschliessend auf dem Rückweg, steht auf solche Steinen. Ich kann nicht mehr aufhören, nach diesen Steinen an der Beach zu suchen.

 

 

Sie liegen überall in jeder Grösse und einer ist schöner, als der andere. Sie sehen nass so aus, als wären sie lichtdurchlässig wie Achat. Die Farbe schwankt zwischen Weiss und einem dunklen Rot und dazwischen gibt es alle Schattierungen, fast jeder Stein weist einen herrlich klaren Farbverlauf auf. Die Taschen meiner kurzen Hose sind so mit schönen Steinen gefüllt, das sie mir die Hose ausziehen! So kann ich nicht zurück laufen. Aber da habe ich die richtige Idee: Die Sonne ist weg, es sieht nach Gewitter aus, gleich wird es regnen. Ich brauche meinen Sonnenhut nicht mehr. Also habe ich einen Hut voller schöner Steine im Arm, als ich mich auf den Heimweg mache. Einen schönen Stein für jeden, der nicht mit nach Darwin kommen konnte!

Über the Gardens laufe ich an der Beach zurück bis zur Gecko Lodge. Am Botanischen Garten fällt mir ein Schild an einem kleinen Baum auf: ‚Sandpaper Tree‘. Die Blätter fassen sich wirklich wie Sandpapier an, man kann damit seine Fingernägel abfeilen. Ein paar solche Blätter nehme ich für Conny mit. Ein schöner Spaziergang zurück an der Gardens Bay. Über einen richtiger Platzregen würde ich mich jetzt freuen. Da hätte ich gleich eines der legendären Gewitter von Darwin erlebt und nach der Dusche sehne ich mich sowieso. Es donnert von Ferne, es sieht auf See auch gefährlich nach Gewitter aus, aber es kommt nicht ein Tropfen herunter.

In der Gecko Lodge will ich Duschen, bevor ich mich zur Bibliothek aufmache. Irgend ein Trottel blockiert die Dusche und pflegt eine halbe Stunde seinen Bart ...! Ich wasche mich aus Zeitnot dort, wo man eigentlich seine Wäsche behandeln soll und stehe um 16:15 Uhr an der Bushaltestelle direkt vor dem Haus. Ich sehe den Bus noch von hinten, der hier um 16:15 Uhr abfahren sollte. Er war etwas zu früh oder ich war etwas zu spät. Alles ist relativ. Soll ich jetzt 15 Minuten warten? Das halte ich nicht aus. Ausserdem habe ich noch genug Zeit bis 17 Uhr, also laufe ich wieder bis zur Public Library.

Nach einem angenehmen Spaziergang von einer halben Stunde bin ich dort. Ich erkundige mich, warum die Bibliothek ein so imposantes Gebäude hat und erfahre, sie residiert als Untermieter im Parlamentsgebäude. Also war mein erster Eindruck doch richtig: So sieht keine Bibliothek aus. Trotzdem ist sie auch innen sehr grosszügig und weiträumig ausgestattet. Wirklich eine sehr schöne Bibliothek, schade, dass ich hier nicht ein paar Monate arbeiten kann. Ich setze mich an den Rechner. Hotmail gibt es hier nicht. (Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass man nur die HomePage von Hotmail aufrufen braucht ...!!) Ich schicke Conny und Stefan eine Mail über den Internet Explorer.

Dann ist es 17:30 Uhr und ich laufe zurück. Eigentlich wollte ich jetzt in der City richtig zum Abendbrot essen, aber die Galeria hat zu und The Mall ist so gut wie tot. Nur Bierkneipen sind noch offen. Der Sunset Market an der Mindil Beach (heute nachmittag lief ich dort vorbei), den gibt es nur am Donnerstag. Seltsame Gebräuche in Darwin. Was machen die Leute an den langen Abenden ?!

Auf dem Rückweg gehe ich bei Doctors Gully vorbei. Hier kann man die Fische bei Flut oben von der 30 Meter hohen Steilküste aus füttern. Aber jetzt ist keine Flut, deshalb sind hier weder Menschen noch Fische zu sehen. Ich laufe durch den Gully, eine kleine, schmale Schlucht, die ein Fluss auf seinem Weg zum Meer in den Felsen gefräst hat. Die steilen Hänge sind mit üppigen Bäumen und Büschen bewachsen und tausende von Fröschen quaken um die Wette und um den Froschladys zu imponieren. Gegen 18:30 Uhr bin ich wieder zu Hause und ziemlich erschossen. Das war heute der Trainingstag für den Kakadu-Trip! Opa ist in Form, aber jetzt reichts erst mal!

Jetzt muss ich wieder meine Rucksäcke einpacken. Morgen früh um 5 Uhr (ohne Wecker, werde ich hoffentlich aufwachen ...) ist die Nacht zuende.

19:50 Uhr, Gecko Lodge, Darwin

 

 

 

 

 

 

 

 

DIE NERVEN
LIEGEN BLANK ...

03. Oktober 1998, Sonnabend

 

Meine Notizen im Reisetagebuch für heute:

031098, im Bush, Kakadu

Erschwerte Bedingungen beim Bushcamping:

 

In Stichworten der heutige Tag:

6:35 Abgeholt statt 6:05

7:00 Start: 9 Leute + Guide

8:30 Bier einkaufen und Toilette

9:00 Fahrt in Richtung Jaribu, dann abbiegen nach links in den Bush

9:45 Zwei Stunden Bootsfahrt auf Rock Hole, Krokodile (Salz- und Süsswasser Kr.), Schwarzstörche (Jaribu), Wildschweine, Wasserbüffel. In WetTime Wasserstand max. 7 m höher, normal sind 3 m

11:45 Weiter auf Bushpiste und abbiegen zum 4 Mile Hole: 1 Stunde durch den Bush auf Piste niedrigster Fach (low track). Dinner unter grossen Eukalyptusbäumen: Gut. Alles überschwemmt, wenn WetTime

14:45 weiter über Bushland und Savanne. Viel abgebrannt, low track, innen 37° heiss

17:00 Ankunft: Waldak Irrmhal, West Alligator Haed am Van Dieman Gulf. Zelte aufgebaut und eine Stunde sehr interessanter Wald hinter der Düne bei 33°

18:26 Sunset am Meer

ab 19 Kochen, Dinnertime. Es gibt doch Dusche und WC (Spezial !!)

 

Splitter:

 

>> Entscheidende Erfahrung: Heiss wie verrückt, aber man kann sich nicht waschen !

Für heute muss das genügen !!

19:40 Uhr, West Alligator Haed, Kakadu NP

 

Erst heute (25.02.1999) schreibe ich mit diesen Stichpunkten auf, wie der erste Tag der Safari im Kakadu Nationalpark verlief:

Der Tag fing schon mit einer Panne an. Um 5:45 Uhr sass ich mit meinen beiden Rucksäcken vor der Gecko Lodge. Um 6:05 Uhr sollte ich abgeholt werden. Ich war nicht alleine, mehrere Leute warteten auf Anschluss und bei denen klappte das auch, aber nicht bei mir. Ich behielt die Nerven, was sollte ich sonst auch machen. Das zahlte sich aus, Yvonne stieg um 6:35 Uhr mit einem Wortschwall strahlend aus dem 4WD-Toyota. Irgend etwas war schief gegangen, jetzt aber ist sie da und jetzt geht es los! Ich war der erste und wir mussten noch die anderen Teilnehmer der Safari abholen. Aber schon gegen 7 Uhr war die ganze Mannschaft zusammen, die Kakadu-Tax musste noch bezahlt und die Wasserflaschen ein letztes Mal gefüllt werden, dann startete die Tour gen Osten, immer der Sonne entgegen: Acht junge Leute, ein Oldie und Yvonne als Guide und am Steuer des Toyota mit einem grossen Anhänger.

Yvonne ist ein Unikum, das merkt man sofort. Sie bezeichnet sich als unverbesserliches Bushgirl, ist ca. 45 Jahre alt, vielfach bush erfahren, schlank, drahtig, braun gebrannt, kurze Shorts, schwere Stiefel, Bushhemd und einen verwegenen Aussie-Hut auf dem Kopf. Immer lachend, pausenlos redend, zupackend, resolut und direkt. Sie macht uns von Anfang an durch ihr Verhalten klar, dass sie hier unmissverständlich und ohne Frage der Chef ist. Die Touristengruppe besteht aus jungen Leuten zwischen 20 und 30 Jahren. Zwei Mädchen und ein junger Mann aus Dänemark, zwei Mädchen aus der Schweiz, ein Franzose, ein Pärchen aus Deutschland und ich. Einer kann immer vorn bei Yvonne sitzen, die restlichen acht Leute quetschen sich hinten in dem Kleinbus auf zwei schlecht gepolsterte Bänke mit noch schlechterer Lehne. Jeder hat einen kleinen Rucksack dabei und da wird es schon sehr eng. Eigentlich hat der Toyota eine Klimaanlage, aber nur, wenn man direkt vorne vor der Lüftung sitzt, merkt man, dass da kühle Luft raus kommt. Hinten ist davon nichts zu spüren: Fenster auf und Durchzug, das ist die einzige Variante gegen die Hitze. Im Anhänger befindet sich unser Gepäck, die Zelte, die Schlafmatten, das Essen, Wasserkanister.

Zu Anfang fahren wir auf der zweispurigen Hauptstrasse, die bis nach Jaribu führt. Es geht durch eine savannenartige Landschaft. Zur WetTime sind hier grosse Wasserflächen, alles ist überschwemmt vom Adelaide River. Sogar die Brücke hat es weggerissen. Langsam geht es über eine Behelfsbrücke. Ein grosser Fluss, der auch in der Trockenzeit sehr viel Wasser führt. Die erste Pause machen wir im Bark Hut Inn. Das ist nicht mehr als ein grosses Rasthaus an der Hauptstrasse. Hier sieht man, wie viele Leute mit Bussen, Campern und PKW unterwegs sind, um den Kakadu Nationalpark zu besuchen. Hunderte gehen hier aufs Klo und das ist der letzte Punkt, wo man relativ billig Bier einkaufen kann. Auch wir nehmen ca. 100 Dosen an Bord und dann geht es weiter in Richtung Osten.

150 bis 200 km von Darwin entfernt, zweigt nach links eine Bushpiste ab, die zum West Alligator Haed führt. Am Anfang ist die Piste noch ganz gut, aber schon nach wenigen Kilometern ist es ein unbefestigter, aber viel befahrener Feldweg: Gravelroad. Rund herum Savanne oder niedriger Bush. Hier brettert Yvonne mit dem Anhänger lang, meistens mindestens mit 60 km/h. Hinter uns eine kilometerlange Staubfahne. Dann wieder ein Abzweig nach links, dort gibt es auch in der Trockenzeit mehrere Billabongs (Wasserlöcher) in der absolut flachen Landschaft. Wir steuern das Rock Hole an. Dort stehen breite Alu-Boote mit Aussenbordmotoren und Führer bereit. Wir machen eine Fahrt auf diesem langen und meistens nur 50 bis 150 Meter breiten See. Das Wasser ist schlammig braun, ein Restloch. Zur Regenzeit ist hier der Wasserstand mindestens drei Meter höher, in Spitzenzeiten, wenn das ganze Land unter Wasser steht, sogar 7 Meter.

 

 

Hier sehe ich das erste Mal in freier Wildbahn tatsächlich Krokodile. Allerdings muss uns der Ranger erst mal das Sehen lernen, denn die Krokodile verstehen es hervorragend, sich unsichtbar zu machen. Aber überall, mitten im See und an den Ufern schwimmen und liegen grosse und kleine Süss- und Salzwasserkrokodile. Es ist nicht zu empfehlen, hier baden zu gehen. Mehrere Schwarzstörche sind zu sehen.

 

 

Riesige Bambussträucher am Ufer, in denen ganze Trauben von Flughunden hängen, wenige, grosse Bäume. In einem hohen Baum sitzt ein Weisskopfadler. Unter dem breiten Schirm eines alten Baumes hat sich eine grosse Schar Wildenten versammelt. Der Ranger erzählt etwas über die Lebensweise der Aborigines und zeigt, wie man hier auch ohne Proviant überleben kann (mehr schlecht als recht). Das war ein wirklich interessanter Ausflug.

Wir steigen wieder in unseren kleinen Bus und es geht auf der gleichen Piste wieder eine Stunde zurück und dann nach Norden. Wir fahren über Savanne und durch Bush. Die Savanne besteht zur Regenzeit aus riesigen, flachen Seen. Jetzt sind weite Flächen schwarz und ausgedörrt, bizarre Sprungmuster in der aufgeplatzten, rissigen Oberfläche. Erste Termitenbauten tauchen auf. Wie schaffen die Termiten es, solche Bauten zu errichten? Wer gibt ihnen Anweisungen, wo ist der Bauplan? Wahrscheinlich sind begrenzte Verhaltensregeln in den Genen fixiert. So ist Arbeitsteilung vorprogrammiert. Jede Termite macht das, was auch ihre Nachbarin macht. Das gleiche Prinzip wie beim Fisch- und Vogelschwarm, aber komplexer. Es muss zeitabhängige Steuerungssignale geben, wo die herkommen, ist das spannendste an der Sache. Damit aber kommt die einzelne Termite ohne Bauplan des Ganzen aus, arbeitet aber im Sinne des Ganzen. Weil die Verhaltensweise der Termiten gleich ist, sind auch ihre Bauten gleich oder ähnlich. Aber hier taucht wieder die komplizierten Fragen auf: Wo kommen die Termiten her, wer hat sie programmiert und warum gerade so ?!

 

 

Beim 4 Mile Hole wird das erste Camp aufgeschlagen und ein Lunch aus dem Anhänger gezaubert. Die Seiten des Anhängers kann man hochklappen, ein Tisch wird rausgezogen. Yvonne entscheidet, was es zu essen gibt. Sie holt die Zutaten aus den Kisten, die mit Eis gekühlt werden und erteilt Anweisungen, was zu tun ist. Alle machen mit (notgedrungen und mehr oder weniger), aus der Touristengruppe wird ganz schnell eine Notgemeinschaft, die im Bush um das Überleben kämpft. Der Platz hier ist schön. Weite Savanne mit jetzt ausgetrockneten riesigen Seen, hohe Eukalyptusbäume am Billabong bieten Schatten. Baden verboten: Krokodile !! Wir setzen uns ins Gras und es gibt Brot, Salat, Butter, Schinken Wurst und Obst. Lange dauert die Pause nicht, alles wird wieder verstaut, wir kriechen in das unbequeme Auto zurück und es geht wieder auf die Piste.

 

 

Diese Fahrt erscheint endlos. Es ist heiss (ich messe 37 Grad im Auto bei offenen Fenstern), wir sind erschossen, keiner und nichts kann dem Staub entkommen, alle und alles ist dreckig, wir schwitzen und wir wissen auch nicht richtig, wo wir eigentlich hinfahren. Keiner kann mit ‚West Alligator Haed‘ etwas anfangen. Auf der harten Bank werden wir permanent durchgeschüttelt, die Piste wird immer schlechter, kilometerlange Sanddurchfahrten und Waschbretter rütteln das Auto durch. Erstaunlich, dass alle so einen guten Magen haben. Aber die schweizer Mädchen und auch die aus Dänemark machen keine gute Figur mehr. Spätestens jetzt stellen sich alle die Frage aller Fragen: Warum habe ich diese irre Tour gebucht, warum liege nicht irgendwo in Ruhe am Strand? Warum, um Gottes Willen, bin ich nicht bei der Hazelnut-Torte sitzen geblieben ??!

Der Ingenieur in mir erwacht und ich denke über Lastwechsel, Dauerfestigkeit und Eigenfrequenzen nach. Dabei löse ich auch das Rätsel der Waschbretter. Warum entstehen diese endlosen Waschbretter auf der Piste? Ganz schnell ist klar, wie das funktioniert: Das Auto schaukelt sich auf, natürlich hat es eine Eigenfrequenz. Die Amplitude kann offensichtlich so stark werden, dass das Fahrzeug leicht, fast oder ganz die Bodenhaftung verliert. Auf alle Fälle gibt es dann mehr oder weniger Schlupf zwischen Piste und Reifen. Und genau das ist der Effekt: Dieser Schlupf bewirkt, dass die Räder praktisch die Waschbrett-Dellen quer zur Fahrtrichtung ‚ausfräsen‘. Sind sie erst mal im Ansatz da, sind diese kleine Huckel der ideale Erreger, der das Auto genau in der Eigenfrequenz aufschaukelt: Die Dellen werden immer tiefer, die Waschbretter immer länger. Es hilft nur eins: Schneller oder langsamer fahren, um der Eigenfrequenz zu entkommen. Aber das weiss Yvonne offensichtlich nicht. Sie fährt endlose Kilometer direkt in der Eigenfrequenz! Erstaunlich, dass diese Fahrzeuge das offensichtlich mehr als 100.000 Kilometer aushalten.

Die Umgebung hat sich seit Stunden fast nicht mehr geändert: Eukalyptusbäume, höchstens 5 bis 7 Meter hoch und dazwischen die Stachelpalmen aus Tenggol. Alles ist schwarz und verbrannt, offensichtlich brennt es hier ständig, weil alles knochentrocken ist. Aber das ist seit Jahrtausenden so, sagt Yvonne. Kein Problem, wenn man nicht selber mitten drin ist, wenn es brennt. Es gibt auch keine besonderen Brandschutzvorschriften. Im Gegenteil, Feuer anmachen ist überall erlaubt, es wäre schön, wenn die Leute dabei ein bisschen aufpassen, dass der Bush nicht anbrennt. Aber wenn nicht, früher oder später brennt er ja sowieso ...

Irgendwann hält Yvonne mitten im Bush an und erklärt der völlig abgekämpften Mannschaft freudestrahlend und mit sprudelnder Suada, dass wir jetzt da sind, wo wir hin wollten und dass wir uns jetzt entscheiden sollen, wo wir die Zelte aufbauen !? Keiner will und kann glauben, dass das ernst gemeint ist, denn von einem Zeltplatz ist nichts zu sehen, alles ist nur Bush !! Der einzige Unterschied ist, dass auf einer Fläche 20 x 20 Meter das Unterholz mehr oder weniger gerodet worden ist. Aber Yvonne tut so, als ob sie unser Entsetzen nicht wahr nimmt. Sie entscheidet, hier stellen wir die Zelte hin, klappt den Anhänger auf und schmeisst einen grossen, völlig verstaubten Sack in den Dreck: ‚Da sind die Zelte drin, immer zwei Mann in ein Zelt, die Matten sind auf dem Anhänger! Los, an die Arbeit, es dauert nicht mehr lange und es ist dunkel !!‘ Was bleibt uns verdatterten und von der Zivilisation und der dort herrschenden Hygiene total verwöhnten Weichlingen anderes übrig, als mit spitzen Fingern die Zelte aus dem Sack zu holen und sie aufzubauen ?! Ich mache einen grossen Fehler und steige auf das Dach des Anhängers. Dort sind die Matten verseilt, die den ganzen Tag in der Staubfahne hinter uns hergefahren sind. Ich löse die Verschnürung und reiche die eingesauten Matten runter. Weil ich das so gut mache, bleibe ich für die ganze Safari auf dieser Aufgabe hängen: Matten runter und Matten rauf und oben verschnüren, das ist ab sofort Johnnys Aufgabe. Ich baue mit dem Franzosen das Zelt auf und werde mit ihm darin schlafen. Das ergibt sich fast automatisch aus der Konstellation der Gruppe. Wir versuchen, die Matten so gut es geht mit Lappen und Papier sauber zu machen. Aber wir geben bald auf, denn die Zelte sind genau so dreckig und die kriegt man gar nicht sauber. Als die Zelte stehen, sind wir noch mehr verschwitzt und noch dreckiger, als wir schon vorher waren, aber wir haben uns in unser Schicksal ergeben. Offensichtlich ist das der Stil der Safari, die wir ja alle freiwillig gebucht haben. Jetzt gibt es kein Entrinnen mehr. Ich bin besonders sauer, weil es überhaupt kein Problem gewesen wäre, mein herrliches Zelt und die schöne, saubere Luftmatratze mitzubringen. Ich hätte nur wissen müssen, was man uns hier für Zelte anbietet! Das ist immer das schlimmste, wenn man genau weiss, wie es eigentlich sein könnte ...!

Aber Yvonne lässt lange Überlegungen nicht zu. Sie hat das Prinzip übernommen, was man auch bei konditionsstarken Kindern anwendet: Die Gören müssen tot geritten werden! Auch wir müssen pausenlos beschäftigt werden, nur dann mucken wir nicht auf und fallen am Abend todmüde auch ins dreckigste Bett. Nach diesem Motte bläst sie zur Exkursion, kaum dass die Zelte stehen. Wir brechen auf und nach ca. 400 Metern Fussmarsch durch den Bush merken wir erst, wo wir überhaupt sind: Das Meer ist ganz nahe, Strand mit Muscheln und Brandung, eine frische Briese: Der Van Dieman Gulf. Auf dem Weg zum Strand begegnen wir auch andere Camper, die hier unter ähnlichen Bedingungen ihren Urlaub verbringen. Ausserdem stellen wir mit grösster Erleichterung fest, dass es hier auch eine Toilette und einen grossen Wasserbehälter gibt, der auf einem Mast steht. Unten befindet sich ein Wasserhahn und sogar eine Dusche !! Einfacher und primitiver geht es zwar nicht mehr, aber immerhin: Wasser zum Waschen! Das hebt die Stimmung ganz gewaltig. Die Sonne steht noch ein ganzes Stück über dem Horizont. Deshalb machen wir erst noch eine Wanderung im Urwald hinter der Düne. Ein interessanter Wald mit riesigen Bäumen und wenig Unterholz. Würgerfeigen, Eukalyptus und viele Stachelpalmen. Er sieht wie der Regenwald am Cape Tribulation aus, aber jetzt in der Trockenzeit ist vieles braun und knochentrocken.

Wir marschieren durch Sand und wegloses Unterholz, Yvonne in scharfem Schritt immer vorne weg. Eine interessante Wanderung und schon zeigen sich erste Konditionsschwächen bei den schweizer Mädchen. Das sind wohl die schwächsten in der Gruppe. Als sehr angenehm empfinde ich, dass es hier kaum Moskitos gibt. Ich habe Autan dabei, ich werde nicht gestochen. Es hilft auch gegen die wenigen, aber sehr aggressiven Fliegen. Das hätte dem ganzen Kulturschock noch die Krone aufgesetzt: Moskitoschwärme wie in Tenggol oder Bydalen. Das kommt hier vor, aber jetzt ist es dafür zu trocken.

Wir kommen da wieder aus dem Wald, wo wir das erste mal den Strand gesehen haben. Sonnenuntergang. Ohne Wolken und ohne Spektakel versinkt die Sonne im Meer, während wir erschöpft am Strand liegen. Hier gibt es jetzt tatsächlich mal eine halbe Stunde Pause. Der Strand ist ziemlich schmal, die Düne hoch, viele Muscheln und Korallenschutt. Ich finde eine schöne Koralle, fast faustgross: Mein Souvenir vom West Alligator Haed, wo ich mit Sicherheit in meinem Leben nie wieder hinkommen werde!

Als es dunkel wird, laufen wir zu den Zelten zurück. Yvonne klappt den Anhänger auf, holt eine Gaslampe heraus verteilt die Arbeit die jetzt geleistet werden muss, um ein Dinner zustande zu bringen: Feuer machen (Holz wurde schon unterwegs eingesammelt), Salat, Kartoffeln schälen, Tee kochen, Konserven aufmachen ... Viel Arbeit für jeden und jetzt zeigen sich die Schwächen und Stärken der einzelnen Leute. Die Schweizer sind die geborenen Küchenhilfen (später stellt sich heraus, eine der Mädchen ist eine gelernte Köchin). Die Dänen sind willig und hilfsbereit, aber mit linken Händen ausgestattet, gleich alle drei. Der Franzose drückt sich, wo er kann. Wenn es sein muss, kann er aber alles und das sehr gut: Er hat gerade sein Ingenieurstudium abgeschlossen, wie sich später herausstellt. Das Pärchen aus Deutschland hilft Yvonne bei der Verteilung der Arbeit ...! Uwe und Heidi wissen und können alles, sind aber von dem Dreck mindestens so genervt, wie ich. Man sieht deutlich, welche Überwindung es sie kostet, überhaupt etwas anzufassen: Hier ist ja alles dreckig! Ich packe richtig zu, es gibt ja kein Entrinnen. Als alles organisiert ist und alle nur noch darauf warten, dass das Essen auf dem offenen Feuer fertig wird, setze ich mich in die Nähe der einzigen Lampe und schreibe die Stichpunkte vom heutigen Tag in mein Reisebuch. Die anderen quatschen miteinander, werten den Tag aus. Ich halte mich zurück und sage nicht viel. Dann wird ohne Tisch von Blechtellern gegessen und aus Blechtassen heisser Daintree-Tee getrunken. Aber Yvonne hat tatsächlich 10 Klappstühle ohne Lehne im Anhänger, unerhörter Luxus. So hat jeder wenigstens einen Sitzplatz. Es schmeckt vorzüglich und die Stimmung hat sich gebessert. Nach dem Dinner ist wieder Arbeit angesagt: Abwaschen, Abtrocknen, Aufräumen.

Der Abend wird nicht lang, wir sind alle knülle. Endlich können wir uns waschen und ins Bett kriechen. Als ich unter dem Wasserturm in der Dusche stehe habe ich den Eindruck, dass ich noch nie so dreckig war wie jetzt und noch nie eine Dusche so wie hier genossen habe !! Dabei ist hier alles kümmerlich und einfach! Primitiver geht es nicht mehr nach dem Motto: Hier gibt Wasser, das alleine ist schon so unwahrscheinlich, das reicht! Es gibt hier nichts, wo man sich ausziehen, seine Sachen und das Handtuch ablegen kann. Kaum Sichtschutz ist vorhanden aber ein grosses Schild: Wasser nur entnehmen, wenn es unbedingt nötig ist! Ich bin einer der ersten unter dieser absolut notwendigsten Dusche aller Zeiten und davor wartet unsere ganze Truppe. Nur Yvonne demonstriert durch einfaches Händewaschen und Zähneputzen, dass Duschen ein überflüssiger Luxus ist: ‚Fünf Tage im Bush hält man auch ohne Dusche aus!‘ Dazu fehlt uns noch das Training. Und die Ernüchterung kommt gleich danach, als wir frisch geduscht in das entsetzlich dreckige Zelt mit der eingesauten Schlafmatte kriechen. Im Zelt ist es mindestens noch 30 Grad warm, sofort fängt man wieder an zu schwitzen. Warum sind wir unter die Dusche gegangen, wenn wir jetzt schon wieder nass sind ?! Ich lege meine immer bereite ISO-Matte auf die dreckige Unterlage und darauf erst meinen schönen sauberen Schlafsack. So ist es auszuhalten. Yvonne hat inzwischen ihr Superzelt aufgebaut ... sie wusste, was für Zelte in dem Sack sind !! Mein Zelt wäre noch besser gewesen, aber ... Schwamm drüber. Wir sind gegen 21 Uhr so müde, dass wir fast schon eingeschlafen sind, bevor wir die Horizontale erreicht haben. Yvonne hat ihr Ziel erreicht: Wir sind geschafft.

 

 

 

 

 

 

 

LANGE FAHRTEN
UND HOHE FELSEN

04. Oktober 1998, Sonntag

 

Meine Notizen im Reisetagebuch für heute:

041098, Südlich von Jabiru

Ich hasse Bushcamping und ich schwöre bei allen Göttern, nie wieder werde ich mich dazu verleiten lassen! Aber man kann erst etwas hassen, wenn man es mal mitgemacht hat. Und das hier ist eine Tour, bei der man Bushcamping in der schlimmsten Variante erlebt, weil man in einer Gruppe unterwegs ist. Sobald man alleine im Bush ist, hat man wenigstens noch die Freiheit, anzuhalten, zu essen, die Route zu bestimmen und vielleicht auch aufzugeben. Aber hier wird von Yvonne der Kurs und das Programm festgelegt und man hat keine Wahl, man muss mitmachen, ob es einem passt, oder nicht. Was ich daran so hasse ist:

Jetzt sitze ich an einer Gaslampe. Am offenen Feuer werden Steaks gebraten. Die Zelte wurden im Dunklen aufgebaut (da war wenigstens der Dreck nicht mehr zu sehen). Dann wurde erst mal eine halbe Stunde Pause gemacht und gequatscht ... Ich ging duschen – eine Wonne. Hier gibt es ordentliche Toiletten und Duschen: Gestern, das war das Minimum, was man noch Dusche und WC nennen kann. Alle warten hier auf ein schweres und fettes Dinner, danach geht’s (endlich) ins Bett. An die Temperaturen kann man sich offensichtlich gewöhnen. Heute habe ich sie schon besser vertragen, als gestern. Dabei war es heute genau so heiss und schwül wie gestern. Das Programm heute war hart, aber gut:

 

In Stichworten der heutige Tag:

6:00 Aufstehen, Rasieren, Duschen, Frühstück, Spaziergang an der Beach mit Mangroven, vielen laufenden Schneckenhäusern, springenden, surfenden Fischen: 8 x !!

9:45 Rückfahrt zum Highway: 200.000 Lastwechsel pro Stunde ... wie halten Auto und Anhänger (und die Menschen) das aus?! Temperatur innen wieder 37°

12:00 am Highway

13:00 Mittag auf einem Rastplatz Mamukala Wetlands, 25.000 Enten ...

14:30 Ubirr, Info über die Dreamtime der Aborigines Felszeichnungen, Ganz irre Postkartenansichten

17:45 Nourlangie Rock, Entsetzlich viele Fliegen, Felszeichnungen, Aussicht mit Abendrot

19:15 Ankunft hier: Mardugal Camp Ground

 

Splitter:

 

Heute, am 27.02.1999, schreibe ich mit diesen Stichpunkten auf, wie ich diesen Tag im Bush in Erinnerung habe:

Mit dem Sonnenaufgang wird aufgestanden. Damit habe ich kein Problem. Im Gegenteil. Das ist die schönste Zeit des Tages, alles ist ruhig, alle noch in den Zelten, die Luft ist angenehm frisch. Yvonne weckt nicht, das ist nett von ihr, sondern sie fängt an, das Frühstück zu machen und dabei trudeln langsam alle ein. Ich bin fast immer der erste und mache beim Frühstück mit. Nach dem Frühstück machen wir eine Wanderung am Strand in die andere, östliche Richtung.

 

 

Das ist hoch interessant: Hier kämpft der Urwald gegen die See, ein ähnliches Szenario wie in Midge Point: Mangroven auf Felsen, auch weit draussen im Meer, grosse, umgestürzte Bäume, ausgewaschene Felsen, es ist Flut. Und in der schwachen Brandung viele ca. 10 cm lange schmale Fische, die aus dem Wasser springen und auf der Wasseroberfläche surfen! Sie schlittern wie flache Steine, die man auf das Wasser wirft. Ich habe gezählt, ach mal ‚hopst‘ so ein Fisch über die Wasseroberfläche! Und das machen nicht einzelne Fische, sondern Schwärme von 10 bis 15 Fischen. Ein ganz seltsames Schauspiel. Ich versuche es zu fotografieren: Keine Zeit und nicht das richtige Equipment. Wir laufen ca. 1,5 Kilometer am Strand entlang. Es ist beschwerlich, es gibt keinen Weg. Zurück geht es auf einem Wanderweg im Bush, vorbei an einer verlassenen Rangerstation mit verrosteten Maschinen und uralten Autos. In einem alten Autoreifen, der noch an einem verrosteten Laster hängt, haben sich Ameisen einen Bau eingerichtet.

 

 

Dann geht es die lange Bushpiste zurück bis zum Highway. Diese Fahrten sind belastend. Es ist heiss, es ist laut, man sitzt zusammengepfercht auf einer harten Bank und wird durchgerüttelt. Dazu dröhnt noch Musik mit voller Lautstärke aus den Lautsprechern: Yvonne hat Kassetten mit Musik mit, die die Yuppies kennen, die bei mir aber nur als schrecklicher, völlig unnötiger Krach ankommt. Aber auch damit wird man fertig, man kann dem Getöse ja nicht entkommen. Auf diesen Fahrten kann man nichts machen, für Gespräche ist es zu unruhig und zu laut, Lesen oder Schreiben entfällt wegen der starken, dreidimensionalen Rüttelamplitude!. Man muss einfach warten, bis es vorbei ist. Angehalten wird nur zu einer kurzen Pinkelpause. Aber diese Stunden im engen, lauten Auto können auch Ruhepausen sein. Hier ist man mit sich alleine, bekommt den Kopf frei und kann sich Gedanken über Gott und die Welt machen. Heute beschäftige ich meinen Kopf mit der Berechnung der Lastwechsel, die auf das Fahrzeug wirken, während es auf der Waschbrettpiste unterwegs ist. Es können ca. 200.000 pro Stunde sein und es ist im höchsten Grade erstaunlich, dass diese Autos (fast nur Toyotas) solche Belastungen jahrelang aushalten. Das Auto ist ein Benziner mit zwei 80-Liter-Tanks. Yvonne weiss nicht, wieviel Zylinder und KW der Wagen hat. Jedenfalls genug. Aber er hat sechs normale Gänge und dazu 3 Allradgänge, hinten eine Starrachse, Blattfedern und eine hochbeinige Karosse. Nur vorn gibt es zwei richtige Sitze, vorn hat man auch etwas Kühlung aber von Klima kann keine Rede sein. Im hinteren Raum könnte man vielleicht 6 Sitze unterbringen. Jetzt stehen da zwei ganz normale Holzbänke mit Schaumstoffauflage. Man kann aufrecht sitzen, das ist ja schon was. Bei acht Leuten mit je einem kleinen Rucksack geht es aber nicht ohne direkten Körperkontakt: Becken an Becken. Auch bei den Beinen muss man sich mit seinem Gegenüber einigen. Die Fenster sind meistens offen: Durchzug. Wenn man direkt davor sitzt, hat man den Eindruck, vor einem Heizlüfter zu sitzen. Der Wagen ist mindestens fünf Jahre alt. Die hintere Doppeltür schliesst, aber sie knattert wie eine Nagelmaschine, wenn es über Waschbretter geht. Der Blech-Fussboden ist streckenweise beheizt, irgendwo da unten liegt der Auspuff. Am späten Nachmittag wird Holz gesammelt und auf dem Dach verstaut: Feuerholz für den Abend. Auf dem Dach ist auch ein Wasserbehälter vertäut. Aus dem kann man sich Eiswasser abzapfen. Aber das Eis ist längst alle, Wasser gibt es, es wird aus Kanistern nachgefüllt. Yvonne hat am Anfang strikt darauf geachtet, dass jeder eine grosse und eine kleine Trinkflasche hat. Sie hält uns immer wieder zum Trinken an, jeder soll täglich 6 bis 10 Liter trinken, ich schaffe höchstens 5.

 

 

Wir erreichen gegen 12 Uhr den Highway und fahren weiter in Richtung Osten bis zu den Mamukala Wetlands. Ein Spar-Lunch auf dem Parkplatz davor. Dann laufen wir ein Stück auf dem Mamukala Walk. Teilweise geht es auf Bohlenwegen über Wasser und Sumpfgebiet. Hier sind grosse Feuchtgebiete, die auch in der Trockenzeit noch nass sind und Futter für viele Wasservögel bieten. Sumpfige Grasflächen, einzelne grosse Bäume, Seen, eine schöne, weite Parklandschaft. Es sind auch jetzt viele Enten und Gänse hier zu sehen, aber jetzt ist keine Brutzeit. Dann leben und brüten hier verschiedene Wasservögel in riesigen Scharen, 25.000 Exemplare pro Art, steht auf den Infotafeln. Ich denke, es könnten auch wesentlich mehr sein.

Wir bleiben nicht lange, wir wollen nach Ubirr, das liegt ca. 120 km weiter nordöstlich. Dahin führt der Highway. Das ist die Strasse nach Jabiru, zweispurig, Teerbelag, keine Autobahn aber eine sehr gute Strasse, auf der man ohne Rütteln fahren kann. Schön ist, dass Yvonne uns nicht in diese Stadt oder in touristische Zentren fährt, wo man Souvenirs kaufen kann und auch sonst abkassiert wird. Das ist auch dem Bushgirl suspekt. Wir bleiben immer so nahe an wie möglich der Natur. Auch wenn das dreckig und anstrengend ist: Das ist wirklich gut.

Um 14:30 steigen wir in Ubirr an einem Parkplatz neben hohen Felsen aus. Hier ist Aboriginal-Land. Aber es ist mit dem (freiwilligen ...?) Einverständnis der Aborigines voll für touristische Zwecke erschlossen. Ausser auf einigen Informationstafeln ist hier kein Aboriginal zu sehen, auch nicht als Tourist. Ubirr ist ein Gelände, mindestens 15 x 25 Kilometer gross. Grasland, Seen, Flüsse und dazwischen 300 Meter hohe Felsformationen.

 

 

Von da oben gibt es eine herrliche Sicht über die ganze Gegend. Postkartenansichten, wohin man guckt, eine vielfältige, sehr interessante Landschaft. Yvonne lässt uns auf dem Felsen auch mal ½ Stunde allein. Ruhe und Besinnung. Drei Stunden wären mir lieber gewesen. Aber hier geht es nicht nur um landschaftliche Schönheit, hier ist eine der bedeutendsten Stellen in Australien, wo die ‚Rockart‘ der Aborigines zu besichtigen ist: Bis zu 9000 Jahre alte Felsbilder, die in der Dreamtime eine zentrale Rolle spielen. Yvonne erzählt viel von den Aborigines und der Dreamtime. Sie macht das gut und einfühlsam. Die naiven schweizer Mädchen verstehen weder English noch den Sinn von Dreamtime, Uwe spielt den Dolmetscher und den Guide für sie. Wenn ich mich richtig auf die Rede von Yvonne konzentriere, dann verstehe ich alles. Es ist gut, dass ich vorher schon einiges gelesen habe. Die Felsbilder selber sprechen mich emotional kaum an. Subjektiv für mich sind sie weder schön noch interessant. Erstaunlich ist nur, dass sie so alt sind, obwohl sie völlig der Witterung ausgesetzt sind. In den Felsen davor sind Vertiefungen zu sehen, in denen die Farbe hergestellt wurde. Die Farbe penetriert den Stein bis zu 10 mm tief. Deshalb sind die Bilder erhalten geblieben. Die genaue Bedeutung der Felsbilder kennen nur die Aborigines, sie sind tief in ihre Mythen eingebunden. Die Weissen können dazu kaum Beziehungen entwickeln. Es gibt Bilder, die dürfen z.B. die Frauen der Aborigines aus zeremoniellen Gründen nicht sehen. Hier laufen täglich hunderte von Frauen vorbei. Die Bildergalerien sind den Aborigines heilig, aber darauf wird hier keine Rücksicht genommen, für Touristen sind sie ein Event unter vielen ....

Ich bin viel mehr von der Landschaft fasziniert. Diese Landschaft ist einmalig. Es gibt bizarre Felsformationen, stark erodiert, grünes Grasland, trockenen Bush und Wasserflächen. Von oben hat man einen herrlichen Blick über das Land, sieht den weiten Horizont mit den hohen Wolken und die Felsstrukturen am Horizont. Eine wirklich einmalige Landschaft. Der Film ‚Crocodile Dundee‘ wurde hier gedreht. Davon habe ich schon mal was gehört, gesehen habe ich ihn nicht. Egal welche Story er erzählt, alleine wegen dieser Landschaft muss man sich diesen Film ansehen!

Wir haben viel zu wenig Zeit in dieser Gegend. Yvonne drängt zum Aufbruch. Wir fahren nach Süden durch eine Bushlandschaft mit hohen Felsen im Hintergrund. Faszinierende Ausblicke, aber keine Zeit zum Anhalten. Aber wir werden in Nourlangie Rock entschädigt. Wir steigen auf einem Parkplatz aus. Ein grosser Parkplatz, aber jetzt am Abend ist keiner mehr da, wir sind alleine. Rund um den Parkplatz ragen hohe, steile Felsen auf, verwittert, alle Schattierungen von Rot.

 

 

Auch hier gibt es Felszeichnungen und eine Stelle, wo wohl Jahrtausende hindurch das Feuer der Aborigines nicht ausgegangen ist. Hier sind die Felszeichnungen zu sehen, die ich schon von Büchern her kenne: Es geht um eine Story von Inzest und der Bestrafung durch den Gott der Gewitter. Diese Felszeichnungen hier in Nourlangie Rock gehören zu den ältesten, die es in Australien überhaupt gibt.

 

 

Schrecklich viele aggressive Fliegen gibt es auch hier. Ständig muss man wedeln. Mit einem abgerissenen Zweig geht das am besten. Was wollen die Fliegen nur: Sie finden auf der Haut Flüssigkeit, das scheint den Angriff auf die Menschen wert zu sein. Inzwischen geht die Sonne unter. Wir steigen auf einen kleinen Felshügel und sehen von dort oben ein wirklich phantastisches Panorama.

 

 

Ganz nahe die fast senkrechten Felswände des Nourlangie Rock, im Westen, viele Kilometer weit weg eine andere Felskette, von der Sonne rot beschienen. Heller Himmel, dunkle Wolken mit roten Rändern. Herrlich. Aber wieder bleiben uns nur ein paar Minuten. Gerne würde ich hier sitzen, bis es dunkel ist. Yvonne aber treibt uns zum Auto zurück. Wahrscheinlich will sie mit uns nicht im Dunklen von diesem Felsen runtersteigen. Als wir einsteigen, ist es fast schon dunkel und wir fahren noch eine knappe Stunde bis zu unserem heutigen Camping Platz.

 

 

Der Mardugal Camp Ground ist ein grosses und komfortables Gelände. Es gibt herrliche Duschen und Toiletten, aber geschlafen wird im Bush und in unseren wunderbaren Zelten. Inzwischen ist das Ritual schon eingespielt: Zelte raus, Matten runter (ich habe sie inzwischen oben in einer Plane verschnürt, da werden sie nicht jeden Tag wieder neu dreckig), Zelte aufbauen, Feuer machen, kochen.

 

 

Hier gibt es am Zeltplatz sogar einen Tisch. Mit grossem Appetit wird gegessen, was auf dem offenen Feuer zubereitet worden ist. Lebhafte Gespräche. Aber sie drehen sich nicht um die Aborigines und die Felszeichnungen, sondern um Urlaub, Arbeit und die nächsten Reisetermine. Jeder produziert sich, so gut er kann. Yvonne hat weiterhin fest das Heft in der Hand, aber gleich danach kommen Uwe und Heidi. Sie sind für jede auftauchende Frage die letzte Instanz. Das ist inzwischen von der Gruppe anerkannt. Nur ich halte mich weiterhin deutlich zurück. Ich mache viel, sage aber wenig und ich merke, dass mich die Leute nicht einschätzen können. Was ist das überhaupt für ein Typ, er ist freundlich zu allen und hilfsbereit, aber gleichzeitig sehr zurückhaltend. Warum ?! Besonders Uwe ist verunsichert. Er ist sich nicht sicher, ob ich ihm den Rang als Platzhirsch streitig machen will. Um seinen Rang zu betonen ist er hektisch aktiv und gibt in jeder Situation seinen kompetenten Kommentar ab. Uwe bemüht sich um alle, nur mir geht er aus dem Weg, er ignoriert mich wo es möglich ist, sieht einfach durch mich durch. Er hat auch immer noch nicht akzeptiert, dass Yvonne hier der Chef ist. Wenn Yvonne es zulassen würde, hätte hier schon längst Uwe das grosse Sagen, unterstützt von Heidi. Aber darauf lässt sich Yvonne nicht einmal im Ansatz ein. Es ist ein herrliches psychologisches Spiel im Gange, was ich amüsiert und mit grossem Interesse aus der hintersten Reihe beobachte.

Als wir schlafen, werden wir gegen 2 Uhr durch einen Platzregen aufgeschreckt: Meine ausgezogenen Sachen und auch die von Christoph hängen draussen auf der Leine und wir haben das Überzelt nicht installiert !! Also raus und die Sachen retten, Überzelt aufbauen und so schnell wie möglich wieder rein! Aber draussen ist es inzwischen schon nass und schlammig, diesen Dreck schleppen wir an den Füssen mit ins Zelt ...! Das ist Bushcamping. Man muss es lieben, oder lassen !! Draussen dampft alles, im Zelt ist es entsetzlich heiss, schwül und stickig. So kann ich jetzt nicht schlafen, ich bin hell wach. Ich nehme das Rasierzeug und laufe (ca. 500 Meter) bis zum WC-Gebäude. Es ist dunkel, kein Mond am Himmel oder er ist hinter Wolken. Am Abend habe ich mit Christoph beobachtet, wie der Jupiter dicht über dem Mond stand, drei Monddurchmesser darüber (s. Sternenkarte). Ein grosses Känguruh wird aufgeschreckt und läuft mir vor die Füsse. Im Waschraum ist es stockdunkel und es gibt keinen Lichtschalter. Wahrscheinlich wird das Licht automatisch zeitabhängig gesteuert. Auf die Toilette kann man auch im Dunkeln gehen. Aber Rasieren? Na klar, auch das geht, solange man noch Finger zum Fühlen hat, braucht man auch dafür kein Licht. Dann laufe ich wieder zurück. Draussen ist es deutlich heller, als im Waschraum. Eine schöne, ruhige Nacht, weitgehend klarer Himmel, die Sterne sind aber nur durch die dichten Bäume zu sehen. Von Regen und Schlamm inzwischen schon keine Spur mehr.

 

Jürgen Albrecht
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