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5000 Kilometer durchs Outback

 

 

 

 

 

 

ZURÜCK AN DIE
SCHÖNE OSTKÜSTE

19. September 1998, Sonnabend

 

Hier im Blackwater Nationalpark habe ich Picknick gemacht, habe herrlich gefrühstückt. Es weht ein leichter Wind, 23 Grad, Sonne und viele Wolken. Ich bin heute schon wieder mehr als 150 Kilometer gefahren. Wie es fast zur Norm geworden ist, stehe ich kurz vor 6 Uhr auf. Zähneputzen, ein Schluck aus der Cola-Flasche ersetzt durchaus den Morgenkaffee. Dann baue ich das Zelt ab, von Mücken umschwärmt. Um 6:45 Uhr gebe ich den Schlüssel im Office ab und erst im Auto merke ich, dass mich die Mücken am Kopf und am linken Knöchel gestochen haben: Riesige Quaddeln bilden sich. Aber ich habe ja in Julia Creek vorgesorgt: Stingose ist ein wirklich gutes Anti-Stich-Mittel. Ein paar Spritzer auf die Stiche und schon merkt man nicht mehr viel. Ich brauche die Sprayflasche täglich. Auch am Rücken habe ich noch ein paar Beulen von Mücken oder Ameisen. Für sie bin ich in dieser menschenleeren Gegend eine willkommene Beute.

Am Morgen entdecke ich heute auch eine Beule an der Kofferklappe meines Autos. Keine Ahnung, wo die herkommt. Sie ist kaum zu sehen, so gross wie ein Markstück, aber es ist eindeutig eine Beule. Gestern hatte sich ein grosser Caravan vor mein Zelt gestellt. Ich konnte mit dem Auto nicht mehr an meine Wohnung heran fahren. Ein sehr unhöflicher Mensch aus Canberra, der sich den ganzen Abend in seinem Wagen eingeschlossen hat, mich aber aus den Fenstern beobachtete, wie ich zwischen den Bäumen herumgeirrt bin. Beim Rückwärtsfahren bin ich möglicherweise einem Baum zu nahe gekommen. Ganz leicht, nicht so schlimm, aber unangenehm.

Herbert geht mir nicht aus dem Kopf. Wie hat er den Nachmittag, wie die Nacht unter seinem Moskitonetz verbracht? ‚Da ist der Mann schon 63 Jahre alt geworden, aber jetzt hat er keine Stunde mehr Zeit !!‘ Das ungefähr waren die letzten Worte von Herbert, als wir uns am Auto verabschieden. Recht hat er. Ich hätte die Stunde und ich hätte auch einen ganzen Tag Zeit gehabt. Aber für mich wäre es verlorene Zeit gewesen. Es ist verrückt, aber Herbert kann keiner helfen. Das sind die Fälle, wo man glasklar das Problem erkennt, aber keine Chance hat, einzugreifen. Wie hilflos man in solchen Situationen ist! Ohnmächtig und wie gelähmt muss man zusehen, wie die Mühlen der Zeit ungerührt weiter mahlen ... Deswegen habe ich mich losgerissen und bin gegangen. Aber ich werde ihm schreiben. Auch das aber kann ihm nicht helfen. Wenn überhaupt, dann kann nur Herbert sein Problem lösen. Am besten wäre es für ihn, er könnte die Zeit zurück drehen. Aber wer bekommt schon diese Gelegenheit ...??!

Heute morgen, das war eine Fahrt wie durch die deutschen Mittelgebirge. Dichter Wald, aber statt Fichten und Tannen, Eukalyptus in unterschiedlichsten Varianten. Dann tauchten auf der rechten Seite Berge auf. Eine dicke Wolkenbank liegt auf dem Bergrücken: Die von der See her kommenden Wolken werden durch die Berge aufgehalten und regnen sich ab: Die Grundlage für die Entstehung des Regenwaldes. In Deutschlands Wetterbericht heisst das ‚Stau an den Mittelgebirgen ...‘ Ich denke an Scharno, der mir das jetzt fachmännisch und detailliert erklären würde. Ausserdem suche ich seit mindestens 30 Kilometern nach einem geeigneten Standort, von dem aus ich ein schönes Photo von diesem exemplarischen Wetterphänomen machen kann. Aber immer ist die Eisenbahn dazwischen, die hier auf der rechten Seite parallel zur Strasse verläuft. Und ich will nicht irgendein, sondern ein ästhetisch ansprechendes Foto. Schliesslich komme ich doch noch zum Schuss.

 

 

Aber zufrieden bin ich mit dem Bild nicht. Vor 20 Kilometern war die Sicht auf die Berge besser, aber sie war nur mit den Fahrdrähten der Eisenbahn zu haben. Die Ästhetik bringt mich wieder in die Bredouille: Wenn ich ständig nach einem Aussichtspunkt Ausschau halte, kann ich nicht gleichzeitig mit voller Aufmerksamkeit dieses Auto fahren.

Auch über die Schnüre der Polizei bin ich heute wieder gestolpert. Man hat keine Chance, sie vorher zu sehen und zu bremsen. Aber ich bin ja ein ordentlicher Autofahrer, der das nicht nötig hat. Ich fuhr 100 km/h. Offensichtlich muss man hier vor und hinter jeder grösseren Ortschaft mit solchen Polizeikontrollen rechnen. Gut, wenn man das weiss.

Jetzt fahre ich über Duaringa nach Rockhampton. Ab heute kann ich mich in Cairns erkundigen, ob das mit dem Schnorcheltrip klappt. Ich muss also telefonieren und ausserdem will ich bei www.hotmail.com mal nachgucken, ob mir jemand aus Europa geschrieben hat. Ansonsten werde ich heute so weit wie möglich nach Norden fahren: Ich will versuchen, die Whitsunday Islands zu sehen und Hinchinbrook Island. Die Zeit wird jetzt knapp. Den 22. September brauche ich in Cairns, um den Trip ins Great Barrier Reff zu organisieren und am 23. muss ich das Auto abgeben. Da ist nicht mehr viel Zeit. Also: Lets go on the road !!

9:40 Uhr, Blackwater National Park

Es ist kaum zu glauben, was ich wieder für ein Schwein gehabt habe ... Erst aber ist alles schief gegangen. Ich habe zweimal mit Cairns wegen meinem Schnorcheltrip telefoniert. Von einer Telefonzelle in Rockhampton aus stellte ich fest, dass Bianca nicht erreichbar ist. Bianca ist krank. Die Dame, die im Reisebüro die Stellung hält, hat keine Ahnung, weiss von nichts. Ich soll mich am Nachmittag noch einmal melden. Beim zweiten Versuch von Mackay aus wunderte ich mich: Warum sind hier alle Geschäfte geschlossen? Ich sehe auf meine Uhr: Danach ist heute Sonnabend !! Ich war bisher fest davon überzeugt, dass heute Freitag ist. Das übliche Zeitproblem der Aussteiger: Welches Datum, welcher Wochentag ist heute? Ich frage noch einmal in einem noch offenen Geschäft: Ja, heute ist Sonnabend. Deshalb erreiche ich auch jetzt nach 16 Uhr keinen mehr im Reisebüro in Cairns. Da hat man mir doch wirklich einen ganzen Tag geklaut !!

In Mackay wollte ich noch mit der weiten Welt Kontakt aufnehmen und einige Mails abschicken. Allerdings in der Hoffnung, dass sie noch am Freitag in Europa ankommen. Das war also eine Fehlkalkulation. Ein Pub in Mackay betreibt einen Internet-Service, erfahre ich von einem netten, älteren Herrn. Wo ist das Ladgrove Pub & Hotel ? Ich lasse mir beschreiben, wo die Computer in der Bar stehen sollen und finde diese Kneipe auch wirklich: Mit grossem Bedauern erklärt mir die füllige Bardame im schummrigen Licht dieser Cowboy-Destille, dass ich hier im Prinzip genau richtig bin, aber das Modem streikt. Von dem grossen Wortschwall verstehe ich nur das wesentlichste: Zur Zeit kein Anschluss unter dieser Nummer.

Inzwischen ist es 16:30 Uhr in Mackay geworden. Was nun? Plötzlich habe ich einen Tag verloren und ich wollte doch noch auf die Whitsunday Islands und auf Hinchinbrook Island! Das war wahrscheinlich sowieso Illusion und ist in wenigen Tagen einfach nicht zu schaffen. Als Ausgleich dafür möchte ich aber jetzt einen Zeltplatz mit Sonnenuntergang über der Coral Sea und Sternenhimmel über mir haben. Ich will nicht irgendwo im Busch oder in der relativ grossen Stadt Mackay übernachten. Also fülle ich am Stadtrand von Mackay noch einmal meinen grossen Tank und dann fahre ich weiter nach Norden. Irgendwo muss man doch an die See herankommen, an der ich eigentlich schon den ganzen Tag lang fahre, die aber kaum zu sehen ist. Um 14:30 Uhr habe ich die Coral Sea das erste Mal seit 14 Tagen wieder gesehen! Das ist kurz nach Clairview gewesen. Ich steige aus, laufe ein Stück an dem interessanten Strand entlang. Die Sonne steht hoch, es ist wahnsinnig hell. Hier mündet ein kleiner Fluss ins Meer, es ist Ebbe, viele Mangroven stehen weit draussen im Wattenmeer. Ich mache Fotos und gleich ist der Film alle. Als ich den nächsten einlegen will merke ich, dass auch mein Filmvorrat aufgebraucht ist. Einen letzten Film finde ich aber noch.

 

 

Jetzt also fahre ich von Mackay aus nach Norden, immer auf dem Highway Number One. Gegen 18 Uhr müsste ich den Zeltplatz erreicht haben, sonst muss ich das Zelt im Dunklen aufbauen. Auch kein Problem. Soll ich mir etwa zur Feier des Tages mal ein Motel nehmen? Ich war nicht in bester Stimmung, aber dieses herrliche Auto und die schöne Landschaft liessen mich vergessen, was alles schief gegangen war. Das Auto fährt wie ein Uhrwerk. Heute habe ich den Fahrrekord aufgestellt: 750 Kilometer bin ich heute gefahren. Aber mit diesem Auto ist das wirklich kein Kunststück!

 

 

Am Himmel zeigen sich schon die ersten Anzeichen des Sonnenunterganges (sieht man das auf dem Foto?). Es ist kaum noch Verkehr auf der Strasse. Vor, in und nach Rockhampton war tatsächlich auch in Australien mal Strassenverkehr zu erleben, wie man ihn aus Deutschland kennt: Viele Autos, Ampelkreuzungen, zweispurige Strassen. Jetzt aber ist hier nicht mehr viel los, auf der Strasse. Also was mache ich? Ich muss sehen, dass ich von der Hauptstrasse nach rechts abbiege und dass ich an die See komme, bevor es dunkel wird. Die nächste Abfahrt nach rechts kommt, sie erscheint mir zu klein, ich fahre vorbei.

 

 

Moment mal, da standen doch grosse Schilder: ‘Travellers Rest ...‘ oder so etwas habe ich im Vorbeifahren gelesen. Ich halte an und stelle auf der Karte fest: Ich bin hier in der Nähe von Midge Point. Ich drehe um, fahre zurück, sehe mir die vielen Schilder an und lese: ‚Whitsunday Waters CarPark – totally in front of the Sea ...‘ oder so ähnlich (auch davon gibt es ein Foto). Bis Midge Point sind es noch 20 Kilometer. In Deutschland ist das viel, hier ist es ein Katzensprung. Eine schmale Teerstrasse, sehr gut zu fahren, übersichtlich, ruhig, kein Mensch und auch kein Auto ist zu sehen. In 20 Minuten habe ich Midge Point erreicht.

Ein grosses Schild und da sehe ich schon, ja, da ist tatsächlich der weite Blick auf die Coral Sea und davor eine riesige, leere Wiese mit hohen, dicken Eukalyptusbäumen !! Das sieht so friedlich aus, wie ein Golfplatz und hier ist es auch so ruhig, leer und friedlich, wie es aussieht. ‚One man, one car, one tent, one night !!‘ Das ist immer mein Spruch, wenn ich mich im Office melde. Damit ist klar, was ich will und es gibt keine Rückfragen mehr. Der freundliche, ältere Herr, der auch den kleinen Shop betreibt, den es hier gibt, sagt nur: ‚Aaaaooohh kkaaaaaaiii. Six daoallaaa.‘ Und dann macht er eine weit ausladende Bewegung mit seinem Arm über das ganze, grosse Gelände: ‚Such‘ Dir was aus! Hier ist jede Menge Platz und alles ist erlaubt!‘

Ach ist das herrlich !! Vom Office mit Shop bis zum Strand sind es vielleicht 400 Meter. Dazwischen Wiese mit hohen Bäumen. Dann kommt der breite Strand, jetzt ist Ebbe, ein ausgedehntes Wattenmeer breitet sich zwischen Strand und der leichten Brandung aus. Die ca. 20 Caravans stehen dicht gedrängt in der unmittelbaren Nähe des Shops. Dort gibt es auch einen Raum mit Billard und Fernseher. Vielleicht ist das für die Camper so attraktiv? Ich jedenfalls fahre mit dem Auto ca. 250 Meter auf den Strand zu. Hier gibt es einen kleinen Hügel, herrliche Sicht und das Wasser wird mich hier mit Sicherheit nicht erreichen. Aber hier sehe und höre ich nur noch die See und von den anderen Campern nichts mehr. Hier ist es zwar windiger, aber was soll das? Bei jetzt noch ca. 25 Grad ist das ja eher angenehm, als lästig! Warum bleiben die Camper alle da hinten? Egal, ich bin hier und hier ist es phantastisch!

 

 

Genau um 18 Uhr steht mein Zelt mit dem Fenster zum Sonnenaufgang! Die Sonne geht unter, ich laufe mindestens noch 300 Meter über Wiese und Strand bis zur derzeitigen Wassergrenze. Felsiger Untergrund, roter, gemahlener Sand aus diesem Felsen. Die See steigt hier bei Flut um ca. ein bis eineinhalb Meter an. Das verändert die ganze Strandlandschaft. Zum CarPark gehören mindestens 800 Meter des breiten Strandes ... rechts und links davon geht es weiter, endloser, menschenleerer Strand, zum Teil dicht und bis weit ins Meer hinaus mit Mangroven bewachsen. Was will ich eigentlich mehr? Das ist die Stelle, wo ich jetzt und in den nächsten 36 Stunden bei Tag und in der Nacht beobachten kann, was die Natur mit Sonne, Meer, Wind, Wolken und Sternen hier für ein Schauspiel inszeniert! Morgen werde ich einen Ruhetag einlegen. Hier bleibe ich einen Tag, zwei Abende, zwei Nächte und zwei Morgen: Ein ruhiges Wochenende direkt an der Coral Sea. Es wäre ja glatt ein Verbrechen, hier morgen früh um 6 Uhr wieder weg zu fahren !! Von hier aus fahre ich am Montag direkt nach Cairns. Das sind nur noch 500 oder 600 Kilometer, ist also dicke an einem Tag zu schaffen. Herrlich, dass ich sooo einen schönen Platz gefunden habe. Wieder nur durch Zufall. Ich habe eben immer wieder ein Schwein, nicht zu fassen ...

Jetzt aber lasse ich hier erst mal nur die Seele baumeln und geniesse die schönen, ruhigen Bilder, die es hier in jeder Richtung zu sehen gibt.

20:00 h, Whitsunday Waters CarPark, Midge Point

 

 

 

 

 

 

MANGROVEN
VERSUS GOLFPLATZ

20. September 1998, Sonntag

 

Ich sitze unter einem grossen, alten Baum, rundherum ist ‚Wiese‘, die nächsten Bäume sind 100 Meter weit weg, grosse Abstände. Der alte Baum hier – ist es eine Würgerfeige? – ist von dem Mangrovenwald übrig geblieben, der hier noch vor wenigen Jahren gestanden hat. In 20 oder 30 Meter Entfernung rauscht die leichte Brandung der Coral Sea an den Strand. Es ist Flut und sie kommt auf mich zu. Genau das will ich beobachten. Wegen der Aussicht auf die See habe ich mich hier in den Schatten gesetzt. In der Ferne, gar nicht weit weg, die Whitsunday Islands. Im Dunst sind sie schwer zu erkennen, über den Inseln Wolken. Aber man kann sehen, dass die Inseln nicht flach sind, sondern dass es Inseln mit relativ hohen Bergen sind. Die Berge des Festlandes setzen sich da draussen fort. Ich werde an Norwegen und an den Blick ‚aus der Küche‘ auf die Lofoten erinnert. Die Aussicht von unserem Zelt auf einer wilden Klippe der Vesteralen hat viel mit dieser Sicht hier gemeinsam, wenn es klares Wetter wäre. Aber die See treibt Wolken- und Wassermassen auf das Land zu. Die stauen sich vor den Bergen, es ist dunstig, ein leichter Nebelschleier über der See. Es regnet in Central Queensland, sagt der Wetterbericht für dieses Wochenende voraus.

Hier, wo ich sitze sind es ungefähr 26°, es weht ein starker Wind. Es ist fast zu kalt für meinen zugempfindlichen Body. Ich könnte ja ins Zelt gehen, das jetzt in der prallen Sonne steht: 38° Innentemperatur. Da werde ich sicher meinen Mittagsschlaf woanders machen müssen. Gerade fliegt mein Hut weg ... wirklich ein steifer Wind. Ich bin nicht in der besten Verfassung. Von 9 bis 10:30 Uhr habe ich in der prallen Sonne den Mangrovenwald rechts und links des CarParks mit dem Fotoapparat erkundet. Das schlaucht. Ich habe fast Kopfschmerzen, bin unkonzentriert. Ich hatte mich mit Sonnencreme eingeschmiert, den breiten Hut auf dem Kopf, Sandalen ohne Socken an den Füssen. Alles war in Ordnung, aber das Gelände 1,5 Kilometer rechts und links des CarParks zu sondieren, ist sehr anstrengend. Aber es war hoch interessant !! Hier trifft eine felsige Küste auf die See. Fauna und Flora wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen, von der See verschluckt zu werden.

10:45 h, Whitsunday Waters CarPark, Midge Point

Hier gab es einen Break: Mir war zu kalt, ich war geschafft von meinem Ausflug an der Küste und es war so windig da vorne, dass man nicht ordentlich schreiben konnte. Also zog ich mich in das Auto zurück, machte eine schöpferische Pause und ... schlief bis 13:30 Uhr !! Gerade komme ich von der Dusche zurück. Wärme von ca. 30° im Schatten ist eben nicht so einfach wegzustecken! Aber jetzt bin ich wieder i.o. und ich habe auch keinen Sonnenbrand im Nacken. Das sind die Mückenstiche, die dort jucken und weh tun. Der Wind ist noch heftiger geworden, die See ist bewegt, Schaumkämme auf den Wellen. Und es ist schon wieder Ebbe, obwohl das Wasser vorhin eindeutig angestiegen ist. Jetzt ist die Brandung sehr weit draussen. Die Whitsunday Islands sind ganz gut zu sehen. Davon werde ich jetzt gleich ein Foto machen, die Sicht wird eher schlechter, als besser werden. So, jetzt weiter von meinem Morgenausflug:

 

 

Hier begegnen sich Ozean, Gebirge und dichter Bush. Auf 200 bis 500 Metern Breite ist zwischen Land und Meer ein Kampf auf Leben und Tod von Pflanzen, Büschen, Bäumen und Tieren zu beobachten. Dieser Kampf ist nicht mit Gewalt, sondern nur mit Raffinesse, Scharfsinn und durch Anpassung zu gewinnen. Es haben sich Mischformen von Tieren und Pflanzen entwickelt, die sich auf diese Zone zwischen Wasser und Land spezialisiert haben. Es gibt Meerestiere die es aushalten, dass es Wasser nur bei Flut gibt und hier leben Pflanzen die damit fertig werden, dass sie ihr halbes Leben im Salzwasser stehen und zeitweilig sogar ganz unter dem Wasserspiegel des Meeres verschwinden !! Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass es hier praktisch keinen Sand und keine Erde, sondern nur Felsen gibt. An den Mangroven sieht man exemplarisch, was das für ein harter Existenzkampf um Sein oder Nichtsein ist: Die Wurzeln werden ständig durch Steine beschädigt, die durch die Brandung umher geworfen werden. Die Wurzeln werden verletzt, reparieren sich und werden wieder aufgerissen. Krüppelkiefern auf dem Brocken geht es besser, sie müssen sich nur gegen den Wind zur Wehr setzen. Hier aber gibt es ausser dem Wind noch Salzwasser und einen felsigen Untergrund ohne jede Bodenkrume. Aber die Mangroven behaupten sich darauf! Ich bewundere die Stelzen, Klammern und Krallen, mit denen sich grosse Bäume und kleine Pflanzen in den glatt geschliffenen Felsen verankern. Es ist einfach wieder verblüffend zu sehen, wie gerade die Bäume nicht nur den Naturgesetzen unterliegen, sondern sie auch wie meisterhafte Ingenieure ausnutzen. Ausserdem haben die Mangroven auch einen Lebenszyklus, der gleichzeitig eine Überlebensstrategie ist: Es gibt eine Frühphase, in der sie sich nur auf Wurzeln und die Produktion von möglichst vielen Sprößlingen konzentrieren. Damit stellen sie das Überleben der eigenen Art vor das eigene Überleben! Das ist auch die Strategie, mit dem felsigen, glatten Untergrund fertig zu werden:

 

 

Der Felsen wird durch die Wurzeln und Sprösslinge vollständig mit einer organischen ‚Holz‘-Schicht bedeckt. Später stirbt sie ab, aber das tote Material ist fest in Ritzen und kleinsten Spalten verankert und dient den nachfolgenden Generationen als Nahrung, als Schutz und als Ankerplatz. Erst wenn ein junger Baum die ‚Sprösslingsphase‘ erfolgreich überlebt hat, denkt er an das eigene Wachstum. Dann werden Stamm und Äste ausgebildet und möglichst viele Blätter erzeugt. Erst ganz zuletzt, wenn der Baum schon mehrere Jahre täglichen Kampf hinter sich hat, wachsen langsam die hohen und vielfältigen Stelzen, mit denen sich dann der Baum aus dem Meer erheben kann. Und wie machen diese Bäume aus Salzwasser geniessbares Trinkwasser ??! Ich weiss es nicht, aber sie schaffen auch das. Bei der Beobachtung dieses faszinierenden Kampfes von Leben gegen die unbelebte Natur stellen sich wieder viel mehr Fragen, als man Antworten erhalten kann ...

 

 

Es gibt unterschiedliche Arten von Mangroven. Manche stehen hunderte Meter weit draussen im Meer auf einer organischen Schicht, die wie Erde aussieht, aber nur aus toten und lebenden Wurzeln besteht. Ein paar Meter ins Land hinein, wo nicht bei jeder Flut Salzwasser hinkommt, wächst ein dichter, üppiger, tropischer Wald. Die grössten Bäume darin sind die Eukalyptusbäume und vereinzelte Würgerfeigen. Dort gibt es viele unterschiedliche Eukalyptusarten aber auch völlig andere Sorten von Bäumen und Büschen. Alles zusammen ist ein aufeinander vollkommen abgestimmtes Ökosystem, das sich im Gleichgewicht befindet, aber ständig um dieses Gleichgewicht kämpft. Man kann sich nur wundern, wie so ein hoch komplexes System entstehen kann, sich selber nach dem Prinzip der ‚verteilten Intelligenz‘ steuert und seit Jahrmillionen störungsfrei funktioniert. Und es ist ein geschlossenes System: Auch nach Millionen von Jahren ist keine Müllhalde entstanden, auf der die Reststoffe deponiert worden sind (wofür deponiert?): Die toten Äste, Wurzeln und Stämme, die vom Wasser abgerissen werden oder einfach dem Alter zum Opfer gefallen sind, werden im Wasser zerrieben und zerkleinert oder an den Strand gespült. Im Wasser oder an Land werden sie von genau darauf spezialisierten Würmern, Insekten, Larven, Krebsen und Bakterien zersetzt. Ein vollendetes buchstäbliches Recycling: Es werden Stoffe produziert, die wieder in den Kreislauf eingesteuert werden. Vor soviel Perfektion ist man einfach sprachlos.

Und was macht der Mensch? Er hat offensichtlich auch diese Uferlandschaft in Besitz genommen. Dieser Küstenstreifen ist in Parzellen aufgeteilt und je nach Intention und den finanziellen Möglichkeiten der Besitzer ist die Uferlandschaft unberührt (links) oder bis auf die grössten Bäume vollständig und bis auf den blanken Felsen gerodet und ‚gesäubert‘ worden, wie hier auf dem CarPark. Nach der Rodung kommt noch ein weiterer Schritt: Es wird ein grobes, strapazierfähiges Gras gesät und es werden Palmen und andere ‚schöne‘ Bäume und Büsche gepflanzt. Die Natur wird nach den Vorstellungen der Eigentümer radikal umgebaut und in einen Garten oder eine Parklandschaft verwandelt. In der Mitte räkelt sich dann vielleicht noch ein Herrenhaus im englischen Stil. Aber hier ist nichts im Gleichgewicht. Ständig muss (nicht nur durch das Rasenmähen ...) korrigiert und gegen die natürliche Entwicklung agiert werden. Trotzdem kommt der Mensch hier nicht gegen die Mangrovenwälder und gegen die Felsen an. Es entsteht kein heller Sandstrand wie auf den Whitsundays. Die Natur muss täglich buchstäblich bekämpft werden, denn sie ist in jeder Sekunde dabei, die abgehackten Mangroven durch neue zu ersetzen! Diese ungeheure Zähigkeit und der absolute, nie erlahmende Lebenswille ist die entscheidende Hoffnung dafür, dass die Natur uns Menschen mit ziemlicher Sicherheit überleben wird.

 

 

Der Mensch kann gegen diese langsame, fast unmerkliche, aber geballte und unaufhaltsame Energie, nur temporäre Erfolge erzielen. Auf Dauer kommt er gegen die Natur nicht an. Lässt man hier die Finger davon, ist aus dem künstlichen Garten nach wenigen Jahren wieder die ursprüngliche Mangroven-Landschaft geworden. Und nach spätestens hundert Jahren wachsen auch die hohen Bäume wieder und die Natur hat sich sogar das Herrenhaus wieder zurück geholt. Lediglich der Stromgenerator ist (noch) nicht recycelt. Das dauert etwas länger. Die Natur ist nicht zu besiegen. Gegen sie geht nichts, man muss sich mindestens mit ihr arrangieren. Das ist faszinierend aber auch sehr beruhigend.

Mein lieber Conny, bei jedem Foto, was ich heute hier gemacht habe, gingen mir solche Gedanken durch den Kopf und ich habe an Dich und Johanna gedacht: Geht unbedingt auf Reisen und nicht erst mit 60 Jahren. Man muss einfach die Natur und die so unterschiedlichen Landschaften dieser Erde gesehen haben, um selber eine Einstellung dazu zu finden. Aus meiner Sicht sind die Fragen, die man sich im Angesicht von riesigen Bäumen, dem Regenwald, dem Leben in Korallenriff, den weiten Landschaften, Gebirgen und dem Sternenhimmel stellt, der entscheidende Beleg dafür, dass wir tatsächlich leben. Aber wir sind eingebunden in das alles, wir gehören dazu, wir sind mitten drin in der Natur und extrem von ihr abhängig. Wir sind nicht etwas Besonders! Keiner kann uns die Fragen beantworten, die einen denkenden Menschen hier regelrecht überfallen: Was ist das Leben? Woher kommt es? Und warum funktioniert es so perfekt und stabil, obwohl es gleichzeitig so extrem komplex ist ?!? Aber es ist schon gewaltig, wenn man bis zu diesen Fragen überhaupt kommt. Dass wir auf diese Fragen keine adäquate Antwort bekommen zeigt nur, dass wir ein Teil dieses Ganzen sind und nicht darüber stehen.

Heute bei diesem Ruhetag, der mir unter Mittag gar nicht so recht bekommen ist, habe ich auch Zeit und Musse gehabt, ein tolles Phänomen eindeutig zu klären: Schon kurz nachdem ich in Australien gelandet war, beschlich mich die dunkle Ahnung, dass hier die Sonne anders herum läuft, als in Europa ...! Was für ein Sakrileg in den Augen der katholischen Kirche, bei der sich die Sonne noch um die Erde dreht !! Aber ich kann es nicht mehr länger für mich behalten und muss es einfach hier mal laut sagen: Die Sonne geht zwar in Australien auch im Osten auf und im Westen unter, aber dazwischen macht sie einen Ausflug nach Norden !!! Der Spruch: 'Im Osten geht die Sonne auf, nach Süden ... im Norden Ihr sie niemals seht!‘, dieser Spruch ist hier höchstens zur Hälfte richtig: Im Süden steht hier die Sonne nie, dafür sieht man sie ständig im Norden !! Im Tagesablauf läuft die Sonne also nicht wie bei uns im Zeigersinn (wahrscheinlich wurden danach bewusst oder unbewusst die Zeiger der Uhr ausgerichtet ...), sondern sie bewegt sich genau umgekehrt von rechts nach links. Wenn man sich das mal ganz in Ruhe überlegt, dann muss das physikalisch auf der Südhalbkugel einfach so sein. Aber man traut seinem Gehirn und seiner logischen Analyse nicht viel zu, wenn es um so fundamentale Unterschiede geht. Erst will man das in praxi bewiesen haben, denn nichts ist realer als die Realität. ‚Die Praxis ist der Kriterium der Wahrheit‘. Hier hatten die alten Dialektiker (wie in vielen Dingen) mal wieder sehr recht. Erst wenn man die Richtigkeit seine Kopfgeburten an der Wirklichkeit nachweisen kann, sind sie glaubwürdig. Und das ist in diesem Fall gar nicht so einfach. Weil wir uns hier recht nahe am Äquator befinden, kann man den Sonnenlauf im Gegenzeigersinn schwer feststellen. Die Sonne steigt und fällt viel zu steil über den Horizont, sodass die Neigung nicht annähernd so gross ist, wie etwa an einem Wintertag in Deutschland. Im Gegenteil, direkt am Äquator ist sie ja Null. Aber an so einem ruhigen Tag, wo man selber steht und sich die Natur bewegt (in den letzten 14 Tagen war es vorwiegend genau anders herum), da kann man es eindeutig an den in den Sand gesteckten Stöcken sehen: Die Sonne kreist in Australien anders herum. Ausserdem ist es hier nicht nur warm und feucht, es ist auch entsetzlich HELL !! Daher wahrscheinlich heute am Vormittag der leichte Anflug von Kopfschmerzen. Vorsicht: Ohne breitrandigen Hut und Sonnenbrille sollte man sich nicht in die Sonne wagen !!

14:50 h, Whitsunday Waters CarPark, Midge Point

Abendstimmung über der Uferlandschaft von Midge Point. Es sind nur noch 26°, die Sonne wird bald hinter den Bergen in meinem Rücken verschwunden sein. Zwischen 15 und 16:30 Uhr habe ich grosse Wäsche hier gemacht. Ich muss noch einmal mit den Hosen zum Trockner, draussen auf der Leine trocknen die Hosen nur am Vormittag und in der direkten Sonne. Obwohl ich heute eigentlich nur das Meer beobachten wollte (es ist immer noch Ebbe), habe ich mich gegen Abend ins Auto gesetzt und bin ca. 5 Kilometer nach rechts, in Richtung Norden, gefahren. Ich wollte einfach nur mal feststellen, wo ich hier bin und wie Midge Point aussieht. Auf den nächsten Kilometern gibt es noch weitere Campingplätze und einige kleinere Motels. Dort geht es komfortabler zu, es gibt keinen Seeblick, dafür aber gestylte Gärten, schöne Häuser und Cabins. Viel Gelände, wo man seine Datsche noch hinstellen kann, viel ‚For Sale‘, ein Buschflugplatz ohne Flugzeuge und noch viel ursprünglicher, undurchdringlicher Mangrovenwald.

 

 

Plötzlich aber wird aus der Schotterpiste eine zweispurige, glatte Autobahn und eine Filmkulisse tut sich auf: Was hier plötzlich zu sehen ist, das ist nicht Science Fiction, es ist Realität !! Aber man denkt, man ist in eine Zeitmaschine geraten und wurde in den letzten 20 Sekunden nach Merry old England versetzt: Aber ich bin immer noch in Australien, Midge Point, und das hier ist das ‚Laguna Quays Ressort‘. Eine Hotelanlage, ausschliesslich auf reiche Kundschaft und Golf zugeschnitten. Vor ein paar Seiten habe ich bei der Ankunft im CarPark Midge Point geschrieben, das Gelände, wo jetzt mein Zelt steht, sieht wie ein Golfplatz aus. Weit gefehlt !! Bis vor einer halben Stunde habe ich noch nie einen Golfplatz von nahem gesehen, nie auf diesem ‚Green‘ gestanden, habe dieses Gras noch nie angefasst. So ein Gras, das gibt es eigentlich überhaupt nicht, das kann nur synthetisch, kann nur aus Plaste und Elaste sein. Aber tatsächlich ist es lebendiges Gras, aber es ist Meta- oder Hypernatur. Hier wurde die Natur gestylt, extremer kann man die Natur nicht nach seinem Willen formen. Das mit Spezialwerkzeugen zu absolut ebenen Flächen, zu Hügeln und zu Skulpturen modellierte ‚Green‘ auf diesem Golfplatz ist das Äquivalent zur Zuchtkatze ohne Fell, zum Schosshund, der nicht mehr laufen kann und kaum noch Luft bekommt, zur herrlich roten Tomate ohne Geschmack. Solche grünen Hügelchen gibt es einfach nicht. Sie sehen aus, wie aus einem Computerspiel, hier aber sind sie life vorhanden.

Ich fahre in die Anlage, parke mein Auto vor dem Hotel. Elektrisch betriebenen Golfcars haben hier überall Vorfahrt. Ich traue mich barfuss in unmöglichen Sandalen, in knielangen Shorts und einem ungebügelten Hemd an die Rezeption. Eine hohe Halle mit Pyramidendach, alles massiv Mahagoni und Glas, abgesetzt mit Gold. Die Türen öffnen sich auch für mich automatisch, die Klimaanlage rauscht unhörbar, gedämpfte Hintergrundmusik, Wasser plätschert in Brunnen. Die Staffs unterdrücken ihre Gedanken über meine Garderobe und geben mir bereitwillig, artig und mit ausgesuchter Höflichkeit die gewünschten Informationen. Ich frage nach der Internet-Adresse des Hauses und ob ich hier ein paar E-Mails absetzen kann. DAS ist der wunde Punkt: Hier gibt es keinen Internetanschluss und keine Homepage. Ich zeige mich sehr irritiert und rate dem Chefmanager, der mich inzwischen berät, dass schnellstens auszubügeln. ‚Bei uns in Europa gehört das längst zum selbstverständlichen Standard...!' Wie soll ich hier auch nur eine ruhige Nacht verbringen, ohne über das Internet meine Geschäfte in Europa im Auge zu behalten! Deprimiert bedauern die Staffs, dass sie damit noch nicht dienen können. Da werde ich es mir aber sehr überlegen, ob ich im nächsten Jahr hierher zum Golfen komme. Trotz Kids Club, Massage, Horseriding und Sicht von einem Hügel auf die Coral Sea und das Golfgelände wird das wohl nichts werden. Dabei ist die Nacht in diesem feinen Haus im Deluxe Lodge Room auch schon ab 128 $ zu haben, 18 Runden Golf nur für 540 $, nicht schlecht – aber ohne E-Mail ... ?!

 

 

Das Golf Ressort ist aber noch nicht alles. Auf diesem Gelände gibt es noch mehr, wenn man es bezahlen kann. Der Beach Club lädt an einem weissen Sandstrand zum Baden ein. Eine künstliche Beach mit Palmen, Windsurfing and Refreshments. Und wer hier mit seiner Yacht anlegen möchte, für den gibt es den mit Bulldozern, Sprengstoff und Granitquadern aus dem Mangrovenwald gestampften Yachthafen MARINA. Von der Natur ist hier gar nichts mehr übrig geblieben. Hier sind nur noch dicke Quai-Mauern, Betonrampen, Molen und ein Port Tower zu sehen. Der Alptraum einer Beach. Aber wer ein dickes Schiff hat, der kann ja schnell mal von einer der Whitsunday Islands hier rüber zu einer Runde Golf kommen. Ausserdem wird diese Gegend ab und zu von Taifunen heimgesucht. Da braucht man für sein teueres Spielzeug einen sturmsicheren Hafen und keine Mangrovenwälder, felsige Küsten, Korallenriffe und Schildkröten. Mit dem Hubschrauber kann man natürlich hier auch landen, der ‚Heli-Pad‘ ist nur 150 Meter weg von den Liegeplätzen der Schiffe. Zur Zierde sind auf der menschenleeren Promenade kleine, noch junge Palmen aufgereiht, eingefasst mit diesem irren Green und Asphalt. Ein schöner Kontrast in grün und schwarz. Auch hier hat man den Eindruck, es handelt sich um ein rechnerinternes 3D-Modell, eine Computerpräsentation, um gerenderte Bilder. So perfekt, glatt und geometrisch exakt ist die Wirklichkeit einfach nicht !! Hier aber stimmen Computersimulation und Realität exakt überein. Alles ist noch neu, vollkommen, ohne Kratzer, frisch lackiert und noch warm vom Bügeln.

Das ist die Umgebung, die sich die Reichen von Mackay für das Wochenende, für die knappe Freizeit neben dem alltäglichen Business geschaffen haben. Schnellstrasse nach Mackay und Proserpine inklusive. Wäre ich 1961 mit dem Diplom in der Tasche in Mackay angekommen – ich würde heute darüber komplett anders denken und das durch eine völlig andere Brille sehen! Entscheidend ist, ob ich mit der Mitgliedschaft im örtlichen Golfclub und mit der Hochsee-Yacht glücklicher wäre. Bei diesem Gedanken kommt nicht ein Funke von Neid oder Frust über die Vergangenheit bei mir auf. Mal davon abgesehen, dass solche Erwägungen sowieso völlig überflüssig, weil unrealistisch, sind: Es könnte mir einfach nicht besser gehen, als es mir jetzt geht !! Das ist wahrlich ein völlig entwaffnendes Argument! Nur unter einem Gesichtspunkt würde ich mir eine bessere Situation wünschen: Die Kinder und Enkel hätten unter anderen Umständen natürlich ganz andere, bessere Startchancen. Aber ob sie die auch wirklich nutzen würden und ob sie damit ein zufriedeneres Leben hätten, das steht schon wieder auf einem anderen Blatt.

Aber solche Überlegungen sind reine Spekulationen, alles umsonst und geschenkt. Das hier also gibt es neben völlig intakten Mangrovenstränden in dieser Gegend auch noch. Es war gut, dass ich diesen kurzen Ausflug gemacht habe, denn dieses Ressort gehört ja auch dazu und es rundet meinen Eindruck von dieser Gegend hier ab. Wahrscheinlich ist Laguna Quay, der Yachthafen Marina und die künstliche Beach für die High Society von Mackay und Umgebung das Synonym für Midge Point. Für mich aber ist diese künstliche Anlage der blanke Horror und eine entsetzliche Naturvernichtung. Ausserdem ist sie für mich völlig uninteressant, weil ich keine Yacht, keinen Heli und keine Golf-Ambitionen habe. Immer, wenn ich an Midge Point zurück denken werde, sehe ich die zähen Mangroven, wie sie sich auf den blanken Felsen weit draussen im Salzwasser behaupten. So unterschiedlich kann man den gleichen Landstrich wahrnehmen !!

18:00 h, Whitsunday Waters CarPark, Midge Point

In meinem schönen Auto sieht es aus, wie in einem Second Hand Shop: Überall Wäsche, Papier, ein Hut, Büromaterial, Lebensmittel, Plastiktüten ... Das sind die Nachwirkungen der grossen Wäsche. Die Wäsche muss etwas nachgetrocknet werden, ich hätte ruhig noch einen halben Dollar für eine weitere Runde in den Trockner einwerfen sollen! Aber das Duschen, das WC, das Wäschewaschen und das Einkaufen funktioniert alles einwandfrei und problemlos auf so einem CarPark: Der Mann im Shop fragte mich, als ich Waschpulver und ein PIE kaufte (wieder eine neue Fastfood-Variante), ob ich denn kein Barbecue habe !? ‚Nein, ich habe nur einen Rucksack und ein kleines Zelt aus Europa mitbringen können!‘ Der Mann bedauert mich. So einen armen Teufel wie mich gibt es hier selten. Einen kleinen Campinganhänger hat hier jeder. Und natürlich darf hier auch jeder Feuer machen. Holz gibt es am Strand genug, aber diese Camper grillen nicht so primitiv, jeder hat seine spezielle Holzkohle und seinen Grill mit. Ich wollte erst heute am Abend auch ein Feuer mit Treibholz machen. Aber ich lasse es, das würde mich traurig machen. Ich weiss nicht warum. Aber Feuer hat auf meine Psyche (besonders wenn ich alleine bin) eine ganz eigenartige Wirkung: Es stellt sich Melancholie und Weltschmerz ein. Und das muss ja nicht sein.

Heute früh am Morgen aber, das war so recht nach meinem Geschmack: Ich wache in der Nacht mehrfach auf, mein ‚Fenster‘ ist offen, über mir der Sternenhimmel. Wie herrlich das ist und das geht nur in diesem wunderbaren Zelt! Gegen 5 Uhr beginnt der Himmel hell zu werden. Ich stehe auf, setze mich vor das Zelt und mache ab 5:30 Uhr alle fünf Minuten ein Foto von der gleichen Ansicht: Hohe Bäume vor dem heller werdenden Himmel und der See. Der Sonnenaufgang war nicht spektakulär aber schön, ruhig und gelassen. Der Jupiter, der immer der erste am Himmel ist, war jetzt am Morgen auf der anderen Seite noch über dem Horizont zu sehen. Die ganze Nacht habe ich ihn über mir gesehen, sobald ich die Augen aufgemacht habe. So etwas finde ich einfach irre. Das vermittelt mir das Gefühl, zur Natur dazu zu gehören, ein Teil des Ganzen zu sein. In der kommenden Nacht und morgen früh wird noch einmal das gleiche Stück hier gegeben. Ein wunderbares Schauspiel.

Jetzt ist es schon dunkel. Die Sterne leuchten, aber es sind auch sehr viele Wolken am Himmel. Kein ideales Sterngucker-Wetter. Dafür habe ich aber in der Zeitung etwas schönes entdeckt: Nicht genug, dass sich in Australien die Sonne im Gegenzeigersinn bewegt, hier gibt es (notgedrungen) auch andere Sternzeichen !! Na, was sagen denn dazu die Astrologen ?!? Welche Klimmzüge machen sie, um ihren Kunden zu erklären, dass die Sterne nie lügen, obwohl es hier völlig andere sind !! Ach ist das schön, dass ich das zufällig entdeckt habe. Das ist Wasser auf meine naturwissenschaftlichen Mühlen!

Nach dem Sonnenaufgang habe ich versucht, mit Conny in Europa zu telefonieren. Es ist mir mit dieser komischen Telefonkarte nicht gelungen. Ich war der festen Überzeugung, dass das Telefon kaputt ist. Bei mir hat nichts ausser Piep Piep funktioniert. Heute sah ich aber im Laufe des Tages, wie dort Leute telefonierten !? Kaputt ist es also nicht – morgen früh werde ich den zweiten Anlauf machen. Mit Karte oder Münzen muss es doch klappen. Ich will mich ja nur melden und sagen, dass alles o.k. ist. Conny wird sich freuen, dass ich bei den Whitsunday Islands bin, die Bilder von diesen Inseln fand er zu Hause am schönsten.

Morgen geht es nach Cairns – und dann ist die Reise mit dem schönen Auto schon wieder zuende. Dann bin ich wirklich ein Backpacker – mal sehen, wie ich das organisiere. Mit dem fahrenden Wohnzimmer war das alles so schön einfach. Jetzt muss ich mich wohl wieder auf Hotels, Motels und Cabins einlassen und Gepäck am Flugplatz deponieren. Ab morgen schon werde ich es erleben!

Jetzt aber habe ich erst noch eine herrliche Nacht im Zelt vor mir !!

19:25 h, Whitsunday Waters CarPark, Midge Point

 

 

 

 

 

 

IM WOLKENBRUCH
NACH CAIRNS

21. September 1998, Montag

 

Kein schöner, besonderer Platz hier für ein Picknick, aber die Zeit für das Frühstück ist gekommen, ich muss was essen. Um 5:45 Uhr habe ich heute wieder versucht, mit Europa zu telefonieren: Es hat nicht funktioniert. Entweder war die Telefonkarte oder das Telefon nicht in Ordnung. Ich glaube, das Telefon hat eine Macke, so schwachsinnig kann man sich mit der blöden Karte doch gar nicht anstellen! Dann baue ich bei Nieselregen das Zelt ab. Kein Sonnenaufgang, keine Whitsundays, keine Berge an Land zu sehen. Ich stecke das nasse Zelt wieder in den Sack. In der Nacht musste ich ein paar Mal das Fenster auf und zu machen: Es nieselte mir durch das Gazefenster ins Gesicht. Es regnete nicht sehr heftig, trotzdem hörte es sich gut und gemütlich an!

 

 

Dicke Wolken hüllen die Berge ein und versperren die Sicht auf die Whitsunday Islands, als ich mich um 6:30 Uhr auf den Weg mache. Eine schöne Landschaft, wie schon seit Blackwater: Berge wie in einem deutschen Mittelgebirge, Weiden, Zuckerrohr, Tomaten und Weizenfelder. Alle Felder riesengross. Riesengross auch die Mähdrescher, die mir hier manchmal entgegen kommen. In Emerald wird Baumwolle angepflanzt. Jetzt waren die Felder frisch gepflügt. Pflüge mit 20 Pflugscharen und gewaltige Traktoren. In den Obstplantagen hingen die Bäume voller Früchte. Und zwischen den Feldern und Plantagen immer wieder hoch herrschaftliche Landhäuser, umgeben von Palmen, blühenden Büschen, gepflegtem Rasen. Um manche Landsitze ist in den letzten hundert Jahren ein richtig schöner Park entstanden.

Heute morgen bin ich einem reuigen Sünder begegnet. Er lief barfuss auf der rechten Strassenseite (Linksverkehr, also verkehrt!), Hut, kurze Hose, langes, weisses Hemd. Und auf dem Rücken trug er ein grosses Kreuz aus zwei Holzbalken, mindestens 2,5 mal 1,5 Meter lang. Das muss richtig schwer gewesen sein. Auf alle Fälle war es deutlich länger als der Mann, der ziemlich gross und schlank war. Am unteren Ende des langen Balkens war ein kleines Wägelchen angebunden, darin schleppte der arme Kerl seine wenigen Habseligkeiten hinter sich her. Mein erster Reflex war: Sofort auf die Bremse und wieder zurück. Das Bild, das Foto kann man sich doch nicht entgehen lassen! Aber ich habe es nicht gemacht, ich bin weiter gefahren. Ich dachte mir, der Mann ist so mit sich beschäftigt und so sehr davon überzeugt, dass sein Weg der richtige Weg ist – warum soll ich ihn aus seinen Träumen reissen ?! Was soll ich mit ihm reden? Wir leben, wir denken und wir handeln in verschiedenen Welten. Das allerdings wäre interessant gewesen: Eine Begegnung mit der anderen Art. So verschieden sind unsere Welten nun aber doch nicht. Ich hatte einfach keine Lust, mit ihm zu diskutieren, mich agitieren zu lassen oder ihn zu bekehren. Ich akzeptiere was er macht, aber ausser der Neugier berührt es mich nicht sehr. Genau diese Einstellung habe ich in Deutschland zu den Katholiken, zur SED-Nachfolgepartei PDS, zu den politischen Parteien und zu anderen Eiferern: Das ist nicht meine Welt, aber solange sie mich in Ruhe lassen, ist mir egal, was sie machen. Auch hier ist ein freies Land und hier gibt es offensichtlich viel mehr Aussteiger, Querdenker und Spinner, als anderswo auf der Welt. Damit kann man in diesem grossen Land mit den wenigen Menschen aber wohl sehr gut leben. Ich auch.

In Bowen habe ich mich das erste Mal richtig und gründlich verfahren. Ich fluche und schimpfe auf die Stadtverwaltung die unfähig ist, eine ordentliche Beschilderung auf die Beine zu bringen. Dabei war es ganz klar meine Schuld: Ich habe immer auf das Schild nach Townsville gewartet und das nach Ayr nicht für voll genommen. Dabei liegt Ayr auf dem direkten Weg nach Townsville! Das kostet mich eine halbe Stunde, denn ich fahre mehrfach im Kreis und finde nicht mehr aus Bowen heraus. Deswegen gibt es ein paar Bilder von der verregneten Bowen-Beach in Richtung der Whitsundays. Der Shuttle Harbour zu den Whitsunday Islands ist Airlie Beach. Wegen der schlechten Sicht bin ich aber dort nicht hingefahren und habe die zweimal 35 Kilometer eingespart. Aber wenn Du auf die Whitsundays willst, mein lieber Freund Conny, alle Wege zu den Inseln führen über Airlie Beach.

Jetzt muss ich hier flüchten: Jede Menge Ameisen sind hier unter dem Tisch auf mich aufmerksam geworden !!

9:30 Uhr, zwischen Bowen und Ayr

Wider Erwarten wurde es heute doch eine ganz schön anstrengende Fahrt. Es waren heute noch einmal 720 Kilometer zu fahren und ich hatte nur mit 500 gerechnet. Also war Midge Point tatsächlich fast genau der Mittelpunkt zwischen Emerald und Cairns. Bis zum Picknick zwischen Bowen und Ayr ging ja noch alles glatt, abgesehen davon, dass ich mich in Bowen so entsetzlich verfahren hatte. Leider war die Sicht schlecht, sonst wäre ich noch nach Airlie Beach gefahren, das ist eine sehr schöne Gegend, der Mittelpunkt des Tourismus um die Whitsunday Islands. Aber bei Regen und Nebel sieht man praktisch nichts von der Landschaft, durch die man fährt. Ein Jammer. Auch in Townsville bin ich nicht ausgestiegen. Das stimmt nicht ganz: Ich habe ein Foto von dem markanten Berg gemacht, davor ein Golfplatz. Von diesem Berg aus muss man eine sehr schöne Sicht auf die Stadt haben. Aber nicht heute. Townsville ist sicher eine ähnliche Stadt wie Cairns, Berge und mehrere schöne Beaches. Aber ich fahre eine Umgehungsstrasse und komme nicht durch Townsville.

Hinter Townsville gibt es die ersten Regenschauer. Vorher war schon zu sehen, wie die Wolken immer dicker und immer dunkler wurden. Das ist in dieser bergigen Gegend faszinierend zu beobachten und ich mache einige Fotos davon. In Richtung Ingham fährt man nach der Karte immer an der Beach entlang, aber davon ist nicht viel zu sehen, alles verschwindet in einer brodelnden Waschküche. Aber die Sicht ist sehr unterschiedlich, es ist genau so wie im Flugzeug, wenn man durch die Wolken fliegt: Mal sieht man überhaupt nichts, dann wieder öffnen sich spektakuläre Ausblicke. Aber richtig klare, weite Fernsicht gibt es heute an keiner Stelle.

 

 

Trotz dicker Regenwolken fahre ich gegen 14 Uhr von der Hauptstrecke ab und nach Lucinda. Ich wollte doch wenigstens Hinchinbrook Island mal gesehen haben. Aber da hatte ich mich in Lucinda kräftig geirrt: Als ich nach 15 Kilometer auf guten Nebenstrassen, die nur durch Felder führen, endlich die Beach erreiche, ist die Sicht auf Hinchinbrook Island durch eine unendlich lange Förderbrücke für Zuckermelasse verbaut! Aber so gründlich, dass man ausser dieser Industrieanlage hier wirklich nichts sehen kann. Es stimmt nicht ganz: Malerisch sitzen ein Dutzend Pelikane auf Pfählen an der Beach. Das sieht ganz nach einer Zirkusvorstellung aus – um anzufangen wartet man nur noch auf Peter Albrecht, der hier nicht zur Stelle ist! Alles hätte Peter bis hier her mitmachen können. Das Auto hätte ihm mit Sicherheit auch gefallen, nur der Flug ist das Problem. Wie kommt Peter ohne Schiff und ohne Flugzeug nach Australien? Das wird schwierig. Es gibt herrliche alte Bäume in Lucinda!

 

 

Ich mache davon Fotos und von der Regenwolke, in die ich dann gleich hineinfahre! Von hier bis Cairns regnet es ununterbrochen. Aber was das für ein Regen ist – nicht vergleichbar mit Regen in Deutschland!

Zwischen Ingham und Cardwell führt die Strasse über einen Berg. Nur an einer Stelle ist für eine Starkstromleitung eine Schneise in den Wald geschlagen und von hier aus hat man bei gutem Wetter eine herrliche Sicht auf Hinchinbrook Island. Ich fahre zuerst an diesem Aussichtspunkt vorbei, aber ich erfasse im Vorbeifahren den Blick nach unten.

 

 

Jetzt endlich sehe ich (wahrscheinlich das einzige Mal auf dieser Tour ...) Hinchinbrook Island! Das muss ich mir in Ruhe ansehen, ich muss noch mal zurück zu diesem Aussichtspunkt! Auf dieser gewundenen Bergstrasse aber geht das nicht so einfach. Ich muss erst runter fahren, dort drehe ich um und fahre den Berg wieder rauf. Ein herrliches Bild, nur von den Stromleitungen gestört. Hier sieht man ganz deutlich, dass sich die Berge des Festlandes auf den Inseln fortsetzen. Die Whitsunday und Hinchinbrook Islands haben sicher die gleiche geologische Struktur wie das davor liegende Land. Aber auf den Inseln gibt es (hoffentlich) am Fusse der Berge keine endlosen Zuckerrohrfelder, sondern Regenwald, der in eine schöne Beach übergeht.

Im Radio hört man fast automatisch immer den Regionalsender der nächsten, grösseren Stadt. Das ist immer der stärkste Sender, der störungsfrei zu empfangen ist. Dieser Service ist sehr praktisch, denn für Touristen werden die Sehenswürdigkeiten der Region in den schönsten Farben geschildert und angepriesen. So erfahre ich zum Beispiel, dass Hinchinbrook Island der weltweite grösste Nationalpark auf einer Insel ist. Das Korallenriff davor wird in den höchsten Tönen gelobt. Ob man es glauben kann, ist eine ganz andere Sache!

 

 

Kurz vor Cardwell sind grosse Bulldozer in einer verwüsteten Landschaft zu sehen: Eine Grossbaustelle und Schilder: Hier entsteht Hinchinbrook Harbour. Ich biege ab und sehe mir im strömenden Regen die Sache mal an. Hier ist ein neuer Hafen im Bau, mindestens 150 Parzellen an der zukünftigen Hauptgeschäftsstrasse des Hafens sind abgesteckt, numeriert, die Anschlüsse für Elektroenergie, Wasser und Telefon gucken aus der planierten Erde heraus. Die Strasse davor ist einschliesslich Bürgersteig fertig, alle Grundstücke: For Sale !! Also mein Freund Conny, diese Gelegenheit solltest Du Dir nicht entgehen lassen! Wer hier zuerst zugreift, bezahlt den niedrigsten Preis. Für die nächsten zwei bis fünf Jahre musst Du allerdings in Deinem, mit einem Bankkredit aufgebauten Computer und WWW-Shop, die Luft anhalten. Dann aber beginnt das Geschäft (langsam) zu laufen. In 30 Jahren musst Du nicht mehr hungern und vielleicht sind dann sogar schon Deine Schulden abbezahlt. Cardwell ist ein schöner, sauberer Ort mit einer endlos langen Beach voller Palmen und Blumen, direkt parallel zur Strasse, die Townsville mit Cairns verbindet. Heute aber ist alles nebelverhangen und weitestgehend im Regen untergegangen.

Nach Cardwell komme ich das erste mal in einen Wolkenbruch, wie ich ihn so nur in Sumatra mal erlebt habe, allerdings sass ich da in einer Kneipe und nicht im fahrenden Auto. Es ist so, als wenn ständig 50 Eimer Wasser gleichzeitig auf das Auto geschüttet werden. Die Scheibenwischer laufen im höchsten Gang, trotzdem ist die Frontscheibe durch das viele Wasser weitgehend undurchsichtig. Man sieht die Gegend und vor allen Dingen die Strasse nur durch einen Wasservorhang. Viel Gegenverkehr, eine zweispurige Strasse, nicht sehr breit und ohne Randstreifen. Viele Lkws, Road Trains kommen mit einer riesigen Wasserfahne angerauscht. Zwei bis 5 Sekunden fährt man danach völlig blind mit 100 km/h. Das ist gefährlich, auch wenn man nur 20 km/h fahren würde. Aber 20 km/h fährt keiner und keiner hält etwa an und wartet, bis der Wolkenbruch vorbei ist. Der Wolkenbruch ist der Dauerzustand, kein Mensch weiss, wie lange es so giesst! Heute waren das laut Wetterbericht nur ‚Schauer‘. Nach 10 Minuten stellte sich wieder relativ normaler Regen ein. Aber man bekommt einen Eindruck davon, was hier zur Wet-Time (Regenzeit) los sein muss !! Dann kommt Wasser nicht nur von oben, auch die Flüsse sind voll, die Floodways stehen unter Wasser. Da wird man auch mal durch einen halben Meter Wasser fahren müssen. Jetzt ist mir klar, warum die 4WD-Cars den Luftansaugstutzen über das Dach hochgezogen haben ...!!

Ich fahre an all‘ den schönen Beaches vorbei, die jetzt kommen. Alles hat heute der Regen und der Nebel verschluckt. Jetzt will ich nur noch ‚nach Hause‘! Ich möchte heute noch Bianca im Cairns Central erreichen, damit ich weiss, ob der Schnorcheltrip stattfindet oder nicht. Danach richtet sich, was ich morgen organisieren muss. Also will ich jetzt nur eins: Ich will nach Cairns. Aber bei so einem Wetter ist das nicht so einfach. Heute ist das Auto nicht mit zwei Fingern zu dirigieren. Zusätzlich zum Regen gibt es heute auch richtigen Verkehr und Gegenverkehr wie auf einer deutschen Landstrasse. Aber die hier ist nur zweispurig mit einer Überholspur alle 20 Kilometer. Und dieser Regen! Ich komme noch mehrfach in solche Wolkenbrüche. Man gewöhnt sich auch daran und ich sehe, wie gut diese Strassen hier mit dem Wasser fertig werden. Deshalb ist die Strassenoberfläche so grobkörnig. Bei einem solchen Guss fährt man in zentimeterhohem Wasser! Natürlich nicht mit 108 km/h. Das ist die Geschwindigkeit die alle fahren, wenn 100 km/h erlaubt sind. Aber unter 80 km/h wird auch beim Wolkenbruch nicht gefahren. Dafür sind aber Strassen und Autos hier ausgelegt. Das was mein Wagen hier macht, könnte man einem Golf nicht zumuten. Mein Ford Falcon hat ein Fahrgestell, einen Motor und Reifen wie ein LKW. Anders geht es auch nicht, wenn man einigermassen sicher fahren will. Das Profil der Reifen ist ca. 1,5 cm hoch und fingerdicke Rillen sorgen dafür, dass die Räder trotz des Wassers noch die Strasse berühren. Nicht einmal hat dieser Wagen die Haftung mit der Strasse verloren, kein Schlittern, kein Schlingern, kein Ausbrechen, er fährt einfach stur gerade aus, auch und gerade, wenn es so aus Eimern schüttet. So muss das sein. Eine der entscheidendsten Regeln für Australien heisst: Das Auto kann nicht gross, nicht stark und nicht schwer genug sein !!

Weil ich so viel Cola getrunken habe, muss ich mal anhalten, bis Cairns halte ich das nicht durch. Eine Pause mit 20 Minuten Mittagsschlaf habe ich aber auch schon gemacht. Es ergibt sich eine gute Gelegenheit, im Radio habe ich gehört, dass es in Innisfail ein grosses Zuckermuseum gibt. Ich fahre auf den Parkplatz, steige in strömendem Regen aus, renne bis zur Überdachung und bin trotzdem auf den 20 Metern ganz schön nass geworden. Das hoch gelobte Zuckermuseum: Ziemlich lieblos sind die Exponate einfach nur so hingestellt. Was in Australien Museum heisst, besteht meistens aus einer Ansammlung von alten, verrosteten Sägen, Äxten und vorsintflutlichen Maschinen. Hier ist es mehr, man bekommt einen Überblick über eine der Hauptindustrien in den Jahren der Pionierzeit. Am interessantesten sind für mich immer die Fotos der ‚Pioniere‘. Mit diesen alten Bildern bekommt man einen Eindruck davon, wie 1912 Zuckerrohr geerntet wurde, wie man damals hier gearbeitet und gelebt hat. Erst bei solchen Bildern wird einem klar, was wir heute für ein paradiesisches Leben haben: Wir fahren im Lehnstuhl klimatisiert durch dieses Land – vor 100 Jahren gab es hier kaum Strassen und keine Brücken. Wie mühsam muss es gewesen sein, in dem noch vorhandenen dichten Dschungel auch nur eine Entfernung von 10 Kilometern mit einem Ochsenkarren zu überbrücken !! Kaum einer ist hier älter als 50 Jahre geworden! In Australien ist alles sowieso nur höchstens 150 Jahre alt !! Länger ist die Historie dieses Landes nicht. Gleichzeitig aber kann man hier auch sehen, wieviel der Mensch der Natur in 150 Jahren zusetzen kann. Die gesamte Küstenregion von Cairns bis Melbourne ist in dieser Zeit gerodet und in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt worden: Ein Küstenstreifen von ca. 4.000 Kilometer Länge! Der Regenwald, tropische Feuchtgebiete und Mangrovenwälder sind ‚urbar‘ gemacht worden. Das hört sich so an, als wäre es früher eine Wüste und keine vor Fruchtbarkeit strotzende Naturlandschaft gewesen.

Erstaunlich ist auch, dass in Australien ausser landwirtschaftlichen Gütern und Rohstoffen nichts, oder so gut wie nichts, produziert wird ...!?! Wie kommt das? Es kann doch eigentlich nicht offizielle Wirtschaftspolitik sein, keine veredelten Produkte herzustellen? Die größten Aussenhandelspartner sind die USA, Japan und Indonesien. Von dort kommen Textilien, Fernsehgeräte und Autos. Übrigens ist im Radio immer von 100 Mill. $ die Rede, die die Partei On Nation in ‚Jobgeneration‘ stecken will, wenn sie gewinnt. Die Kontrahenten, die zur Zeit an der Macht sind sagen, das ist nicht finanzierbar. Wie sich doch die Bilder und die Methoden gleichen!

In strömendem Regen habe ich vor dem Zuckermuseum geparkt. Es regnet mindestens noch genau so viel, als ich gegen 16 Uhr wieder losfahre. Jetzt gibt es keine Fotos mehr, weil die ganze Landschaft grau in grau im Regen versinkt. Aber trotz des starken Verkehrs kommt es (noch?) nicht zum Stau. Ich erreiche genau um 17:15 Uhr das Parkdeck des Cairns Central. Meine schlanke, griechische Freundin ‚Beiäähnka‘ ist nicht da, aber ihre Kollegin hat mindestens ein so tief blickendes Dekolletee und sie ist auch nett und sehr gesprächig. Mit dem Zettel meiner Anzahlung, den ich ihr jetzt zeige, kann sie im Gegensatz zu unseren zwei Telefonaten sofort etwas anfangen: Ein Telefongespräch und es ist geklärt: Ich bin ein Teilnehmer auf dem Schiff, das am 25. Oktober zu einer Kreuzfahrt in die Coral Sea startet! Ich muss bis dahin nur noch die Restsumme bezahlt haben. Damit ist mein wesentlichstes Problem geklärt: Ich weiss, wie die nächsten Tage hier verlaufen werden. Morgen werde ich den Schnorcheltrip bezahlen und dann muss ich mir nur noch eine Logistik zu meinem Gepäck ohne Auto einfallen lassen! Morgen!

Heute gehe ich erst mal hier im Cairns Central schön Abendbrot essen. Das habe ich mir heute wirklich verdient. Aber so einfach und selbstverständlich ist auch das nicht denn ich merke, dass hier auch schon alle Food Shops um 17:30 Uhr zu machen !! Vor 9 Uhr ist nichts auf und nach 17 Uhr ist schon wieder alles zu. Dafür aber gelten diese Zeiten ‚7 days‘ und das ist annehmbar. Deshalb muss ich mich schnell entscheiden: Entweder Essen oder nachgucken, ob mich ein paar E-Mails erreicht haben. Ich entscheide mich für das Essen und ich bekomme auch noch etwas: Ich esse sehr gut, sehr reichlich und inklusive Suppe Miso für 4,5 $ bei einem japanischen Spezialisten, der auch noch jede Menge zu Essen anzubieten hat.

Wo werde ich heute schlafen ?!? Das ist ganz klar und einfach: Ich fahre wieder zu dem CarPark, den ich schon kenne und auch leicht wieder finde. Zweimal 12 $ für zwei Nächte auf dem Stand Nr. 51. Die Dame an der Rezeption erkennt mich sogar wieder und ist hoch erfreut, dass es mir hier beim vorigen Mal so gut gefallen hat, dass ich wiederkomme. Wieder eine Premiere: Ich hole das triefend nasse Zelt aus meinem blauen Müllsack und baue es im Regen (mit Regenjacke) wieder auf !! Ein Problem ist das nicht. Es ist ja nur außen nass, innen kaum. Und hier regnet es zwar, aber es ist warm. Den ganzen Tag über waren es ca. 26 bis 28 Grad und durch die hohe Luftfeuchtigkeit war es auch sehr schwül. Gut, wenn man sich beim Fahren eine Klimatisierung leisten kann. Beim Schlafen ist das nicht nötig, jedenfalls kann man sich da gut an das natürliche Klima gewöhnen.

Gegen 20:40 Uhr komme ich bei einem Spaziergang an den Telefonzellen am Eingang des CarParks vorbei. Ich rufe an, in Deutschland ist es Vormittag. Bei Cati ist keiner da, aber der Anrufbeantworter meldet sich. Ich sage Bescheid, dass hier alles in Ordnung ist, dass ich wieder in Cairns gelandet bin, viele Grüsse an alle ... usw. Mit der Telefonkarte hat es dieses Mal geklappt. Aber viel billiger scheint es nicht zu sein, von den ursprünglichen 20 $ sind jetzt noch 4 $ übrig geblieben. Die kurzen Mitteilungen auf den Anrufbeantworter zu sprechen, hat 5 $ gekostet. Na, geschenkt, wichtig ist, dass es überhaupt funktioniert hat. E-Mails sind billiger und mir viel angenehmer. Wenn über Hotmail auch die Rückantwort funktioniert, ist das die beste Art, den Kontakt mit Europa aufrecht zu erhalten.

Soviel von heute. Es regnet ziemlich heftig und ich will in mein Zelt, um mich schlafen zu legen.

Wie mache ich das ?!

21:00 Uhr, Sunland CaravanPark, Cairns

 

 

 

 

 

 

MIT MONICA L.
IN PORT DOUGLAS

22. September 1998, Dienstag

 

Ich sitze in meinem Campingstuhl, neben mir dampft eine Tasse Tee, die Kakadus kichern und kreischen, geradeaus die Aussicht auf grosse und kleine Palmen.

 

 

Mein logistisches Problem ist zu 75% gelöst: Ich bin heute morgen vom Zelt in ein Cabin auf dem Sunland CaravanPark umgezogen! Als der Regen heute morgen auf mein Zelt trommelte, habe ich mir überlegt, wie ich so ein Wetter ohne Auto aber relativ bequem überstehe. Natürlich würde ich auch im Zelt mit zwei Rucksäcken bei Regen bis zum Start der Schnorcheltour irgendwie überleben. Dann wird es aber ungemütlich, denn dafür ist das Zelt zu klein. Vor allen Dingen fehlt ein Vorzelt mit Tisch und Stuhl, in dem man bei Regen sitzen, schreiben und kochen kann. Muss ich mich nur wegen ein paar Dollars wirklich auf 2 x 1 Meter einschränken? Das muss nicht sein! Und so bezahle ich jetzt statt für den Zeltplatz 12 $ für ein Cabin 35 $. Das heisst, für 20 $ zusätzlich erhalte ich höchsten Komfort, dem ich schon völlig entwöhnt bin: Ein Raum 3 x 5 Meter, Vordach mit Tisch und Bank, Autostellplatz, ein breites Bett, ein Doppelstockbett, ein Sofa, Schränke, Tisch, Stühle, Licht, Kühlschrank, Fernseher, AC, Küche und Wasser aus der Leitung. Nicht zu fassen, was es in der zivilisierten Welt alles so gibt und was man zu Überleben absolut nicht benötigt! Nichts von dem habe ich in den letzten drei Wochen gehabt !! Hätte ich noch 20 $ drauf gelegt, ist hier auch ein Cabin mit WC, Dusche und Klimaanlage zu haben. Aber das ist unnötig, wenn ich WC und Dusche mit 20 Schritten unter Palmen erreiche.

Der Gedanke mit dem Cabin war naheliegend, diese Container stehen in Sichtweite meinem Zelt gegenüber. Die Idee hatte ich gegen 7 Uhr, genau um 8 Uhr hatte ich das Auto ausgeräumt und diese Hütte hier besetzt. Dabei hatte ich das interessante und offensichtlich animalische Bedürfnis, dieses neue Revier unbedingt und sofort mit meinen eigenen Duftmarken besetzen zu müssen! Ich konnte nicht eher frühstücken, bevor mein Schlafsack nicht auf dem neuen Bett lag, der Kühlschrank gefüllt war und das Küchenhandtuch an der richtigen Stelle hing !! Sonderbar, das Verhalten angeblich intelligenter Menschen!

Dann aber habe ich mir genüsslich eine Tasse Tee gekocht und mich in Memoriam nicht an den Tisch unter dem Vordach gesetzt: Nein !! Ich habe mein Frühstück wie bisher gewohnt in meinen hoch bequemen Campingstuhl genossen und den Erdboden als Frühstückstisch benutzt (... davon gibt es ein Foto!). Dabei hatte ich mein herrliches Zelt im Blick: Es steht zwei Reihen weiter in der Sonne, die inzwischen wieder scheint, und trocknet ruhig vor sich hin.

Dieses Zelt kann man nur über den grünen Klee hinaus loben! Es ist ein Superzelt, das habe ich jetzt bei Regen wieder festgestellt. Das Außenzelt ist bei solchem Wetter innen und aussen nass. Aussen vom Regen, innen vom Kondenswasser. Weil das Innenzelt aber aus durchsichtiger Gaze besteht, schlägt sich das Kondenswasser vollständig am Außenzelt nieder. Mit diesem Trick ist es im Innenzelt immer trocken und man macht sich nicht wie in anderen Zelten nass, wenn man an die Zeltwand stößt: Das ist richtig raffiniert! Dazu kommt der Zeltboden, bei dem die Zeltnähte durch die Spannung, die das ganze Innenzelt hat, 2 bis 3 cm über dem nassen Untergrund schweben !! Dadurch dringt auch von unten absolut keine Nässe ein. Der Clou aber ist der Eingang, der gleichzeitig als Fenster zum Sternenhimmel funktioniert. Also dieses tolle Zelt ist wirklich einmalig und dabei ist es nur 1,6 Kilo schwer, leicht zu transportieren und in drei Minuten aufzubauen. Einen Nachteil allerdings hat es: Es steht nicht ohne Heringe, zwei davon muss man mindestens in den (z.T. steinharten) Boden kriegen. Und 1 x 2 Meter ist natürlich auch sehr klein. Mit zwei Leuten und zwei Rucksäcken und weiteren 2 Daypacks wird es sehr eng. Da muss man sich schon sehr lieben ...

Und die richtigen Nerven gehören auch dazu: Als ich gestern bei Regen und im Dunklen möglichst schnell in das Zelt einsteigen wollte, sprang mir etwas entgegen. Es war ein grosses Insekt, soviel bekam ich mit, ich dachte, es wäre ein Nachtfalter. Als ich das Zelt wieder zu hatte und mich (mit dem Licht der Taschenlampe) ausziehen und hinlegen wollte, rannte über mir im Zelthimmel ein 5 cm langer Kakerlak entlang! Er war sehr schön, glänzend, glatt, ein helles Braun mit noch einmal 5 cm langen Fühlern. Wahrscheinlich war es eine grosse Grille und ich wollte sie natürlich retten. Das war gar nicht so einfach, weil sie sehr schnell laufen und auch noch heftig und weit springen konnte. Draussen rauscht der Regen ...! Sie mit dem Handtuch nach draussen zu befördern gelingt nicht. Dann mache ich das Innenzelt so weit auf, wie es überhaupt geht und jage die schöne Grille mit der Taschenlampe in diese Richtung. Nach mehreren Fehlversuchen sehe ich sie dann aussen am Innenzelt ...! Da weiss ich, dass ich gewonnen habe und kann mich bei dem schönen Regen zur Ruhe begeben. Der Regen rauschte die ganze Nacht – an mir vorbei.

09:10 Uhr, Sunland CaravanPark, Cairns. Inzwischen regnet es wieder ...

So, jetzt bin ich satt und zufrieden. Ich habe gerade im Cairns Central gegessen und jetzt sitze ich ein paar Schritte weiter in einem gemütlichen Kaffee. Eigentlich würde ich gerne einen Mittagsschlaf machen, das verschiebe ich auf morgen. Heute habe ich noch das Auto und das muss ich nutzen. Aber ich habe ja fast alles schon erreicht: Entscheidend ist, die Schnorcheltour durch das Great Barrier Reef ist gebucht und findet statt. Am 25. September, 5 pm, geht es los !! Das wird sicher eine spektakuläre Angelegenheit werden. Ich bin gespannt. Ich habe diesen Trip aus unerfindlichen Gründen zum Freundschaftspreis von 590 $ bekommen, der Listenpreis ist 925 $. Der Preis schliesst alles ein: 5 Tage und 4 Nächte, Essen, Transport, Ausrüstung, das Great Barrier Reef und schönes Wetter (hoffentlich). Das ist im Vergleich zu meinem Auto, das ab morgen täglich 85 $ kosten würde, wirklich ein guter Preis. Aber wahrscheinlich ist das so wie bei den Flugtickets: Man würde sie zwar gerne teurer verkaufen, aber die Konkurrenz ist gross und man findet nicht genug Kunden, die den vollen Preis bezahlen. Bevor die Koje ganz leer bleibt, gibt man sich mit 600 $ zufrieden.

Anschliessend habe ich mich für die Darwin-Safari gerüstet: Mit Sandalen durch den Bush, das geht wahrscheinlich nicht. Also müssen ein paar feste Outdoor Schuhe her. Ich mache einen entscheidenden Fehler und gehe zuerst zum Outdoor Ausstatter ... Natürlich gefallen mir danach keine anderen Schuhe mehr, die alternativ und in grosser Auswahl angeboten werden. Die Schuhe, die ich nach dem Abklappern vieler Schuhgeschäfte dann doch in dem Outdoor Laden kaufe, sind funktionell i.o., entsprechen zu 80 % meinem Geschmack, aber sie kosten mich 160 $. Viel zu teuer. Ausserdem muss ich sie nach Europa mitschleppen, zum Wegschmeissen (das hatte ich eigentlich vor) sind sie zu gut. In solchen Situationen habe ich ein prinzipielles Problem: Das Beste ist gerade gut genug für mich ... Das gilt auch für den wasserdichten Beutel, den ich für weitere 45 $ kaufe. Den brauche ich für die Schnorcheltour, weil mein Daypack alleine dafür nicht ausreicht. Den grossen Rucksack aber werde ich (grandiose logistische Idee!) morgen im Sunland CaravanPark deponieren. So gehen die Hundertdollarscheine über die Rampe !! Aber der Herr Professor wird sich das ja leisten können. Darauf aber kommt es gerade nicht an. Auch für Dich, mein lieber Freund Conny ist alles möglich, Hauptsache Deine CreditCard funktioniert. Deshalb musst Du immer mindestens zwei am Mann haben, eine davon wird schon gehen. Hier wird VISA immer und AMEX zu 80 % akzeptiert.

Als das erledigt ist, müssen neue Filme beschafft werden. Das günstigste Angebot: 10 Filme, ISO 200, 36 Aufnahmen kosten 100 $. Ein Schweinepreis, deswegen habe ich noch nicht gekauft, ich hoffe, es geht noch billiger. Aber alles, was mit Film und Papierbildern zusammenhängt, ist in Australien deutlich teurer als bei Roßmann. Eine Instant-Unterwasserkamera will ich auch noch mitnehmen. Besser als gar keine Bilder vom Korallenriff, sind die Aufnahmen allemal.

Dann war der spannende Moment gekommen, wo ich nachsehen wollte, ob mir jemand auf meine schöne Hotmail-Adresse geantwortet hat. Bei Bianca, die immer noch krank ist, geht nichts. Hier hat man ein Generalproblem mit dem Internetanschluss. Aber im Cairns Central gibt es noch einen anderen Internet-Service: Jeweils 10 Minuten kosten 2 Dollar, auch wieder ein Schweinepreis. Hier erreiche ich zwar hotmail.com, aber es kommt keinen Kontakt mit dem Server zustande, wo eventuell meine Mails liegen. Ich checke das Passwort für albrecht_13@hotmail.com. Das ist in Ordnung. Damit ist klar: Serverprobleme. Dafür kostet es auch nichts, das ist sehr fair. Danke.

Nach dieser Mittagspause werde ich es noch einmal versuchen. Ich will es jetzt wissen, ob man über Hotmail.com auch wirklich eine Antwort bekommt. Wenn das heute nicht klappt, dann versuche ich es eben morgen noch einmal. Jetzt habe ich Urlaub in Cairns und drei Tage Zeit! Was für eine Wonne! Mensch Conny, wie geht es uns gut !!

13:00 Uhr, Cairns Central

Da habe ich mir doch heute tatsächlich Rührei mit Schinken in meiner Kabine gebrutzelt! Es hat funktioniert, auch wenn die Küche mehr auf Steaks (Staaaiiiks) ausgelegt ist. Allerdings ist es wahrscheinlich etwas sehr unkonventionell, als Bratpfanne einen Alu-Teller zu benutzen. Aber eine Bratpfanne gibt es in meiner Küche hier nicht.

Dabei sehe ich das australische Frühstücksfernsehen – völlig ungewohnt und exotisch. Die Top-Story: Heute sind die TV-Bänder des Verhörs von Mr. Clinton zu seinen Spielereien mit Monica veröffentlicht worden. Die sexuellen Eskapaden des Präsidenten der USA waren in den letzten Tagen schon im Radio ein grosses Thema. Auch ich würde sofort sagen: Heii lüücht !! So sehen es wohl auch die Amerikaner selber, die ja noch näher dran sind. Spannend, wie sich diese Affäre weiter entwickeln wird. Irgendwie ist das alles grotesk, absurd und voller Heuchelei. Aber gerade Heuchelei und Lüge gehören existentiell zu diesem System der westlichen Demokratien: Streite es ab !! Auch wenn es glasklar bewiesen ist, dass Du es warst: Streite es ab !! Wer es war, ist völlig egal, DU warst es nicht !! Der Präsident macht es allen vor, wie man sich auch in der aussichtslosesten Lage zu verhalten hat: Abstreiten, immer abstreiten !! Bis zur Bewusstlosigkeit und bis zum Umfallen wird in diesem System gegen jede Vernunft gelogen. Nie wird das ein ehemaliger DDR-Mensch in dieser Perfektion können (... und wollen). Die andere Seite der Medaille ist genau so absurd: Was hat der Rechtsstaat in diesem Ausmass in der Privatsphäre eines Menschen zu suchen? Egal, ob er Präsident der USA ist, Monica Lewinsky oder Constantin Beyer heisst. Wozu, warum, wo und was ist das ‚übergeordnete Interesse‘, das ein solches Vorgehen rechtfertigt? Warum haben Clinton und Monica nicht von Anfang an jede Antwort auf Fragen nach irgendwelchen Details einfach verweigert? Von mir hätte kein Richter etwas erfahren, auch nicht durch ‚Beugehaft‘. Allein schon dieser Begriff passt aus meiner Sicht nicht in einen Rechtsstaat. Aber es war mir ja schon immer klar: Diese Art von Demokratie ist auch nicht mein System! Das kann ich immer nur wieder sagen. Mein System, der Staat, der emotional und mental meine Heimat sein könnte, diesen Staat gibt es nicht. Also bleibt mir nur übrig, mich mit dem herrschenden System genau so zu arrangieren, wie ich mich auch mit der DDR arrangiert habe. Herbert will ich nicht nacheifern! Ausserdem ist es viel einfacher und erfordert weniger Verrenkungen, sich mit der sozialen Marktwirtschaft und ihren ungleich grösseren Freiheiten zu arrangieren, als mit den bornierten ‚guten‘ Genossen der ‚Partei- und Staatsführung‘ der DDR.

In dem ganzen Trubel habe ich ja völlig übersehen, dass ich meine kurze aber heftige Affäre mit Monica L. bisher überhaupt nicht zur Sprache gebracht habe. Das ist verständlich, denn der Gentleman geniesst und schweigt. Aber wer sich in meinen Aufzeichnungen bis zu dieser Stelle hier vorgearbeitet hat, der hat Nervenstärke und Durchhaltewillen bewiesen und ein Bonbon verdient. Ausserdem kommen die Medien auch in Australien früher oder später auf die Spur einer solchen Top-Story und dann wird es sowieso auch in Europa publik: Monica hatte sich in Port Douglas zufällig im gleichen Motel wie ich eingemietet. Natürlich inkognito. Aber anonymer als in diesem Automatic-Motel geht es ja gar nicht mehr. Auf dem Parkplatz, im Hof dieses Motels, gerade als sie sich noch einmal die blonde Perücke zurecht rückte, da trafen sich unsere Blicke: Sofort brannte es unter dem Sonnendach lichterloh und wir stürzten zusammen heißblütig in einen turbulenten Strudel der Leidenschaften. Wir hatten zwei (oder waren es sogar drei ...) wundervolle Nächte und Tage. Ich verliess das Motel nur einmal, weil das Duschgel ausgegangen war. Wie in Trance lief ich durch Port Douglas. Ich weiss nicht mehr, ob die Sonne schien, ob es regnete, war es Tag oder Nacht? Ein Taifun hätte das Motel wegreissen können, wir hätten es nicht gemerkt. Wir hatten nur Augen, Ohren, Hände und Körper füreinander. Was im Detail geschehen ist, ich weiss es nicht mehr. Für einige Tage fehlt mir vollständig der Film. Monica war wunderbar und ich war wunderbar für Monica. Vor allen Dingen schätzte sie besonders, dass meine sexuellen Vorlieben den ihren wesentlich näher kamen, als die von Mr. C. ... Leider hat uns dann die Presse trotz Automatic-Motel aufgespürt und daraus eine wilde Story gemacht, die tagelang durch alle Zeitungen und die TV-News lief.

Natürlich ist das alles erstunken und erlogen. Nichts von alle dem es wahr. Niemals habe ich Monica L. auch nur einmal life gesehen !! Auch in Beugehaft würde ich nie etwas anderes sagen, weil es einfach nichts anderes zu sagen gibt. Ärgerlich ist zwar, dass man in unserem Zimmer eine WebCamera installiert hatte und die Bilder auch life in die Hauptnachrichten von CNN eingeblendet wurden. Gott sei Dank kennt mich ja keiner hier in Australien und wer sieht in Deutschland (ausser mir) schon CNN ... Aber wirklich, und ich schwöre jeden Eid: Das ist alles nur Lüüüügäääh !!

Aber es war irre toll mit Monica. Eigentlich war sie ja für meinen Geschmack ein bisschen zu füllig, zu opulent, fast etwas zu drall. Aber für diese zwei oder drei Nächte – geschenkt !!

19:35 Uhr, Sunland CaravanPark, Cairns

Eigentlich liege ich sonst um diese Zeit (21 Uhr) schon längst flach in meinem schönen Zelt. Kaum habe ich ein Cabin, schon ändert sich der Lebensrhythmus. Das liegt ausschliesslich am Licht: Es macht auch noch Aktivitäten nach dem Sonnenuntergang möglich.

Im Cairns Central habe ich sehr gut gegessen: Eine Super-Soup für 6,90 $. Nachdem ich mir dann auch noch einen starken Kaffee geleistet hatte, ging ich noch einmal zu dem Internet Service, bei dem vorher nichts geklappt hat. Jetzt aber funktionierte die Verbindung zum Hotmail-Server und, oh welches technische Wunder, es waren tatsächlich zwei Antworten eingegangen! Schikora, Steffen und Mauna haben mir geschrieben. Es war klar, die Spezialisten haben sich den Absender angesehen und da wussten sie sofort Bescheid! Das ist ja wirklich eine tolle Sache, dass man auf diese Weise über die Kontinente hinweg seine Freundschaften pflegen kann. Ich habe mich umgehend artig bedankt und in den nächsten 1 ½ Stunden allen geschrieben, von denen ich eine E-Mail-Adresse habe. Den langen Brief an Conny habe ich gleich noch Stefan, Onkel Dieter und Tanja als Kopie geschickt. Besser können meine Freunde in Europa gar nicht informiert sein. Also brauche ich morgen früh nicht zu telefonieren. Spätestens am Freitag aber werde ich noch mal ins Internet gucken, sicher habe ich da ein paar Mails zu beantworten.

Es gibt hier aber auch ISDN – ich dachte, das ist eine auf Deutschland beschränkte Spezialität. Mindestens in den USA hat man sich auf ADSL (deutlich schneller) ausgerichtet, dass es auch da vielleicht parallel noch ISDN gibt, ist mir neu.

Weil ich so nett zu der Dame war, brauchte ich auch nur 10 $ für 90 Minuten zu bezahlen, obwohl der Tarif hier bei 2 $ für 10 Minuten liegt. Aber man sieht das eben nicht so eng, wie es die Telekom in Deutschland tut. Gleich aber merkte ich, was der triviale Grund für diese Grosszügigkeit ist: Das Geschäft lief ohne Quittung an der Steuer vorbei. Als ich nach der Rechnung fragte erkundigte sich die Dame mit einem verschmitzten Lächeln, ob ich denn wirklich eine Quittung haben möchte ...?! Nein, natürlich nicht! Ich hätte diese Rechnung nur Interesse halber in mein Reisetagebuch geklebt – aber so soll es mir auch recht sein.

In so einem CaravanPark lebt es sich wahrscheinlich billiger und angenehmer als in den Hotels der Backpacker-Szene. Mit einem Cabin hat man hier automatisch gleich seine eigene Küche zur Verfügung und hier ist es herrlich ruhig. Ich habe gerade noch einmal einen Spaziergang gemacht. Rund um den CaravanPark gibt es jede Menge Einkaufsmöglichkeiten und man kann auch billig essen. Für 3 bis 7 $ wird man an verschiedenen Imbissbuden gut und reichlich bedient. Man kann also auch preiswert aber angenehm in Australien leben, ohne auf Dusche und ordentliches Essen verzichten zu müssen. So, wie ich jetzt lebe, kostet mich ein Tag ca. 50 $. Da lebt man aber schon relativ gut, mit Cabin und eigener Küche. Allerdings hat man dabei noch nicht eine Tour gebucht und kein Geld für Reisen im Lande ausgegeben. Touren muss man aber nicht buchen, die meisten kann man genau so, aber deutlich billiger auch mit den Public Busses alleine unternehmen. Man muss aber erst mal das Know How haben, das ich mir jetzt mit dieser Tour hier aneigne.

Als Fussgänger, heute abend und in dieser Gegen, lebt man gefährlich. Die grossen Kreuzungen (meistens sind es Kreisel) kennen nur den Autoverkehr und ignorieren vollständig, dass es auch Fussgänger auf dieser Welt gibt. Man muss sich also irgendwie über die Strasse trauen. Das ist bei Linksverkehr für rechtsgewohnte Fussgänger mindestens zu Anfang lebensgefährlich: Die Autos kommen plötzlich und unerwartet aus der völlig falschen Richtung. Man guckt immer auf die verkehrte Seite und wird sehr verunsichert, wenn man merkt, wie falsch das ist. Beim Autofahren ist die Gewöhnung an den Linksverkehr spätestens am 3. Tag abgeschlossen. Nach einer Woche ist der Linksverkehr ganz und gar selbstverständlich. Als Fussgänger würde einem das sicher so ähnlich ergehen, aber ich fahre hier (leider) viel mehr mit dem Auto, als dass ich zu Fuss gehe. Viel schwieriger ist es in einem Auto mit Automatikgetriebe zu begreifen, dass jetzt links nicht die Kupplung, sondern die Bremse ist !! Das hat mir schon in Malaysia grössere Probleme bereitet, als der Linksverkehr. Das lag in erster Linie daran, dass ich mir diesen fundamentalen Unterschied nicht gründlich bewusst gemacht habe. Hier aber habe ich die Situation mit dem Zauberwort ‚!! bewusstseinspflichtig !!‘ bewältigt. Ich habe mir immer wieder selber erklärt, wie einfach ein Auto mit Automatikgetriebe zu fahren ist: Es gibt nur zwei Zustände und zwei entsprechende Pedalen: Fahren oder Bremsen! Einfacher geht es nicht und das begreift sogar klein Erna und jeder alte Opa. Jetzt wundere ich mich, dass sich dafür schon nach drei Wochen wirklich die entsprechenden Reflexe ausgebildet haben! Das hätte ich nicht erwartet. Diese Tatsache aber zeigt, dass der Mensch auch bis ins hohe Alter hinein lernfähig bleibt. Wie beruhigend das ist !!

21:45 Uhr, Sunland CaravanPark, Cairns

 

Jürgen Albrecht
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