Grand
Canyon, North Rim 1/2
Die Sicht auf den Grand Canyon von der Nordseite aus verschlägt einem den Atem. Man fährt viele Kilometer durch Wald und dann steht man unvermittelt an der steilen Oberkante einer zweitausend Meter tiefen Schlucht. Für diese Bilder lohnt sich der Umweg, der allerdings ein paar Tage kostet. Um den North Rim zu erreichen, gibt es nur eine Variante: Man verlässt den HWY 15 beim Exit 27 und fährt in Richtung Kaibab. Schon auf den ersten Kilometern hat man den Eindruck, ja, so habe ich mir die Gegend um den Grand Canyon vorgestellt! Hier stehen die 'Steilküsten' der Vermilion Cliffs in der Landschaft. Eine waagerecht geschichtete Sandsteinplatte ist wie von einem Meer, dass gegen die Kante angerannt ist, zerfressen worden. Die Kante der Platte steht wie ein Höhenzug in der Landschaft. Aber hier ist es kein aufgefaltetes Gebirge, Wasser und Wind haben erst einen Canyon in die Sandsteinplatte gesägt und dann das Tal immer breiter gemacht, 20, 30 Kilometer breit. Wo ist das ganze Material hin? Man sieht die erodierte Kante in der Landschaft stehen. Die helle Sandsteinschicht ist immer zu sehen, 40 oder 60 Kilometer weit und manchmal sieht man sie auch da drüben, auf der Gegenseite, 20 Kilometer weg. Unfassbar, was Wasser und Wind im Verein mit der Zeit aus so einer Sandsteinplatte machen. Die Fahrt vom Exit 27 bis Kaibab ist ein einziger Genuss. Überall gibt es Farmen, Rinder sind kaum zu sehen, aber ihre Zäune. Heute sehe ich das erste Mal im Wilden Westen echte Cowboys auf Pferden, sie treiben 6 oder 8 Rinder in dieser Halbwüste vor sich her. Von Kaibab aus geht es hoch auf die Sandsteinplatte. Die Strasse nach Süden verläuft auf dem Kaibab-Plateau, das eine Höhe zwischen 2.500 und 2.700 Metern hat. Vom Jacob Lake aus führt die Strasse über 60 km in eine Sackgasse: Sie endet am Grand Canyon und man hat keine Alternative, man muss die gleiche Strasse wieder zurück fahren. Doch, es gibt eine Alternative: Man steigt in den Canyon und klettert auf der Südseite wieder hoch. Das geht, es gibt einen Wanderweg über den Bright Angel Point, aber das ist nicht nur eine Tagestour. Schade, dass ich diese Wanderung nicht machen kann. Ich habe nicht die drei bis vier Wochen Zeit die man braucht, um alle Wanderwege zu erkunden, die es hier gibt. Sie führen durch diese herrliche Landschaft und sind mit etwas Kondition und ohne Kletterausrüstung zu bewältigen.
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Eine schöne Fahrt durch Wald und ein grünes Tal, in dem Rinder grasen und die ersten Laubbäume gelb und rot in der Sonne stehen: Es wird Herbst! Gegen 16:45 Uhr erreiche ich das Visitor Center. Die letzten einhundert Meter sind am schwierigsten: Wie finde ich hier zwischen den vielen Autos noch einen Parkplatz? Dann ein paar Schritte und mir stockt der Atem ... so gewaltig ist die Sicht in den Canyon! Die Sonne steht tief und es ist Gegenlicht. Aber was für eine imposante Natur! Spektakuläre Bilder, man kann kein anderes Adjektiv dafür finden. Es ist auch blendendes Wetter, hohe Quellwolken. Und gleich frage ich mich, wie muss das hier beim Sonnenaufgang aussehen?! Am Rande des zweitausend Meter tiefen Canyon laufe ich auf den Wanderwegen und sehe von den vielen Aussichtspunkten aus in die bizarren Schluchten hinunter. Den Grand Canyon kann man nicht beschreiben, man muss ihn sehen und erleben. Auf die Psyche hat er die gleichen Wirkung wie eine gotische Kirche, wie ein Orgelkonzert, wie ein Tauchgang im Korallenriff: Was ist das, was wir hier sehen? Unbegreifliche, grandiose, komplexe Natur. Aber was mache ich jetzt am Abend hier? Grosse Schilder weisen darauf hin: Das ist ein zeitlich limitierter, gebührenpflichtiger Parkplatz! Camping und Übernachtung sind verboten. Die Polizei wartet schon auf Sie! Ich frage beim Campground: Alles voll, kein Platz mehr. Da hilft nichts, ich muss mindestens elf Meilen zurück fahren. Vor dem Border des National Park darf man im Wald und auf der Strasse übernachten. Ich will den Canyon morgen bei Sonnenaufgang sehen. Direkt am Border gucke ich mir die Karte an. Will ich das wirklich? Übernachte ich hier vor dem Schlagbaum? Nein, das werde ich nicht tun. Ich habe so herrliche Bilder gesehen und den Canyon in meinem Kopf. Warum schon wieder nach der Steigerung gieren? Das war der North Rim. Nun mache ich mich auf die Reise nach Grand Canyon Village auf der Südseite des Canyon. Vorher aber brauche ich einen schönen Schlafplatz für die Nacht. Also wieder zurück in Richtung Jacob Lake. Unter herrlichen alten Bäumen habe ich in dieser Gegend eine halbe Stunde Mittagsschlaf gemacht. Das erste Mal verlässt mich mein Orientierungssinn, ich finde diese Stelle nicht mehr wieder. Das GPS hilft, denn zufällig habe ich einen Wegepunkt von dieser Mittagspause an der Strasse. Das GPS sagt, diese schöne Stelle ist 12 Kilometer weit weg. Aha, da haben wir meinen Fehler: Der Punkt liegt vor Jacob Lake und nicht danach! Der Fall ist geklärt. Es gibt viele andere Stellen hier im Wald, an denen man übernachten kann. Nach einem knappen Kilometer Gravelroad habe ich den richtigen Schlafplatz mitten im Wald gefunden: Latitude: 36° 39. 491' N (2427 m hoch) Longitude: 112° 12. 875' W. Völlige Ruhe, über mir ein makelloser Sternenhimmel ohne Mond und rund herum Spruce, Nadelbäume. Besonders die dicken, alten Bäume haben eine rotbraune, aufgebrochene Rinde, auch das wieder unglaublich schöne Natur! |
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So harmlos
beginnt ein Nebenarm des Grand Canyon