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Unterwegs mit dem fliegenden Postboten Seite 3/5

Nach einem kurzen Aufenthalt starten wir wieder und die Landschaft ändert sich völlig. Rechts und links endlose Sanddünen bis zum Horizont. Flache, ausgetrocknete Salzseen starren mit ihren blinden Spiegelflächen nach oben. Da unten ist es heiss, es gibt nun noch spezielles Spinifexgras und harte, niedrige Büsche, die in dieser Wüste überleben können. Hier in der Gibson Dessert hat die Erosion ihr Werk vollendet. Es gibt keine Berge, keine Täler und keine Flüsse mehr, alles ist zu Sand und Staub zermahlen worden. Maximal existieren noch ein paar runde, völlig glatt geschliffene Felsflächen, einige Meter hoch. Aber das ist die absolute Ausnahme. Der Entropietod ist noch nicht vollständig. Noch gibt es Sonne und Wind und die Tages- und Nachttemperaturen sind unterschiedlich. Dieser immer aus der gleichen Richtung wehende Wind, schiebt den Sand zu parallelen Dünen zusammen. Bizarre Muster entstehen und verschwimmen im blau flirrenden Horizont. Die Dünen sind spärlich bewachsen. Nur hartes Gras und niedriges Buschwerk wächst hier. Aber trotzdem: Es ist nicht nur heisser Sand, der seit Millionen von Jahren vom Wind umgeschichtet wird. Auch diese Wüste ist ein Habitat von Pflanzen und Tieren und das Leben existiert hier völlig selbstverständlich trotz Hitze, Trockenheit, salzigem Sand und ohne jeden Humus.

Warum aber müssen unter diesen lebensfeindlichen Bedingungen auch Menschen leben? Und warum bringen sie auch noch freudestrahlend am Rand des geschotterten Airstrip ein Schild an: 'Kiwirrkurra - JEWEL of the West'? Wir sind nämlich gerade in West Australien gelandet, in der Aboriginal Community Kiwirrkurra, die wahrscheinlich auf kaum einer Landkarte eingezeichnet ist. Nicht mehr als 30 Häuser, eine Schule, ein Gesundheitsstützpunkt, ein Gemeindehaus, ein Schrottplatz voller alter Autos und ein Brunnen, der aus 200 Meter Tiefe artesisches Wasser hoch pumpt. Diese Brunnen machen überhaupt erst diese Aboriginal Communitys möglich.

Alle Communitys, die wir heute anfliegen, werden von Weissen gemanagt. Der Bürgermeister, der Postmeister, der Arzt, der Schuldirektor und der Chef des Supermarket, das alles sind Weisse. Manchmal ist es nur ein Weisser, der alles simultan und in Personalunion erledigt. Natürlich ist er auch der Chefingenieur der Telefon Satelliten Anlage und der Pumpstation, denn ohne Wasser funktioniert gar nichts.

In diesen Communitys leben die Aboriginals in der traditionellen Grossfamilie, Clan ist der bessere Begriff. Drei bis vier Generationen leben zusammen und die Kinder sagen zu allen erwachsenen Männern 'Papa'. Die Männer leben in einer Gruppe unter sich und die Frauen mit den Kindern in einer anderen. Die Männer dominieren die Gruppe der Frauen und Kinder und immer hat ein älterer Mann die 'Richtlinienkompetenz' über den ganzen Clan. Der Chef des Clans ist das Gesetz, er verfügt über die exekutive Gewalt und gleichzeitig auch über das Geld.

 

Er regelt alle sozialen Beziehungen und Konflikte, vor allen Dingen auch den Austausch der heranwachsenden Mädchen zwischen den Clans. Die jungen Männer verlassen den Clan lebenslang nicht, so sind alle Männer miteinander verwandt.

Die Kinder gehen bis zur 5. Klasse hier zur Schule. Dann hat sich das mit der Bildung erledigt oder sie müssen auf ein 'College' in einer anderen Community. Meistens aber heisst das: Umziehen nach Alice Springs. Jeder Australier bekommt eine Einheitsrente. Sie ist unabhängig von der Hautfarbe, nur das Alter, der Familienstand, dazugehörige Kinder und weitere Einkommen spielen eine Rolle. Alle erwachsenen Aboriginals bekommen diese Rente in Höhe von 700 bis 800 $ monatlich, denn sie sind fast ausnahmslos arbeitslos.

'Was machen die Aboriginals in diesen Communitys den ganzen Tag?' Diese Frage stelle ich heute vielen Leuten und überall wird nur mit den Schulter gezuckt. Um diese Communitys herum existieren noch Outstations. Das gleiche Prinzip, aber hier lebt nur ein Aboriginal Clan in einem flachen Typenhaus im Bush, eine oder auch drei Autostunden von der Aboriginal Community entfernt. Was machen sie den ganzen Tag? Die Leute die ich frage, verdrehen die Augen. Die Communitys sind nicht wirtschaftlich selbständig, sie tragen sich nicht, es wird nichts produziert, es geht auch keiner auf die Jagd oder sammelt Früchte oder Samen. Es wird nichts angebaut, es gibt keinen Gemüsegarten. Es gibt kein Radio, die Video Ausleihstation ersetzt Fernsehen und Kino. Nur für den Notfall gibt es ein Satelliten Telefon. Es ist eine Ausnahme, wenn ein Kangaroo geschossen und nach alter Art in heisser Asche gegart wird. Der fette Kangarooschwanz ist der Antrieb für so eine Aktion, denn er ist für die Aboriginals eine Delikatesse.

Fehlende Hygiene, fehlende Bildung, fehlende Arbeit und fehlende Motivation. Das sind die grössten Probleme aller Aboriginal Communitys. In vielen Familien gibt es Krankheiten, die in Europa seit dem Mittelalter überwunden sind. Der Grund ist das Fehlen jeden Gefühls für Sauberkeit und Hygiene. Das war bei den Aboriginals in den vergangenen 50.000 Jahren nicht nötig. Hunde, Fliegen, Babys, Junge und Alte assen (und essen) aus der gleichen Schüssel, wenn es überhaupt eine Schüssel gab. Sich lebenslang nicht zu waschen, die Zähne nicht zu putzen und die Haare nicht zu schneiden, war völlig selbstverständlich. Für Wunden, Knochenbrüche und Verdauungsprobleme gab und gibt es noch heute natürliche Heilmittel und Heilkundige. Aber sie wissen mit einer Influenza oder einer Augenentzündung nicht umzugehen, weil es diese Krankheiten - und das sind ja noch die harmlosesten - vor der Weissen Invasion hier nicht gab. Es gelingt nicht einmal, die Gesundheitsstützpunkte mit Aboriginals zu besetzen: Keine Qualifikation, kein Interesse.

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