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Im Hinterhof Amerikas

Fünf vor sieben wache ich heute auf, fünf nach sieben wird der Motor gestartet ....! Von meinem Schlafplatz an der ehemaligen Santa Fe Railway Station in Grand Canyon Village fahre ich nach Dessert View. Ein letztes Frühstück im Morgenlicht mit der irren Sicht auf den Canyon unter mir, der fast noch im Dunklen liegt. Diese Aussicht ist so einmalig wie der schöne Turm von Mary Colter. Ich bewundere alles ausgiebig, aber dann heisst es Abschied nehmen vom Grand Canyon.

Heute bin ich fast genau 13 Stunden unterwegs gewesen und mehr als 600 km gefahren. Das deprimierende Ergebnis: Auf der ganzen Strecke keine Library, kein Computer und kein Internet. Stimmt nicht, im Radio Shake von Kayenta hätte es fast geklappt. In diesem Shop stand doch tatsächlich ein Computer, mit dem man angeblich ins Internet kommen konnte. Aber der Spezialist war nicht zu erreichen, der mit diesem Gerät umgehen konnte. Morgen soll ich mal wiederkommen, dann und vielleicht ... !

Heute bin ich weite Strecken durch das Hinterland von Arizona gefahren, nur um das Monument Valley zu sehen. Ich habe es gesehen, es war interessant und es sind ein paar eindrucksvolle Bilder entstanden. Aber ... Ich bin offenbar mit Geologie überfüttert. Der Grand Canyon ist das Mass aller Dinge und was danach kommt ist nur noch schwach. Das war meine heutige Strecke: Cameron, Tuba City, Kayenta, Monument Valley, Chinle, Genado, Chambers. Ich bin durch Gegenden gefahren, die geologisch hoch interessant waren. Immer, wenn in Arizona die Oberfläche angekratzt wird, kommt bunter Sandstein zum Vorschein. Das ist beeindruckend. Die Landschaft ist dabei meistens eine Halbwüste und sie ähnelt sehr Australia. Aber so viel Geologie kann nicht einmal ich vertragen. Ich bin gesättigt.

So karg und heiss, wie das Land ist, so arm und offenbar auch ungebildet ist die Bevölkerung hier. In diesem Hinterland leben die Navajos, die Indianer, die ehemals den Büffel jagten, den es nicht mehr gibt und vielleicht in dieser Gegend nie gegeben hat. In dieser heissen Wüste hausen und leben sie unter entsetzlichen Bedingungen. Sie haben manchmal nur eine aus Plastikplanen und Ästen zusammengebastelte Hütte. Mir ist völlig unklar, wovon sie eigentlich leben und das Auto bezahlen, das auch vor solchen Hütten steht. Nur wenige Rinder und Schafe sind auf der absolut verdorrten Weide zu sehen. Ich nehme an, sie leben von diesen Tieren und von den Touristen, denen sie an jeder Strasse Indian Jewelery und Blankets ab 9,99 $ verkaufen. Ein armes, ein hoffnungsloses Leben in dieser so bunten und geologisch hoch interessanten Gegend.

 

Klar, dass es hier kein Internet Café gibt. Nicht klar, warum es in diesen kleinen Siedlungen (s.o.) keine Library gibt. Als ich in Kayenta den Mann an der Tankstelle nach der Bücherei frage, senkt der Navajo die Augen und sagt fast bekümmert: 'Es tut mir leid Sir, aber in dieser Stadt gibt es keine Bücherei.' Der Staat macht offenbar nicht mehr für diese Menschen, als dass er ihnen eine Strasse gebaut hat, auf der die Kinder mit dem Schulbus in die Elementary School gefahren werden.

 

 

Mehr hat der reiche Weisse Mann für die Natives, die heute seine Landleute (mit gleichen Rechten und Pflichten) sind, nicht übrig. Alles was die Menschen über die minimalste Infrastruktur hinaus mehr haben wollen, müssen sie sich selber besorgen. Das ist nicht Sache des Staates. Ein Hospital ist irgendwie erreichbar, aber dort muss genau so bezahlt werden, wie im General Store, den es auch irgendwo gibt. Das ist ein hartes Leben.

An Beispiel des Hinterlandes von Arizona wird mir heute klar, wie unterschiedlich Amerika ist. Computer, Film, Hochhäuser, Library, Space Lab und Hightech sind nur eine Seite der Medaille. Dass unendlich viele Menschen so leben, wie vor einhundert Jahren, das ist auch Amerika.

Ich rege mich also nicht mehr darüber auf, dass ich seit Beaver/Utah vor fast 14 Tagen kein Internet mehr gesehen habe. Man muss einfach akzeptieren, dass in den USA nicht flächendeckend die gleichen Verhältnisse existieren. Sicher gibt es um San Francisco jede Menge Universitäten, Internet Cafés und Libraries, aber nicht im Nordosten von Arizona. Punkt.

Jürgen Albrecht, Chambers, AR, 20. September 2001, 22.11.2002


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