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Sträflinge - die ersten Weissen Ausralier Seite 3/3

Am nächsten Tag sehe ich mir diese beiden Pub's an und es ist völlig eindeutig: Auch mit wenigen Menschen an der Bar und ohne Life Musik hat die Pub des Hero of Waterloo mit Abstand die beste Atmosphäre. Hier gibt es keinen Fernseher, keine Spielautomaten, keine moderne Beleuchtung und die Wände sind nicht verputzt oder gekachelt, es sind roh behauene Sandsteinblöcke. Die Barhocker sind nicht wie im Nelson von Thonet. Die Barhocker des Hero hat ein Schmied erst vor 50 Jahren zusammen geschweisst. Die Stühle im Hero aber sind auch von Thonet. Erstaunlich, dass dieser österreichische Tischler im 19. Jahrhundert schon bis nach Australien geliefert hat! An der Rückwand der Bar steht ein Gestühl, das viel eher in eine Kirche, als in eine Bar gehören würde: In der Bar muss es mindestens so bequem sein, wie in der Kirche.

Leider müssen wir gegen 19:15 Uhr den Hero, dieses gastliche und so fröhliche Haus voller Menschen, verlassen. Wir laufen wieder den Argyle Cut hinunter und über den Circular Quay zum Opera House. Renate hat Karten für ein Konzert besorgt und mich eingeladen. Viele Menschen, aber auch viele Eingänge in den Konzertsaal. Die Garderobe kostet nichts und keiner nimmt an meinem billigen Pullover und den Sandalen Anstoss. Ich bin hier nicht der einzige in solchen sportlich legeren Klamotten. Es gibt auch (selten) die grosse Robe, die meisten Besucher sind sehr gut, aber auch sehr dezent, angezogen.

Seit 1973 besitzt Sydney diese wirklich einmalige architektonische Pretiose, die auch noch an einer herausragenden Stelle, direkt an der Sydney Cove, steht. Der Konzertsaal (2690 Plätze) ist grösser als der des Opernhauses (1547 Plätze) und er liegt an der Seite der Sydney Cove. Vom Opernhaus sieht man rüber zum Botanischen Garten. Der Raum des Konzertsaales ist symmetrisch. Wir sitzen in Reihe V sehr weit oben. Direkt an meiner linken Seite ist die Spiegelachse. Decke und Wände sind stark strukturiert, an der Stirnwand dominiert die Orgel, das Publikum sitzt um das Orchester herum. In der Nähe des Orchesters liegen rechts und links grosse Logenblöcke, die für meine Begriffe zu hoch geraten sind. Der Raum ist in einer sehr angenehmen Palette dunkler Holzfarben gehalten und nicht strahlend hell beleuchtet. Das schafft eine sehr ausgewogene und ruhige Atmosphäre.

Das Konzert ist etwas enttäuschend. Es spielt das junge und hervorragende Australian Chamber Orchestra, ACO. Aber maximal acht Violinen und drei Cembalo's, das ist zu wenig für diesen grossen Raum. Grieg, Mendelssohn und Brahms stehen auf dem Programm.

 

Interessant, dass bei Grieg und Mendelssohn die Musiker stehen. Besonders bei Mendelssohn ist das sehr vorteilhaft, denn die Violinsolistin (Priya Mitchell) ist sehr temperamentvoll und so kann die erste Geige im wahrsten Sinne des Wortes mit den anderen Instrumenten 'spielen'. Das wirkt sehr gut und deswegen war für mich auch das Violinkonzert in D minor von Mendelssohn das beste Stück des Abends. Grieg war mir zu melancholisch und Brahms zu wühlerisch. Der Pianist (Ben Martin) hat mir gefallen, aber sogar das Solo Klavier ging in diesem grossen Raum verloren. Ausserdem ist mir bei Brahms wieder aufgefallen, dass auch in der Musik das nicht funktioniert, was die Ex- und Impressionisten mit ihren Bildern (oft erfolglos) versucht haben: Wer so eine ernste und bedeutende Story zu erzählen hat, wie Brahms mit dem Klavierkonzert F minor Op. 34, der sollte lieber ein Buch, als ein Konzert schreiben.

Noch mehr als der Konzertsaal hat mich die Sicht aus dem Foyer auf die Skyline von Sydney, den Hafen und die Harbour Bridge beeindruckt. Das Foyer an der Stirnseite des Konzerthauses ist für sich schon ein wirklich spektakulärer Raum (Aut_2423). Jetzt am Abend ist das Licht im Foyer sehr gedämpft und dadurch sind die funkelnden Silhouetten der Hochhäuser, die Fährschiffe mit ihren hellen Fenstern und die Harbour Bridge zum Greifen nahe. Welches Opernhaus der Welt besitzt ein so traumhaftes Foyer ??! Mit einem Glas Sekt in der Hand hoffe ich, dass ich aus diesem Traum nicht aufwache.

Die Rückfahrt mit der Fähre ist ein Genuss für sich. Die herrliche Silhouette von Sydney bei Nacht von See aus zu sehen, das ist einzigartig. Dagegen ist Berlin nicht mehr als Outback und ein Provinznest. Dem ganzen die Krone aufgesetzt hat aber der Mond. Die schmale Mondsichel über der beleuchteten Harbour Bridge - unglaublich und unbeschreiblich! Das kann nur ein Trugbild der Phantasie sein.

Genau deshalb lösche ich das letzte, unscharfe Foto nicht, denn damit ist zu beweisen: Es war Realität. Die Kamera stand auf dem vibrierenden Schiff. Mir war klar, es wird kein gutes Bild. Aber es reicht aus, um die Position des Mondes an diesem Abend in Sydney zu dokumentieren. SkyMap liefert sofort die Daten: Altitude 5° 43' 30'', Phase 0,076. Die Position des Betrachters zum Mond ist in Australia gegenüber Europa um fast 90 Grad verdreht: Die schmale Sichel des tief stehenden Mondes wird zur 'Silberschüssel'.

Jürgen Albrecht, Narrabeen, NSW, 06. August 2000

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