Biker,
Lee's Ferry und der Colorado 4/4
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Free Eine Stunde vor Cameron. Die Gegend ist hoch interessant. Trockene Wüste und besonders auf der rechten Seite sieht man das Ergebnis grossflächiger Erosionen: Ganz eigenartige, farbige Lehmhügel. So, als ob riesige LKW’s sie dort in die Landschaft gekippt hätten. Regen wäscht ganz eigenartige Strukturen in den Sand. Das will ich sehen, und deswegen steige ich noch einmal aus und mache eine Wanderung. Das Material sieht wie Lehm aus. Aber später erfahre ich, dass es Vulkanasche ist. Sie hat eine eigenartig, bläuliche Farbe. Die Berge im Hintergrund dagegen sind richtig rot. Das ist Arizona, eine geologisch sehr interessante, farbige Gegend! Ich fotografiere die Strukturen, die der Regen hinterlassen hat. Gleichzeitig beobachte ich den Himmel. Dramatische Wolken den ganzen Tag, aber das ständig drohende Gewitter entlädt sich nicht. Um zu diesen Lehmhügeln zu kommen, musste ich umdrehen und ein Stück zurück fahren. Dabei sehe ich einen Biker und denke mir: Der alte Mann hat einfach zu viel Gepäck dabei. Als ich von meinem Rundgang zurückkomme, hat er gerade meinen Camper erreicht. Wir müssen uns treffen! Und natürlich lade ich ihn zu einem Drink ein. Schon nach den ersten Sätzen weiss ich, an wen ich hier geraten bin. Aus dem ehemaligen John Cool ist vor Jahren der 'begnadete' Home Free geworden. Home Free, weil er auf der Strasse lebt und überall zu Hause ist. So einen Augenaufschlag, kombiniert mit dem Blick in den Himmel, habe ich noch nie gesehen. Bei Home Free kann ich diesen Augenaufschlag jetzt ausgiebig bewundern. Immer wenn er den Namen des Herrn in den völlig zahnlosen Mund nimmt, und das ist jedes zehnte Wort, wendet er gekonnt den Blick gen Himmel. Er redet ununterbrochen. Obwohl er mich höchstens seit drei Minuten kennt, weiss er ganz genau, was ich falsch mache. Das kommt davon, dass ich nicht den 'Spirit' habe, oder ihn nicht gebührend beachte. Ich höre ihm geduldig eine Viertelstunde zu und komme kaum zu einem Einwurf, so heftig erklärt er mir, wie einfach doch alles ist, wenn man es nur mit sich geschehen lässt. Seine Welt ist heil, übersichtlich und schlicht. Er kann nur noch in diesen Kategorien denken, ein anderes Thema existiert für ihn nicht mehr. Dann aber gelingt es mir, seinen Redefluss mit folgender Frage zu unterbrechen: 'Du also bist rundherum mit Dir und Deiner Welt zufrieden. Du hast eine Lösung gefunden, die Dich auf Dauer happy macht. Kannst Du Dir vorstellen, dass andere Leute das auch geschafft haben? Aber auf einem völlig anderen Weg? Warum missionierst Du mich mit Jesus Christus, wenn ich genau das gleiche wie Du erreicht habe, aber ohne Jesus !!?' Das hat ihn wohl noch niemand gefragt!! Er stutzt, ich habe ihn mit dieser Frage aus dem längst eingefahrenen Konzept gebracht. |
So kann ich ihm endlich ein paar profane Fragen stellen: Er ist 61 Jahre alt, kommt von Seattle und will nach Omaha. Er ist immer auf Reisen. Arbeiten liegt ihm nicht. Nur wenn es unbedingt sein muss, macht er Gelegenheitsjobs. Beim längsten Job seines Lebens musste er ein ganzes Jahr lang bei einem Schlosser arbeiten. Das war furchtbar! Wie gut, dass er dabei seine Erleuchtung hatte und mit dem Fahrrad dem Schlosser entkommen ist. Das liegt jetzt schon dreissig Jahre zurück. Home Free ist sauber und ordentlich angezogen, beim Trinken tupft er sich den langen Bart mit einem sauberen Taschentuch ab. Er ist technisch gut ausgerüstet. Sein Fahrrad ist eine Spezialkonstruktion, Marke Eigenbau. Während der Fahrt hört er Radio, am Abend im Zelt läuft der Fernseher. Die Batterie dazu lädt ein Solarpad auf, das auf dem Anhänger seines Fahrrades montiert ist, 20 Watt reichen dafür aus. Auch eine Kühlbox wird so im Anhänger betrieben. Na klar, darf ich ein Foto machen! Ah, sieh da, eine Digitalcamera! Nein, E-mail hat er noch nicht, aber das muss jetzt wirklich bald werden, so viele haben ihn schon danach gefragt. Wir wünschen uns gegenseitig Gesundheit und verabschieden uns. Er bedankt sich für den Liter Saft, den er bei mir trinken konnte. Zum Schluss kommt er natürlich wieder auf den Spirit zurück. Sicher bin ich auch beseelt, weil ich ja offensichtlich so ein gutes Herz habe, aber ich weiss es eben leider noch nicht ...! Ich wende und fahre winkend an ihm vorbei. Er wirft mir Kusshändchen nach. Schade, dass sich gute Freunde so schnell wieder trennen müssen! Es ist heiss, ich schwitze und habe heute genug erlebt, 234 Kilometer bin ich gefahren. Jetzt brauche ich eine Dusche und dafür bin ich heute auch bereit zu bezahlen. Das nächste Nest heisst Cameron, hier geht es in Richtung Westen zum Grand Canyon. Eine grosse Kreuzung, drei Tankstellen, eine Lodge, ein paar Häuser. Die grosse Texaco Tankstelle hat keine Dusche, Chevron hat eine. Also steige ich bei der Chevron Tankstelle ab. Es ist 17 Uhr und es reicht. RV-Park ist sehr
geschmeichelt. Mehr als ein Schotterplatz mit Wasser und Steckdose
hinter dem Supermarkt ist es nicht. Die ratternden Lüftern sind
bei 14,50 Dollar inclusive. In Dusche und WC sieht man sich lieber
nicht zu genau um. Die Navajo aus der Umgebung kommen hier mit vielen
Kindern und Verwandten zum Duschen her. Für zwei Dollar (extra)
läuft das Wasser fast zehn Minuten. Da können viele Kinder
abgeseift werden! Was will man mehr, im heissen Arizona. |
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Jürgen Albrecht, Cameron, AR, 16. September 2001, 20.11.2002 |