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5000 Kilometer durchs Outback

 

 

 

 

 

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INS OUTBACK

12. September 1998, Sonnabend

 

Noch bin ich im Sunland CarPark von Cairns, aber heute breche ich hier buchstäblich meine Zelte ab. Ich habe von 21 bis 5 Uhr gut geschlafen. Dann weckt mich der Krach auf, den die Vögel machen! Hier ist viel los. Der Grundriss des CarParks ist zwar mit dem Lineal gezeichnet, aber auf den Stellplätzen stehen ganz verschiedene Büsche und Bäume. Die Vögel mögen das und ausserdem gibt es hier wahrscheinlich auch viel für sie zu holen. Aber Vorsicht, Katzen und Hunde gibt es hier auch! Viele Leute wohnen mit einem kompletten Hausstand hier und haben sich buchstäblich häuslich eingerichtet: Ein 80 Quadratmeter grosses Überzelt über dem Caravan, Vorzelte, Vorgärten, Vor- und Anbauten, Garage, Garten, alles ist hier möglich und bei einem Rundgang zu besichtigen. Um 6 Uhr führt eine alte Dame, aufgepeppt mit einer auffälligen Sonnenbrille (die Sonne geht erst in 10 Minuten auf ...) und einem kecken Hut, ihren Spitz aus. Eine kleine, drahtige Asiatin werkelt schon wieder bei den Waschmaschinen herum. Wir kennen uns schon und grüssen uns freundlich. Es wäre sicher sehr interessant, die Dauercamper hier mal sozio- und psychologisch unter die Lupe zu nehmen. Auf alle Fälle kann man hier exemplarisch sehen, wie elementar das menschliche Bedürfnis nach dem eigenen Revier und der Ausstattung der im Lebenskampf endlich eroberten, eigenen Höhle ist: Zäune, Wände, Blumenkübel, Blumenvasen, Bilder, Sofas unter dem Vordach, Gardinen, Fransenvorhänge ... Das alles spricht für den zwanghaften Drang, ein Revier zu besetzen und es mit individuellen ‚Duftmarken‘ in möglichst grosser Zahl zu versehen. Das nennt man dann, sein Haus ‚wohnlich‘ auszustatten. Die Dauercamper leben genau so, wie zum Beispiel Leute in einem Hochhaus. Aber sie haben mehr soziale Kontakte, die Umstände (gemeinsame Toiletten, Gemeinschaftswaschraum und sehr dünne Trennwände) zwingen sie dazu. Als ich gestern gegen 18:30 Uhr hier wieder am Eingang ankomme, stehen drei Prostituierte da und lächelten mir aufmunternd zu. Nein Danke, ich nicht. Aber auch dieses Geschäft läuft hier natürlich genau so selbstverständlich ab, wie überall im normalen Leben.

Nach dem Abendbrot habe ich mein neues Fernglas ausprobiert. Ich habe die Jupitermonde gesehen, aber das ist das Maximum, was mit diesem Fernglas unter guten Bedingungen erreichbar ist. Hier ist es zu hell und es war deswegen sehr anstrengend, die Monde zu beobachten. Aber zwei der Monde habe ich eindeutig gesehen. Die Achse der Jupitermonde steht sehr steil, vielleicht fehlen noch 20°, dann würde sie senkrecht stehen. Ein Mond steht dicht unter dem Jupiter, ein zweiter mit drei- bis vierfachem Abstand darüber. Was sagt der Computer ?! (Die Kontrolle zeigt die gleichen Mondpositionen. Der untere Mond war IO, der obere Ganymed. Der 3. und der 4. Mond waren sehr weit von Jupiter weg. Vielleicht der Grund dafür, dass ich sie nicht gesehen habe. SkyMap Pro 5.0 gibt mehrere Winkel an, den Winkel der Mondachse kann ich z.Z. nicht zuordnen – hier muss ich passen! AL/02.12.1998)

In meinem Kofferraum habe ich inzwischen eine gewisse Ordnung. Dadurch ist die tägliche Suche nicht so anstrengend. Auch das ist ein Grund, sich ‚wohnlich‘ einzurichten: Die täglich wiederkehrenden Verrichtungen kann man mit Routinen automatisieren. Ordnung begünstigt das Leben ohne Kopf. Es ist wirklich nicht des Menschen Natur, ständig konzentriert nachzudenken. Man schafft das rein physisch auch gar nicht. Seit ein paar Tagen habe ich mir eine ganz wesentliche Routine zugelegt: Immer wenn ich die Bauchtasche oder den Autoschlüssel anfasse, sagt die Automatik zu mir: ‚ACHTUNG, Aufwachen, Bewusstseinspflichtig !!‘ Bisher hat das geklappt. Aber wie gesagt, es ist nicht des Menschen Natur ...

Das Frühstück funktioniert inzwischen hervorragend. Der Campingstuhl hat nur ca. 10 cm hohe Beine. Dadurch hat man gleich rechts und links auf dem Gras einen schönen, grossen Tisch – das ist sehr bequem. Nur eine Kühlbox könnte das schöne Auto noch haben. Ordentliche Autos haben so was, damit man die Butter kühl halten kann. Das Ding brauchte gar nicht gross zu sein ...

Das Zelt ist abgebaut, der Zeltboden ist gereinigt und in der Sonne abgetrocknet. Jetzt packe ich ein und fahre in die Stadt. Erst gucke ich nach, ob ich eine E-Mail bekommen habe, dann wird der Trip nach Darwin gebucht. So gegen 11 Uhr werde ich fertig sein und dann starte ich in Richtung Undara: Mit dem bequemen Auto und der Klimaanlage ist das auch bei der zu erwartenden Mittagshitze kein Problem. Heute wird es wieder heiss. Kein Wölkchen ist am Himmel und die Vögel machen immer noch einen Heidenkrach. Inzwischen quaken auch viele Frösche. Dazwischen sind aber Geräusche, die sich wie das kurze Knarren einer Tür anhören. Sind das Frösche oder Vögel?

8:23 Uhr, Sunland CarPark, Cairns

Es ist kurz vor 11 Uhr und alle meine Geschäfte sind erledigt. Ich sitze im Cairns Central, wo ich schon einmal Apple Cake gegessen habe. Ich trinke hier noch einen Kaffee und dann mache ich mich auf die Reise.

Um 9:10 Uhr hatte ich das erste Erfolgserlebnis: Sechs oder sieben Mails hatte ich abgeschickt: Onkel Dieter hat mir heute geantwortet! Die erste Mail aus Europa, die mich hier erreicht! Onkel Dieter hat auch die Mails aus Port Douglas erhalten. Also scheint E-Mailing zu funktionieren. Aber noch ist es mehr eine Spielerei. Es ist Glückssache, wenn man länger an einem Ort ist und dann eine Antwort bekommt. Ich schreibe beglückt mehrere Mails nach Europa. Wahrscheinlich kommen sie an, aber die Kommunikation ist zu einseitig. Auf so einer Reise ist telefonieren effektiver, aber es ist auch deutlich teurer.

Inzwischen ist es 10 Uhr geworden und das Reisebüro STA-Travel hat auf. In einer reichlichen halben Stunde wird die Darwin-Tour endgültig festgeklopft. Die Antwort aus München ist da: Das Ticket ist nicht zu verändern. Macht man es doch, kostet es Geld: 250 $ soll es kosten, wenn ich erst in Darwin statt in Cairns einsteige! Die Differenz zwischen One-Way-Ticket und Hin- und Rückflug Cairns-Darwin ist billiger. Da muss ich eben nach Cairns zurück fliegen. Ausserdem will ich nicht die Sicherheit des Rückfluges nach Deutschland gefährden und auch deshalb ändere ich an diesem ‚grauen‘ Ticket nichts: Never change a running system! Der Darwin-Trip kostet mich als separate Reise 1090 $. Davon kostet die 4WD-Safari 540 $, der Rest geht für das Flugticket drauf. Der Inlandflug ist erstaunlich teuer. Ich werde in Darwin am Abend des 01. Oktober (bei Gewitter ?!) landen. Dann habe ich einen ganzen Tag in Darwin frei und am 03. Oktober beginnt die Safari. ‚Haben Sie einen eigenen Schlafsack? Sind besondere Restriktionen beim Essen zu beachten?‘ Ich erhalte den Voucher für die Tour und die Flugscheine – sooo einfach ist das alles wieder! Allerdings muss man irgendwann auch hier die Kreditkarte hinlegen. Aber die STA-Dame war sehr nett und wir haben uns einwandfrei in English verständigt, obwohl es ja wirklich einiges zu verhandeln gab. Ich musste vor allen Dingen darauf achten, dass ich rechtzeitig wieder in Cairns bin, denn den Rückflug darf ich nicht verpassen!

So, es ist alles klar und jetzt fahre ich in Richtung Südwesten ins Outback: Ganz neue Bilder erwarten mich! Reiseziel ist Karumba am Golf of Carpentaria. Eine Strassenkarte habe ich gerade noch gekauft, viel wert ist sie nicht, aber es gibt in Australien keine ordentlichen Landkarten. Mal sehen, wie weit ich heute komme !?

11:12 Uhr, Cairns Central

Das also ist der australische Busch: Verdorrtes Gras, trocken wie Zunder, kaum Buschwerk aber ein lichter Wald von Eukalyptusbäumen, niedrig, verschiedene Arten. Erstarrte und inzwischen erodierte Lava türmt sich zu Wällen und Hügeln. Die Flächen gleichen entfernt den abgeschliffenen Felsen in Norwegen, aber sie sind wesentlich rauher. Wenn man hier richtig hinfällt, steht man mit bösen Schürfwunden wieder auf. Die dominierende Farbe ist rot. Rot in allen Farbnuancen und rote Schotterpisten bis an den Horizont. Jetzt sitze ich im CarPark von UNDARA, der gleichzeitig Ausgangspunkt zur Erkundung des Undara Volcanic National Parks ist. Eine steinige, lebensfeindliche und verbrannte Gegend. Wenige niedrige Bäume, grosse Lavablöcke türmen sich zu einem Hügel auf, überall kleine und grosse Lavabrocken, die roten Wege sind damit eingegrenzt. Drückende Hitze. Lautes Vogelgeschrei. Die Sonne ist schon untergegangen. Bäume wie Scherenschnitte vor dem hellen Horizont in Richtung Sonnenuntergang. Zwielicht. Der Sternenhimmel ist schon zu sehen, aber für die Milchstrasse ist es noch zu früh. Es ist 19 Uhr, 27° warm und kein Lüftchen bewegt sich hier in diesem Ofen.

 

 

Gegen 17:45 Uhr erreiche ich Undara. Alle Strassen enden an der Rezeption. Rund herum ist hier nur noch Busch: Outback. Ich buche einen Zeltplatz und für morgen früh eine Tour durch den Volcanic Park: ‚Aaauuu Kaaaaiiii !!‘ Ich bekomme den Standplatz C13, die Tour beginnt morgen um 8 Uhr und wird zwei Stunden dauern. ‚Toilette und Dusche da links, Bar und Restaurant um die Ecke, der Shop ist nebenan, um 20 Uhr ist heute Lagerfeuer – alles klar ?!‘ Alles klar. Mit AMEX werden 35 Dollar abgebucht und die ganze Angelegenheit ist in höchstens fünf Minuten abgewickelt. Ich kann es immer noch nicht fassen, wie einfach und selbstverständlich das alles sein kann: Alles funktioniert ohne Diskussion, ohne Resolution, ohne Massnahmepläne, Selbstkritik und ohne Parteitagsbeschlüsse. Alles regelt sich über das Geld völlig im Selbstlauf. Man muss es nur haben. Ich könnte hier auch ein Cabin, eine Lodge oder eine Suite für eine grosse Familie mieten (mit oder ohne Breakfast und Dinner). Ich muss es bloss bezahlen können. Mein Zelt kostet pro Nacht 9 $, natürlich mit separater Dusche und WC und auch der Feuerplatz mit dem Steakrost ist inklusive. Aber man kann hier auch für 110 $/night and person logieren.

Die Camper, die sich neben mir auf den Stellplätzen auf die Nacht vorbereiten, sind völlig unterschiedlich ausgestattet. Ich habe die Miniversion der Campingausstattung: PKW, ein kleines Zelt ohne Vordach und einen Campingstuhl. Ich habe kein Licht, keinen Tisch, keinen Kocher und kein Geschirr. Aber es geht noch einfacher: Die Leute neben mir haben eine Plane auf die Erde gelegt und zwischen zwei Bäumen ein Regendach darüber gespannt. Dort schlafen sie in einem Swag (entsetzlich schwerer australischer Schlafsack mit eingearbeiteter Matratze, Relikt aus der Pionierzeit). Sie kochen mit einem schwarzen Topf auf offenem Feuer. Das geht auch und das ist die original australische Campingversion. Ich habe am Cape Tribulation auch schon Biker gesehen, die sich, dreckig wie sie waren, neben ihrem Motorrad bei Regen in diesen Swag eingewickelt und ins nasse Gras gelegt haben ...! Nach oben gibt es bei der Ausrüstung keine Grenzen: 4WD-Busse mit Klima und grosser Schlaffläche. Riesige Zelte, in denen man stehen kann, werden aus den Autos geräumt, komplette Küchen mit ganzen Schränken (gestapelte Schübe) voller Geschirr und Gerätschaften, Tische, Stühle und grosse Überzelte, Licht und mehrere Kochflächen aus Gasflaschen. Ganz wichtig scheint das allabendliche Feuer zu sein, an dem dann riesige Steaks gebraten werden. Amerikas Cowboys lassen grüssen. Aber das soll jeder machen, wie er es für gut und richtig hält. Ich werde mir bei meinem kurzen Trip kein Essen selber kochen, der Aufwand ist zu gross. Ausser dem heissen Tee fehlt mir nichts, aber den gibt es ja überall. Auch hier stehen bei der Rezeption Thermoskannen mit heissem Wasser und die Tee- und Kaffeebeutel liegen daneben: Jeder kann sich kostenlos bedienen. Ist das mal nicht der Fall, dann kostet ein Tee 1 bis 1,5 $, kein Vergleich mit der unvergesslich unverschämten, deutschen Nordsee, wo ein Teebeutel inklusive heisses Wasser 6,90 DM kostet.

Heute bin ich gegen 11:45 Uhr auf dem Parkdeck des Cairns Central in mein Auto gestiegen und zu neuen Abenteuern gestartet. Vorher noch Schreiben bei Tee und Apfelstrudel. Dann eine Fahrt bis Innisfail durch eine landwirtschaftlich genutzte, schöne, grüne und fruchtbare Gegend. Ein breites Tal zwischen bewaldeten, ca. 600 bis 800 Meter hohen Bergen. Dort oben gibt es noch Regenwald, der im Tal gerodet ist. Zuckerrohr, Bananen, Orangen und andere tropische Früchte werden jetzt hier angebaut. Es gibt nur Sommer mit mehr oder weniger Regen, also kann ständig gesät und gleichzeitig auch geerntet werden.

Innisfail ist das Muster einer amerikanischen Kleinstadt, wie ich sie mir vorstelle: Niedrige Holzhäuser und breite Strassen dösen menschenleer in der Mittagshitze. Überdachte Gehwege, jedes Haus hat seine Arkade. Australien hat viel von Amerika kopiert. Es ist 13 Uhr, als ich hier Pause mache, aussteige und durch diese kleine Stadt wandere. Das Rathaus ist die Miniausgabe des Weissen Hauses; ein klotziges Hotel, das erste Haus am Platz. Ich gucke in die pompöse katholische Kirche in Weiss und Rosa – it’s America. Ich mache Fotos in Innisfail und sie gleichen den Fotos, die man in anderen australischen Kleinstädte machen könnte. In einem Imbissladen kaufe ich mir Fish and Chips und eine Zeitung. Damit fahre ich ein bis zwei Kilometer vor die Stadt, setze mich unter einen herrlichen, breiten und vom Regenwald übrig gebliebenen Baum neben das Auto und mache Picknick. Erst als ich mich hingesetzt habe sehe ich, dass gegenüber ein schöner ruhiger Friedhof ist und daneben eine Gaststätte. Aber wer geht hier schon essen. Zwei andere Autos stehen mit mir unter den Bäumen und auch da wird gegessen. Die Zeitung besteht aus 24 Seiten. Davon sind 23 Seiten der Lokalteil, auf der ersten Seite gibt es Meldungen aus Australien, aber das war’s dann auch: Die übrige Welt existiert nicht: Nicht eine internationale Meldung.

 

 

Dann muss ich ein paar Kilometer zurück fahren, denn die Strasse Nr. 25 zweigt vor Innisfail nach Ravenshoe ab. Jetzt beginnt eine traumhafte Fahrt durch das Tableland. So eine herrliche Gegend habe ich fast noch nie gesehen: Eine vor Fruchtbarkeit strotzende, grüne, hügelige Parklandschaft. So weit das Auge reicht: Weideland, grosse Bäume auf grünen Wiesen, braune Rinder, kleine Wälder und Berge am Horizont. Grosse Landsitze der Farmer, eingebettet in Palmenhaine und riesige Blumenrabatten. Die herrliche Strasse windet sich durch diese Bilderbuchlandschaft, das Auto fährt von alleine, es gibt kaum Verkehr und immer wieder komme ich an phantastischen Aussichtspunkten vorbei, die sogar 300 Meter vorher angekündigt werden. Und natürlich kann man an den Aussichtsstellen auch im Auto sitzen bleiben, so bequem wird einem das hier gemacht. So stelle ich mir das auch im Autoland USA vor. Trotzdem steige ich aus, ich kann mich kaum an diesen Bildern satt sehen und möchte ständig fotografieren. Genau passend zu dieser Landschaft das Radioprogramm: Zwei Stunden klassische Musik, Beethoven, Haydn, Ravell und Pavarotti. Das ist die Untermalung für ein Feature über das Kaffeehaus, den Jugendstil und den Dadaismus um 1910 in Deutschland. Peter Altenburger, Gottfried Benn, Else Lasker-Schüler u.a. werden in reinstem Oxford-English mit ihren Texten zitiert. Ruhige Sprecher, angenehme Stimmen, eine sehr interessante Zeit: Ein Genuss für sich, dieses Feature. Auch English kann eine herrliche Sprache sein. Was für eine phantastische Fahrt !!

 

 

Hinter Ravenshoe ändert sich die Landschaft im verlauf von nur wenigen Kilometern abrupt. Die herrliche breite Teerstrasse wird zur einspurigen Piste, rechts und links ein zwei Meter breiter, roter Randstreifen. Auf den muss man bei Gegenverkehr ausweichen. Dann entstehen die aus dem Kino bekannten, langen Staubfahnen hinter den Autos. Aber es kommt mir nur selten jemand entgegen. Zehn oder auch zwanzig Kilometer fährt man allein durch die immer gleiche Landschaft auf einer schnurgeraden Strasse. Ausser dem lichten Eukalyptuswald mit dem gelben, vertrockneten Grasboden ist nichts zu sehen. Dann kommt ein Auto entgegen: Sofort muss man auf die Bremse, runter von 120 Km/h und mit den linken Rädern auf den Randstreifen. Das Poltern der Räder auf dem Randstreifen und Staubwolken bei der Begegnung der Fahrzeuge. Dann wieder rauf auf die Teerstrasse, bis zum nächsten Mal. Es kommt nicht vor, dass man überholt wird, oder selber überholt. Auf diesen Strassen fahren nur wenige und nur die, die es unbedingt müssen. Solche neugierigen Touristen wie ich einer bin, sind sehr selten und wenn, dann sind die mit 4WD-Campingwagen unterwegs. Ein Schild am Ortsausgang:

!!! CAUTION – Road Trains, 50 meter long !!!

Einmal bin ich bisher so einem Gerät begegnet: Es ist besser, man geht so weit wie möglich beiseite, denn diese harten Jungs gehen nicht mit dem Fuss vom Gas, und auf den Randstreifen weichen sie nur aus, wenn es überhaupt nicht anders geht. Jetzt ist mir auch klar, warum diese Trucks vorne solche Rammgitter haben: Auf der Strasse liegen tote Känguruhs und tote, zerfahrene Kühe. Tiere laufen über die Strasse, aber die Trucker denken nicht daran, auf die Bremse zu gehen. Sie können den Train wahrscheinlich wirklich nicht so schnell bremsen.

Die Abzweigung zu den Lava Tubes wird angezeigt: 17 Kilometer bis Yaramulla. Das ist die Gabelung des Kennedy Highways: Südlich geht es nach Hughenden und in Richtung Westen liegt Karumba, wo ich hin will. ‚Developmental Road‘ heisst das Zauberwort: 10 Kilometer hervorragende, zweispurige Strasse, dann plötzlich und ohne Vorwarnung wieder fünf Kilometer einspurige Piste mit Randstreifen. Nach 17 Kilometern steht am Abzweig nach Undara wieder so ein Schild: ‚Developmental Road, 15 Km‘. 15 Kilometer rote Schotterpiste mit klassisch ausgeprägten, endlosen Waschbrettern. Das heisst hier ‚Gravelroad‘. Das Zahnstreifenproblem hat mich wieder eingeholt. Diese Streifen hier sind so bilderbuchmässig schön, dass ich ein paar Fotos davon mache. Aber weil ich ja mal ‚auf Dynamik studiert‘ habe, weiss ich auch, wie man dieses 15 Kilometer lange Waschbrett spielend bewältigt: Die richtige Geschwindigkeit und das richtige Auto erzeugen nur ein leises Rauschen und gewährleisten eine ganz ruhige Fahrt. Allerdings ist das Auto dabei ziemlich schnell und hat nicht gerade viel Bodenhaftung ...! So erreiche ich also mein Tagesziel Undara und um 18:10 Uhr steht mein Zelt.

 

 

Jetzt ist über mir wieder ein ganz irrer Sternenhimmel zu bewundern! So etwas sieht man in Europa nicht mehr. Dazu muss man nach Australien fliegen und ins Outback fahren: Sooo eine wahnsinnige Milchstrasse !! Das Fernglas löst die ‚Wolken‘ darin nicht auf, aber es zeigt die Unendlichkeit ein Stück näher: Alles voller Sterne, wohin man auch blickt und keiner weiss so richtig, was man da eigentlich sieht. Dieser Anblick ist einfach überwältigend. Es gibt keine Worte dafür. Man kann dazu nichts sagen, die Sprache reicht nicht aus, um die Emotionen zu beschreiben. Von diesem Anblick muss man sich einfach berauschen lassen ...

Der Jupiter ist heute nicht besser zu beobachten, als gestern. Eine ähnliche Konstellation: Dicht unter dem Jupiter ein Mond und weit oben noch einer. Und diese steile Achse, nicht zu fassen! Jetzt lege ich mich unter der Milchstrasse mit dem Fernglas ins Luftmatratzen-Bett – eine sagenhafte Erfahrung und alles umsonst: Ausnahmsweise ist keine CreditCard nötig !!

20:30 Uhr, Undara Lodge

 

 

 

 

 

LAVARÖHREN
IN UNDARA

13. September 1998, Sonntag

 

Es ist kurz vor 11 Uhr und gerade bin ich zurück von der Expedition durch die Lava Tubes. Ich sitze unter hohen Bäumen im Restaurant der Undara Lodge. Es war ein sehr ungewöhnlicher Ausflug. Besser, ich schreibe es sofort auf, denn ich stehe noch unmittelbar unter dem Eindruck dieser imposanten Lavaröhren.

Es ging um 8 Uhr los: Der Guide ist eine Frau, mindestens so alt wie ich, aber noch dünner und offensichtlich zäh wie altes Leder. Sie spricht ein sehr gutes English ohne den australischen Akzent, deswegen verstehe ich den Sinn ihrer Erklärungen komplett. Sie fragt, woher die 6 bis 8 Gäste kommen: Ein älteres Paar aus Deutschland, mit grossen Hüten auf Australier getrimmt, ein Japaner, einige Australier, ich komme aus Norwegen. Wir fahren eine Viertelstunde durch das ‚Grasland‘. Das Gras ist ein Meter hoch, alles absolut trocken und gelb. Ein Funke genügt, und alles steht in Flammen. Es brennt hier ständig, deshalb gibt es auch kein Buschwerk, kein Unterholz. Im Abstand von 5 bis 10 Meter stehen niedrige Eukalyptusbäume. Überall sieht man schwarze, verkohlte Stämme. Der Guide macht uns auf eine ganz scharfe Vegetationsgrenze aufmerksam: Plötzlich geht das Grasland in einen (nicht sehr üppigen) Rainforest über. Das liegt am Untergrund: Auf Lava wächst nicht viel.

 

 

Wir erreichen die erste Tube-Station am Rande des Regenwaldes. Es geht 25 Stufen nach unten, vorbei an grossen Lavabrocken. Dort unten sieht man die Reste der ersten Lavaröhre: Eine Brücke aus Lavagestein, 20 Meter breit, 15 Meter hoch, die Deckschicht ist ca. 2 Meter dick. Das ist der Rest einer Röhre, durch die mal Lava geflossen ist. Hier in Undara gab es nicht nur einen Vulkan, in einem Gebiet mit einem Durchmesser von 1500 Kilometer waren gleichzeitig ca. 160 Vulkane tätig! Undara war einer der grössten davon. Es hat mehrere Ausbruchsphasen gegeben, der letzte Ausbruch war vor ca. 190.000 Jahren. Die jetzige Landschaft im Umkreis von 800 Kilometern hat ihr Gesicht durch diese Ausbrüche erhalten. Wenn man sich das auf der Karte ansieht, ist das ganz Queensland, seine gesamte Küste bis hinauf zum Cape York. Unvorstellbare Naturgewalten! Lava Tubes entstehen, wenn der Lavastrom lange anhält und die Lava an der Luft und auf dem Erdboden erkaltet. Plötzlich fliesst die frische, heisse Lava durch Röhren! Damit sich solche Röhren ausbilden, ist das Gefälle entscheidend: Es dürfen nicht weniger, aber auch nicht viel mehr als 10° sein. Das ist hier der Fall. Man hat überhaupt nicht den Eindruck, auf einem Vulkan zu stehen, das ganze Gelände ist flach. Unter solchen Bedingungen wird das Ausbruchsmaterial, also die Lava, nicht mehr oberirdisch, sondern quasi unterirdisch abgeführt: Bis zu 1000 Kubikmeter flüssiges Gestein, 1200° bis 1400° heiss, sind pro Sekunde durch so eine Röhre geflossen und das über ein Jahr lang ...! Dabei sind Röhren von einer Länge bis zu 100 Kilometer entstanden. Sie laufen radial von der Ausbruchsstelle weg. Heute kann man noch mindestens 300 Kilometer solcher Röhren in diesem Gebiet nachweisen. Bisher sind 70 mehr oder weniger lange, noch nicht eingestürzte Röhren entdeckt worden. Dabei haben Satellitenaufnahmen sehr geholfen. Solche Aufnahmen sind hier auf Tafeln zu sehen. Auch war man erst mit dem Wissen von Undara in der Lage, ähnliche geologische Strukturen auf dem Mond zu erklären. Mit dem Gebiet um Undara beschäftigt man sich wissenschaftlich erst seit 20 Jahren! Noch sind erst wenige Lava Tubes für Touristen erschlossen. Die Australier waren bisher vorwiegend mit der Landnahme beschäftigt und wissen noch nicht so richtig, was sie alles in Besitzt genommen haben!

Wir gehen durch die erste Röhre, die nur ca. 30 Meter lang ist. Ein imposanter Ausblick: Der Tunnel macht eine Biegung von 90° und genau diese Ecke ist eingefallen. Über der Ecke ist die Tunnelspannweite sehr gross (30 bis 40 Meter?) und die Röhre wenig stabil. Auf den Trümmern der eingestürzten Tunneldecke wachsen einige grosse Bäume, kein Buschwerk. Erdbeben, Wasser, Hitze und Erosion haben den Röhren stark zugesetzt. Aber nach der Biegung geht der Tunnel weiter. So kann man noch ganz hervorragend sehen, wie diese Röhre mal vollständig gelaufen ist. Wir steigen in die Röhre runter, die nach der Biegung weiterführt. Irre Dimensionen: 22 Meter breit, 16 Meter hoch, Decke 3 bis 25 Meter dick. Der Tunnel hat einen ebenen, schwarzen Untergrund: Asche mit Blaslöchern!

 

 

An den Wänden ist noch der ‚Wasserstand‘ der Lava abzulesen. Die Wände sind stark zerklüftet, zersprungen. Wasser läuft von oben durch und bildet bizarre Muster an den Wänden, wenige und nur kurze Stalagtiten hängen von der Decke. Dafür haben einige Bäume darüber ihre Wurzeln durch das Gestein gezwängt. Ganze Büschel 3 bis 5 Meter langer Luftwurzeln hängen an einer Stelle von der Decke, um die Feuchtigkeit des Stollens abzusaugen, in dem eine konstante Temperatur von 17° herrscht.

Wir fahren wieder ein Stück oben im Grasland. Das erste Mal sehe ich Känguruhs in freier Wildbahn hier durch das Gras hüpfen. Die nächste Station: Ein ähnlicher Tubus mit den gleichen Abmessungen. Wir laufen vielleicht 250 Meter in die Röhre hinein. Es ist stockdunkel, jeder hat eine Taschenlampe bekommen. Am Ende ein kreisrunder Raum, die Röhre geht nicht weiter. Wie kommt das? Ganz einfach, hier floss die Lava nach unten weiter. Als kein Nachschub mehr kam, entstand ein ebener, kreisrunder Boden.

Auf meine Frage, was die Aborigines von diesen Tubes gehalten haben, kommt vom Guide eine sehr interessante Antwort: Die Aborigines halten drei Dinge für das Überleben absolut notwendig: 1. Wasser, 2. Essen und 3. Sicherheit. In den Röhren gibt es weder Wasser noch Pflanzen oder Tiere. Es ist dunkel und verhältnismässig kalt. Eine solche Höhle kann zu einer tödlichen Falle werden. Wenn Feinde die Höhle belagern, gibt es kein Entkommen. Aus diesen Gründen waren die Tubes für die Aborigines uninteressant, wahrscheinlich haben sie sie mit einem Tabu belegt und gemieden. Es wurden bisher keinerlei Spuren von Aborigines (z.B. Felszeichnungen oder Feuerstellen) in den Tunnelsystemen entdeckt.

 

 

Das alles ist sehr interessant und beeindruckend. Nach zwei Stunden haben wir zwei Tubes gesehen: Arch-Ewamin und Stevensons Tube. Noch fünf andere sind erschlossen, die kann man alleine und zu Fuss (mit Rucksack und Zelt) erkunden. Dazu habe ich heute keine Lust. Das Gebiet hat Ausmasse von mindestens 50 x 25 Kilometern. Aber es gibt keine anständige Landkarte. Die einzige Skizze, die hier jeder gratis bekommt, bestreicht nur ein Gelände von 3 x 5 km und sie ist so schlecht, dass ich damit nicht mal auf eine kurze Wanderung gehen möchte. Ausschilderungen gibt es auch nicht. Das ist fast ein Skandal, denn dieses Tubes sind hoch interessant. Aber das Ganze hier ist wirklich erst in den Anfängen der Erschliessung. Es ist schon viel, dass es hier anständige Übernachtungsmöglichkeiten gibt. Wenn ich noch einmal nach Queensland komme, dann werde ich hier mit einer guten Karte ein paar Tage bleiben, das lohnt sich wirklich.

Mehrere grosse Känguruhs laufen über den Weg, auf dem wir zur Lodge zurück fahren. Unsere Reiseführerin erzählt, dass es 45 verschiedene Känguruh-Arten in Australien gibt. Sie sind Nomaden, leben im Grasland und legen pro Tag zwischen 30 und 50 Kilometer zurück. Wallabys (eine andere Beuteltier-Sorte, keine Känguruh-Kreuzung!) sind kleiner und sesshaft. Hier sitzt eine ganze Familie zwischen den Lavabrocken und sie lassen sich fotografieren. ‚Bitte die Vögel nicht füttern !!‘ sagt die Dame. Die Vögel gewöhnen sich sofort daran und kommen in riesigen Massen dann zu solchen Futterstellen. So sitzen sie z.B. hier in Mengen in den Bäumen an der Stelle, wo jeden Morgen Breakfast (mit offenem Feuer) gemacht wird und warten auf die Reste. Heute morgen war wieder ganz deutlich der Vogel mit der Melodie von der Heritage Lodge zu hören. Bevor er die Melodie richtig singt, probiert er es erst ein paar Mal. Besonders der erste Ton hat es ihm angetan. Den gibt er richtig vor, wie der erste Geiger den Kammerton A zum Einstimmen vorgibt: A !! .... A !! .... A !! ... und dann kommt die ganze Melodie. Es ist schon toll, was es so alles gibt!

Nach der Führung steige ich auf den Hügel, an dessen Fuss die Undara Lodge liegt. Er ist höchstens 100 Meter hoch und man hat einen weiten Blick über das ebene Buschland. Ist dieser Hügel hier der ehemalige Vulkan Undara? Nichts ist von einem Berg mit einem Krater zu sehen! Nur grosse Lavabrocken und ein paar ähnliche, niedrige Hügel in weiter Ferne. Es ist heiss, die Sonne knallt senkrecht vom Himmel und ausser den Bäumen sind alle Pflanzen verdorrt und so trocken wie Zunder. Ich laufe zurück und gestatte mir zwei grosse Tassen heissen, schwarzen Tee in der Gaststätte: Selbstbedienung um diese Zeit, Lunch erst ab 12 Uhr.

Bei dieser Führung habe ich mir viele Fakten auf einen gelben Zettel aufgeschrieben. Ein kleines Diktiergerät wäre sehr sinnvoll, da kann man auch während der Fahrt im Auto was ‚aufschreiben‘.

11:20 Uhr, Undara Lodge

Jetzt sitze ich in meinem Campingstuhl neben dem Auto auf einer ‚Wiese‘ im CarPark Croydon. Die Wiese ist stark strapaziert und voller Ameisen. Das Gras ist zu 80 % verdorrt und der Untergrund ist hart wie Beton – keine Chance, hier auch nur einen von meinen Zeltheringen (aus Alu-Draht) reinzukriegen! Hier braucht man Stahlnägel und einen Vorschlaghammer. Das Zelt hat einen Nachteil: Man braucht mindestens zwei Heringe. Ohne Heringe steht es nicht. Das schöne ‚Regenschirmzelt‘ in Norwegen funktionierte zur Not auch ohne Heringe und Spannseile. Aber das ist kein Problem. Es sieht nicht nach Regen aus, da kann man auch ohne Zelt auf der Luftmatratze und im Schlafsack nächtigen. Nur die Ameisen möchten mir bitte von der Pelle bleiben. Wenn gar nichts hilft, gibt es hier auch mehrere ‚Hotels‘, die aber wohl viel eher Cowboy-Kneipen sind. Ich habe weder Lust auf so eine verrauchte Bude, noch will ich mich von den Cowboys und Truckern als weisser Rabe ausfragen lassen. Also ich weiss noch nicht, wie ich das hier heute nacht machen werde. Das zu überlegen, fällt bei 36,2° im Schatten jetzt um 17 Uhr auch sehr schwer. Die Sonne aber steht nicht mehr hoch, in einer Stunde wird es dunkel.

Croydon liegt knapp 200 km östlich von Karumba – dort werde ich morgen um diese Zeit wohl sein. Dann weiss ich, was Bush und Outback bedeuten. Bis jetzt kenne ich den Unterschied noch nicht genau, aber ich weiss, was Bush ist: Genau die Gegend, durch die ich heute 300 Kilometer gefahren bin: Meistens ebenes Land, einige alte vulkanische Erhebungen, nicht höher als 100 Meter und 190.000 Jahre alt, wie ich heute morgen gelernt habe. Trockenes, helles Gras, bis zu einem Meter hoch. Niedrige, lichte Bäume in Grün, Silber, Braun und Schwarz. Und dieses Bild, soweit das Auge reicht und 300 km rechts und links der Strasse. Diese Strasse ist endlos und meistens schnurgerade, wie mit dem Lineal durch den Bush gezogen. Manchmal ist der Bush auch abgebrannt, alles ist schwarz. Man sieht, wie die Flammen die Bäume verformt haben. Sie stehen da, schwarz, tot und erstarrt im Feuersturm. Faszinierend. Im Auto kann man sich die Temperatur einstellen. Heute waren es so um die 29°. Aussen werden es zwischen 35 und 40° gewesen sein. Ich habe das Digitalthermometer mal auf das Autodach gelegt: 48,8° nach wenigen Minuten. Da kann man im Inneren keine Temperatur um 23° aushalten, man friert wie ein Schneider.

Die Fahrt mit dem Auto ist anstrengender, als ich vermutet habe. Die Wärme kostet Kraft und Konzentration, ausserdem ist es extrem hell. Die Sonne flimmert über der endlosen Strasse, die am Horizont wabernd im Ungewissen verschwindet. Die Strasse ist gut, aber nur einspurig. Also fährt man nach einer Weile 120 km/h. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nicht über 100 km/h zu fahren, aber das ist schwer. Man muss zwar auf den Gegenverkehr achten, aber meistens gibt es keinen. Ist die Strasse (wie in der Regel) einspurig, dann ist sie eigentlich für 120 km/h zu schmal und zu schlecht. Aber weil sie so endlos, eintönig und leer ist, fährt man immer schneller. Aber aufpassen auf den Gegenverkehr !! Wenn ein Auto entgegen kommt, dann heisst es bremsen und runter auf den Randstreifen. Die Road Trains (drei kamen mir heute entgegen) erwarten, dass alles beiseite springt, wenn sie kommen. Sie fahren nicht auf den Randstreifen, sie bremsen nicht, wenn eine Kuh auf der Strasse steht und Känguruhs interessieren sie offensichtlich überhaupt nicht. 10 bis 12 tote Känguruhs habe ich heute auf der Strasse liegen sehen. Trotz Aufmerksamkeit kommt es vor, dass man mal bei 120 km/h auf den Randstreifen muss: Das ist nicht gut, aber auch nicht schlimm, denn diese Autos hier vertragen das offensichtlich. Mein australischer PKW hat ein Fahrwerk wie ein deutscher LKW. Meistens ist es auch kein ‚tiefer liegender Randstreifen‘ wie auf deutschen Autobahnbaustellen. Die Differenz ist meistens nicht grösser als 3 cm, aber auch das reicht ja und verlassen kann man sich nicht darauf, dass es immer nur so wenig ist. Auch das Befahren der Waschbretter mit hoher Geschwindigkeit ist nicht ohne: Auf der Gravelroad von der Undara Lodge zurück zur Hauptstrasse wurde ich bei 80 oder 90 km/h aus einer Kurve getragen: Zu hohe Geschwindigkeit. Ich ging auf die Bremse, der Wagen fing an zu schleudern. Gegenlenkungen und nach 3 bis 4 Schlingerbewegungen hatte ich mein schönes Auto wieder im Griff. Vorsichtiger fahren, AL !! Heute habe ich übrigens entdeckt, dass mein schönes Auto doch eine Kühlbox hat: Die Box zwischen Fahrer- und Beifahrersitz wird gekühlt: Zwei grosse Bierdosen passen da rein! Ich trinke kein Bier, habe aber dort meine Büchse mit Margarine und die Milchtüte verstaut. Sehr angenehm!

Von der Undara Lodge bin ich um 11:45 Uhr abgefahren. Problemlos komme ich bis Mt. Surprise. Dort tanke ich, kaufe mir eine grosse Flasche Cola und ein paar Lebensmittel. Diese Flasche explodiert fast, als ich sie zwei Stunden später im Auto aufmache! Ich stehe Gott sei Dank gerade und mache eine Pause. Alles wird voll Cola gesprüht, alles klebrig und nass. So eine Sauerei: Scheiss Cola !! Ich frage die Dame an der Tankstelle, wieviel Leute hier in Mt. Surprise leben: 120 Einwohner hat dieses Nest. In meinem Hochhaus in Berlin leben die doppelte Anzahl von Menschen! Was macht man hier im heissen Outback? Die Tankwartin lacht: Leben und arbeiten, wenn man einen Job hat. So dürre Rinder wie hier, gibt es wohl sonst nur noch in Indien. Futter wächst nur in der Regenzeit. Die Landnahme und der Goldrausch sind vorbei. Jobs sind rar. Die Tankstelle mit dem Mini-Store und die Autowerkstatt nebenan, scheinen mir die sichersten Jobs in Mt. Surprise zu sein. ‚... und wo ist hier die Überraschung ?!‘ Die Dame lacht wieder: Die gab es früher bei der Entdeckung dieses Landes durch die Weissen mal, jetzt gibt es hier keine Überraschungen mehr.

In Georgtown das gleiche Bild: Eine Kreuzung und vielleicht 50 Holzhäuser, sehr verstreut in der Gegend: Das ist Georgtown. Aber hier gibt es sogar Postkarten: Darauf sind Seerosen, ein Seerosenteich und ein traumhafter Sonnenuntergang zu sehen. Was für eine attraktive Gegend für Touristen! Vom Auto aus habe ich den Schornstein hinter den angeblichen Seerosen gesehen: Eine aufgegebene Ziegelei. Jetzt starrt hier alles vor Hitze und Dürre. Fraglich, ob jetzt überhaupt Wasser in der Lehmkuhle ist, alle Bäche sind ausgetrocknet. Von Seerosen ganz zu schweigen. Aber natürlich kann man eine alte Ziegelei und eine abgesoffene Lehmgrube sehr romantisch fotografieren. Und zur Regenzeit wachsen dort auch bestimmt ein paar Seerosen ...

Ich mache in Croydon Station. Meine 300 Tageskilometer habe ich geschafft. Das war heute anstrengende Arbeit. Gestern war es nicht so heiss. Ich hatte aber gehofft, dass sich heute die Landschaft verändert, je näher ich dem Gulf von Carpentaria komme. Aber nichts hat sich geändert: 300 km immer die gleiche Strasse und immer das gleiche Bild, machen so eine Fahrt sehr eintönig und damit anstrengend. Aber das zu erkennen, darum ging und geht es ja bei dieser Tour: Der Weg ist das Ziel. Genau das war heute der Fall.

So, jetzt kümmere ich mich noch einmal um das Zelt. Vielleicht gibt es hier noch einen anderen Platz ohne Ameisen und ohne Betonrasen ... und dann gehe ich in das beste ‚Hotel‘ am Platz zum Dinner.

17:40 Uhr, CarPark Croydon

Einen besseren Zeltplatz habe ich auf dem CarPark gefunden, aber das Abendbrot im Palace Hotel habe ich mir verkniffen: Es war wie ich schon geahnt hatte, nur eine laute und verräucherte Cowboy-Bar.

 

 

 

 

 

KARUMBA ...
AM
ENDE DIESER WELT

14. September 1998, Montag

 

Ich wache auf, der halbe Mond guckt mir durch mein Zeltfenster ins Gesicht. 5:50 Uhr, noch ist es dunkel. Am Horizont ein erster heller Streifen, über mir ein verblassender Sternenhimmel. Die Nacht war schwül und heiss: Um 20 Uhr war es 30 Grad, 27° noch um Mitternacht, als der Jupiter das Zenit erreicht hatte und jetzt sind es 23° vor dem Sonnenaufgang. Kreischende Kakadus, alle grau mit rotem Kopf und roten Unterflügeln, überfliegen den CarPark und streiten sich in den umliegenden Bäumen. Ich stehe auf, gehe mich in dem Toilettenhäuschen rasieren und duschen. Hier hat ein Outback-Designer seinen Farbtraum realisiert: Alles ist rosa, abgesetzt mit einem satten Grün ...!

 

 

Wahrscheinlich wurde er von den grünen Fröschen inspiriert, die sicher hier auch schon vor 10 Jahren im Spülkasten des PP gewohnt haben. Sie gucken stumm und unbeweglich über den Rand ihrer Welt, den einen Arm lässig über den anderen geschlagen. Ein Aufkleber am Spülkasten wirbt für den Dienst in der australischen Navy – wie passend, vielleicht sucht man gerade Nachwuchs für die Froschmänner? Ein Frosch klebt regungslos in Gürtelhöhe an der rosa Wand. Er war auf einer nächtlichen Expedition und will jetzt zurück in den Spülkasten, aber der Weg ist so entsetzlich weit und anstrengend ... Wo sind die vielen Ameisen, die gestern hier hektisch und mit erstaunlicher Geschwindigkeit die Wände hoch gelaufen sind und präzise Strassen eingerichtet hatten? Haben die Frösche sie alle aufgefressen? Unwahrscheinlich. Machen sie Pause oder ist gerade Morgenappell?

Vorsicht bei der Dusche, die beiden Hähne sind altersschwach und in unregelmässigen Schüben wird das Wasser kochend heiss – dabei ist hier in erster Linie die kalte Dusche gefragt. Vor dem rosa Bau mit Fröschen, Dusche und WC ein Windrad. Es dreht sich lautlos im leichten Morgenwind. Ein Flügelblatt fehlt schon lange, eine Pumpe ist auch nicht mehr angeschlossen, aber die Lager funktionieren noch einwandfrei. Es wird nicht mehr gebraucht, trotzdem wird es sich noch viele Jahre umsonst drehen. Niemand achtet darauf, keiner sieht es mehr. Im Camp ist schon vor Sonnenaufgang viel Bewegung: Aufbruch, Werkzeug zusammen packen, Laster werden beladen und gestartet: Um 6 Uhr ist Arbeitsbeginn. Die Männer mit den verwegenen Hüten, bunten Hemden, kurzen Hosen und den schweren Stiefeln an den Füssen steigen aus ihren Containern, in denen sie die schwüle Nacht verbracht haben: Aufbruch zur Arbeit. Der Trucker kontrolliert vor dem Club Motel seinen Road Train mit den drei riesigen Anhängern. Dann startet er und fährt donnernd durch die breiten, menschenleeren Strassen, in denen nur die Kakadus davon Notiz nehmen, die aufgereiht auf den Freileitungen sitzen. Sie flattern aufgeregt und schreiend auf, landen aber nach kurzer Zeit wieder gemeinsam in einem Baum an der Strasse. Keine Bewegung im Palace Hotel. Die Bar ist dicht, der Dining Room und alle anderen Eingänge sind verrammelt und verschlossen. Hier ist nur am Abend was los und meistens wird es eine lange Nacht. Also kann man nicht schon um 6 Uhr aufstehen. Nachdem die Arbeiter das Camp verlassen haben und einige Trucks und Laster abgefahren sind, tritt wieder Ruhe ein. Ein Dauercamper geniesst mit seiner Frau die Frische des Morgens. Sie machen Frühstück vor ihrem Caravan. Die Strassen sind wieder ausgestorben, öde und verlassen, der Store und die Tankstelle machen vor 9 Uhr nicht auf. Nur die Kakadus schreien immer noch und fliegen geschäftig durch die Bäume. Um 6 Uhr war vom Sonnenaufgang fast noch nichts zu sehen, um 6:15 Uhr ist es hell und um 7 Uhr steht die Sonne schon hoch über dem Horizont. Gleissendes Licht über dem Bushcamp und dieser kleinen Stadt. Heute wird wieder ein heisser Tag. Ich habe gefrühstückt, baue mein Zelt ab, setze mich in mein klimatisiertes Auto und fahre ohne ein festes Ziel gen Westen.

Ist das ein Traum, ist das ein Film? Nein, das ist Croydon im australischen Outback, früh um 7 Uhr.

7:00 Uhr, CarPark Croydon

Es ist 12:10 Uhr und ich bin in Karumba. Ich sitze am Gulf of Carpentaria, die schönste Stelle, die ich nach einer Stunde Rundfahrt durch diese Gegend gefunden habe ist hier: ICE COLD BEER steht in riesigen Lettern auf dem Dach! Ein schönes, einstöckiges Holzhaus steht auf der Düne, grün angestrichen, nach zwei Seiten offen, Sicht auf den Golf. Ich sitze davor im Garten, grünes Gras, Palmen, breitblättrige, junge Bäume. Der heisse Wind ist ziemlich stark, ich muss mein Notizbuch festhalten. Vor mir der Golf. Es ist Ebbe. Die Sonne brennt unbarmherzig vom Himmel, 35° im Schatten. Mein Auto steht ungeschützt in der Sonne, da sind es innen schnell 50 bis 60° und vor dem Einsteigen muss man die Klimaanlage anwerfen. Gleissendes, extrem helles Licht über dem Golf, kein Wölkchen am Himmel. Mein Schatten ist nur 2 ½ Fuss lang. Störche, Pelikane und Reiher stochern im Schlick des Wattenmeeres und im flachen Wasser. Die hellgrüne See mit Sandbänken im Vordergrund geht am Horizont fließend in den blendend hellen Himmel über. Gegenüber am Ufer niedriger Wald. Das ist hier und jetzt zu sehen: Karumba in der Mittagshitze.

Ich habe Karumba gegen 10:30 Uhr erreicht. Die Fahrt von Normanton war völlig unspektakulär: Siebzig Kilometer glatte, zweispurige (!!) Strasse durch eine absolut flache, baumlose Gegend. Relativ viel Gegenverkehr: Ca. 12 Autos kamen mir entgegen, die meisten 4WD. Gestern waren es dagegen von Georgtown bis Croydon (die doppelte Distanz) nur 3 bis 4 Fahrzeuge, denen ich begegnet bin. Überholt hat mich bisher noch niemand. Keine Erhebung, kein Haus, kein Wäldchen in dieser Gegend. Nur endlose, völlig verdorrte Weideflächen ohne Büsche und ohne auch nur einen Baum. Wenige dürre und halb verhungerte Rinder sind zu sehen. Woher kommen die saftigen und dicken Steaks für 10 $, die man an jeder Imbissbude kaufen kann ?!

Was mache ich hier in diesem von Gott und allen landschaftlichen Reizen verlassenen Karumba ??! Dieser Name wird wie ‚Karamba‘ ausgesprochen. Karamba, ist das eine verlassene Gegend !! Wenn es ein Ende dieser Welt gibt, dann ist es hier! Eines von zwei Reisebüros bietet an: Heli-Rundflüge für 50 $, eine Fishing-Tour, eine Safari zu einem (ausgetrockneten ?) Creek. Das alles reizt mich in dieser trostlosen Landschaft überhaupt nicht. Ich habe drei Ansichtskarten mit der Warnung nach Deutschland geschickt: Vermeidet es, nach Karumba zu reisen! Dann habe ich im einzigen ‚Cafe‘ von Karumba eine Bratwurst mit Chips gegessen, den sehr gut sortierten Supermarkt besichtigt und das war alles, was hier in Augenschein zu nehmen war. Ich starte jetzt sofort wieder zurück nach Normanton. Dort werde ich übernachten und entscheiden, auf welcher Route ich zurück in den schönen Osten fahren werde. Das wird allein von der Qualität der Strasse abhängig sein: Safety first. Heute morgen bin ich zwischen Blackbull und Normanton auf der bisher schlimmsten Piste gefahren. Wenn es irgendwie geht, werde ich es vermeiden, auf dieser zerfahrenen Schotterpiste auch wieder zurück zu fahren. Das war auch keine Gravelroad mehr, das nennt man hier ‚Corrugations‘. Der Ausdruck kommt von ‚Furche‘ und die Strasse war buchstäblich ‚zerfurcht‘.

Das Tonicwater ist ausgetrunken. Hier könnte man gut und billig essen, aber gegessen habe ich schon. Noch einmal auf die Toilette und es geht wieder zurück. Einen Rundflug könnte ich mir leisten, aber nicht mal dazu habe ich Lust. Warum sollte ich mir diese trostlose Landschaft auch noch von oben ansehen ?! Kein Vergleich mit der schönen Gegend um das Cape Tribulation. So ähnlich hatte ich mir das auch hier vorgestellt: Grüne Mangrovenwälder, strotzende, pralle Natur. Das alles gab es hier einmal, bevor die Farmer mit ihren Rindviechern hier aufkreuzten.

12:27 Uhr, Sunset Tavern, Karumba

Wieder eine Premiere: Abendessen bei 30° im Auto und draussen ist Gewitter! Leider nicht direkt über uns, aber es regnet ganz schön und Blitze erhellen den dunklen CarPark von Cloncurry. Das Gewitter geht irgendwo im Westen nieder, wo ich herkomme. Jetzt ist es 19:25 Uhr und vor einer Stunde habe ich die imposante Gewitterfront vor Cloncurry gesehen und fotografiert. Vielleicht, hoffentlich, kommt das Gewitter heute nacht zurück. Ich liebe Gewitter und Regen, wenn ich im Zelt liege! Diesen CarPark erreichte ich vor einer guten Stunde. Eine Viertelstunde später war der Check-In erledigt und das Zelt aufgebaut und ausgestattet: Luftmatratze, Schlafsack, Sleepy, Kopfkissen. Das ist alles, was man unbedingt für die Nacht braucht. Als ich damit fertig bin, ist es schon fast dunkel, schwarze, dicke Wolken hängen am Himmel, heftiger Wind rüttelt am Zelt. Aber noch fällt kein Regen. Ich gehe mich noch schnell Duschen, die grösste Wonne am Tag bei dieser Hitze. Als ich wiederkomme, bereit zum Abendbrot, fängt es an zu regnen. Schnell räume ich noch die Sachen für das Abendbrot vom Kofferraum auf die Rückbank des Autos, da fängt es an zu giessen. Ich sitze im Trocknen und geniesse mein Abendbrot: Cruskies (ähnlich wie Knäckebrot, aber besser), Kiwis, Margarine, harte Wurst aus Australien nach Art der ungarischen Salami. Die schneide ich mit meinem Taschenmesser in handliche Stücke, es schmeckt gut, auch wenn die Wurst warm und zäh wie Gummi ist. Der Hunger macht den Appetit. Gestern war es schlimmer, da hatte ich noch keinen Kühlschrank und die Margarine war flüssig ... Heute hat sich der Herr Ingenieur was einfallen lassen: Ein nasses Hemd über Margarine und Wurst und das Ganze auf den Fussboden des Beifahrersitzes. Da wird es von der Klimaanlage gut belüftet: Fertig ist das Kühlsystem. Dass die Kühlbox nicht grösser als zwei Bierbüchsen ist, das ist der einzige Mangel, den ich bisher an diesem großartigen Auto entdeckt habe. Alles ist perfekt: Fahrwerk, Motor, Automatikgetriebe, Lenkung (hervorragend !!), die Sitze, Licht, die Einstellung von Kühlung/Lüftung, Scheibenwischer, Zentralverriegelung, Radio. Die Bereifung ist genau auf diese schlimmen Strassenverhältnisse hier ausgerichtet. Die Einstellung der Seitenspiegel: Phantastisch. Nie bin ich bisher mit so einem fabelhaften Auto gefahren: Es war eine meiner besten Entscheidungen vor dieser Tour, so ein grosses Auto zu ordern. Auf diesen Strassen ist man schon mit einem Auto verloren, das eine Nummer kleiner ist. Je grösser und schwerer das Auto, desto sicherer ist man unterwegs.

Heute hat mich das Fahren überhaupt nicht angestrengt, ganz im Gegensatz zu gestern. Aber offensichtlich gewöhnt sich der Mensch an alles, auch an eine Innentemperatur zwischen 28° und 30°, an die nur drei Meter breite, aber ansonsten hervorragende Strasse, auf der ich heute meistens 120 bis 130 km/h gefahren bin. Deshalb habe ich heute auch 700 Kilometer geschafft. Rekordverdächtig. Man muss wissen, wie gut die Bremsen funktionieren:

 

 

 

Sofort runter bremsen bis zum Stand und so weit wie möglich an den Rand, wenn ein Road Train in Sicht kommt !! Der Fahrer winkt dann lässig und nimmt huldvoll diese Ehrenbezeugung entgegen. Anders geht es aber wirklich nicht auf der drei Meter breiten Strasse: Diese Monster fahren mindestens 100 km/h, eine Zugmaschine und drei 12 bis 15 Meter lange Anhänger, die ganze Ladung wiegt ca. 60 oder 80 Tonnen – wie soll man mit so einem Gerät kurzfristig ausweichen oder gar anhalten ?! Deshalb wohl lagen heute von Normanton bis Cloncurry vielleicht 50 tote Känguruhs und fünf tote Kühe auf der Strecke. Mindestens. Und die Känguruhs sind manchmal gross wie Menschen ... Auch wenn die Strasse wirklich gut ist und zum schnellen fahren quasi einlädt (man wird mit der Zeit immer schneller): Das Fahren hier ist kreuzgefährlich !! Känguruhs hüpfen über die Strasse, natürlich will ich keines überfahren. Kühe und Pferde laufen über die Strasse, Bremsen und Hupen hilft fast nicht. Ein Bulle in grau und gelb (Helga hätte es sofort erkannt, er hatte auch Hörner ...) steht auf dem Randstreifen. Ich hupe: Er wendet sich um, macht einen Schritt auf mich zu, bereit, den Kampf mit dem Blechgegner aufzunehmen. Ich brause mit ca. 60 km/h an ihm vorbei. Ich war schneller als er und es war auch nicht knapp und gefährlich: Zwei Meter Abstand sind ein ausreichender Spielraum. Aber mit soviel Dummheit muss man rechnen, es kann auch mal enger werden.

Entscheidend wichtig ist, dass man den seltenen Gegenverkehr so früh wie möglich entdeckt. Das ist schwierig, weil die Luft über der Strasse flimmert und die Piste wabernd am Horizont verschwimmt: Kommt dort ein Road Train? Ist es nur ein Schild, ein Busch oder sogar eine Kuh? Aber auch hier lernt man mit der Zeit das richtige Sehen: Autos sind zuerst ganz schmal und hoch, optisch durch die Lichtbrechung verzerrt. Meistens spiegelt und blinkt die Windschutzscheibe. Das erste Mal dachte ich, ein Segelschiff taucht am Horizont auf: Fata Morgana. Die Begegnung mit anderen Autos, von denen 90 % 4WD sind, ist problemlos: Runter vom Gas und auf den Randstreifen. Meistens ist da kein grosser Absatz und der Streifen ist fest und ohne Schlaglöcher. Meistens. Und dann wieder rauf auf die Strasse und aufs Gas.

Die schlechteste Strasse gab es gleich am Morgen: Ich starte nach dem Frühstück und den ersten Notizen gegen 7:30 Uhr. Schon um 6 Uhr war ich aufgestanden. Kein Wunder, denn ich lag um 20 Uhr schon in der heissen Falle: 30°. In der Nacht wurde es nicht viel kühler und als ich am Morgen aufwachte, waren es immer noch 26°. Deshalb habe ich auch wildes Zeug von Polygraph Leipzig und einer Messe für Druckmaschinen geträumt. Aber trotzdem habe ich gut geschlafen.

 

 

Die Strasse nach Normanton fängt gut an. Aber von den 152 Kilometern sind mindestens 80 Kilometer schlechteste Schotterpiste. Maximal kann man da 80 km/h fahren, Waschbretter, holprige Reste der ehemaligen Strassendecke und etwas ganz Neues: Sandfurchen, die das Auto plötzlich und heftig einseitig bremsen: Gefährliche Corrugations !! Als ich das nach zwei Stunden überstanden und Normanton erreicht hatte, kam mir das erste Mal die Idee, die Fahrtroute zu ändern. Nicht noch einmal diese schreckliche Strecke zurückfahren! Es wäre sowieso endlos langweilig gewesen, denn ausser Bush war auf dieser Strecke nichts zu sehen. Warum also nicht über Cloncurry und Townsville und anschliessend über das schöne Tableland zurück nach Cairns? Aber erst musste ich ja mal nach Karumba, denn das war ja das eigentliche Ziel der Reise und ich war gespannt, was mich da für eine tolle Landschaft am Gulf of Carpentaria erwarten würde.

Ich hatte gehofft, spätestens ab Normanton würde sich endlich die Landschaft ändern. Seit Undara war immer nur der gleiche Bush zu sehen. Jetzt änderte sich die Landschaft tatsächlich, aber sie wurde noch langweiliger, noch eintöniger: Hier hat man mit aller Gründlichkeit den Bush gerodet und in Weideland umgewandelt. Nicht einen Baum blieb stehen. Warum nur ??!

 

 

Endlose, freie Flächen, gelblich weiss, flimmernd in der Hitze, verdorrt und staubtrocken. Nie habe ich Gras so unter den Schuhen knirschen und krachen gehört, wie hier, wenn man ein paar Schritte neben der Strasse läuft. Trotzdem springen dabei jede Menge Heuschrecken auf, Libellen schwirren umher und ein kleiner Frosch steigt langsam bei Temperaturen um die 50 Grad in der Sonne (im Schatten messe ich 36) in dieser dürren, ehemaligen Wiese herum !! Wie schafft er das, hier so lange zu überleben, bis es wieder regnet??!

Alle Weideflächen sind eingezäunt, wahrscheinlich sollen die Rinder vor den Road Trains geschützt werden ... Unabsehbar lange Drahtzäune rechts und links, Grids auf der Strasse und das 30, 50 Kilometer lang. Karumba und der Golf kündigen sich mit ein paar Graureihern an, die in diesem dürren, gelben Gras wahrscheinlich nach genau dem Frosch suchen, der dort auf den Regen und nicht auf die Reiher wartet.

 

 

Dann endlich ist Karumba erreicht, das Etappenziel. Ich weiss nicht so recht, warum ich von diesem Nest so enttäuscht bin. Es ist nicht schlimmer oder anders, als alle Orte, durch die ich bisher gefahren bin: Eine leere, 40 Meter breite Strasse, drei bis vier Kilometer lang, einige kurze Abzweigungen, wenige, flache Holzhäuser, zwei Hotels, ein Store, ein Café. Unbarmherzige Sonne, warmer, feuchter Wind. Das ist alles. Ich dagegen sah bei dem Namen Karumba vor meinem geistigen Auge: Tropische Mangrovensümpfe, Regenwald, schreiende Kakadus, üppiges Grün, eine Promenade an klarer, blauer See, Segelboote, Geschäfte, Kneipen, Traveller-Szene. So etwas wie die kleinere Schwester der schönen Stadt Cairns. Nichts von alle dem gibt es hier. Ich fahre bis ans Ende der Hauptstrasse. Ein Hafen für Öl und Massengüter, Baustellen, Staubfahnen. Die Strasse endet direkt am Ufer des Golfs. Ich steige aus und stehe mit meinen Sandalen im Schlamm. Rechts und links ein paar niedrige Büsche, eine heisse Steppenlandschaft, soweit das Auge reicht. Es ist Ebbe und statt eines Sandstrandes gibt es hier nur Schlick und Morast und die Aussicht auf eine undurchsichtige, hellbraune Brühe: Das ist der Gulf of Carpentaria !?! Enttäuscht fahre zurück bis zu dem Café. Kuchen gibt es hier nicht und den Kaffee sollte man schnell wieder vergessen ... ein grosser Fehler, wenn man bei ‚Café‘ immer nur an eine Konditorei denkt. Das hier ist ein Mini-Store mit Ausschank. Es ist entsetzlich kalt, wenn man aus der Hitze hier rein kommt. Ich kaufe ein paar Ansichtskarten, schreibe sie im Auto und bringe sie dann gleich zur Post.

 

 

Dann fahre ich zum Karumba-Point, angeblich das Touristenparadies in dieser Gegend. Es liegt 4 km vor Karumba. Als ich kam, wollte ich erst mal die Hauptstadt (!) sehen und nicht gleich auf den CarPark. Hier gibt es einen schönen Sandstrand mit Korallenfelsen, die jetzt bei der Ebbe trocken liegen. Aber der Strand ist völlig kahl, ohne Gras, Busch oder Baum, nirgends kann man hier vor der Sonne flüchten. Obwohl ich hier eindeutig in den Tropen bin, kommt kein Flair eines tropischen Strandes in südlichen (richtiger ist nördlichen ...) Gefilden auf. Der heisse, lebensfeindliche, steppenähnliche Outback endet abrupt an der Küste. Im CarPark haben ein paar Caravans Station gemacht. Ich kann mir nicht vorstellen, warum man hier auch nur eine Nacht verbringen sollte!. Auch hier kaum Büsche und Bäume, die Wagen stehen ungeschützt in der flirrenden Mittagshitze. Hier kann man nur sofort wieder umdrehen und das Weite suchen !! Vorher mache ich aber Rast in der Sunset Tavern. Das ist der einzige angenehme Ort von ganz Karumba, wo man im Schatten sitzen und etwas zu essen und zu trinken bekommen kann.

Nach dieser Pause, in der ich meine Eindrücke von Karumba noch einmal überdenke, steht meine Entscheidung fest: Erstens fahre ich hier gleich wieder ab und zweitens fahre ich nicht wieder die gleiche Strecke von heute morgen zurück. Ich werde erkunden, wie die Strasse und der Landstrich in Richtung Süden aussieht. Die Strasse kann nicht schlimmer sein, als die zurück nach Croydon und die Gegend kann auch nur besser werden. Um 12:30 Uhr fahre ich vom Karumba-Point mit der festen Überzeugung ab, nie wieder im Leben hier her zurück zu kommen.

Von Normanton aus führt die Strasse nach Süden in Richtung Cloncurry. Bis Burke & Wills Roadhouse ist 180 Kilometer rechts und links nur verdorrtes, flaches Weideland zu sehen. Kein Baum, kein Strauch, nur endlose Zäune und gelblich-weisses Gras. Ein Funke würde genügen und alles geht in Flammen auf. Allerdings gibt es riesige Flächen, die mit Termitenbauten übersät sind. So viele, wie man es sich nicht vorstellen kann. Mein erster Eindruck war: Wie kommt hier so ein riesiger Friedhof her?! Die Bauten sehen auf den ersten Blick wirklich wie Grabsteine aus, alle haben eine ähnliche Grösse und eine nach oben spitz zulaufende Form. Dann aber wird sofort klar, das sind Termitenhügel: Links und rechts der Strasse, soweit das Auge reicht. Es müssen hunderttausende solcher Bauten sein. In jedem Bau 10.000 Termiten oder mehr – und jede einzelne Termite ist davon überzeugt, dass sie von Jesus Termitus gerettet wird und durch ihn das nächste Mal als Ameisenbär auf diese Welt zurück kommt !! ... Das kann alles nicht wahr sein. Aber wahr ist, dass es in Australien Millionen von Termitenbauten geben muss!

Auf dieser Strasse gibt es keine Brücken, aber es gibt Bäche, die die Strasse kreuzen. Jetzt sind fast alle ausgetrocknet. Statt Brücken gibt es Floodways, das sind Betonstrassen mit Rohren, einen halben Meter im Durchmesser, durch die Niedrigwasser fliessen kann. Bei Hochwasser werden die Floodways überflutet. Hochwassermarken reichen von 0 bis 4 Meter. Es ist eine Frage des Autos und der Risikobereitschaft, bis wann man es sich traut, bei Hochwasser über die Floodways zu fahren. Es gibt auch einen Strassendienst, bei dem man sich vorher erkundigen kann, ob die Strecke frei ist. In Undara habe ich gefragt: ‚Bis Karumba? Kein Problem .... zur Zeit!‘

Das Radio meines Autos funktioniert hervorragend. Ich habe es meistens an und lerne auf diese Weise das australische English zu verstehen. Auch im Radio wird dieser seltsame Dialekt gesprochen. Ich verfolge den Wahlkampf. In ein paar Tagen wird hier ein genereller Regierungswechsel erwartet. Die Argumente im Wahlkampf sind die gleichen, wie in Deutschland: Staatsdefizit, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum. Die Probleme der Aborigines sind dabei kein Thema. Nur bei der Forderung der One Nation Party nach Bildung für alle, sind auch sie eingeschlossen.

Gleichzeitig mit dem Wahlkampf finden die Commonwealth Games in Kuala Lumpur statt. Es ist ungeheuer wichtig, wie viele Gold-, Silber- und Bronzemedaillen Australien erkämpft. Reportagen, Interviews, Updates und Hintergründe werden Tag und Nacht über alle Sender geliefert. Ich fühle mich lebhaft an die DDR und ihre Sporterfolge erinnert. Offensichtlich leben hier die gleichen Menschen, die so was interessiert.

 

 

Ein überfahrenes Rind löst sich am Strassenrand langsam wieder in seine Bestandteile auf. Nach einem Jahr sind nur noch die einzeln sauber abgenagten und von der Sonne gebleichten Knochen über eine Fläche von 10 x 10 Meter verteilt. Nur die Haut mit den Hörnern stinkt noch. Die Überreste scheinen auch für die eigenen Artgenossen höchst interessant zu sein, denn überall sind die Spuren der Hufe von Rindern und die grossen Haufen zu sehen, die sie aus unerfindlichen Gründen gerade hier zurück lassen.

Um 16 Uhr erreiche ich Burke & Wills Roadhouse. Hier kreuzen sich die zwei einzigen Strassen in dieser Gegend, aber mehr als eine Tankstelle mit Superstore und eine Kneipe, in der man auch übernachten kann, gibt es hier nicht. Burke und Wills sind bei einer Expedition in dieser Gegen vor hundert Jahren umgekommen. Sie wollten die Gegend erkunden, aber irgendwann war ihr Proviant alle. So eine unwirtliche Gegend ist das heute immer noch, allerdings gibt es heute hier bessere Strassen und man kann seinen Proviant einfacher wieder auffüllen. Ich brauche nichts und nach einer Ehrenrunde auf dem leeren Parkplatz, so gross wie drei Fussballfelder (wozu?), fahre ich weiter. Nach dieser Strassenkreuzung mit Tankstelle wird die Landschaft interessant. Hier stehen einige der Vulkane, die zu Zeiten von Undara ausgebrochen sind und Asche und Lava über diesen Landstrich verteilt haben. Hier ist das australische Rot besonders dunkel, verwitterte Lavakegel stehen in der Landschaft. Die Strasse windet sich durch diese Hügel: Riesige Lavablöcke liegen im mit Buschwerk und wenigen, niedrige Eukalyptusbäumen bewachsenen Gelände. Mit dem Wissen über Undara kann man diese interessanten geologischen Erscheinungen zuordnen. Undara muss unvorstellbare Wirkungen und Ausmasse gehabt haben! Noch jetzt ist das hier eine lebensfeindliche Gegend, wo nicht viel wächst. Vielleicht kommt das ganze australische Rot aus dem feurigen Untergrund dieses Kontinents ?! Vom Randstreifen nehme ich hier für Conny zwei Hände voll roten Strassenstaub mit. Das hier ist Australien, australischer geht es nicht mehr. Dazu kommen noch ein paar kristalline Steine, mit denen die ganze Ebene um einen solchen alten Vulkankegel herum übersät ist. Tausende solcher schönen Steine liegen hier im spärlichen Gras, seit sie der Vulkan ausgespuckt hat. Noch nie hat sich ein Mensch darum gekümmert, noch nie hat ein Mensch diese Steine angefasst.

Es regnet immer noch, aber das Gewitter ist leider weit weg. Es wird keine Nacht in Sturm und Regen werden. Heute habe ich alles, was nicht ‚bewusstseinspflichtig‘ ist, verloren: Die zweite Brille, den zweiten Stift für die aktuellen Notizen, Kleingeld fällt aus den Brusttaschen meines an sich so praktischen Hemdes, das Anhängersystem für den Autoschlüssel war kurzzeitig mal weg, das Taschenmesser war im Kofferraum nicht mehr aufzufinden ... Alles kein grosser Crash, das sind nur die Nääähhrrvväännnn!

Trotzdem und trotz Karumba: Heute war ein sehr interessanter Tag !!

20:30 Uhr, CarPark Cloncurry

 

 

 

 

 

DIE POLIZEI STOPPT
EINEN RASER

15. September 1998, Dienstag

 

So ein schöner Tag: Lockere Wolken, nur 19 Grad. Temperatursturz nach dem Gewitter von 36° auf 18° heute morgen. In der Nacht war es stürmisch und kalt. Zum ersten Mal habe ich im Schlafsack gelegen und mir sogar noch ein T-Shirt angezogen. Am Morgen wache ich zwar um 6 Uhr auf, aber nachdem ich festgestellt habe, dass es kalt und bewölkt ist, schlafe ich noch eine Stunde. Dann Rasieren, Duschen, das Zelt wird abgebaut und ich mache nur ein Schnellfrühstück (ein Glas Saft). Gefrühstückt habe ich erst jetzt hier nach zwei Stunden Fahrt.

Wohin soll es heute gehen? Was ist hier in der Gegend zu sehen? Ich lese in meinen Reisebüchern: Mt. Isa ist die Hauptstadt dieser Gegend und dort gibt es ein Museum mit einer grossen Fossiliensammlung. In Mt. Isa wird heute noch eine grosse Erzmine betrieben. Also fahre ich nicht nach links, in Richtung Coral Sea, sondern ich biege nach rechts ab, als ich den CarPark am Morgen verlasse. Es geht in Richtung Westen, noch tiefer hinein ins Outback.

 

 

Eine sehr schöne Fahrt, faszinierende Wolken mit bilderbuchmässigen ‚Zahnstreifen‘ am Himmel. Ich mache Fotos, wechsele den Film. Auch heute eine ganz interessante Landschaft: Wieder ein anderes Outback: Viele Hügel, aber hier sind sie höher und größer. Aber auch das sind verwitterte Vulkankegel. Alles noch Undara. Aber das macht die Landschaft und die zweispurige Strasse so interessant.

Ein Auto kommt mir mit Blaulicht entgegen. Es blinkt mich an. Das habe ich schon zweimal erlebt, dahinter kommt ein Schwerlasttransport oder eine riesenhafte Erntemaschine. Ich blinke zurück: Ja, alles klar, ich passe auf. Aber das hier ist ein anderer Fall! Das ist die Polizei und sie meint mich, ich soll anhalten !! Die Polizei wendet, ich fahre links ran und halte: Ein freundlicher Polizist redet auf mich ein. Ich bitte darum, nicht so schnell zu reden, oute mich als Ausländer: ‚Sie haben das Speedlimit überschritten: Sie sind 117 km/h gefahren !! 100 km/h sind nur erlaubt.‘ Führerschein, Pass, woher, wohin, warum so schnell ?! ‚Ich war so von den Wolken und der Landschaft fasziniert. Wahrscheinlich deshalb habe ich nicht auf die Geschwindigkeit geachtet. Anders kann ich es mir nicht erklären ...!‘ Der Polizist guckt ungläubig, geht das seinem Chef im Auto erzählen. Jetzt will der mich und meinen Pass sehen. Vor ihm ist das Gerät montiert, das die 117 km/h anzeigt. ‚Sie sind Doktor? Was für einer? Wie lange sind sie schon in Australien? Wem gehört das Auto, wo wohnen Sie hier in Australien? ‚Ja, ja, die Deutschen haben oft Schwierigkeiten mit der Geschwindigkeit. 117 ist viel. Viel zu viel !!‘ Das sehe ich ein, ich entschuldige mich, ein schusseliger, alter Professor auf Reisen, der sich die Wolken anguckt und nicht auf die Strasse achtet. Ich werde gewarnt: ‚Wenn wir Sie noch einmal über dem Speedlimit erwischen, sind Sie in grossen Schwierigkeiten !!‘ Eine freundliche, augenzwinkernde, martialisch vorgetragene Verwarnung! Aber ich bekomme meine Papiere wieder und kann weiter fahren.

Gott sei Dank haben mich die Kameraden nicht gestern gestoppt. Da bin ich auf der einspurigen, sehr guten Strasse streckenweise 130 und 140 km/h gefahren. Heute ist die Strasse zwar zweispurig, aber sie ist uneben, fährt sich schlechter als gestern. Natürlich wollte ich überhaupt nicht so schnell wie möglich nach Mt. Isa. Ich habe Zeit und war wirklich von diesen irren, breiten und gestreiften Wolkenbänken fasziniert. Die Schnüre der Polizei habe ich zwar schon mehrfach auf der Strasse gesehen. Aber dass sie tatsächlich überwacht werden und dass 20 Kilometer danach die Polizei auf der Gegenfahrbahn auftaucht, das ist schon wirklich beeindruckend. Nun, jetzt weiss ich, dass die 100 km/h in Australien nicht nur als Richtgrösse anzusehen sind. Das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, jetzt werde ich mich daran halten. Damit habe ich kein Problem, im Gegenteil. Der Kopf will schon von Anfang an nicht mehr als 100 km/h fahren, aber die Reflexe und die kopflosen Routinen ...! Ab jetzt wird es besser, denn jetzt hat der Kopf Unterstützung durch die australische Verkehrspolizei !!

10:26 Uhr auf dem Weg nach Mt. Isa

Wieder habe ich mein Büro in meinem Superauto eröffnet. Draussen ist es kühl, die Sonne scheint, aber es sind nur 23 oder 24 Grad und es weht ein ziemlich heftiger Wind. Da kann man hier im Auto bequemer schreiben. Es ist jetzt 17:45 Uhr . Vor einer Stunde habe ich Julia Creek erreicht. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, erst einmal durch die Stadt zu fahren, in der ich die Nacht verbringen will. Da weiss man, wo man ist und was wo ist. Zwei Tankstellen, zwei lange, parallele Strassen, eine noch funktionierende Eisenbahnstation und viel, viel Platz. Holzhäuser im amerikanischen Baustil, das übliche Café, das keines ist, ein Superstore, der Butcher und eine Pharmacy. Halt, da war doch was! Vielleicht kann mir Mrs. Rack‘s Pharmacy helfen: Ich weiss nicht, was Ameisen, Stiche und Jucken auf English heissen, aber wir werden uns mit Umschreibungen und Körpersprache schnell einig: Es ist klar, was ich brauche: Stingose ist das Mittel, dass das Jucken der vielen Ameisenstiche lindert. Hier bekomme ich auch eine Ersatzbrille für meine verlorene zweite Brille. Alles zusammen kostet 35 $. Das sind ähnliche Preise, wie in Deutschland: Teuer. Genau vor dieser Drogerie habe ich mein Fehlverhalten im australischen Strassenverkehr von heute morgen wieder gut gemacht: Fast hätte es den klassischen Verkehrsunfall gegeben: Ein Kind springt zwischen parkenden Autos auf die Strasse, auf der ich angefahren kommen. Aber ich fahre nur ca. 20 km/h, kein Problem, das Auto vor dem Kind zum Stehen zu bringen. Na, bin ich nicht ein ordentlicher Autofahrer !? Die Mutter winkt mir zu und redet heftig auf das Kind ein.

Nach diesem Geschäft und nachdem ich getankt habe, fahre ich auf den Caravan Park. Jede Stadt hat mindestens einen solchen CarPark. Mit nur 4 $ pro Mann, Zelt und Nacht ist man hier gern gesehen. Mein Zelt steht nach einer Viertelstunde. Weideland rund herum, Büsche, Bäume, ein Pferd am Weidezaun, Sonnenuntergang. Ein Aboriginal sitzt an seinem Auto und spielt Didgeridoo. Das ist das ganz normale Australien im Outback.

 

 

Die Strasse nach Mount Isa führt durch eine sehr schöne, eigenartige Landschaft. Lavaberge, 100 Meter, höchstens 150 Meter hoch, verwittert, manche spärlich bewachsen. Einige der Bergkuppen bestehen aus riesigen Lavablöcken, die schroff, kahl und abweisend seit dem letzten Ausbruch in der Landschaft stehen. Das ist sehr beeindruckend. Ich kann diese Bilder ruhig und intensiv aufnehmen, weil ich nur 100 km/h fahre. Manchmal habe ich dabei den Eindruck, in einem Fernsehsessel zu sitzen und einen Film über Australien zu sehen. Der Kommentar kommt in English aus dem Radio ... Das Auto fährt so ruhig und ist so mühelos zu steuern, dass man leicht auf solche Gedanken kommt. Mit zwei Fingern kann man diesen Wagen dirigieren. Und genau das mache ich, der ich bisher bei jeder Gelegenheit gepredigt habe: ‚Beide Hände an das Lenkrad !!‘ Aber hier ist ja fast kein Verkehr und die Strasse ist in Ordnung und schnurgerade. Was soll da passieren?

In Mount Isa die übliche Enttäuschung: Hier ist nichts, was eine Übernachtung lohnt. Wegen seiner riesenhaften Ausdehnung steht Mr. Isa im Guinness Buch der Rekorde: 24.000 Einwohner (Salzwedel im Jahre 1955) wohnen hier verteilt auf einer Fläche, die grösser als die Schweiz ist !! Wenn das kein Rekord ist! Und das merkt man auch sofort: Wenige Häuser und eine Strassenkreuzung im Zentrum von Mt. Isa, beherrscht von einer grossen Industrieanlage, die zur Mine gehört. Ein Strassenschild informiert: Info-Point in 14 Kilometern. Aber schon nach einem Kilometer führt die Strasse nur durch Busch und Steppe. Wahrscheinlich steht nach 13 Kilometern ein Holzhaus im Bush. Da kann man ein paar Prospekten über diese von Gott und den Menschen verlassene Gegend abfassen. Ich drehe frustriert wieder um. Die Kupfermine ist nicht zu übersehen, ein paar Geschäfte in der Zufahrtsstrasse. Da werden auch Apple Computer angeboten. Ich gehe in dieses Geschäft und frage, ob man hier eine E-Mail abschicken kann. Nein, das hier ist nur ein Händler, aber es gibt einen Internet-Service in Mt. Isa. Der freundliche Mann erklärt mir, dass dieser Service in Richtung Cloncurry liegt, wo ich herkomme. Ich will sowieso hier wieder weg, also fahre ich die Strasse zurück. An einer Ampelkreuzung muss man rechts abbiegen. Als es grün wird, biege ich nach rechts ab: Routine in Deutschland. Hier aber ist Linksverkehr und ich hätte erst den Geradeausverkehr vorbei lassen müssen! Unerhört !! Ein Jüngelchen in einem grossen 4WD macht mir den (internationalen) Stinkefinger. Passieren konnte nichts, es ist viel Platz und die Geschwindigkeit war gering. Aber ich habe schon wieder nicht den Verkehr, sondern die Reklameschilder auf der Suche nach dem Internet-Service im Auge gehabt. Scheisse! Die Australier fahren Auto wie die Norweger: Sie halten sich an die Regeln, fahren defensiv, sind eher zu langsam als zu schnell. Betont ruhig geht alles auf der Strasse zu. Alle haben dicke Motoren unter dem Blech, keiner muss hier jemandem mit dem Auto etwas beweisen. Hier ist nicht Brandenburg! Das ist sehr angenehm. Ich aber werde leichtsinnig, weil ich jetzt glaube, das Auto gut im Griff zu haben. Es sind die Reflexe, die falsche Reaktionen auslösen. Man kann es sich hier nicht wie in Deutschland leisten, den Verstand beim Autofahren abzuschalten. Man hat nur Routinen für den Rechtsverkehr, die für den Linksverkehr sind noch nicht stabil genug !!

Eine richtige Geschäftsstrasse mit vielen Reklameschildern, Schaufenstern und Parkuhren gibt es hier sogar. Ich finde einen Parkplatz in der prallen Sonne, stecke 20 Cent in die Parkuhr und gehe in den Internet-Laden. Ein Buch- und Papiergeschäft mit 5 bis 6 Computern im Hintergrund. Dort schreibe ich Conny eine Mail und schicke die Kopie an Onkel Dieter. Das ist in 20 Minuten erledigt. 40 Minuten aber werden gebraucht um die Out-Box beim Internet Explorer zu finden. Ich frage die Damen, wie ich kontrollieren kann, ob die beiden Mails auch wirklich versandt worden sind. Zwei Frauen bemühen sich, mir das zu zeigen. Aber sie suchen nur planlos, sie wissen es nicht. Ich sage mehrfach, dass ich bezahlen will, weil ich sehe, dass sie nur durch Zufall etwas finden werden und draussen vor der Tür läuft die Parkuhr. Aber eine der Damen hat dann Glück und kann mir zeigen: Dreimal ist die gleiche Mail an Onkel Dieter raus und einmal an Conny. Na, besser dreimal, als gar nicht. Das macht eine Stunde gleich 8 Dollar !! Der Internet-Service steckt wahrlich erst in den Kinderschuhen. Noch ist es nicht mehr, als eine teuere Spielerei.

Als ich wieder ins Auto steige, ist es 13:30 Uhr und ich fahre zurück nach Cloncurry. Unterwegs mache ich im Auto ¼ Stunde Mittagsschlaf – man gönnt sich ja sonst nichts. Gegen 15 Uhr bin ich wieder in Cloncurry und fahre gleich weiter in Richtung Osten. Hellgelbe, flimmernde Weideflächen bis zum Horizont. Dazu gehören die endlosen Drahtzäune. Nicht ein Farmhaus ist zwischen Cloncurry und Julia Creek auf einer Strecke von knapp 140 Kilometern in der Nähe der Strasse zu sehen. Wie werden diese riesenhaften Flächen bewirtschaftet? Mit dem Hubschrauber von Cloncurry oder Julia Creek aus? Sehr wahrscheinlich. Oder die Viehherden werden überhaupt sich selbst überlassen. Die Rinder leben in relativer Freiheit, die Kühe werden nicht gemolken. Einmal im Jahr wird das Vieh zusammengetrieben und es wird besichtigt, was sich da in der freien Wildbahn entwickelt hat. Was schlachtreif ist, wird aussortiert, wird ‚geerntet‘. Dann wird alles wieder ein Jahr in Ruhe gelassen. Kann so ein System funktionieren? Ich weiss es nicht, habe zu wenig Ahnung von dieser Landwirtschaft hier und muss mich mal danach erkundigen. (Ja, so wird in Australien die Viehwirtschaft betrieben. Die Herden werden das ganze Jahr sich selbst überlassen. Herbert erklärt mir das ein paar Tage später.)

Ein paar Reiher und – oh Wunder – drei Strausse (oder sind das Emus?) entdecke ich bei der Fahrt neben der Strasse. Ich steige aus, die Strausse flüchten, aber ich mache ein paar Fotos. Sonst sind nichts als gelbes Gras und einige ausgetrocknete Flussläufe zu sehen. In diesen Flussbetten hat eine australische Telefongesellschaft Kabel verlegt. Warnschilder weisen darauf hin. Keine schlechte Idee. Heute waren deutlich weniger tote Känguruhs und Kühe als gestern auf der Strasse zu sehen. Das muss an der Monokultur hier liegen. Wahrscheinlich ist das kein Lebensraum für Känguruhs. Warum hat man nur sämtliche Bäume auf den Weideflächen gerodet? Das ist so auffällig, das muss System haben und einen Sinn. Aber welchen Sinn hat es, wenn die Rinder nicht den geringsten Schatten auf der Weide finden? (Einen Grund hat es, wie sich später herausstellt, es hat System aber keinen Sinn. Es ist die Folge einer speziellen Subventionspolitik: Unsinn ...!)

 

 

Gerade habe ich den Sonnenuntergang mit den interessanten Wolken fotografiert. Den ganzen Tag über waren heute wunderbare Wolkenformationen mit Zahnstreifen zu bewundern! Der entscheidende Grund, weshalb ich im Zelt schlafe ist, dass man dabei etwas von der Landschaft sieht und vom Wetter merkt. Natürlich könnte ich auch in ein Hotel oder Motel gehen. Es gibt welche, die sind hervorragend ausgestattet und kosten nur zwischen 20 und 40 $/night. Direkt gegenüber vom CarPark Cloncurry steht so ein grosses Motel. Aber ich finde es gerade so schön, dass man mit dem Zelt so nahe an der Natur ist. Der Tagesablauf richtet sich nach dem Licht. Lange hält man es am Abend im Dunkeln nicht aus, man geht früh ins Bett. Dadurch ist man aber auch früh wach und erlebt oft, wie es Tag wird. Man sieht die Sonne auf- und untergehen, den Sternenhimmel. Man merkt, ob es nass oder trocken ob es kalt oder warm ist: Das Digitalthermometer ist immer dabei. Die Freiheit ist auch größer. Nachdem man im CarPark bezahlt hat, kann man machen, was man will. Man kann kommen und gehen, wann es einem passt, muss sich nicht an Frühstücks- und andere Zeiten halten. Wenn einem danach ist, kann man vor Sonnenaufgang losfahren, man kann aber auch bis Mittag im Zelt liegen bleiben, weil es in Strömen regnet. Am schönsten aber ist es im Zelt bei Sturm und Regen. Da kommen richtige archaische Gefühle zum Vorschein: Mit Sicherheit haben sich schon die Steinzeitmenschen in der beheizten Höhle wohl gefühlt, wenn sie gesehen und gespürt haben, was vor dem Bau für ein Sauwetter herrscht. Von mir aus hätte es gestern ruhig noch mehr regnen und stürmen können, in Zelt und Schlafsack ist das gut auszuhalten. Für diese Nähe zur Natur nehme ich gerne etwas weniger Komfort in Kauf: Den habe ich ja dann wieder in der Leipziger Strasse.

In einer Viertelstunde ist es dunkel: Abendbrot ist angesagt.

18:40 Uhr, CarPark Julia Creek

 

Jürgen Albrecht
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