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Es geht nur um den Kopf

Erstaunlich, aber den Aborigines und anderen 'Naturvölkern' hat es in den letzten 40.000 Jahren gereicht, genug zu essen zu haben und nicht zu frieren. Normalerweise aber sind Menschen mit Essen und Trinken nicht ruhig zu stellen. Im Gegenteil. Damit sind die Voraussetzungen erfüllt, sich an die Umgestaltung der näheren und weiteren Umgebung zu machen. Die meisten Menschen produzieren einen Mehrwert. Die vergangenen und aktuellen Hochkulturen kann man auch als akkumulierten Mehrwert in ideeller und materieller Form ansehen.

Die Arbeit ist dafür nur das Mittel zum Zweck. Im Sprachgebrauch geht man davon aus, dass die Arbeit auf die Erzeugung von materiellen Gütern gerichtet ist. Hat Einstein gearbeitet, um seine Relativitätstheorie zu explizieren? Was tut man, wenn man über ungelöste Probleme, Strategien und Projekte nachdenkt? Dafür steht der Begriff 'geistige Arbeit'. Insider aber wissen, es handelt sich dabei um eine völlig andere Tätigkeit als um Arbeit. Ich bedaure, dass die deutsche Sprache dafür keinen eigenen Begriff kennt. Für mich ist Arbeit mit Begriffen wie 'Lebensunterhalt', 'Mühsal', 'schwere, körperliche Tätigkeit' und 'Verantwortung' verbunden. Bei geistiger Arbeit aber denke ich an das komplette Gegenteil: Alle Freuden dieser Welt verschafft sich der Mensch mit seinem Kopf. Und nur der Mensch hat einen Kopf, mit dem das geht.

Je weniger man arbeiten muss, umso mehr kann man Mensch sein. Erst dann verfügt man über die erforderliche Zeit und Musse, sich Gedanken über das 'Grosse, Ganze' zu machen. Kann es eine Gesellschaftsordnung geben (oder hat es sie gegeben), deren Ziele auf die geistigen Fähigkeiten des Menschen, auf die Schaffung von ideellem Mehrwert ausgerichtet sind? Arbeit wird in diesem Fall nur zur Sicherung der Grundbedürfnisse geleistet.

Ein Staat mit einer derartigen Zielsetzung ist mindestens eine solche Illusion, wie der Kommunismus: Es gibt die Menschen einfach nicht, mit denen eine solche Gesellschaftsordnung funktionieren würde. Aber einzelne Menschen und Gruppen können sich solche Ziele setzen und weltweit war und ist das in verschiedenen Varianten auch Realität.

Dabei tauchen zwei spannende Fragen auf: Die erste ist kaum zu beantworten: Was ist unter den oben genannten 'Grundbedürfnissen' zu verstehen? Jeder Mensch hat andere Grundbedürfnisse und die Spanne dieser Bedürfnisse ist riesengross. Aber auch diese Bedürfnisse werden im Kopf geweckt und wirklich lebensnotwendig sind nur ca. 10% davon.

Die zweite Frage ist viel interessanter: Kann man so genügsam, abgeklärt und nachdenklich wie eine Kuh auf der Weide steht, auf einer Klippe sitzen und über das Universum nachdenken?! Ja, ich behaupte das geht. Man kann sich weitgehend passiv verhalten und sich nur auf Beobachtungen und Überlegungen konzentrieren.

Wenn man es sich finanziell leisten kann, besteht so die Möglichkeit, jeder Arbeit im oben genannten Sinne aus dem Weg zu gehen und sich nur auf die Freuden zu konzentrieren, die man sich selbst mit dem Kopf bereiten kann: Erkenntnisse, Bewußtsein, Beobachtungen, Erfahrungen und Überlegungen. Man kann seine eigenen Reaktionen in den unterschiedlichsten Situationen beobachten. Und man kann seine Umwelt erkunden und erforschen. Es kann ein durchaus lohnendes Lebensziel sein, neugierig und gespannt zu beobachten, was sich zwischen Menschen, was sich in einem Korallenriff, im Regenwald oder in einer Mikro-, Makro- oder Astrowelt abspielt: Dem Experiment Leben zuschauen, fasziniert wahrzunehmen, welche Konstellationen und Entwicklungen die Anfangsenergie mit den gesetzten Randbedingungen hervorbringt, kann wesentlich befriedigender sein, als Event-Regisseur zu spielen oder sich den Tagesablauf von den In/Out-Charts diktieren zu lassen.

Man wundert sich über die Vielfalt des Lebens, der Natur und des Universums, bestaunt die unendliche Komplexität, bemüht sich um einen möglichst hohen Grad von Bewusstsein und relativiert damit seine eigene Existenz und ist mit sich im Reinen. Was kann man eigentlich mehr von diesem Leben wollen, als zufrieden und neugierig zu sein ?!

Es ist menschlich, dass man anderen Menschen zum gleichen Seelenfrieden verhelfen möchte, den man selbst meint, erreicht zu haben. Vorsicht! Dieses soziale und positive Bestreben kann sehr schnell in missionarischen Eifer und in das Gegenteil von dem umschlagen, was eigentlich gewollt ist: Bevormundung und Diktatur.

Die menschliche Geschichte ist voll von unsäglichen ‚Missionen‘ zum Wohle anderer Menschen und ein paar davon sind immer im Gange. Zurückhaltung ist angesagt. Niemand ist im Besitzt der garantiert und überall wirksamen Rezepte. Viel vernünftiger ist es, völlig verschiedene Varianten davon im Kopf durchzuspielen. Das habe ich gerade gemacht und es hat einen unschätzbaren Vorteil: Es macht Spass, aber es tut keinem weh!

Jürgen Albrecht, 06. Juli 1999

 

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