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Trekking unter dem Annapurna

 

 

 

 

 

 

 

 

TRECK DURCH
DIE WÜSTE

24. März 1997, Montag, Eklobhatti

 

 

16 Uhr in Eklobhatti – vor mir ein Nepali-Tea, durch das große Fenster scheint mir die Sonne auf den Rücken. Ich sitze in der Dining Hall des Holliday Inn von Eklobhatti, ein großer, heizbarer Tisch (jetzt kalt), Bänke, Plastik-Gartenstühle mit den dazugehörigen, runden Tischen. Der Ort hat vielleicht zehn Gebäude, die meisten gehören zu drei verschiedenen Hotels. Direkt neben uns hat vor ein paar Monaten das Hilton Eklobhatti aufgemacht! Unser Hotel ist vorzüglich, eine zweistöckige Halle mit umlaufender Galerie als Eingang. Zwei freundliche Frauen begleiten mich in mein Zimmer mit der Nummer 1: Sonne scheint durch das Fenster, Gardinen, zwei Holzpritschen mit Schaumgummiauflage und Laken, ein Pappkarton als Papierkorb, auf dem gestampften und extrem sauber gefegten Lehmfußboden ein zerschlissener Flickenteppich – das ist die komfortable Einrichtung. Elektroenergie gibt es nicht. Gekocht wird mit Petroleum. Die Heizung für das ganze Haus besteht aus einem Herd in der Küche und einem table heater in der Dining Hall. Der Wind läßt die Gardinen wehen, aber solange mir die Sonne auf den Rücken scheint, ist es hier gut auszuhalten und zum Essen wird es sicher auch unter diesem Tisch warm sein. Jetzt sind die Finger noch klamm vom Laufen im Wind. Trotz Sonne waren es nur 10 bis 12 Grad, wenn es überhaupt so warm war. Aber ich schreibe lieber jetzt, wo es hier hell und warm auf meinem Rücken ist. Später wird es hier kalt und dunkel sein – wie sollte ich bloß ohne meinen herrlichen Schlafsack hier in den Bergen überleben?! Mit diesem guten Stück habe ich auch in Tukuche herrlich geschlafen: Von 20:30 bis 7:30. Bei einer WC-Unterbrechung eine faszinierende schwarzweiße Sicht von der Aussichtsterrasse auf die Berge und den Mond !! Bishnu hatte darum gebeten, daß wir nicht schon um 7 Uhr Frühstücken, sondern erst gegen 8 Uhr – er schläft gerne länger und wir haben heute keinen langen Weg.

Wir starten um 8:45, die Sonne scheint, Berge, so weit man sehen kann, blühende Aprikosenbäume, ganz helles Grün von Weiden (o.ä.). Ein ganz einfacher Weg. Es geht leicht bergan, immer rechts der Fluß, keine berauschenden Bilder, ein recht enges Tal ohne Aussicht.

 

 

Wir überholen Mönche (Foto), die auch nach Muktinat wollen. Aussicht nur, wenn man sich umdreht, da, wo wir herkommen. Aber auch diese Berge sind bald verdeckt. Dafür taucht nach einer Weile rechts der Nilgiri (7061) auf. Ich finde eine Stelle (ein fast leeres Nebenflüßchen), da liegen haufenweise solche dunklen Steine aus dem glitzernden Material. Ich steige hier fast eine Stunde herum und sehe mir diese schönen Steine an. Zum Schluß stecke ich einen davon für mein Fensterbrett in Berlin in den Rucksack. Herrlich blinkt er in der Sonne.

 

 

Dann sind wir in Marpha. Viele Häuser an einer sehr schmalen Straße. Ein ruhiges Dorf in der Sonne, ganz herrlich gelegen, ein richtig netter, kleiner Ort. Viele Traveller, viele Kneipen, viele Äpfelbäume. Ich kaufe getrocknete Apfelstücken (hervorragend, 30 Rp.). Am Ortsausgang ein Händler mit Frau: Für Conny kaufe ich einen Ammoniten aus dem Himalaja. Erstaunlich, wie der hier her kommt, aber man findet hier solche versteinerten Meeresbewohner. Erst soll er 250 Rp. kosten. Für 100 Rp. kaufe ich ihn, inklusive Foto vom freundlichen Handelsmann.

Für ein schönes Foto eines blühenden Baumes laufe ich auch noch mal zurück, klettere über Steinmauern und laufe über ein Terrassenfeld. Gestern bin ich für ein Foto auf einen Baum geklettert: Der Picture-Hunter, denke ich mir. Ein über und über blühender Aprikosenbaum, allein zwischen steingesäumten Feldern. Eine rot-weiß angemalte Buddhistische Pyramide aus aufgeschichteten Steinen. Ein herrliches Bild – vor allen Dingen in meinem Kopf.

In Marpha habe ich die Bergschuhe wieder ausgezogen: Die Sandalen laufen sich deutlich besser und heute ist es nicht mehr so naß wie gestern. Bishnu zieht meine Bergschuhe an, gegen meinen Rat. Er braucht Schuhe um Größe 40, die hier sind 44 und ihm viel zu groß. Aber er findet sie wundervoll, das sind die Statussymbole der Einheimischen. Wahrscheinlich werde ich sie ihm zum Abschluß schenken, wenn er wirklich damit laufen kann. Die beiden sind jetzt immer weit vor oder hinter mir, jetzt funktioniert es. Sie reden pausenlos miteinander. Auch jetzt sitzen sie hier mit am Tisch, spielen Karten und reden ununterbrochen – ich verstehe Gott sei Dank nichts. Für Bishnu aber ist das normal, er redet überall und mit jedem. Er ist sehr kontaktfreudig. Wenn er nicht zu sehen ist, dann ist er mit Sicherheit in der Küche zu finden, schwatzend mit den dort arbeitenden Frauen. Nomoral ist zurückhaltender, er schläft gerne und viel. Er ist wie Bishnu 26 Jahre alt, aber im Gegensatz zu ihm ist er verheiratet. Für nepalesische Verhältnisse ist das sehr früh. Beide verstehen sich gut, sind sehr hilfsbereit, gutmütig und kooperativ. Sie versuchen, meine Wünsche zu erraten und sehen mich absolut als den Chef dieser Expedition an: 'Yes, Sir!' Das ist ihnen nicht abzugewöhnen.

Eben war ich auf der Toilette: Herrlich, auch wenn man sich erst an das Stehklosett gewöhnen muß. Aber es ist praktisch und sauber: Rechts ein alter Benzinkanister aus Plaste, oben ein großes Loch: Das ist der Wasserbehälter. Darauf steht ein kleiner Topf mit Henkel und Schnauze (wichtig !). Wenn man es geschafft hat, nimmt man den Topf in die rechte Hand und läßt das Wasser hinten an der richtigen Stelle runterlaufen. Mit der linken Hand wäscht man sich. Praktisch, hygienisch, papierlos. Es gibt nur ein kleines Problem: Wie bekommt man die linke Hand wieder sauber?! Gar nicht. Deswegen ist sie lebenslang schmutzig und wird absolut nicht zum Essen und zum Anfassen anderer Leute benutzt. Die Version mit Papier und dem Behälter mit dem benutzten Papier, haben offensichtlich die Touristen hier eingeführt: Ekelhaft.

Gerade war ich noch mal draußen vor der Tür: Sonne satt. Aber es gibt hier nur vier Häuser, die allerdings aus mehreren Gebäuden bestehen. Davor verläuft das jetzt trockene Flußbett, mindestens einen Kilometer breit und rechts und links so weit, wie das Auge reicht. Ganz karge Schuttberge säumen den Fluß. Sie sehen z.T. wie die Bergbauhalden in Eisleben aus, gezeichnet von Erosion durch den Regen. Das Material wurde von den Achttausendern herunter transportiert und hier zwischengelagert. Hunderte Meter hohe Geröllhalden. Unbewachsen, über der Schneegrenze (hier ist es ca. 3300 Meter hoch). Eine Landschaft wie in Arabien, aber nachts unter Null und am Tage nicht mehr als zehn Grad. Eine wirklich eindrucksvolle, karge Landschaft. Wenig touristischer Verkehr, kaum Felder. Hier fühlt man sich schon eher am Ende oder auf dem Dach der Welt, als weiter unten im Tal.

Von Marpha aus weitet sich das Tal wieder – lose Geröllflächen bis nach Jomsom. Aber immer rechts der Nilgiri – eine eindrucksvolle Bergkette. Mit Blick auf dieses Massiv essen wir gegen 12:30 in OMS Home, direkt neben dem Flug'büro' von EveresT AIR in Jomsom. Dort haben wir vorher unsere Tickets für den 27. März gecheckt: Ohne Computer, ohne Telefon: Ein Boy holte die Liste vom Tower des gegenüber liegenden Flugplatzes: Albrecht steht auf der handschriftlichen Liste für den 27.03.1997 – alles ist o.k. !!

Nach dem Essen auf der sonnigen Terrasse laufen wir durch Jomsom – ein relativ großer Ort mit zwei (!) stabilen Brücken über den Fluß und einer Militärgarnison.

 

 

Gleich hinter Jomsom fängt die wüstenähnliche Landschaft an: Ein kilometerbreites, endloses, jetzt weitestgehend trockenes Flußbett voller Steine. Geröllberge an den Seiten. Faszinierende Bilder von Weite und Einsamkeit: Natural graphic! Es ist nicht alles Geröll. An einigen Stellen sieht man wie in einem Lehrbuch, wie der ehemalige Meeresboden (Sedimentgestein) durch die tektonischen Kräfte gefaltet wurde. Wo habe ich genau solche Strukturen schon einmal gesehen? Sandschichten und darin eingelagert gelber Sandstein. Österreich, Norwegen? Ich weiß es nicht mehr zuzuordnen. Ich mache ein hoffentlich tolles Foto von einer Verformung um 90 Grad.

 

 

Dann sehen wir Eklobhatti – der Guide zeigt auf eine kleine Gruppe von Häusern, noch weit weg. Dieser Ort ist erst neu gegründet. Er ist wie auch Kagbeni, zwei Kilometer weiter, in der Regenzeit im Sommer von Jomsom aus nicht zu erreichen: Da gibt es hier nur reißende Wassermassen. Man muß dann im Gegenzeigersinn von Pokhara um den Annapurna laufen, um nach ca. 12 Tagen Jomsom zu erreichen. Allerdings ist auch das nicht problemlos: Zwischen Muktinat (morgen) und Manang gibt es den 5416 Meter hohen Thorong Paß und der ist nur selten schneefrei und nur dann begehbar. Eine komplizierte Gegen hier.

Kinder schreien, Bishnu und Nomoral spielen 'Billard' (hier ein Brettspiel), Hühner gackern in der Empfangshalle, die Sonne wird in einer halben Stunde (nein, in 5 Minuten !!) hinter dem gegenüberliegenden Bergkamm verschwinden. Noch ein letztes Foto und dann erst mal Pause im Schlafsack.

24.03.1997, 17:13, Holliday Inn, Eklobhatti 041197

So, jetzt ist es kalt und dunkel. Aber noch brennt eine Gaslampe in der Dining Hall. Vielleicht noch zwanzig Minuten, dann gehen alle ins Bett. Wir haben gerade gut gegessen – gebratener Reis und Gemüse. Vorher haben wir uns auf die Route des morgigen Tages geeinigt: Morgen laufen wir nach Muktinat und werden dort übernachten. Der Guide wollte früh rauf und dann gleich wieder hier her zurück. Da hätten wir das meiste Gepäck hier lassen können. Aber wozu? Ich will Abend, Nacht und Morgen in Muktinat erleben: Eine (hoffentlich) irre Sicht auf alle Berge der Umgebung. Das wird der höchste Punkt meiner Tour werden: ca. 3.900 Meter. Außerdem, 800 Meter rauf und wieder runter an einem Tag, das muß mit einem älteren Herrn nicht sein. Ich schlage vor, daß wir nur den Schlafsack und wenig Gepäck mitnehmen, dann kann Nomoral auch hier bleiben. Das aber geht überhaupt nicht! Ein Träger, der 24 Stunden Pause macht und seinem Dienstherren nicht folgt – das ist für alle unannehmbar. Was würden die Landsleute hier im Hotel sagen, wenn Nomoral hier den ganzen Tag in der Sonne sitzt !?! Das ist gegen die Ehre von Träger und Guide. Also dann für alle: Morgen früh Start um 6 Uhr nach Muktinat.

Gegen 19 Uhr waren wir alle noch einmal vor der Tür. Ich hoffe jetzt, den Kometen Hale-Bopp zusehen. Ein wolkenloser Himmel, der Mond ist (noch) hinter den Bergen, aber er bescheint schon das Dhaulagiri-Massiv gegenüber, wo fast noch Sonnenuntergang ist! Der hellste Stern ist der strahlende Sirius, dann ist noch einer sehr hell in der Gegend, wo bald der Mond zu sehen sein wird (Virgo ?) { Nein, es war der Mars! Siehe Seite vom 26.03.1997} Von der Cassiopeia sah man nur die obersten drei Sterne, der vierte war schon hinter dem Bergkamm. Und genau auf der Höhe des vierten Sternes ist (vermutlich, nach meiner Sternenkarte) Hale-Bopp zu sehen. Trotz bester Sicht war nichts zu machen, die Berge waren einfach zu hoch und wir waren zu weit unten. Allein deshalb schon müssen wir morgen abend in Muktinat sein: Gleich nach Sonnenuntergang müssen wir nach Hale-Bopp Ausschau halten!! Auch Bishnu ist schon von meinem Kometenfieber angesteckt. Er weiß ein bißchen von Astronomie und bewundert meine Sternenkarten.

Jetzt aber in die Falle! Außentemperatur 5,5 Grad. Der Mond ist noch nicht über den Berg.

24.03.1997, 20:02, Holliday Inn, Eklobhatti

 

 

 

 

 

 

 

 

RUNDUMSICHT
AUF WEISSE GIPFEL

25. März 1997, Dienstag, Muktinat

 

 

Ich sitze auf dem Dach des Hotels LALIGURANS (Rhododendron !) und dieses Hotel steht auf dem Dach der Welt. Hier ist es jetzt 13:30, die Sonne scheint mir auf den Rücken, es ist so windig, daß ich alles festhalten muß.

 

 

 

Der Wind kommt von Westen, wo das riesige Massiv des Dhaulagiri in der Sonne liegt. Das hier ist der höchste Punkt, den ich bei meiner Reise erreiche: Muktinat liegt offiziell auf 3.802 Metern, so steht es zumindestens an der hiesigen Polizeistation. Mein Thermometer zeigt eine Temperatur von 5 Grad an. Das ist in der Sonne angenehm, an die klammen Finger kann man sich gewöhnen.

 

 

Die Porter der Gäste des Hotels sitzen nicht wie ich an dem einzigen Tisch hier auf dem Dach, sondern sie liegen hinter einer kniehohen, umlaufenden Mauer auf Yack-Fellen. Sie spielen Karten, Bishnu gewinnt. Das Hotel steht weit oben an der einzigsten Straße, die es in Muktinat gibt. Es hat das höchste Dach, aber alle anderen ca. zehn Hotels haben die gleiche unbeschreibliche Sicht: 360 Grad nur Schneegipfel. Am Morgen gab es wenige Wolken, jetzt sind es mehr. Aber solange die Sonne noch scheint, ist die Sicht trotzdem und gerade wegen der bizarren Wolken phantastisch. Heute staunte selbst Bishnu, was wir auf unserem Treck für ein Glück mit dem Wetter hatten und haben – das ist wohl um diese Zeit nicht selbstverständlich und auch nicht in der Saison im Oktober. Ohne Sicht aber wäre es hier entsetzlich: Man weiß dann nur von Bildern, wie es aussehen könnte, aber man sieht nichts. Man steigt ab und hat nichts von diesem Panorama gesehen! Schrecklich!!

Geradeaus ist Norden. Da ist ein Berg zu sehen: Trungla o.ä. Rechts von mir die Schule, die ich am vormittag schon besucht habe. Auch dahinter, quasi im Schulhof, ein riesiger Schneegipfel, nahe wie Trungla und etwas in den Wolken. Im Süden das ganze Massiv des Annapurna – überwältigende Gipfel, aber jetzt in dunklen Wolken. Im Westen das Dhaulagiri-Massiv, noch ganz gut zu sehen und ca. 10 bis 15 km weit weg von hier. Und sehr interessant in Richtung Nordwest – das ist das Mustang-Gebiet, wo das Permit 700 $ per day kostet (?! Bishnu behauptet das). Dort liegen die Neuntausender und nur spezielle Expeditionen wird die Einreise (gegen viele Dollars) gestattet. Man sieht nicht viel davon, die Berge sind 80 oder 100 km weit weg. Eigenartige Wolkenformationen in dieser Richtung.

Muktinat liegt am oberen Ende eines Tales, am unteren Ende liegt Eklobhatti. Dieser kleine Ort ist ca. 12 Kilometer weit weg. Das Tal ist kilometerbreit und nicht sehr tief, nur ein Fluß hat sich tief eingeschnitten. Ganz charakteristische Erosion ist in den nahen Geröllhalden zu bewundern. Aber es gibt auch flache Stellen, wo Landwirtschaft getrieben wird. Grüne Flecken in der ansonsten khakifarbenen, sehr kargen Landschaft. Gemüse, Kartoffeln, Weidenbäume liefern Baumaterial für Häuser. Aber ohne die Touristen hätten wahrscheinlich nur 20% der jetzt hier lebenden Menschen ein vernünftiges Auskommen.

Ich muß runter, die Sonne scheint zwar immer noch, aber der Wind macht es hier oben sehr kalt. Die Finger sind zu klamm, ich kann nicht mehr schreiben. Ich habe sogar eine Seite überschlagen, so konnte ich gegen den Wind besser schreiben. Jetzt ist es 14:03 und wir gehen zu der Tempelanlage, die sich hier gleich (100 Meter höher) in der Nähe befindet.

25.03.1997, 14:03, Hotel Laligurans, Muktinat

Auf dem Hoteldach mit einer irren Aussicht!

Jetzt sind wir zurück und ich will die Helligkeit nutzen, um weiter zu schreiben. Ich sitze immer noch draußen, allerdings eine Etage tiefer. Hier ist ein nach oben offener, windgeschützter Innenhof. Das Thermometer zeigt drei Grad, aber es gibt keinen Wind, manchmal auch einen Sonnenstrahl – mal sehen, wie lange man so schreiben kann.

In der vergangenen Nacht bin ich einmal vor die Tür gegangen und habe den hoch stehenden Mond und die schwarzweiße Landschaft bewundert, beleuchtet vom fahlen Mondlicht. Es ist kalt und ich krieche schnell wieder in den besten Schlafsack der Welt ...! Als ich mich schon wieder eingepackt habe, schäle ich mich noch einmal raus und verschiebe die Holzpritsche. So kann ich das 'Fragezeichen' des Orion aus der Luke meines Schlafsacks sehen – wenn ich die Position leicht ändere, sehe ich den Sirius. Herrlich! So schlafe ich wieder ein. Gegen 4 Uhr wache ich auf, der Mond scheint mir ins Gesicht. Gegen 5:45 wache ich auf, wie ich es mir vorgenommen hatte, denn der volle Mond steht jetzt über der Bergkette und auf der anderen Seite geht die Sonne auf. Was für ein Anblick!! Schnell bevor der Mond weg ist: Fenster auf und ein Foto. Ich habe 'B' eingestellt, denn es ist noch recht dunkel, mal sehen, was daraus wird: Spannend.

Dann wecke ich Bishnu und Nomoral. Mehr als ein Milchkaffee aus der Thermoskanne ist um diese nachtschlafende Zeit hier nicht zu haben. Um 6:15 starte ich mit Nomoral, es geht bergauf. Die ersten Bergspitzen werden von der Sonne beleuchtet. Es ist kalt, um Null Grad. Aber ich bin gut und richtig angezogen: Lange Unterhosen, zwei Paar Socken, Sandalen (!), mein bestes Safarihemd, darunter das Seemannsnicky und darüber den grauen Wollpullover. Windjacke und Bergschuhe sind griffbereit im und am Rucksack, den der Porter schleppt. Er ist trotzdem schneller als ich und auch Bishnu holt uns nach einer halben Stunde ein: Er hat länger geschlafen und wäre gerne noch eine Stunde liegen geblieben.

 

 

Dann zwei Stunden immer bergauf in einer atemberaubenden Wüstenlandschaft mit klassischen Erosionsformationen. Ich habe keine Probleme mit der Kälte, mit der Höhe oder den Füßen, alles ist o.k. Gegen 8:15 erreichen wir Muktinat – denke ich. Aber das hier ist nur das 'Gebiet' Muktinat. Hier gibt es die ersten, mit Steinmauern umgebenen, Felder. Jetzt geht es noch einmal steil bergauf. Wir laufen durch ein intensiv landwirtschaftlich genutztes Gebiet mit sehr kargem Boden. Jetzt ist alles abgeerntet und umgepflügt. Endlose Steinmauern mit Lehmaufsatz. Es muß ganz tief in den menschlichen Genen sitzen: Der Mensch muß die Grenzen seines Reviers abstecken und nach Möglichkeit eine Mauer um seinen Besitz bauen!!

 

 

Wir wandern weitere zwei Stunden. Wir kommen durch das seltsame Jharkot, 'Klein-Lhasa', so kommt es mir in seiner Anlage vor. Tolle Bilder ständig vor den Augen. Sonne, ganz herrliche Rundumsicht, dünner Schnee auf den Berghängen am Weg, Wasserpfützen mit Eisdecke, Eiszapfen an dem kleinen Bach am Wegesrand. Nirgends mehr ist etwas vom Frühlingsanfang zu sehen. Kurz vor Muktinat stelle ich fest: Hier sind das erste mal rundherum wirklich nur noch schneebedeckte Gipfel – mehr oder weniger weit weg – zu sehen.

Nach Jharkot ist es nicht mehr weit. Plötzlich sind nach dem letzten Anstieg und einer Wegbiegung die vielleicht 30 Häuser von Muktinat erreicht. Es ist 10 Uhr. Hunger!! Bishnu geht zielstrebig ins Hotel Laligurans, ich sitze fast schon in der gemütlichen Gaststätte gegenüber. Aber hier ist es tatsächlich noch besser. Ein tolles Hotel: Zweistöckige Eingangshalle und Dining Hall, oben ein Innenhof und dann das große Dach mit der atemberaubenden 360-Grad Sicht. Ganz einfache Kammern, aber davon gibt es vielleicht 12, nur eine ist z.Z. noch besetzt: Ein Ehepaar aus UK legt gerade einen Ruhetag ein. Sie kommen aus der Gegenrichtung und sind gestern über den verschneiten Thorong La (5416 Meter) gekommen. Jetzt im Moment kommt ein Traveller mit Porter hier vorbei: Der Bilderbuch-Amerikaner, wie er typischer und dicker nicht sein kann. Laut, verschwitzt und in kurzen Shorts, wie aus dem Fitneßtudio. Herrlich!

Bis Mittag ist Entspannung angesagt. Ich lege mich gegen 12:15 zu einem Mittagsschlaf hin. Bis dahin habe ich nur auf dem Dach gesessen und gestanden und diese irre Sicht bewundert. Beim Mittagsschlaf denke ich an DECOS und daß wir es doch mit Bildern und als Download ins Internet hängen sollten! Daran hatte ich bis jetzt nicht mit auch nur einer Faser meines Geistes nachgedacht! Jetzt komme ich darauf: Seltsam sind die Wege des Herrn!! Diese Idee kommt mir in den Sinn, während ich mich darüber wundere, daß es hier zwar Elektroenergie gibt, aber keine Post, kein Telefon und kein Fax (und natürlich auch kein Internet!). Von hier aus kann ich Conny nicht die Reiseliste faxen, die ich jeden Tag ausgefüllt habe.

Vor dem Mittagsschlaf noch ein Erlebnis: Hinter dem Haus steigt der Berg so steil an, daß man direkt vom flachen Dach auf den Felsen steigen kann. Ich gehe ein paar hundert Meter und bin auf dem Schulhof der 5-Klassen-Schule von Muktinat. Ich setze mich zu einem Lehrer, der in der Sonne die Aufgaben der 2. Klasse prüft. Die Zahlen von 1 bis 10 sind zu schreiben! Wir kommen mit English ins Gespräch. Bald reicht er mir einen Block 'Unterstützen Sie unser Bildungssystem!' Ich spende 100 Rp. und dafür kommen alle Schüler dieser Schule und die drei Lehrer auf den Schulhof:

 

 

Ich mache ein Schulfoto, die Adressen werden getauscht. Und das alles vor diesen Bergen im Hintergrund !! { Ich habe versprochen, für jedes Kind ein Bild zu schicken. Die Bilder sind auch was geworden, nur verschickt habe ich noch keine. Auch nicht an Bishnu und Nomoral. Aber Ehrenwort, noch bevor dieses Jahr zuende geht, werde ich das machen. Aber ich graule mich so an die vielen Filme ran, denn das ist richtige Arbeit. Aber wenn dieser Report hier fertig geschrieben und ausgedruckt ist, dann gehören hier auch Bilder dazu. In dem Zusammenhang werde ich auch die Bilder nach Nepal schicken. Als Geschenk für diese freundlichen Menschen und als Bitte an die Berggötter, mich mindestens noch einmal so eine Trekking Tour erleben zu lassen ... Berlin, 05.11.97 18:25 }

Was war das für eine gute Idee, hier NICHT gleich wieder runter zu laufen! Ständig ändert sich das Wetter und das Rundum-Panorama. Jetzt wird es kälter. Als wir vor einer Stunde den Tempel besuchten, schneite es. Ob wir heute abend den Kometen Hale-Bopp sehen werden, ist sehr fraglich. Wir sind zwar hoch genug. Die Engländer haben gestern Hale-Bopp gesehen!! Aber jetzt ist noch alles voller Wolken in dieser Richtung. In zwei Stunden kann sich viel ändern. Jetzt ist hier oben Schluß, unten ist der heater table in Betrieb genommen worden!

25.03.1997, 16:47, Hotel Laligurans, Muktinat

 

Der Heater funktioniert hervorragend, es ist fast zu heiß. Gegen 17:30 mache ich noch einen Spaziergang über die Felder. Durch Wolkenlöcher zeichnet die Sonne Muster in die Landschaft. Sehr schöne Bilder, auch ohne die Fernsicht von heute vormittag. Dann gehe ich wieder ins Hotel. Viele Traveller sitzen zusammen mit den einheimischen Trägern um den warmen Tisch. Ein lebhaftes, lustiges Gespräch. Bishnu und ein anderer Guide (beide sehr gutes English) unterhalten alle. Der 'Amerikaner' sitzt auch am Tisch und führt das große Wort: Fett, auffällig, kurzatmig, kurze Hosen, Dallas-Hut: Unglaublich! Das Essen wird nach Karte geordert, ich werde wieder mal Daal Bat essen.

Am Nachmittag in der großen Tempelanlage. Für Buddhisten und Hindus hat dieser Ort eine große spirituelle Bedeutung. Eine ewig brennende Erdgasflamme kommt aus einer Wasserquelle. Die drei Elemente Feuer, Wasser und Erde sind hier vereint. Ein Wallfahrtsort.

 

 

Die Anlage ist schon 2100 Jahre alt. Gebetsmühlen in allen Größen, alte Bäume (welch ein Wunder!), verschiedene Tempelanlagen, ein halbrunder Brunnen mit 108 Wasserstellen. Bishnu erklärt mir, wer sich von seinen Sünden reinigen will, geht betend unter diesen 108 Wasserläufen durch. Wenn er danach nicht erfroren ist, wurde ihm verziehen. Gleichzeitig ist diese Anlage Memorial Garden (mit Hubschrauberlandeplatz !!). Große und wichtige Leute pflanzen hier Bäume und Büsche für einen guten Zweck. Mit Schildchen und Datum. Interessant, weitläufig, kalt und windig. Schnee liegt überall und es schneit.

Hier in Muktinat war am Mittag mein letzer Film alle. Ich kaufe mir einen Konica-Film für 230 Rp. Jetzt gehe ich mit Foto auf das Dach und sehe nach dem Sonnenuntergang, es ist 18:30. Heute kein Sonnenuntergang. Dichte Wolken, kalter Wind, keine Sicht.

Gerade war ich ein letztes Mal auf dem Dach. Alles ist dunkel, kein Mond, keine Sterne, kein Hale-Bopp um 19:35. Ich habe gerade gut gegessen, Daal Bat und Nepali-Tea am heater table. Jetzt werde ich mir wenigsten mal die Zähne richtig sauber machen. Die Unterwäsche habe ich auch seit Tagen nicht ausgezogen. Wenn ich ganz heroisch und tapfer bin, werde ich mich jetzt tatsächlich mal ganz ausziehen. Wenn ich mich schon nicht wasche, werde ich wenigstens neue Wäsche anziehen. Überall steht an den Hotels: '!!Realy 24-ours Hot Shower!!' Aber tatsächlich läuft nur eiskaltes Wasser, wenn es nicht schon eingefroren ist. Draußen ist es minus 0,1 Grad (jetzt gerade gemessen, innen + 2,3 Grad). Der schwarze Wasserbehälter ohne Sonnenkollektor und ohne Isolierung steht über mir auf dem Dach. Aber dafür brennt als Ausgleich in Dusche und Toilette elektrisches Licht.

Unten ist noch eine große Runde um den (kalten) heater table versammelt. Apple-Brandy from Marpha macht warm (und blind?!). Musik aus dem Kassettenrecorder kommt von unten. Bob Marley und jüdische Klarinettenmusik. Lebhafte Baudengespräche. Ein ca. 27-jähriges Mädchen erinnerte mich beim Essen lebhaft an unsere Mutter. Es gibt Bilder von Muttel vom Winterurlaub im Riesengebirge, lachend und braun. Jetzt sitzt sie hier fast leibhaftig am Tisch. Seltsam, vielleicht wiederholt sich manches nach 80 Jahren?!

Heizmaterial ist extrem knapp. Was abzuholzen ist, ist längst gerodet. Holz muß mit Mulis von unten rangeschafft werden. Die Wüstenbüsche, die teilweise auf den kargen Flächen wachsen, haben mehr als fingerdicke und einen halben Meter tief reichende Wurzeln. Oben sind sie voller Stacheln und der Boden ist steinhart. Es ist muß eine unbeschreibliche Schinderei sein, sie auszugraben. Aber es wird gemacht. Man sieht solches gestapeltes Holz. Unter diesen Umständen ist es nur verständlich, daß man sich überlegt, ob man den Heater noch ein zweites Mal beschickt!

Jetzt mache ich Katzenwäsche und dann krieche ich in den Schlafsack: Die einzig warme Stelle im ganzen Haus! Morgen starten wir wieder um 6 Uhr bei Sonnenaufgang. Wir laufen bis nach Jomsom, dort verläßt uns Nomoral, sein Job ist dann erledigt. Er läuft morgen noch bis Ghasa, am nächsten Tag bis nach Bemi. Von dort aus wird er mit dem Nachtbus nach Kathmandu fahren. Auch er ist wie wir erst am Freitag wieder zu Hause.

25.03.1997, 19:50, Hotel Laligurans, Muktinat

 

 

Jürgen Albrecht
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