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Krieg in neuer Qualität

Seit fast genau acht Wochen führt die NATO Krieg gegen Yugoslawien. Immer noch ist es ein Angriffskrieg gegen ein souveränes Land, das sich gegen diese geballte Übermacht kaum wehren kann. Immer noch gibt es kein UNO-Mandat für diesen Krieg. Die von den USA dominierte NATO ist mit ihrer vereinigten Luftstreitmacht gegen Yugoslawien angetreten, um eine 'humanitäre Katastrophe' im Kosovo zu verhindern. Vor dem Krieg gab es Hinweise, dass die Serben unter Milosevic die albanische Bevölkerung aus dem Kosovo vertreiben wollen. Es gab aber keine Flüchtlinge, es gab 'nur' ideologischen Terror (ethnische Säuberung ...) und nur vereinzelt auch tatsächliche Gewalt.

Dieser unerklärte Krieg hat in mehrfacher Hinsicht eine qualitativ andere Dimension, als alle bisherigen Kriege: Es ist der erste Krieg, der mit der Begründung geführt wird, dass die Verletzung von Menschenrechten verhindert und beendet werden soll. Es ist der erste Krieg, in dem die Infrastruktur eines Landes ausschliesslich durch Luftangriffe systematisch und komplett vernichtet wird. Es ist der erste Krieg, den die seit 50 Jahren bestehende NATO überhaupt führt. Und es ist der erste High-Tech-Krieg, der quasi vom Computer aus geführt wird: Die Angreifer haben keinen direkten Kontakt mit dem Gegner und auch keine Verluste.

In vieler Hinsicht ist dieser Krieg aber so gewöhnlich, wie alle Kriege bisher waren: Dieser Krieg ist nicht auf der Grundlage einer vernünftigen Analyse, sondern spontan und emotional ausgelöst worden. Die NATO hatte die (Klein-Mäxchen-) Vorstellung, dass Milosevic die entscheidende Beschränkung seiner Souveränität unterschreibt, wenn er die ersten drei Bombennächte hinter sich und gemerkt hat, dass die NATO wirklich Ernst macht. Sie hat nicht damit gerechnet, dass Milosevic eher sein ganzes Land in Schutt und Asche legen lässt, als sich so demütigen zu lassen. Jeder Psychologe weiss, dass Menschen so reagieren, die NATO wusste es nicht. Und wie bei allen Kriegen bisher, hat der Angreifer vor dem Krieg keine Vorstellung davon, was eigentlich nach dem Krieg passieren soll.

Nachdem die NATO jetzt acht Wochen lang Tag und Nacht in 24 Stunden bis zu 700 'Kampfeinsätze' (was heisst das?) geflogen und nicht einen Toten zu beklagen hat, ist folgende Situation eingetreten: Strassen, Brücken, Elektroenergie, Wasserversorgung, Industrie- und Militäranlagen, die gesamte Infrastruktur Yugoslawiens ist zerstört. Die Bevölkerung des Landes ist in der Situation, in der wir 1945 waren: Hunger, Wassermangel, Stromsperren, Tote, Verletzte und Vertriebene, keine Arbeit, weil die gesamte Industrie zerstört oder lahm gelegt ist.

Es gibt mehr als eine Million Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. Mit den ersten Bomben hat das System Milosevic ganz offen alle Albaner aus dem Kosovo über die Grenzen vertrieben. Die Vertreibung hält immer noch an, völlig unbeeinflusst vom Luftkrieg. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass Milosevic bereit ist, auf die Bedingungen der NATO einzugehen: Rückzug seines Militärs aus dem Kosovo, Rückkehr der Flüchtlinge, Einmarsch einer bewaffneten Friedenstruppe der UNO.

Die NATO ist in einem riesigen Dilemma: Es gibt bald nichts mehr, was sich zu bombardieren lohnt. Die humanitäre Katastrophe wurde nicht verhindert, sondern durch eine entsetzliche Fehleinschätzung beschleunigt. Vor allen Dingen kann die NATO diesen Krieg nicht gewinnen. Die Strategie von Milosevic ist simpel aber absolut wirkungsvoll: So wie Hitler ignoriert er einfach, dass das ganze Land zerstört wird.

Das ist eine Situation wie in einem amerikanischen Film. Dort darf man auch nicht mitdenken, man muss sich von Action und dem Kampf des Guten gegen das Böse berauschen lassen. In diesem Stil 'informiert' die NATO auch die öffentlichen Medien. Das aber ist kein Horrorfilm, es ist die schreckliche Realität, zwei Flugstunden vom friedlichen Berlin entfernt. Und keiner weiss zur Stunde bei der UNO, bei der EU, bei der NATO oder im Kabinett der deutschen Regierung, wie man aus diesem Alptraum wieder herauskommt. Die USA haben mit ihrer haarsträubenden Gewaltpolitik die Europäer in diesen Krieg verwickelt und sehen immer noch nicht, dass allen hier ein zweites Vietnam droht. Wieder ist nicht die Vernunft gefragt, die nichts anderes sagt, als sofort den einseitigen Krieg einstellen und sich um die Opfer kümmern. Nein, es geht darum, dass die NATO diesen Krieg offiziell gewinnen muss, die Loyalität der NATO-Partner nicht in Frage gestellt werden darf und dass die Menschenrechte geschützt werden müssen. Keiner sieht die Bombardierung eines wehrlosen Landes als Menschenrechtsverletzung an.

Trotz Zivilisation, 'Hochkultur', High-Tech-Waffen und hehrer Ziele: Der Krieg ist geblieben, was er immer war: Von Menschen gemacht. Unvernünftig, zynisch, arrogant, und menschenverachtend. Und in allen öffentlichen Reden wird das Gegenteil behauptet. Auch vom Bundespräsidenten, von den Kirchen und den pazifistischen Grünen. Und völlig unfassbar: 50% der Deutschen, sind immer noch für diesen Krieg. Es müssen nur 50 Jahre vergehen und alles ist vergessen.

Es ist einfach zum Kotzen, wie hilflos man auch diesem System ausgeliefert ist.

Jürgen Albrecht, 25. Mai 1999

 

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