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Landung im Regenwald

 

 

 

ZUCKERROHR UND
CAPE TRIBULATION

04. September 1998, Freitag

 

Um 6:30 Uhr weckt mich ein Vogel mit lauten Rufen. Er sitzt hier ganz in der Nähe und fragt in die Gegend: ‚Point you be ??‘ ‚Point you be ??!‘ Und tatsächlich kommt aus der Ferne der gleiche Ruf zurück! Einmal, zweimal noch Verständigung, dann ist wieder Ruhe, die Kommunikation hat ohne Internet funktioniert: Die beiden haben sich gefunden, mindestens aber verständigt. Schon am Abend vorher hatte ich am Schiffswrack-Museum das gleiche Spiel beobachtet. Aber da wurde es von einer andere Sorte von Vögeln gespielt. Gleich hinter dem Motel fängt der ‚Urwald‘ von Port Douglas an. Der Berg mit dem Ausguck ist bewaldet. Wie weit das noch der originale Bewuchs ist, wage ich nicht zu fragen. Aber es gibt jede Menge Vögel in diesem Wald, auch einige Eidechsen habe ich gesehen.

Ich bin erst kurz vor Mitternacht eingeschlafen. Um 3 Uhr war ich schon wieder wach. Ich stand aber nicht auf, sondern dachte an das Cape Tribulation und hörte auf die Geräusche der Nacht. Irgendwann wurde ich stutzig: Ich überlegte, was kommt da für eine riesige Maschine auf der Strasse vorbei ?!? Es kam so schnell wie ein Auto, aber viel lauter aus der Ferne angefahren: Es war ein tropischer Regenguss! Ich springe aus dem Bett, gehe vor die Tür: Windböen jagen den Regen über den kleinen Hof, er stürzt wie ein Wasserfall auf das Blechdach, unter dem mein Wagen steht. Nach einer Viertelstunde ist alles vorbei. Ruhe kehrt wieder ein und nach einer halben Stunde ist wieder der schöne, klare Sternenhimmel zu sehen.

Ich schlafe nicht richtig, aber ich bin auch nicht richtig wach. So wird es sechs Uhr. Ich denke, jetzt stehe ich auf und fahre los, da erlebe ich den Sonnenaufgang. Aber daraus wird nach einem Blick aus dem Fenster nichts: Die Sonne ist zwar noch nicht aufgegangen, aber es ist hell und kurz vor dem Sonnenaufgang. Bis ich hier die Sachen gepackt habe, steht die Sonne schon deutlich über dem Horizont. Also dann lieber noch mal in das schöne Bett. Aber um 6:30 Uhr hält es mich nicht mehr: Raus !! Zuerst schreibe ich diese Notizen. Jetzt werde ich noch die ersten drei Pflicht-Ansichtskarten verfassen und dann mache ich Frühstück. Danach wird hier alles ausgeräumt und im Kofferraum verstaut. Hoffentlich hat dann schon das Internet-Café auf, denn bevor ich losfahre will ich, nein ich muss, in die In-Box gucken! Jörg Dannenberg könnte mir (theoretisch) geantwortet haben. Die Karten müssen noch zur Post und dann kann ich endlich losfahren. Vor dem Cook Highway werde ich aber noch einmal anhalten. Ich will noch mal einkaufen, bevor ich in den Dschungel fahre – sicher ist sicher !! Da vorne soll ein General Store sein, gross genug, dass dort vielleicht auch ein Campingstuhl zu haben ist.

Soviel für jetzt – heute abend wissen wir mehr !!

6:58 Uhr, Motel Port Central

Womit habe ich das verdient ?!?! Oft schon habe ich mich das nach 1989 gefragt. Und ich habe mir dann immer gesagt: Das ist der Lohn für das erfolgreiche Überleben des Sozialismus, für 40 Jahre Warten auf den Untergang der DDR und auf die Wunder dieser Welt. Nie wäre ich unter oder mit der SED hier her gekommen, wo ich heute mit meinem schönen Auto nach 10 Kilometer Schotterpiste vorgefahren bin. Diese uneingeschränkte, nur durch Geld begrenzte Freiheit, werde ich bis zu meinem Lebensende nicht als selbstverständlich ansehen können. Oder ist das völlig normal: Eine Lodge direkt im australischen Regenwald, mit Tischen am Steilufer des Coppercreek, am Abend beleuchtet mit tropfenden Kerzen? Ich wohne hier in einem Holzhaus mit einem breiten Bett. In zwei Seiten des Chalets sind wandhohe Lichtbänder eingebaut: Durchzug, aber ohne Moskitos. Unsichtbare Gaze schirmt den zivilisationsgeschwächten Urwaldbesucher von den Blutsaugern ab. Rundherum dichter Regenwald, Urwaldgeräusche Tag und Nacht. Aber es sind andere Geräusche als in Perhentian und Tenggol. Es fehlen die pfeifenden Pressluftwerkzeuge, die schreienden Affen und die lauten Frösche von Ebun Pagi. Hier stehen maximal 20 Chalets wie das, in dem ich jetzt wohne. Die nächste menschliche Ansiedlung ist ca. 15 bis 20 Kilometer weit weg. Rund herum Berge und Regenwald. Jede Nacht Regen, die Regenmenge ist am Morgen am Wasserstand des Coppercreek abzulesen. Gegessen wird in einem luftigen Holzhaus, das nach drei Seiten offen ist und auch noch eine grosse Veranda oberhalb des Coppercreek‘s besitzt. Ca. acht Meter unter der Veranda gibt es klare Wasserlöcher im Flussbett, in denen man jetzt, wo der Fluss wenig Wasser (und keine Krokodile ... !) führt, herrlich baden kann. In diesem Fluss bin ich gerade mit meinen Supersandalen ein Stück gewandert: Ruhe, unberührte, strotzende Natur. Menschenleer. Das nach zwei Seiten praktisch offene Zimmer hat keine Klimatisierung, nur ein Deckenventilator dreht sich bei Bedarf. Im Zimmer herrscht das gleiche Klima, wie draussen im Regenwald. Das ist gut auszuhalten, denn der Regenwald ist klimatisiert: Die Sonne kommt durch das dichte Blätterdach nicht bis nach unten auf den Waldboden. Durch die Verdunstung wird Wärme verbraucht. So schwankt die Temperatur über 24 Stunden zwischen 25 und 28°. Allerdings ist die Luftfeuchtigkeit sehr hoch und nicht weit weg von 100 %. Erstaunlich, dass das z.B. die Betten hier mitmachen. Aber an der Tatsache, dass sie in Ordnung und nicht voller Schimmel sind erkennt man, dass die Luftfeuchtigkeit nur subjektiv für einen Neuling gegen 100 % tendiert. In Wirklichkeit wird sie vielleicht bei 70 oder 80 % liegen. Zu diesem Chalet gehört ein WC und eine Dusche. Ein Kühlschrank mit Inhalt (Cola, Bier ...) ist vorhanden, sowie ein Wasserkocher mit Kaffee- und Teebeuteln. Kann man glauben, dass es so etwas mitten im Urwald (also im Naturschutzgebiet) überhaupt gibt ?! Im Loose steht davon nichts, in meinem Reiseführer Queensland auch nichts und auf der besten Strassenkarte, die ich habe, ist zwar der Coppercreek verzeichnet, das war es aber dann auch ... Alles zurück und Ehrenrettung für Loose: Es gibt eine Karte auf Seite 485, da ist als (5) die Heritage Lodge verzeichnet! Aber es stehen nur zwei Sätze da, die keinen verführen, hier her zu fahren. Und ich lese sie erst, als ich (mehr durch Zufall) schon hier gelandet bin. Ich habe eben mal wieder richtig Schwein (und Geld) gehabt. Aber dafür habe ich auch zwei Stunden mit dem Auto nach der besten Übernachtungsvariante gesucht. Dass die Lodge aber direkt am Coppercreek liegt, habe ich erst hinterher entdeckt: Ein Bonus!

Es wird dunkel und ich bin müde. Aber ich werde mich jetzt nicht auf das schöne, breite Bett legen. Wer weiss, wann ich da aufwache ?! Ich werde lieber noch etwas die Umgebung erkunden und zur Feier des Tages leiste ich mir um 19:30 Uhr ein Dinner bei Kerzenschein. Unvorstellbar !!

18:23 Uhr, Heritage Lodge

Um 6:30 bin ich heute morgen in Port Douglas aufgestanden, ich konnte nicht mehr schlafen. Erst schreibe ich, dann mache ich ein schönes Frühstück auf dem Teppich und anschliessend packe ich die Sachen zusammen und verstaue sie im Auto. Um 8:15 Uhr stehe ich vor dem Internet-Café: Es sind zwar schon zwei Mädchen von der Bedienung da, aber die Rechner werden erst um 9 Uhr angeschaltet. Was tun? Ich habe drei Ansichtskarten geschrieben – die Post macht auch erst um 9 Uhr auf.

 

 

Ich fahre den Wagen aus der Freiluftgarage und dann damit zum Hafen. Dort war ich zu Fuss noch nicht und ich will mir den Start von WAVELENGHT ansehen. Mit diesem Spezialist für Snorkelling Touren will ich in der nächsten Woche eine Tour machen. Ich finde den Anleger, die zwei Boote sind startklar und voller Menschen !! Ich unterhalte mich mit dem netten Chef der Truppe: Man muss die Tour vorher buchen und kann nicht einfach zum Start hier herkommen: Der Andrang ist gross, das Geschäft floriert. ‚See you later ...‘, inzwischen ist es auch 9 Uhr geworden.

Bei der Post bekomme ich Briefmarken und die Mädchen haben die Computer angeworfen. Grosse Spannung, ich gucke in die In-Box: Keine Rückantwort. Schade. Eine der Damen weiss tatsächlich, wie man die Out-Box aktiviert: Diese Box heisst ‚Send‘, was ausserordentlich naheliegend ist ... Ich stelle fest, dass meine Mails von gestern dort nicht wiederzufinden sind – eine finstere Technik hier. Ich schreibe noch mal eine kurze Mail nach Halle zu Dannenberg mit Kopie an Schikora und einen kurzen Gruss an Tanja. Onkel Dieter schreibe ich, er möchte bitte Grüsse an Peter und Oma Ute weiterleiten. Mal sehen, ob das klappt. Ein sehr schönes Mädchen mit grossen dunklen Augen und vollen Lippen, ein schwarzes, viel zu enges T-Shirt über der blanken Brust, nimmt mir 6 Dollar für diese Kommunikationsversuche ab.

Dann kann ich endlich nach Norden abfahren. Es ist 9:50 Uhr, als ich den Schlüssel im Automatik Motel in den dafür vorgesehenen Schlitz werfe.

18:50 Uhr, Heritage Lodge

Bis Mossman ist die Strasse wirklich gut. Sie führt bei blendendem Wetter durch endlose Zuckerrohr-Plantagen. Früher mal war das hier alles Regen- und Mangrovenwald ... In Moosman finde ich einen Hardware Store und darin den Campingstuhl, der meine Ausrüstung komplettiert: Für 25 $ ist es meiner. Dann wird die Strasse schmaler, aber nicht schlechter und es geht immer weiter durch Zuckerrohrfelder. An der Strasse eine Tankstelle, ich tanke das erste Mal: 22 Liter für 19 $. Traumhafte Preise. Der Wagen ist ein Schluckspecht. Bis hier her bin ich fast genau 200 Kilometer gefahren. Das macht 11 l/100 km. Kein Wunder bei 4 Liter Hubraum. Aber vorgestern habe ich wild beschleunigt und gebremst: Training muss sein. Heute habe ich auch den Schalter für den Oeco-Mode gefunden und fahre absolut zahm und auf Sicherheit. Mal sehen, ob das auch der Schluckspecht merkt.

 

 

Dann ist die Fähre vor Daintree erreicht. ‚Vorsicht Krokodile !!‘, steht auf unübersehbaren Schildern auf beiden Seiten des trägen Flusses. Der Fluss ist hier nicht sehr breit, führt aber viel Wasser. Eine Seilfähre, es geht ruck-zuck, es kostet 7 $ und schon sind wir auf der anderen Seite. Neben mir hat ein 4WD ein grosses, rauchendes Problem. Ich kann mit meinem Auto gerade noch von seiner Seite und auf die Uferböschung flüchten, da ist der Wagen in eine Rauchwolke gehüllt, weisses Pulver verteilt sich um das Auto ... Was ist das? Gott sei Dank ist es nicht mein Problem. Im Gegenteil. Nie im Leben habe ich so ein herrliches Auto gefahren! Es läuft wie ein Uhrwerk und lässt sich wirklich leicht und sicher bedienen.

An der Fähre verkauft ein Farmer mit Vollbart Bananen von seinen Auto runter: Ein Kilo für einen Dollar. Ich sage zu ihm: ‚Gib mir zwei Kilo und ich werde meinen Bauch mit Bananen füllen‘ (fulfil, ist das richtig? Wahrscheinlich nicht.). Dabei gebe ich ihm ein Geldstück und dachte, das sind 2 Dollar. ‚Das Geld reicht aber nur für ein Kilo!‘ Ich hatte die Münze verwechselt: Ein Dollar ist gross, zwei Dollar sind klein, wie logisch. Und beide sind aus ‚Gold‘. Sorry – no Problem. Jetzt habe ich hier den Kühlschrank voller Bananen.

Die Strasse ist nach der Fähre immer noch gut, jetzt aber führt sie durch dichten Urwald. Phantastisch! Offensichtlich war der Daintree River für die Zuckerrohrfarmer ein unüberwindliches Hindernis. Gut so. Eine Teerstrasse und rechts, links, vorne, hinten, oben ... alles dichter, grüner, hoher Regenwald. Die Strasse folgt dem Bodenprofil und ist sehr schmal. Das ist nichts für schwache Nerven und für Leute, die überholen wollen. Das ist riskant, denn hier gibt es auch Gegenverkehr und enge Kurven. Aber alles geht, es gibt Ausweichstellen, an denen man die Ungeduldigen vorbeilassen kann.

Ausserdem kommt da ein Schild: ‚Daintree Rainforest Environment Centre, on the right !!‘ Ich biege ab: Die erste Schotterpiste, aber es sind nur 400 Meter bis zu einem Parkplatz. Über einen Dschungelpfad gelangt man von dort zu einem Info Centre direkt im Dschungel. Der Eintritt kostet 10 $, aber dafür bekommt man hier einen ersten Eindruck von den Pflanzen, Früchten und den Tieren des Regenwaldes. Es gibt einen sehr interessanten Lehrpfad, einen 23 Meter hohen Turm mit mehreren Aussichtsplatformen und zum Schluss gibt es sogar noch einen Kaffee. Die Dame an der Kasse ist sehr freundlich, sie gibt mir eine deutsche Version der Erläuterungen zum Lehrpfad. Die einzelnen Stationen sehe ich mir sehr genau an. Das hier ist wirklich lehrreich und es ist erstaunlich, wie viele verschiedene Pflanzen und Bäume in diesem Regenwald gemeinsam auf dem gleichen Territorium existieren. Das ist eines der vielen natürlichen Ökosysteme, die sich im Gleichgewicht befinden und die der Mensch in Ruhe lassen sollte. Macht er aber nicht: Hier in diesem Info Centre wird auf Tafeln auch dargestellt, welcher Baum und welche Holzsorte besonders gut zu Bauholz der verschiedenen Qualitätsklassen zu verarbeiten ist. Bei Mahagoni steht: ‚Ausgezeichnetes Bauholz, viele Sorten von Mahagoni wachsen im Regenwald ... ‘ Der Kaffee war gut, die Dame erzählt, dass sie gerade in Germany war und wie schrecklich es ist, wenn man die Landessprache nicht versteht. Wem sagt sie das. ‚See you later, may be in Berlin !‘

Als ich wieder auf die Strasse zum Cape Tribulation einbiege, habe ich weder Vorder- noch Hintermann. Die Fähre ist gerade auf der anderen Seite. Eine herrliche, langsame Fahrt durch diesen Regenwald. Ich fotografiere die besten Ausblicke in die Landschaft, alles Postkartenbilder. Dabei ist auch ein Bild der Abzweigung zur Heritage Lodge. Aber zu dieser Zeit weiss ich noch nicht, dass ich hier heute abend schlafen werde. Cow Bay, Thornton Beach, Noah Beach. Bei der Thornton Beach steige ich aus. Ein herrlicher, breiter Strand, es ist Ebbe, Berge, See, nackte, einsame Frauen ... Wie kann man sich am Mittag in diese knallige Sonne legen – mindestens 40°! Ich dagegen fahre klimatisiert und kann jeden Luftzug hervorragend regeln. Ab Noah Beach wird die Strasse zur Schotterpiste mit tiefen, wassergefüllten Schlaglöchern und endlosen Waschbrettern. Ich fahre langsam, höchstens 20 km/h, aber mir brettern Kleinbusse entgegen: Jungle Bus XVI, XXI und VII. Die Fahrer haben mit ihren Fahrzeugen kein Mitleid. Sie wissen auch nicht, was diese Schlaglöcher für das Fahrgestell und die Radaufhängungen bedeuten. Es gilt nur, die Termine einzuhalten. Sie spritzen mein weisses Auto mit dem Schlamm aus den Schlaglöchern voll. Ich hoffe nur, dass dabei keine Steine mit herum fliegen.

 

 

Um 13:30 Uhr bin ich am Cape Tribulation. Plötzlich ist ein Parkplatz erreicht, hier ist die Strasse zuende. Weiterfahrt nur mit 4WD gestattet. Ein paar Hinweistafeln für einen Lehrpfad, Warnung vor Marine Stingers, ein riesiger, blendend heller Strand mit relativ vielen Leuten ... und das war’s !!?. Kein Info Centre, kein Motel, keine Kneipe, keine Souvenirs !? Nur ein ca. 1 Meter langer Waran läuft hier ganz langsam herum. Er weiss, dass es hier was zu fressen gibt und er lässt sich von den vielen Touristen kaum stören, die ihn fotografieren wollen.

 

 

Ich frage einen Ranger aus einem der Busse, die mich vorher überholt haben: Nein, hier am Cape Tribulation gibt es weder Hotel, Gaststätte oder Campingplatz. Die nächste Unterkunft heisst Jungle Village – und dazu muss man 2,5 Kilometer zurück fahren. Ich bin so erstaunt, dass ich keine Fotos mache (kein Verlust) und um 14 Uhr fahre ich die schrecklich zerfahrene Piste wieder zurück. Ich gucke mir Jungle Village an. Ein relativ grosses Gelände mit verschiedenen Gebäuden. Es gibt eine grosse Gaststätte mit Bar und einem in der Vergangenheit schon stark beanspruchten Billardtisch. Ein schöner Badepool unter Palmen. Eine grosse Gemeinschaftsküche, Zeltplätze, Toiletten, Duschen, Waschmaschinen. Ein Einzelzimmer ist nicht frei, aber ich kann ein Dormitory beziehen. Ich gucke mir die Hütte an: 2 x 8 Doppelstockbetten, die fast alle mit Rucksäcken belegt sind, keine Fenster, sondern nur Lüftungsschächte. Damit hier keiner einsteigen kann? Und hier soll auch ich meinen Rucksack abladen ...? Das muss nicht sein.

Ich entscheide mich, noch weiter zurück zu fahren, nachdem ich im Loose gelesen habe, dass eine ganze Reihe weiterer Etablissements in dieser Gegend existieren. Einige davon gucke ich mir in den nächsten zwei Stunden an. Das teuerste ist im Loose gar nicht aufgeführt: Es liegt ca. 3 Kilometer vor Jungle Village. Alles massiv Mahagoni, das Restaurant im Stil eines traditionellen Langhauses. Das bestes Ressort in dieser Gegend, mehrfach ausgezeichnet: Die billigste Variante der Unterkunft kostet rund 250 $/night. Ich bin mit den beiden jungen Leuten hinter dem Tresen einig (Sie hat herrliche Zähne und ein gleichmässiges, offenen Gesicht. Er ist wohl der unbedarfte Gärtner hier.): Das hier ist wohl für Leute mit unserem Geldbeutel nicht gebaut worden.

Dann bin ich wieder an der Abzweigung zur Heritage Lodge ... ein vornehmes Schild an der Strasse. Ich fahre die in den Wald hinein führende Schotterpiste entlang und komme zu der völlig im Dschungel verborgenen Lodge. ‚125 $ per night and cabin!‘ Aber weil ich alleine bin, kann ich es für 85 $ incl. Frühstück haben. Ich sage halb zu und bitte die Dame an der Rezeption, mir eine Stunde Zeit zu lassen: ‚May be, I’ll come back!‘ ‚AAAooohh Kaaaiiii !‘ Ich fahre zur Cow Bay zurück, weil Loose meint, das ist gut und günstig. Ich biege zu früh nach links ab und fahre am Hotel vorbei zur Beach. Das merke ich aber erst nach mindestens fünf Kilometern schlechtester Piste: Hier ist ausser dem schon obligatorischen herrlichen, breiten und menschenleerem Strand absolut nichts zu haben: No WC, no Coffee, no Beds. Also zurück. Als ich wieder auf der Hauptstrasse bin, ist es bis zum Cow Bay Hotel nur noch 100 Meter ... 50 $ per night and cabin. Das hier ist eine Unterkunft, aber mehr auch nicht. Kein Vergleich mit dem, was ich bei der Heritage Lodge für 35 $ mehr an Ausstattung, Lage und vor allen Dingen Atmosphäre bekomme. Ausserdem ist es dort zur Beach näher und auch die Strasse dorthin ist besser: Also, alles kehrt und wieder 20 Kilometer zurück zur Heritage Lodge. Um 15:50 Uhr buche ich das Chalet Nr. 10 für zwei Tage. Das junge, lange Mädchen an der Rezeption spricht rasend schnell, ich bitte um Nachsicht ... Sie ist sehr freundlich und am Abend auch die Kellnerin, die mich bedient. Sie erklärt mir ausführlich, wie ich hier Wandern und Schwimmen gehen kann, es gibt Prospekte, Papier und Skizzen: Thank you! Ich fahre den Wagen unter ein Schutzdach, packe aus, koche mir den ersten Tee (Wasserkocher und Teebeutel gehören auch hier zur Grundausstattung), dusche und lege mich dann diagonal auf das breite Bett und frage mich ... wie und womit habe ich so einen tollen Tag verdient !?!: Siehe oben.

Gegen 17 Uhr erkunde ich die nähere Umgebung. Ich gehe runter an den Fluss, der durch den Dschungel und hier direkt vorbei fliesst. Wo sind jetzt die Krokodile? Die Rezeptionsdame sagte, man kann jetzt hier ungefährdet baden, es ist Trinkwasser und Krokodile gibt es hier nur in der Regenzeit. Jetzt gibt es nur Wasserschlangen ... Aber so ein kitzliges Risiko kann ja auch reizvoll sein. Herrliches, kristallklares Wasser, grosse Steine im schmalen Flussbett, leichte Strömung. Mit meinen Supersandalen kann ich gut im Flussbett wandern und die tiefen Wasserlöcher umgehen. Ich laufe ein Stück flussaufwärts. Das Wasser ist an einigen Stellen mehr als knietief und ich bin erstaunt: Kein Krokodil beisst mir ein Bein ab! Wie angenehm. Mir wurde gesagt, dass man im Flussbett des Coppercreeks aufwärts bis zu einem Wasserfall laufen kann. Das dauert in einer Richtung ca. 2 Stunden: ‚Aber bitte melden Sie sich bei der Rezeption ab: Sicherheit ! Ausserdem ist diese Wanderung nur möglich, wenn es in der Nacht nicht zu viel geregnet hat und der Pegelstand nicht zu hoch ist !!‘ Das sind ja irre Aussichten! Natürlich werde ich diese Wanderung machen! Aber wann? Mit den verschiedenen Prospekten hatte ich mich schon entschieden, morgen einen Tagesausflug nach Cooktown via Bloomfield Track zu machen. Bei der Nachfrage am Abend aber stellt sich heraus, es gibt nur eine solche Tour in den nächsten zwei Tagen und die kostet 138 $. ‚Think about this,‘ sagt die Lady an der Rezeption. Ja, das ist bei dem Preis nötig. Aber beim Nachdenken stelle ich mir die Frage, wie oft ich wohl noch die Gelegenheit haben werde, nach Cooktown zu fahren ... Nach ein paar Minuten Bedenkzeit sage ich zu, denn es ist eine schnelle Entscheidung nötig. Noch ist nicht klar, ob die Mindestanzahl von Teilnehmern für diese Tour zusammen kommt. Nach dem Dinner gibt es die Information: Morgen wird nicht nach Cooktown gefahren, vielleicht am Sonntag. Damit ist klar: Morgen laufe ich im Coppercreek bis zu dem 150 Meter hohen Wasserfall. Mehr als die Badehose, Hut und Sandalen werde ich da nicht mitnehmen können. Aber ohne Fotoapparat ...?? Vielleicht also doch mit Rucksack, mal sehen.

Zum Abendbrot gibt es Fisch. Ein Gericht aus der umfangreichen Karte, alle Gerichte um die 20 $. Mit der CreditCard ist alles so einfach, man gibt sie einmal der Rezeption für wenige Minuten und danach ist man für den ganzen Aufenthalt alle Geldsorgen los. Man muss es nur verdrängen können, dass sich im Hintergrund die Kosten summieren. Mit denen wird man aber auch nur noch einmal rücksichtsvoll und kurz konfrontiert: Bei der Abreise, wenn sowieso alles schon zu spät ist. Aber was soll’s. Nie im Leben hätte ich es für möglich gehalten, dass ich so einen Trip überhaupt jemals machen würde. Unter solchen Umständen kann doch das triviale Geld keine Rolle spielen! Erst recht nicht, wenn man hier für’s erste unbegrenzten Kredit hat.

Abendbrot im Urwald. Kerzen, Holztische mit einem grossen Schirm gegen den Regen darüber. Jeden Moment kann es hier anfangen zu regnen, zu giessen. Herrliches Essen: ‚The day-catched Barramunda with ...‘ Hier sind 4 bis 6 junge Leute am Werk, denen diese Lodge gehört. 18 Gäste sitzen an 10 bis 12 Tischen. Es scheint eine junge Gruppe zu sein, die hier mit vollem Einsatz um ihre Existenz spielt. Auf dem Gelände habe ich eine Investruine gesehen: Betonschalen der vorherigen Lodge, schon wieder stark vom Regenwald zurück erobert. Diesen Absturz vor Augen, strampeln sich die Twens hier ab. Ich denke und hoffe, das rechnet sich. Die Idee und die Ausführung sind diesen Einsatz wert. Aber geschenkt (wie einem Professor) wird hier keinem was.

Jetzt hört man keinen Ton aus dem Urwald, nur der Generator rattert in weiter Ferne, der hier für die Elektroenergie sorgt. Es ist fast kalt: 23,5°.

21:52 Uhr, Heritage Lodge

 

 

 

 

TOUR IM WASSER
DES COPPERCREEK

05. September 1998, Sonnabend

 

Es ist kurz vor 7 Uhr. Sehr gut habe ich heute von 22 bis 4 Uhr geschlafen. Dann eine Banane und ich schlafe noch einmal bis um 6 Uhr. In der Nacht war es absolut still – im Gegensatz zu Perhentian. Erst gegen 6 Uhr wurde es richtig laut. Mindestens 10 verschiedene Vogelstimmen waren zu hören. ‚Point you be‘ mit seinen lauten, herausfordernden Rufen war nicht dabei. Am lautesten sind die Vögel, die so ähnlich krächzen wie Elstern. Die Frösche sagten heute morgen nichts. Gestern quakte einer ganz laut direkt unter meiner Eingangsveranda.

Es ist kalt: 21,8° zeigt mein Thermometer. Es ist seit ich gestern ankam (16 Uhr = 26°) nur nach unten gegangen. Logisch. Geregnet hat es in der Nacht nicht. Jetzt sind Wolken und ein heller Himmel zu sehen, wenn ich vor die Hütte gehe. Die Sonne ist schon aufgegangen. Alle Sachen sind klamm, man muss sich feuchte Hemden und Hosen zwängen. Auch die Bettdecke ist feucht. Aber die heizt man von innen auf, da merkt man es nicht mehr. Frühstück gibt es von 7:30 bis 9 Uhr. Ich werde mich jetzt rasieren und dann zum Frühstück gehen. Anschliessend steige ich in den Coppercreek, was für ein Abenteuer ...!

Hier in der Lodge kann man gut für das Zelten trainieren: Erstens ist es eine Akklimatisierung ohne AC und zweitens ist man hier so nahe an der Natur, wie man es im Zelt auch ist. Hier kann man wirklich eine Beziehung zur Natur aufbauen. Man hört, riecht und fühlt den Regenwald und man bekommt ein Gefühl dafür, was normal und was gefährlich ist. In der nächsten Woche muss ich unbedingt meine erste australische Nacht im Zelt verbringen: Das muss irre sein !! Jetzt aber erst mal Rasieren, Frühstück und dann die Coppercreek Tour.

07:12 Uhr, Heritage Lodge

Die Coppercreek Tour fing nicht gut an. Ich hatte mich nach dem Frühstück noch einmal näher nach dem Weg und nach den Modalitäten erkundigt: Muss man mehr schwimmen, als laufen? Sonnenhut? Rucksack? Man sagte mir, dass von Schwimmen keine Rede sein kann, Hut nicht notwendig und Rucksack nützlich ist. Daraufhin packe ich alles aus dem Rucksack aus, was ich nicht brauche. Zwei Bananen, 2 harte Würstchen aus Germany und den Fotoapparat packe ich ein. Die Wasserflasche ist nicht nötig, Trinkwasser gibt es genug, der ganze Coppercreek ist voll davon. Um 8:45 Uhr bin ich fertig zum Gehen. Wo ist der Schlüssel für die Hütte??! Der Schlüssel für das Chalet Nr. 10, mit einem langen Stück Holz am Bändchen, ist nicht aufzutreiben. Dabei habe ich damit vor höchstens 15 Minuten gerade noch die Tür aufgeschlossen, als ich vom Frühstück kam! Ich drehe die ganze Bude um, stelle alles auf den Kopf und packe den Rucksack dreimal aus und ein – der Schlüssel bleibt verschwunden. Um 9 Uhr gebe ich die Suche auf, lasse das Chalet (mit meinen Ausweisen und dem Geld) auf (!!) und gehe on tour ...

Die erste Strecke des Weges führt durch den Wald, weg von der Heritage Lodge. Hier wurde ein Weg durch den Dschungel geschlagen. Die ersten einhundert Meter sind noch mit Kies bedeckt und sie laufen sich entsprechend gut. Dann aber ist es kaum noch ein Weg, sondern nur noch rötlicher Schlamm, Laub, altes Unterholz, Lianen, Wurzeln und glitschige Wasserpfützen. Im Schlamm neben dem Waldweg sieht es so aus, als ob hier Wildschweine am Werke waren. In Australien gibt es Wildschweine, hier auch?

Der Dschungelpfad endet am Coppercreek. Hier gabelt sich der Fluss und er ist z.T. 1,5 Meter tief. Schöne Badewannen, aber man kann sie an flachen Stellen umgehen. Nach der Skizze, die mir die Rezeptionsdame mitgegeben hat, muss man sich rechts halten. Stoffetzen hängen in grossen Abständen an den Bäumen und markieren so deutlich den Weg. Das Laufen im Wasser ist beschwerlich. Das Flussbett besteht hauptsächlich aus grossen, glitschigen Steinen. Im Wasser sind die Steine glitschig, weil sie von Algen bewachsen sind. Die Steine, die aus dem Wasser gucken, sind am Morgen auch glatt und rutschig. Sie sind feucht und viele sind mit einer fast unsichtbaren Schicht von Flechten oder Algen überzogen. Man denkt, es ist ein trittsicherer Stein und schon rutscht man darauf aus. Am Ufer kann man nur in den seltensten Fällen laufen. Dichter, tropischer Regenwald versperrt den Weg. Hier kommt man nur mit der Machete durch. Ein Drittel des Weges kann man auf steinigen Sandbänken laufen. Aber Sand gibt es hier nicht, nur Geröll. Meistens aber läuft man im Wasser. Die trittsichersten Stellen im Wasser sind dort zu finden, wo sich Schotter in der Strömung abgelagert hat. Diese scharfkantigen Steine in der Grösse von Kirschen oder Pflaumen sind noch nicht bewachsen oder glatt geschliffen. Deshalb rutscht man da auch nicht aus. Nach einer halben Stunde in diesem Flussbett weiss man, wie man sich hier verhalten muss. Ausserdem versuche ich ein paar selbst gebastelte Regeln zu beherzigen:

Hier ist es so wie in Nepal: Schon ein mittelschwer verstauchter Fuss bedeutet: Die Tour ist gelaufen. Ausserdem denke ich ständig an die mahnenden Hinweise von Cati, Conny und Stefan: ‚Denk‘ an Deine Grenzen !!‘ habe ich immer im Hinterkopf – Jaaah doch, ich bin vorsichtig !! Auf der anderen Seite frage ich mich auch hier wieder: Wer würde aus meiner Verwandtschaft oder Bekanntschaft mit mir hier sechs Stunden in diesem Urwaldfluss voller grosser, glitschiger Steine herumlaufen, wo jeder Schritt ein Sturz ins Wasser, schlimmsten Falls ein Beinbruch sein kann ?! Stefan ja. Aber bei allen anderen hätte ich Angst, dass es schief gehen würde.

 

 

Aber in was für einer atemberaubenden Natur man hier läuft! Ein wirklich unberührter Regenwald, völlig unterschiedliche Bäume und Pflanzen leben auf engstem Raum zusammen. Jeder muss sich mit seinem Nachbarn auseinandersetzen und einigen, es gibt endlose Abhängigkeiten und alles ist ein engmaschiges Beziehungsgeflecht. Alles strotzt vor Leben, alles will zum Licht, gleichzeitig aber auch zum Wasser.

Was für unglaubliche Erfindungen hier zu sehen sind: Fäden, nicht dicker als 1 mm, aber 20 Meter lang, hängen von oben ins Wasser. Unten ein grosses Büschel von Wasserwurzeln, die das Wasser aufnehmen, das dann in das Blätterdach gepumpt wird!! Lianen, glatt wie ein Gartenschlauch, auch die gleiche Dicke, Konsistenz und Farbe: 30, 40 Meter lang, versorgen sie Pflanzen in den oberen Etagen des Waldes mit Nährstoffen und Wasser. Lianen gibt es in unzähligen Varianten: Glatt, rauh, dünn wie ein Zwirn, armdick. Richtige Schlaufen und grosse Knoten hängen in den Bäumen. Andere Pflanzen nehmen die Feuchtigkeit aus der Luft auf. Dazu brauchen sie grosse Flächen. In den Bäumen hängen Luftwurzeln, die fast textile, flächige Strukturen haben. Viele Pflanzen schmarotzen bei anderen. Moral gibt es hier nicht. Solche Pflanzen haben selber weder einen Stamm, noch Wurzeln. Sie bohren aber andere Bäume an (illegaler Wasseranschluss), halten sich an ihnen fest und lassen sich so mit versorgen. Bromelien sitzen auf diese Weise hoch in den Bäumen und wachsen zu riesigen Pflanzen heran. Auch Gewächse, die wie Gummibäume aussehen, werden an dicken Stämmen riesengross, aber sie haben keine Wurzeln, die bis unten zur Erde reichen. Es gibt 5 Meter hohe Farne mit riesigen Schirmen, die das Licht einfangen. Gefährlich sind Palmenarten mit dem schönen Namen ‚Wait a while‘ ... Wenn man an denen unvorsichtig vorbei geht, muss man ein Weilchen warten, weil man sich von den unzähligen Haken und Krallen wieder lösen muss, mit denen sie Dich schmerzhaft eingefangen haben. Die Fangarme hängen endlos lang von oben herab und sind am Ende so dünn, dass man sie kaum sieht. Die Stachelpalmen von Tenggol, durch die wir uns zur gegenüberliegenden Küste durcharbeiten mussten, die gibt es hier auch. Und dann die Bäume mit den Brettwurzeln! Das sind meine Freunde und für mich sind sie die faszinierendsten Lebewesen in einem solchen Urwald. An ihnen (und an den Haien) kann man am deutlichsten sehen, dass sie nach den gleichen Naturgesetzen konstruiert sind, die wir auch für unsere technischen Entwicklungen benutzen (müssen). Die Brettwurzeln sind richtige ingenieurmässige Konstruktionen. Man sieht buchstäblich die Momente, die da abgefangen werden sollen. Die Bäume und die Wurzeln sind hier nicht so gross wie in Malaysia, aber das Prinzip ist das gleiche und es ist faszinierend, das zu sehen. Wo ist in diesem Baum die Software versteckt, die vorgibt, wie diese Hardware wachsen soll ?! Solche Fragen stellen sich sofort, wenn man diese statisch korrekten Konstruktionen sieht. Ich mache viele Photos von diesen Bäumen. Auch von Wurzeln, die durch das Geröll des Flusses ständig verletzt werden, sich aber auch dauernd wieder reparieren, ihre Wunden heilen. Diese durch unzählige Wunden verkrüppelten Wurzeln machen auf mich einen ganz eigenartigen Eindruck. Das ist eine unwahrscheinlich starke Metapher für den Grundsatz: ‚Never let go !!‘ Aber hier stehen auch Bäume, 30 Meter hohe Masten, die kommen auf blankem Felsen ohne die ingenieurmässigen Brettwurzeln aus. Eine noch intelligentere Konstruktion. Nicht zu fassen !!

Fast keine Blüte habe ich gesehen. Mehrere Eidechsen, einen einzigen Fisch, höchstens 6 cm lang. Drei Blutegel haben mich angezapft, nicht ein Moskito hat mich gestochen – mit dem Gegenteil hatte ich gerechnet und das wäre sehr lästig gewesen. Es waren keine Vögel zu sehen und nur selten welche zu hören. Dafür aber gibt es in diesem Regenwald sehr viele und sehr grosse Schmetterlinge, Schwarz und Braun. Es war Ruhe im Regenwald, nur das Wasser rauschte. Eigenartig, dass kaum etwas von den vielen Vögeln zu hören war.

Je weiter man sich in dem Fluss nach oben arbeitet, um so grösser werden die Steinbrocken im Wasser. Man muss sich gut überlegen, welchen Weg man nimmt und vor allen Dingen die Hände frei haben. Vieles geht nur mit allen Vieren. Genau um 11 Uhr sehe ich das erste Mal den Wasserfall durch die Bäume. Da ist er aber nur noch 100 Meter entfernt. Das Wasser fällt hier 150 Meter in mehreren Etappen vom Berg herunter. Ich klettere noch auf die erste Etage. Das ist schwer genug. Aber von hier aus hat man einen herrlichen Blick auf den imposanten Wasserfall. Er hat buchstäblich eine breite Schneise in den Regenwald an dieser Bergflanke geschlagen. Da wo das Wasser runterstürzt, wächst nichts mehr. Ein seltsamer Kontrast zum undurchdringlichen Dschungel daneben auf dem gleichen steilen und steinigen Berg.

Ich mache eine Pause, esse eine Banane aus dem Rucksack, trinke Wasser aus dem Creek und fotografiere. Aber nach einer halben Stunde mache ich mich wieder auf den Rückweg. Dabei treffe ich tatsächlich zwei Leute, die auch in der Heritage Lodge wohnen. Sie kommen aus Adelaide, sind etwas jünger als ich und wir haben heute zusammen gefrühstückt. Die Dame ist 60, beide in Turnschuhen, Respekt vor dieser Leistung !! Sie haben sich kurz entschlossen, auch diese Tour zu machen. Ich hatte beim Frühstück erzählt, was ich machen werde und sie sind meinen Fusspuren im Schlamm gefolgt ...

Zurück geht es langsamer. Der Abstieg ist immer schwieriger als der Weg nach oben. Das gilt auch hier in diesem Flussbett. Entscheidend dafür, dass ich zurück eine Stunde länger brauche aber ist, dass ich mir jetzt mehr Zeit nehme, mir alles genauer und intensiver ansehe. Jetzt weiss ich ja, was ich noch vor mir habe und dass ich bis 15 Uhr die Lodge sicher erreiche: ‚Wenn Sie bis 15 Uhr nicht zurück sind, wird eine Suchaktion gestartet!‘ Ausserdem gibt es sooo viel zu fotografieren! Das heisst aber immer: Rucksack ab, Foto raus, Foto, Foto rein, Rucksack auf. Es ist einfach nicht sicher genug, wenn man es anders macht. Ich habe alle Varianten ausprobiert. Die Kamera stört überall, nur nicht im Rucksack. (Leider werden die Fotos nicht gut. Sie sind alle durch den sehr starken Kontrast im Regenwald überbelichtet. Ausserdem habe ich wohl den Apparat falsch bedient: Man darf nie Langzeitbelichtung und gleichzeitig Blitz einstellen und das aus der Hand machen wollen: Das verwackelt! Noch einen Fehler merkte ich erst, als ich wieder in Europa war: Beim Selbstauslöser wird in dem Moment scharf gestellt, wenn man den Auslöser drückt. Deshalb darf man dabei nicht vor dem Fotoapparat stehen !! Man lernt eben nie aus ...)

Um 14:15 Uhr bin ich wieder an meinem Chalet. Ich bin mehrfach ausgerutscht. Das ist unvermeidlich. Aber ich bin nicht einmal hingefallen. Die Badehose ist nicht nass geworden, der Rucksack auch nicht. Und das alles bei Temperaturen zwischen 23 und 26°, obwohl die Sonne voll auf den Regenwald brannte. Unten am Boden ist auch die Temperatur im Gleichgewicht. Es war eine tolle Tour, absolut der in Tenggol gleichwertig.

Leute, nachmachen!

17:07 Uhr, Heritage Lodge

Es ist einfach nicht zu fassen, wie gut es mir geht und was sich hier für Bilder und Eindrücke in die grauen Zellen einbrennen. Nach einem schönen Mittagsschlaf und dem Schreiben beschloss ich gegen 17:15 Uhr, an die See zu fahren. Ich will hier mindestens in zwei Nächten zelten: Gibt es da an der Beach eine geeignete Stelle? Ich fahre ich Richtung Cape Tribulation, vorbei am Kiosk der Thornton Beach. Dort kann man zwar parken und Kaffee trinken, aber eindeutige Schilder verbieten das Campen. Zwei oder drei Kilometer weiter ist ein illegaler, sehr unauffälliger Parkplatz direkt an der Strasse. Ich steige aus und gehe an die Beach: Ein Traum von einem tropischen Strand: Weit, breit, weiss, endlos und menschenleer! Grosse Bäume und dichtes Unterholz direkt am Wasser. Wenn ich hier den Wagen parke und 200 bis 300 Meter in Richtung Norden laufe, komme ich an eine ideale Stelle für mein Zelt: Ein ebener Platz im Unterholz unter grossen Bäumen: Direkte Sicht auf die See und ein halber Meter über dem Strand, der bei Hochwasser fast nicht mehr existiert. Ich laufe noch weiter. Ein herrlicher, breiter und ebener Strand. Keine Fuss- oder Schleifspuren von Krokodilen, die auch zu dieser Zeit in der Mündung des Coppercreeks leben. Aber die Mündung ist 3 bis 5 Kilometer südlich von hier. Es gibt Spuren von Menschen, Kindern und Hunden. Ich nehme mir vor, hier am Montag oder Dienstag das Zelt aufzuschlagen.

Jetzt ist hier kein Mensch, ruhige See, ein mindestens 70 Meter breiter Strand bei Ebbe. Seltsame Strukturen im Sand: Unendlich viele kleine Sandkugeln wurden in Form bizarrer Muster auf den Strand gelegt. Wer war das? Waren hier Krebse am Werk? Die Einstiegslöcher in der Mitte der Muster sind mir dafür zu klein. Das Rätsel dieser seltsamen, ästhetischen Strukturen ist nicht sofort zu lösen.

Es ist 18 Uhr, ich setze mich auf einen Baumstamm. Der Vollmond steht zwischen den Wolken des Sonnenuntergangs, geradeaus, senkrecht zur Beach. Was das für Farben sind !! Die Sonne scheint dem Mond ins Gesicht und färbt die Wolken bei ihrem Untergang rot. Ich zwinge mich, eine halbe Stunde hier sitzen zu bleiben. Ich will sehen, wie es dunkel wird. Als ich auf das ruhige Wasser sehe kommt es mir so vor, als ob die Wasserlinie näher kommt. Stimmt das ? Ich beobachte das Wasser weiter. Ja, das Wasser kommt näher. Der Strand ist hier so flach, dass man zusehen kann, wie die Flut steigt. Ich beobachte den Mond. Wenn jetzt die Flut kommt, muss der Mond nach oben gehen, nicht nach unten. Denn er ist es ja, der das Wasser steigen lässt. Jetzt steht er 20 bis 25° über dem Horizont. Wenn er im Zenit steht, ist Hochwasser – ist das wirklich so einfach? Hatte ich nicht in Port Douglas erst gedacht, der Mond geht unter? Kurze Zeit später stellte sich aber heraus, das Gegenteil ist richtig. Also steigt er auch jetzt nach oben und die Flut kommt mit ihm. So auffällig habe ich noch nie den Zusammenhang zwischen Mond und Hochwasser beobachtet. Der Herr Ingenieur freut sich. (Aber so ganz sicher ist er sich nicht. Deshalb habe ich gerade noch einmal mein Astronomieprogramm befragt, um absolute Gewissheit zu bekommen. Es stimmt, die Werte für diese Zeit sind eindeutig:

Information about Moon for 05 Sep 1998 18:08:30

(Julian day number 2451061.83924)
Altitude: 22° 20' 38"
Azimuth: 91° 54' 0"
Rise: 16h 18m 40s
Transit: 22h 58m 51s
Set: 4h 47m 45s
True distance: 368020.2 Km
Phase: 0.982
Kontrolle mit SkyMap Pro 5.0 für Brisbane, AL/21.11.1998)

Jetzt, wo ich hier ruhig auf dem Baumstamm sitze und den Strand und den Mond beobachte, sehe ich auch jede Menge Krebse herumlaufen. Sie sind klein, einschliesslich der Beine sind die grössten nicht länger als 40 mm. Aber es sind unwahrscheinlich viele. Dass sie die Kugeln drehen, ist jetzt klar. Aber wie sie das machen (und warum !?!), das werde ich am Montag hier beobachten. Dann werde ich hier nicht mehr machen, als jetzt: Ich setze mich in meinen bequemen Campingstuhl (Hurra, ich habe einen !) und beobachte, was die Natur hier in 24 Stunden alles anstellt. Das wird spannend.

Morgen der nächste ‚Event‘: Die Tour nach Cooktown findet statt !! Um 7:30 Uhr werde ich hier abgeholt und dann geht es auf dem berüchtigten Bloomfield Track nach Norden. Das geht nur mit einem 4WD (Auto mit Allradantrieb). Entweder man hat einen eigenen, oder man muss zahlen. 140 $ für einen Tagesausflug. Starke Preise. Weil wir erst spät und im Dunklen zurück kommen, hänge ich noch eine Übernachtung in der Heritage Lodge dran: Zwei oder drei mal 85 $ ist doch kaum der Rede wert, oder ... ?

Beim Abendbrot heute wieder Kerzen, Regenwald, Ruhe und gutes Essen. Ich sehe in einiger Entfernung ein junges Pärchen ineinander versunken an einem Tisch sitzen. Beide nicht älter als 25 Jahre. DAS wünsche ich Dir, mein lieber Freund Conny, dass Du Dich hier mit Deiner Freundin für ein paar Tage einmietest. Weil Du schon den Flug bezahlt hast, übernehme ich die Übernachtungen in der Heritage Lodge. Abgemacht ? Abgemacht !!

Es ist zwar noch nicht spät, aber ich bin müde von den ca. 20.000 Schritten im Coppercreek (1 Schritt pro Sekunde x 6 Stunden ...). Solche Leibesübungen sind für mich aber viel eher zu verkraften, als wenn ich mich im Fitness-Studio abstrampeln sollte. Trotzdem bin ich müde und gehe jetzt ins Bett.

20:36 Uhr, Heritage Lodge

 

 

 

 

 

BLOOMFIELD FALLS
UND COOKTOWN

06. September 1998, Sonntag

 

Ich schlafe durch bis gegen 2 Uhr, dann ist für meinen Körper die Nacht zuende. Ich kann ihn aber dazu bringen, im Bett zu bleiben und mit Abständen schlafe ich auch noch bis gegen 5 Uhr. Dann beobachte ich mit den Ohren, wie der Dschungel erwacht. Die Lage dieser Lodge ist wirklich einmalig. Durch die grossen Lichtbänder, die de facto offene Fenster sind, liegt man praktisch in einem komfortablen Bett – gleichzeitig aber auch direkt im Dschungel. Jedenfalls habe ich genau dieses Gefühl hier im Bett. Wenn man in der Dusche steht, sind die Blätter der nächsten Bäume keine 20 cm entfernt, dazwischen nur eine dünne Wand als Holz und eine Fensterscheibe. Man steht im mitten im Dschungel unter der Dusche. Im Zimmer herrscht die gleiche Temperatur und Luftfeuchtigkeit, wie im Regenwald rings herum. Man fühlt und hört life, was im Dschungel los ist. Der erste, sehr laute Vogel, meldet sich mit markanten Rufen, die in der Ferne erwidert werden, gegen 5:30 Uhr. Richtig los geht es aber mit der Kommunikation erst eine halbe Stunde später. Viele Stimmen sind zu hören und sehr verschiedene. Um 6:10 Uhr höre ich einen Vogel ganz klar und mehrfach eine richtige Melodie singen:

(Ich habe keinerlei Ahnung von Noten, ich hoffe aber, dass man die Melodie trotzdem sofort nachpfeifen kann...!) So was Tolles habe ich noch nie gehört und ich bin sofort hell wach !! Hier pfeift einer ein richtiges Lied! Um 6:20 Uhr stehe ich auf. Rasieren, Duschen, Einpacken. Frühstück gibt es heute ausnahmsweise schon um 7 Uhr. Pünktlich um 7:30 Uhr holt uns MASON’S 4WD SAFARIS ab. Fünf Leute machen die Tour nach Cooktown mit, darunter das nette Ehepaar aus Adelaide, die ich gestern im Coppercreek getroffen habe. Ein Toyota mit 8 Plätzen, 4WD, Klima, hochbeinig. Ich sitze als Single vorne neben dem Driver.

Morgen, wenn ich am Strand vor meinem Zelt sitze, werde ich mehr von dieser interessanten Tour schreiben. Heute bin ich müde, deshalb hier nur die Fakten:

 

07:30 Start an der Heritage Lodge

08:00 Cape Tribulation und Bloomfield Track

10:00 Tee an einem Fluss

11:00 Bloomfield Falls, Durchfahrt Wujal Wujal, Aboriginal Community, Black Mountain National Park

13:00 Sicht über Cooktown vom Grass-Hill, Lunch mit Volieren: Vögel + Schmetterl.

14:00 James Cook, Historical Museum, Spaziergang zum Standbild J. Cook, Friedhof von Cooktown

16:00 Beginn der Rückfahrt in Cooktown

17:30 Tea an einem Fluss

18:45 Ankunft an der Heritage Lodge

 

Erst zwei Tage später, in Jungle Village, finde ich Zeit, zu diesem Ausflug etwas aufzuschreiben:

‚Piggy‘ ist unser Guide und Driver auf dieser Tour. Er spricht das originale australische English, fährt vorsichtig und routiniert und er redet pausenlos. Wenn ich weiter von ihm weg sitzen würde, könnte ich nichts verstehen. So kriege ich den Sinn seiner Reden ungefähr zu 90 % mit, von den Details verstehe ich aber höchstens ein Drittel. Es geht einfach zu schnell. Viele australo-englische Worte sind nicht sofort zu decodieren (was heisst ‚haaaiill‘ = hell = Hölle !!). Die Fahrgeräusche stören gewaltig. Unter diesen Umständen muss ich mich absolut auf diese Gespräche konzentrieren – das geht nicht 12 Stunden lang. Aber man muss ja auch nicht alles mitbekommen, denn es war auch viel Geschwätz und Wichtigtuerei dabei.

Piggy heisst eigentlich Dr. ? Pawlow. Er stammt aus Russland und ist eigentlich Biologe. Er hat mal viel über Wildschweine geforscht – deshalb Piggy. Aber als das Geld für dieses Projekt alle war, wurde er arbeitslos. ‚Na, da musste ich eben Guide spielen!‘ Seine Frau stammt aus ... Baumschulenweg in Berlin! Wie klein ist doch diese Welt. Schon haben wir ein Gesprächsthema, denn er war schon mehrfach in Baumschulenweg. Trotzdem kann er kein Wort Deutsch. Es ist ein schwerer Nachteil, wenn man ständig einen Dolmetscher zur Seite hat. Sein Vater ist ca. 1940 von Russland nach Australien ausgewandert. Hier hat er eine australische Frau gefunden. Die wollte nicht, dass er mit den Kindern russisch spricht. Also kann Dr. Pawlow auch kein Wort Russisch. Er weiss viel von dieser Gegend hier, von Tieren und Pflanzen und er hat auch zu jeder Sache eine feste Meinung: ‚Alle Politiker sind Schweine – in Australien die gleiche Sorte, wie in Deutschland.‘ Da sind wir uns einig. Wie unser Kanzler heisst, weiss er nicht, viel weniger kennt er den Herausforderer. Aber das ist normal, denn ich weiss das für Australien (zu diesem Zeitpunkt) auch nicht und auch hier gibt es in Kürze entscheidende Neuwahlen.

Von Piggy höre ich das erste Mal einen ganzen Tag lang das australische English. Danach kann ich es ganz gut imitieren. Es werden einfach ein paar Vokale vertauscht und sehr lang gezooogen und schon kann man kaum noch was verstehen: Aus o.k. wird ‚aaauuukaaeeii‘, aus steak wird ‚staaaiiik‘ und aus hell wird ‚haaaiiil‘. ‚Saaaiiiv ouur plaaaaiiinet in Oktaaaaiibääähr with aaaiii staaaaiiik‘. Wenn man das übersetzen kann, dann kann man australisches English verstehen. Es hört sich ganz gemütlich an, aber es dauert eine Weile, bis man die alten Vokabeln neu gelernt hat und die Worte wieder versteht, die man schon mal in English konnte. Gestern z.B., als ich das erste Mal Fish & Chips bestellte, sagte das Mädchen nach meiner Meinung: ‚O.k. Fish & Chips on 7:30 hour !‘ Ich gucke sie verständnislos an und sehe dann auf meine Uhr. Dann sage ich verdutzt: ‚Now it’s 6 pm ... ??!‘ Jetzt wundert sie sich und denkt, ich habe eine Meise: Schliesslich kriege ich mit, das heisst nicht 7:30 hour, sondern das soll auf australisch heissen: ‚7,30 Dollar‘ !! Es kostet ganz einfach 7,30 Dollar. Ein endloses Themata ...

Wir fahren zuerst die Strasse, die ich schon kenne, zum Cape Tribulation. Hier biegen wir in den Bloomfield Track ein und Piggy zeigt uns, wo man auf einem Dschungelpfad in die Berge steigen kann. Er fährt das Auto auf die Seite und hält eine lange Rede über den Bloomfield Track. Der Bau dieser Piste vor einigen Jahren hat Australien in Aufruhr versetzt. Umwelt- und Regenwald-Schützer haben ganz massiv gegen diese Strasse mobil gemacht. Sie wollten den wenigen Regenwald, den es in Australien noch gibt, vor den Touristen schützen. Sie errichteten Camps, gruben sich in die Strasse ein, errichteten Strassensperren, ketteten sich an Bäume und Bulldozer. Es hat alles nichts genützt, der ‚Fortschritt‘ war nicht aufzuhalten. Der Track wurde unter weitestgehender Schonung der Natur durch den Regenwald geschlagen. Die Umweltschützer haben durchgesetzt, dass hier keine Teerstrasse entsteht, keine Brücken gebaut wurden und kein Ausgleich des Geländeprofils erfolgte. Die Strasse folgt dem natürlichen Profil, deshalb gibt es hier Steigungen bis zu 33 %. Wasser und der strotzende Regenwald sind die grössten Feinde dieser Strasse. Es kommt vor, dass in drei Tagen hier 500 mm Regen fällt, bei einem Taifun sind es noch wesentlich mehr. Dann ist von dieser Piste nichts mehr da. Der Regenwald holt sich zurück, was einige Zeit in Ruhe gelassen wird. Also sind hier ständig Bautrupps im Einsatz. Ich denke, es wäre geschickter, wenn schon, eine richtige Strasse mit Teerdecke und Abwassersystem zu bauen. Die Strasse quer durch Malaysia an die Ostküste ist das Paradebeispiel dafür. Aber das ist nur unter einer Diktatur zu machen. Man kann Cooktown auch über eine ordentliche Strasse via Moosman/Lakeland erreichen. Das sind aber mehr als 250 km. Der Bloomfield Track verkürzt diese Strecke auf 106 Kilometer. Wenn das kein Argument ist!

Wir fahren den Bloomfield Track. Schotterpiste, schmal, dass sich gerade zwei Lkws begegnen können. Rechts und links nur Regenwald, undurchdringlich, grün und wie eine Wand. Es geht bergauf und bergab, enge Kurven, Flüsse werden durchfahren, die jetzt Gott sei Dank kaum Wasser führen. ‚Only 4WD’s passed this point !!‘ steht mehrfach an der Strasse.

Nach den ersten ca. 15 Kilometern steht ein PKW auf der Strecke, daneben ein Aboriginal, tief schwarz, in Hose und Hemd, barfuss. Er winkt um Hilfe, sein Wagen ohne Allradantrieb hat den Geist aufgegeben. Piggy fährt ohne den Fuss vom Gas zu nehmen vorbei und erklärt, dass er nur anhalten würde, wenn es in dem ‚car, full of aborigines ...‘ einen Verletzten geben würde. In allen anderen Fällen hat das Anhalten keinen Sinn: Es kann Stunden dauern, bis man diese Schrottkisten wieder flott bekommt. Und dann schaffen es die Leute doch nur wieder bis zur nächsten Flussdurchfahrt, vor der sie kapitulieren müssen. Es entspannt sich ein Disput über die Ureinwohner Australiens, in dem die Vokabeln Alkohol, Nichtstun, ohne Bildung und kein Anpassungswille dominieren. Die Aborigines sind fast vollständig Fremde im eigenen Land, weil sie sich die Kultur der englischen Eroberer nicht zu eigen machen wollen oder können. Den negativen Seiten dieser Kultur sind sie aber gleichzeitig unrettbar verfallen. Damit nicht genug, sind sie auch noch von ihrem angestammten Land vertrieben worden, in dem jeder Fluss, jeder Baum und jeder Felsen eine mythologische Bedeutung für ihren Clan hat. Ich vergleiche das mit Ostdeutschland, mit der sowjetischen Besatzungszone: Auch wir wollten um keinen Preis die russische Kultur übernehmen, die russische Sprache sprechen, von der Sowjetunion siegen lernen und ‚ewig‘ Freundschaft mit der Sowjetunion halten. Trotzdem wurde uns genau das 40 Jahre lang gepredigt und aufgenötigt. Weitestgehend erfolglos, wie man gesehen hat. Natürlich hinkt dieser Vergleich, wie alle Vergleiche hinken. Aber bei diesem Gespräch werden die australischen Mitfahrer (2 x 2 + Piggy) sehr nachdenklich und es stellt sich der Eindruck ein, dass man das grösste und am liebsten verdrängte Problem Australiens auch durch diese Brille sehen könnte.

Am Ende des Bloomfield Tracks liegt Wujal Wujal, eine Aboriginal-Siedlung. Dass sie künstlich vom Staat angelegt worden ist, sieht man auf den ersten Blick. Hier hat der Staat ca. 100 einfache Häuser als Entschädigung für enteignetes Land gebaut. In jedem Haus wohnt eine grosse Aboriginal-Familie mit vielen Kindern. Abfällige Bemerkungen von Piggy: ‚Überall Schrottautos und Bierbüchsen, sieht hier einer irgendwo Gardinen?‘ ‚Möbel gibt es in diesen Häusern auch nicht, keine Hygiene aber unendlich viele Kinder ...‘ Es gibt hier ein Krankenhaus und eine Schule. Unklar aber bleibt, wovon diese Menschen hier eigentlich leben sollen. Es gibt keine Landwirtschaft, keine Betriebe, keine Aboriginal-Art-Company ... nur ‚VIVY’s BAR‘ lädt zu einem Kaffee ein. Wir aber halten hier nicht an, sondern fahren auf dem kürzesten und schnellsten Weg durch dieses trostlose Dorf.

In Richtung Cooktown ändert sich jetzt die Landschaft. Hier gibt es Viehzucht, von der Strasse aus geht der Blick über endlose Weideflächen. Hier liegen einige riesig grosse Farmen. Die Rodung der Felder hier hat ein Jahrhundert und länger gedauert. Sie wird als Pionierleistung angesehen, die sie mit unseren Augen gesehen, ja auch wirklich ist. Der Bloomfield River war offensichtlich genau so eine natürliche Grenze im Norden, wie der Daintree River im Süden. Vor diesen Flüssen wurden grosse landwirtschaftliche Flächen geschaffen. Dazwischen liegt nur Regenwald, jetzt befahrbar durch den Bloomfield Track. Diese Flüsse waren früher einfach unüberwindlich und sie sind es heute zur Regenzeit immer noch. Es gibt hier keine Brücke über den Bloomfield River, nur ein Floodway. Schon wenn der Fluss um ein bis zwei Meter ansteigt, ist er nicht mehr befahrbar. Ich frage Piggy, wie man jetzt an der Natur erkennt, dass jetzt Frühling ist. Er meint, dass das auch für Australier nur schwer erkennbar ist. Aber die Aborigines kennen sogar sechs verschiedene Jahreszeiten! Sie orientieren sich am Blühen verschiedener Büsche und Bäume und an der Erntezeit von bestimmten Früchten.

 

 

Wir besichtigen den Bloomfield Falls. Ein Rinnsal in einem breiten, fast leeren Flussbett, das am Fall in ein tiefes Tal übergeht. Aber man sieht deutlich, dass es hier Zeiten gibt, in denen der Pegel mindestens fünf bis acht Meter höher steht, als jetzt. Die Bäume sind alle in diese Fliessrichtung geneigt und in ihnen hängen Gras, Gestrüpp und Treibholz vom letzten Hochwasser. Was für eine Wassermenge dann über diesen Wasserfall hier nach unten stürzt! Keine Chance, dann hier diesen Fluss zu überqueren und auf dem Bloomfield Track zur Heritage Lodge zu fahren!

Ich frage, warum ich am Coppercreek keine alten Bäume mehr gesehen habe. Ja, in den flachen Gebieten wurde in der Vergangenheit kommerzieller Holzeinschlag betrieben. Nur auf den unzugänglichen Bergen sind die Regenwälder (angeblich ...) noch unberührt. Es war zu mühselig und zu schwierig, von dort die dicken Stämme abzutransportieren. Im Museum von Cooktown sind mehrere Fotos von der ‚Urbarmachung‘ dieser Gegend zu sehen: Riesige Handsägen, geschmiedete Äxte, Werkzeuge der Holzfäller werden ausgestellt. Auf den Bildern sieht man, dass Galerien um die riesenhaften Bäume gebaut wurden, um sie oberhalb der Brettwurzeln in 10 Meter Höhe abzuhacken ... Der Abtransport der Stämme, die einen Durchmesser von 3 bis 6 Metern hatten, erfolgte in 10 Meter langen Stücken. 20 bis 30 Ochsen mussten davor gespannt werden, um diese Blöcke ohne Wagen aus dem Regenwald zu schleifen. Was das für eine mörderische Knochenarbeit gewesen sein muss, ein ganzes Leben lang. Kein Wunder, dass viele dieser Leute nicht viel älter als 35 bis 40 Jahre geworden sind.

Cooktown ist für mich enttäuschend. Hier leben heute nur 1500 Menschen und es gibt nicht mal einen Hafen. Ich dachte, den gibt es hier seit den Zeiten von James Cook. Aber es existiert nur ein armseliger Anlegesteg für Vergnügungsdampfer. Cooktown ist ein verschlafenes, amerikanisch wirkendes Nest. Im Süden von Texas muss es genau so aussehen, wie hier: Unendlich breite, rechtwinklige Strassen, Holzhäuser im Kolonialstil, die bei jedem Taifun durch die Luft fliegen. Flirrende Mittagshitze über der ausgestorbenen Main Street. Cooktown hat seine Blütezeit hinter sich. Die wilden, prosperierenden Jahre waren die, wo aus aller Welt Goldgräber anrückten, weil man hier angeblich schnell reich werden konnte. Das ist 100 Jahre her und jetzt ist hier nichts mehr los.

 

 

Die Aussicht vom Grass-Hill ist sehr schön, man bekommt eine Übersicht über diese Gegend. Alles ist grün rings um Cooktown und Rauchsäulen von Feuern im Outback am Horizont. ‚Hier brennt es ständig irgendwo ...‘ sagt Piggy, ‚das ist nichts besonderes.‘

Auch das Heimatmuseum ist sehr interessant. Hier wird auch der originale Anker von Cooks Endeavour ausgestellt, die er hier auf ein Riff gesetzt hat. Das Riff heisst natürlich heute Endeavour Reef. Der Anker ist riesengross und erst vor ein paar Jahren vom Riff geborgen worden. Das Museum ist im schönsten Haus von Cooktown untergebracht. Es wurde ehemals für ein Damenstift gebaut, ein katholischer Konvent. Der Bischof ?? – wir besichtigen sein Grab später auf dem Friedhof – hat englische Mädchen dazu gebracht, sich nicht nur asketisch dem Lieben Gott zu verschreiben, sondern auch noch nach Australien in die Wildnis zu gehen, um dort in selbstloser, unbezahlter und lebenslanger Arbeit die Wunden der Siedler zu pflegen und ihren Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen. Was war das für eine schreckliche Zeit – und sie ist noch keine 100 Jahre vorbei !!

 

 

Wir haben eine gute Stunde in Cooktown Zeit, den Museumsbesuch eingeschlossen. Aber das reicht. Ich laufe im Anschluss an das interessante Museum unter sengender Sonne zum Cook Memorial, fotografiere die ersten Mangrovensümpfe (leider ohne Krokodile ...) und entdecke die ersten, riesengrossen Mangobäume. Nach einem Rundgang auf dem alten Friedhof von Cooktown machen wir uns schon wieder auf die Heimfahrt. Piggy fährt 80 km/h auf dem normalen Highway und bis zu 60 km/h auf der Schotterpiste, egal ob sie glatt, mit Schlaglöchern übersät oder mit endlosen Waschbrettern ausgestattet ist. Manchmal – besonders bei Waschbrettern – merkt man, dass keines der vier Räder mehr die Strasse richtig berührt: Der Toyota 4WD schwimmt. Aber wir sind immer auf der sicheren Seite, Piggy fährt gut und so eine Huckelpiste ist durchaus stundenlang auszuhalten: Wenn es sein muss und wenn man einen strapazierfähigen Magen hat.

Einmal Cooktown reicht. Es ist interessant, diese Stadt und den Weg dorthin mal zu sehen, aber wenn man es gesehen hat, gibt es für einen Touristen keinen Grund mehr, noch einmal nach Cooktown zu reisen. In Cooktown ist der Hund begraben und die Welt zuende. Aber in 25 Jahren würde ich gerne dort noch mal hinfahren um zu sehen, ob inzwischen aus dem Bloomfield Track eine ordentliche Strasse geworden ist. Ausserdem war diese Tour mit 138 $ eindeutig überteuert. Mit zweimal Tea-Time aus dem Kanister und einem sehr sparsamen Lunch in Cooktown war das wirklich keine grosse Serviceleistung. Aber es war mein erster 4WD-Trip und ich habe die erstaunliche Erfahrung gemacht, dass australischer Daintree-Tea auch mit nicht gerade kochendem Wasser vorzüglich schmeckt. Deswegen habe ich mir auch bei nächster Gelegenheit eine grosse Packung davon gekauft.

Als wir wieder am Cape Tribulation angekommen sind, ist auf der linken Seite über der See der Vollmond aufgegangen und es ist dunkel. Das schönste Bild des Tages. Piggy hält auf meine Bitte hin (20 Sekunden lang) an, damit wir dieses Bild geniessen können. Ein Foto gibt es davon nicht, es war schon zu dunkel und das muss ja auch nicht sein. Wichtiger als Fotos sind die Bilder im Kopf. Und davon gibt es auch von dieser Tour einige.

Beim Abendbrot sitze ich mit den Leuten aus Adelaide am Tisch. Wir sind Nachbarn, denn sie bewohnen die Lodge direkt neben mir. Die Wanderer aus dem Coppercreek waren auch heute mit in Cooktown. Die Frau ist eine Vogelliebhaberin mit Fernglas und Fachbuch, aber sie macht das nur als Hobby. Beide sind sehr nett, freundlich, offen und – nicht unwesentlich – sie sprechen englisches English! Wir unterhalten uns zwei Stunden lang über Australien, Deutschland, Politik und Politiker, den II. Weltkrieg und die schöne Heritage Lodge. Heute werden wir hier die letzte Nacht verbringen, sie fahren morgen weiter nach Port Douglas und ich werde die nächste Nacht im Zelt verbringen, auch wenn ich noch nicht weiss, wo das stehen wird. Es sind sehr angenehme Leute und meine Vermutung stimmt: Wir sind im gleichen Alter.

15:40 Uhr, 08.09.98, Thornton Beach

 

 

 

 

 

REGENWALD MIT
BLUTEGELINVASION

07. September 1998, Montag

 

Ich kann gar nicht soviel schreiben, wie hier passiert! Cooktown ist kaum ‚abgehakt‘, da habe ich schon den nächsten Trip hinter mir.

In der vergangenen Nacht habe ich fast durchgeschlafen, die Akklimatisation verläuft erfolgreich und der Jet-lag scheint erledigt zu sein. Gegen 2:30 Uhr wurde ich wach, weil sich zwei Vögel sehr laut unterhielten. Ansonsten habe ich herrlich bis um 6 Uhr geschlafen. Dann hörte ich den Vögeln zu und döste noch ein bisschen in diesem schönen Bett. Um 7:30 Uhr stand ich dann aber auf. Rasieren, Duschen, Frühstück mit Peter and Barbara from Adelaide, meine ersten australischen Freunde. Peter Roxbee machte den Vorschlag, wir sollten doch unsere E-Mail-Adresse austauschen. Wir holen unsere Visitenkarten, verabschiedeten uns herzlich und wer nach Adelaide kommt, (pbroxbee@dove.net.au) ist herzlich bei Roxbee eingeladen. Vorher hatte mir Barbara aber noch stolz ihre beiden Enkelkinder mit Bildern gezeigt. Ich hatte kein Bild von Conny und Clara mit: Unerhört! Sie fahren heute mit dem Bus und einer kleinen Reisegruppe nach Port Douglas, Schnorcheln usw.

Was mache ich? Eigentlich war ich fest entschlossen, an der Thornton Beach mein Zelt aufzuschlagen. Aber beim Checkout kam mir der Gedanke, nach einem Wanderweg auf einen Berg in dieser Gegend zu fragen. Der Mann an der Rezeption hatte kaum Ahnung aber er gab mir den guten Rat, beim Ranger des Nationalparks nachzufragen: Der ist von 9:30 Uhr bis 11:30 Uhr auf seinem Stützpunkt direkt am Parkplatz des C.T. (so nennt man hier Cape Tribulation) zu erreichen. Da wollte ich sowieso noch einmal hin – warum nicht jetzt !?

 

 

Um 9:30 Uhr habe ich alle Sachen im Auto verstaut und die Rechnung mit meiner Unterschrift verziert, jetzt kann ich losfahren. Bei meinem Privat-Zeltplatz an der Thornton Beach halte ich an und sehe nach, wie hoch das Wasser steht. Aber als ich auf den Strand komme, sehe ich als erstes eine mächtige Regenwolke von See her auf mich zukommen. Ich drehe sofort um und als ich die 25 Schritte bis zum Auto geschafft habe, giesst es auch schon wie aus Eimern. Aber es ist nur ein kurzer Schauer, der den Staub der Schotterpiste bindet und so fahre ich ruhig in Richtung C.T.

Der Stützpunkt ist tatsächlich besetzt und ich spreche mit einem der Ranger. Er erläutert mir, dass es einen Wanderweg direkt von hier auf den Berg gibt. Er gibt mir eine (schlechte) Karte dieser Gegend (gute Maps in Messtischqualität sind in Australien nicht zu haben). Wenn ich heute noch gehen will – klar, ich gehe heute ! – muss ich hier noch ein Registrierungsformular ausfüllen: Sicherheit für die Touristen. Ich frage, wie heute das Wetter wird: ‚Ja, kein Problem, es ist nicht zu nass. Heute gibt es kaum Regen, höchstens ein paar Schauer.‘ Die Ranger haben nichts dagegen, dass ich alleine in den Regenwald steige. Ich fülle das Formular aus: Name, Adresse, Hotel (habe ich z.Z. nicht), Autonummer und die Telefonnummer von Cati (für den Notfall ...). Damit sind alle Formalitäten erledigt. Beim Frühstück habe ich noch gar nicht daran gedacht, heute so eine Tour zu machen, jetzt steige ich auf einen Hügel über dem C.T. Aber warum eigentlich nicht? Schön, wenn man an kein festes Programm gebunden ist. Ich packe meinen Rucksack aus, um und ein. Mein Auto steht hier gut auf dem Parkplatz. Zuletzt ziehe ich mir noch die lange Hose aus und gegen 10:30 Uhr laufe ich in einem gestreiften T-Shirt und mit meiner roten Unterhose in den Regenwald am Cape Tribulation!

Der Einstieg erfolgt am Bloomfield Track, höchstens 50 Meter, nachdem sich die Strasse gegabelt hat. Orange Bänder in den Bäumen markieren den Anfang und den ganzen Weg. Am Anfang geht es auf einem sehr ausgetretenen Buschpfad langsam nach oben. Ich bin etwas enttäuscht: Das hier ist ja sehr simpel, alle drei Meter ein Bändchen am Baum und dieser ausgelatschte Weg – Urwald für alle. Fehlt nur noch, dass hier hunderte von Leuten auf diesem Pfad unterwegs sind. Aber es ist ein schöner Regenwald. Man kann herrliche, recht grosse Bäume sehen. Ich fotografiere viele faszinierenden Würgerfeigen, Fun-Palmen und die (leider kleinen) Bäume mit den Brettwurzeln. Dichtes Unterholz, wenn man vom Weg abgehen will. Das wird ohne Machete nichts.

 

 

Nach einer Stunde ist kaum noch ein Weg zu sehen. Die meisten Wanderer sind bis hier her wohl nicht vorgedrungen. Sie haben schon vorher aufgegeben, denn es geht jetzt steiler nach oben und der Waldboden ist glitschig. Man rutscht auf den vielen Steinen und Wurzeln leicht aus. Die Humusschicht ist auch hier nur ganz dünn: 10, höchstens 20 mm. Erstaunlich, was die Bäume trotzdem daraus machen !! Der Weg ist anstrengender, als es am Anfang aussieht. Am schlimmsten ist wieder die erste halbe Stunde: Alles wird nass vom Schwitzen, der Puls steigt bergauf auf 140/min, 100/min werden auf den relativ geraden Strecken erreicht. Zu sehen sind nur die unmittelbar vor einem stehenden Bäume, sonst ist alles dicht wie eine Wand. Nach der ersten halben Stunde, in der man sich fragt, warum man das hier auf sich nimmt, hat der Körper erkannt, dass es kein Entrinnen gibt. Von da an kooperiert er und der Puls sinkt bei gleicher Leistung auf 120/min bzw. 90/min. Das ist wirklich erstaunlich.

Es ist nicht ausgesprochen warm, denn die Sonne ist nur sehr selten zu sehen. Es sind nur 24° und im Regenwald weht ein frischer Wind !! Ein grosser Vorteil für diese Wanderung. Ich mache mehrere Pausen um zu fotografieren. Ich trinke und ich esse was. So wird es Mittag und high noon – wooo ist der Lookout, den es auf der ersten Bergkuppe geben soll ?!? Ich bin jetzt 1 ½ Stunden unterwegs und war nicht langsam, also müsste der Ausguck doch bald kommen! Denkste. Nach 2 ½ Stunden soll er kommen, sagte der Ranger. Jetzt geht dieser Trip erst richtig los. Es gibt keinen Weg mehr, aber man sieht noch die Markierungen in den Bäumen. Eine grosse Hilfe. Jetzt geht es sehr steil bergauf, felsiger Untergrund, nass und schmierig. Als dieser Berg erklommen ist, gibt es keinen Ausguck.

 

 

Dafür sehe ich jetzt von rechts die ersten Nebelschwaden durch den Wald ziehen. Es wird deutlich nasser und dunkler und ich muss durch kniehohes, feuchtes Grün, das das Unterholz abgelöst hat. Alles wird nass, der Boden ist glitschig und schlammig und irgendwas zwickt: Ich gucke mir meine bis oben hin nackten Beine an und sehe, wie sich mindestens 10 Blutegel freuen, dass sie endlich was zu fressen haben. Sie sind dünn wie eine Stecknadel, lassen sich vom nassen Gras fallen, beissen sich fest und wedeln dann mit ihrem fadenförmigen Körper um eine Deckung zu suchen. Erst in der Deckung können sie sich richtig schön vollsaugen. Dann sind sie 3 bis 4 mm dick und dunkelrot und bis zu 20 mm lang und lassen sich gesättigt in den Wald zurück fallen. Die Bisse schmerzen tagelang, ich behandle jetzt noch welche aus dem Coppercreek ... Hier aber treten diese Viecher in Massen zum Angriff auf meine nackte Haut an. Aber es ist ein grosser Vorteil, dass ich nichts anhabe: So kann ich die wedelnden Blutsauger wenigstens sehen. Sie müssen so schnell wie möglich abgesammelt werden, noch bevor sie sich richtig festgebissen haben. Bis dahin tut es auch noch nicht weh, denn sie haben noch keine Injektion gesetzt, die die Blutgerinnung stoppt. Aber die Blutegel-Bekämpfung macht Arbeit und hält auf. Man muss stehen bleiben, kontrollieren, absammeln, man kommt nicht voran ...

Wo ist der Ausguck? Bin ich schon vorbei? Das ist der letzte Hügel, den ich raufsteige, wenn da der Ausguck nicht ist, gehe ich zurück. Natürlich drehe ich oben doch nicht um. Als ich oben bin und feststelle, dass hier der Lookout auch nicht ist, laufe ich weiter, denn die 2 ½ Stunden, die es dauern sollte, sind erst um 13 Uhr um. Jetzt ist es erst 12:50 Uhr. Als es 13 Uhr ist und kein Ausguck in Sicht, entschliesse ich mich, umzudrehen. Das ist in so einer Situation ein schwerer Entschluss, denn ich wollte doch das C.T. von oben sehen! Um wieviel schwerer muss so eine Entscheidung erst am Mt. Everest sein, wenn man die Expedition drei Jahre lang geplant und vorbereitet hat und jetzt so kurz vor dem Gipfel steht. Sooo schlimm ist es hier lange nicht, aber Bilder vom Lookout wären doch ganz schön gewesen, wo ich doch die Aussichten so liebe. Noch diesen letzten Anstieg hier, dann drehe ich um.

Um 13:03 Uhr bin ich oben und stehe auf dem Ausguck, der keiner ist: Eine freie Fläche 1 x 2 Meter. Durch die Büsche könnte man runter auf den Strand gucken, aber da ist nichts zu sehen, der Ausguck steckt in einer Wolke. Die Sicht ist so gut, wie in einer Waschküche! Ein sehr steiler Abhang fällt links und rechts nach unten, eine richtige Klippe. Aber kein Problem, wenn man hier abrutscht, es ist alles dicht bewachsen, da fällt man nicht tief. Ich sammel Blutegel von den Beinen, aus der linken Achselhöhle, aus dem Gesicht, aus der Unterhose ... Die Biester fallen hier pausenlos von den Bäumen und Büschen. Ich esse eine Paprika, die letzte Wurst aus Germany, trinke stark verdünnte Cola aus einer Wasserflasche, die noch von der Polenreise 1997 stammt. Mit dem Messer bekommt man die Blutegel am schnellsten ab. Man rasiert sich quasi mit der scharfen Klinge. Das lieben sie gar nicht. Plötzlich ist Sicht bis runter auf das C.T. Ich springe einen Meter tiefer, da ist ein Standort, wo noch am meisten durch das Unterholz zu sehen ist. Zoom und Autofocus auf unendlich, zwei diesige Bilder und die Sicht ist wieder gleich Null. Dafür habe ich mir wieder neue Blutegel eingefangen. Das passiert nach einer Viertelstunde noch einmal. Danach aber wird der Vorhang nicht mehr aufgezogen. Ich warte erfolglos bis 13:30 Uhr.

Es ist windig hier oben und mir ist kalt in dem dünnen T-Shirt: Nur 21° zeigt mein Thermometer an. Also mache ich mich auf den Rückweg durch die Blutegel-Kolonie. Mit dem Ersatzriemen habe ich das lange Messer um meinen Bauch gebunden. Da ist es immer griffbereit. Spätestens nach 50 bis 80 Schritten müssen damit die Blutsauger rasiert werden. Aber diesen Kampf gewinne ich. Nach einer Stunde ist die schwierigste, nasse und rutschige Wegstrecke geschafft, die nur unter Einsatz aller Extremitäten zu bewältigen ist. Danach gibt es auch fast keine Blutegel mehr. Sie leben scheinbar nur in einer bestimmten Höhe, Nässe gehört dazu und spezielle Pflanzen. Der Rest des Weges ist Routine. Es ist zwar glatt, steinig und schlammig. Auch hier gibt es hunderte Haken von ‚Wait a while‘ sowie fürchterliche Fussangeln in Form dünner, unsichtbarer Lianen: Da hilft nur aufpassen und die Regeln vom Coppercreek beherzigen. Noch eine Regel kommt dazu: Vorsicht bei Sicherheitsgriffen an Pflanzen, Stengeln, Lianen und Ästen. Man muss damit rechnen, dass sie ausreissen. Deshalb sollte man immer zwei Griffe benutzen und sich nicht auf einen allein verlassen. Aber es gibt keine Probleme, ich falle nicht hin, ich knicke nicht um. Aber – wie in Nepal – ich merke, dass ich rechts ein Knie habe. Es tut nicht weh, aber es meldet sich manchmal und dann rede ich ihm gut zu. Mein Corpus macht wunderbar mit und das ist nicht selbstverständlich. Diese Tour ist wirklich nicht so einfach, wie sie am Anfang beginnt. Heil und gesund, aber ohne schöne Bilder vom Ausguck, stehe ich um 15:45 Uhr wieder auf dem Bloomfield Track. Und kurze Zeit später wasche ich mich mit Wasser aus dem Wasserkanister und einem Waschlappen aus dem Kofferraum meines Autos: Was für eine Wonne !!

Warum mache ich das, muss ich mir was beweisen? Eindeutig nicht !! Ich bin einfach zu neugierig. Mich interessiert, wie der Regenwald da oben auf dem Berg aussieht. Das weiss ich jetzt. Es gibt keinen so grossen Unterschied im Bewuchs, wie etwa auf dem Sibayak. Dort war die Vegetation sehr von der Höhe abhängig. Viel höher war der Aufstieg auf den Sibayak auch nicht: Hier waren es ca. 600 Meter. Aber der Regenwald sah oben ähnlich aus, wie unten am Strand. Nur das Unterholz war unterschiedlich. Die Bäume waren nicht älter oder dicker, als am Coppercreek (sehr schade), die Vielfalt war genau so gross. Der Coppercreek-Trip war schöner, weil da noch die reizvolle Flusslandschaft dazu kam. Hier lief man immer nur gegen die Wand des Regenwaldes. Sicht in der Regel unter 10 Meter, Ausblicke in lichten Wald waren sehr selten. Ich habe keine Tiere ausser Ameisen und kleinen Eidechsen gesehen, Wenige Vogelrufe. Nicht einem Wanderer oder Touristen bin ich begegnet, ich war hier völlig alleine. Dabei gibt es hier verhältnismässig viele Touristen. Aber wahrscheinlich sitzen die alle in der Kneipe oder liegen am Strand.

Ich bin ziemlich erschossen, als ich wieder bei Auto ankomme. Trotzdem gehe ich nach einer kleinen Ruhepause (mit einer ordentlichen Hose) noch mal bis zum Strand des Cape Tribulation. Das sind nur ein paar Schritte durch den Mangrovenwald. Viele Leute aller Altersgruppen laufen hier herum, im Wald war keiner. Es ist wahrscheinlich so, wie bei meinen Studenten: Keiner will arbeiten, keiner will sich mehr anstrengen, als unbedingt nötig ist, alle wollen nur Fun! Mir fällt der Satz von Edison ein: 1% Inspiration, 99% Transpiration sei für die Erfindung seiner Glühbirne nötig gewesen. Heute wollen alle Leute diesen Satz umdrehen: Nur nicht anstrengen, nur nicht arbeiten, dafür aber Tag und Nacht Spass, Spiel und ein Event nach dem anderen. Meine Welt ist das nicht, aber ich habe auch nichts dagegen, wenn andere es anders sehen. Das ist sogar sehr gut so, denn sonst hätte es heute im Blutegel-Regenwald ein ziemliches Gedränge gegeben!

Ich mache hier am C.T. nur ein paar Bilder. Dann gehe ich zurück zu Auto: Was nun ? Fahre ich zur Thornton Beach und baue dort mein Zelt auf, oder bleibe ich hier? Ich will, ich muss unter die Dusche! Unmöglich, nach diesem Trip einen oder zwei Tage ohne Dusche zu überstehen! Ausserdem will ich gemütlich und in Ruhe schreiben. Also brauche ich ein Quartier mit den minimalsten Annehmlichkeiten: Dusche und Bett. Das geht vielleicht am einfachsten bei Jungle Village. Entweder dort gibt es eine Hütte für einen einzelnen Herrn, oder ich baue dort mein Zelt auf. Ich fahre die 2,5 Kilometer bis dorthin zurück und sehe mir den Zeltplatz an. Grüne Wiese, Büsche und Bäume, von der Beach weit und breit nichts zu sehen. Fast wäre ich wieder ins Auto gestiegen, um zur Thornton Beach zu fahren ... aber die Aussicht auf eine Dusche siegt: ‚Do you have a single cabin?‘ ‚Yes of course, we have!‘ Da bin ich aber überrascht! Vor drei oder vier Tagen, waren nur Dormitorys frei, jetzt kann ich mir die Cabins rechts oder links von der Strasse aussuchen. Ich sehe mir beide Varianten an: Herrlich, es gibt auch Waschmaschinen, Trockner, ein Restaurant mit verlockenden Angeboten und eine grosse Anzahl von sauberen Duschen !! Ich nehme eine Cabin auf der anderen Strassenseite, mit 60 $/night ‚spottbillig‘ aber kein Vergleich mit dem Umfeld der Heritage Lodge.

 

 

Die Cabin ist ein grosses Zelt auf einem Holzpodest. Ein Metallrahmen ist mit Zeltstoff bespannt, eine Tür und drei Gazefenster. Darüber ein grosses Überzelt. Geschickt gemacht und durchaus angenehm. Innen ein breites Bett, Van, Licht, Spiegel, ein Regal mit Wasserkocher, Tee- und Kaffeebeuteln. Kühlschrank, Toilette, Dusche und Telefon in einem gesonderten, massiven Flachbau mit einem schönen Pool davor. Alles ist sehr sauber und sieht auch so aus, als ob es erst in diesem Jahr in Betrieb genommen wurde. Das ist natürlich nicht für 30 $/night zu haben.

Zuerst gehe ich unter die Dusche. Welche Wonne, sich richtig waschen zu können und neue Wäsche anzuziehen! Dann werfe ich den ‚Commercial Washer’ an, allerdings muss ich mir vorher zwei Dollarmünzen besorgen. Mit Geld geht es sofort zur Sache, aber ohne Waschpulver! Washing Powder ist bei ‚Commercial‘ nicht inklusive. Beim zweiten Mal weiss man das für immer. An der Rezeption gibt es auch das bereits dosierte Waschpulver, wenn man 80 Cent über die Theke reicht. Wenn sie erst mal angefangen hat, ist die Waschmaschine verdächtig schnell fertig. Es geht husch husch und die Wäsche ist angeblich gewaschen. Dafür braucht der Trockner eine Ewigkeit, um die Wäsche ‚schrankfertig‘ zu machen. Inzwischen habe ich mir das erste ‚Fish & Chips‘ meines Lebens beschafft: Eine riesige Portion Pommes mit einem schönen Fischfilet, auch in siedendem Fett gebacken. Besteck wird dazu nicht geliefert. Stilecht ist es nur, wenn man es mit den Fingern aus dem riesigen Papier isst. Inklusive eines Cappuccino kostet das 7 $ und ich schaffe die vielen Chips nicht. Ich esse mit grossem Genuss neben der laufenden Waschmaschine. Und als der Trockner ewig nicht fertig wird, schlendere ich am Pool entlang und treffe die ersten Germanen: Zwei Mädchen, eine sehr munter, sehr braun und sehr hübsch. Beide nicht älter als 22 Jahre und schon seit Juli in Australien unterwegs. Wir tauschen Erfahrungen aus, ich frage sie als Neuling aus, wo ist es hier interessant, wo sollte man gewesen sein, wie telefoniert man mit Deutschland? Sie sind schon viel herumgekommen, kennen viele schöne Badestrände, im Regenwald aber waren sie noch nie.

Dann ist der Trockner tatsächlich fertig geworden. Blendend saubere Wäsche, aber heiss! Als sie ausgelüftet ist, packe ich sie in Tüten ein (gegen die Feuchtigkeit) und verstaue sie im Kofferraum. Dann koche ich mir einen Kaffee, mache es mir auf dem breiten Bett bequem und gegen 19 Uhr fange ich an zu schreiben. Es ist fast schon dunkel und ein starker Regenschauer rauscht auf das Zeltdach und macht daraus eine riesige Trommel. Das will ich unbedingt in meinem Zelt erleben !! Morgen ? Wer weiss. Wenn ich schon mal hier bin, könnte ich ja auch von hier aus auf die erste Schnorcheltour gehen. Angebote gibt es hier genug. Aber das werde ich morgen entscheiden.

Jetzt ist erst mal Schluss. Jetzt muss ich mich bei Armen, Beinen, Füssen, Händen und dem Rücken für das bedanken, was sie heute wieder für mich geleistet haben. 5 x 3600 Steps machen fast wieder 20.000 Fitness-Übungen wie am Coppercreek. Das merkt man natürlich, wenn man fast 63 Jahre ist. Deswegen gehe ich jetzt erst mal in dieses schöne Bett und in die Horizontale.

Ein herrlicher Tag ist schon wieder vorüber. Heute ist Montag, die erste Woche von fünf ist schon um! Heute vor einer Woche bin ich in Berlin gestartet.

20:55 Uhr, Jungle Village, C.T.

Jürgen Albrecht
Leipziger Strasse 47/16.03
D-10117 Berlin
Fax: 030 2016 5019
E-Mail: dr.albrecht@t-online.de
AL/210499

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