Lug
und Trug ... Seite 2/2 |
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Nachdem das geklärt und das Mittagessen für 12,50 DM bestellt ist, geht es richtig los. Heinrich redet über die Berufsgeheimnisse der Branche: Wie man bei Lamadecken, Sprudelbädern und magnetischen Armbändern betrogen werden kann. Er lässt immer wieder durchblicken, dass er darüber schon viele Vorträge gehalten hat, ‚vor ein paar Wochen in Hamburg, waren es 756 Leute ...' und dass man studiert haben muss, um diese schlimme Branche so richtig zu durchschauen. Wir aber haben heute richtig Schwein: Heinrich macht eigentlich keine Werbeveranstaltungen, nur wegen uns ist er angereist, deshalb hat er auch keine Assistenten, er macht alles alleine, weil er so gut und so ehrlich ist. Er beschwatzt uns auch nicht, Heinrichs Angebote sprechen für sich, dazu braucht man keinen zu überreden (‚... die Griechenlandreise drängle ich keinem auf ...'). ‚Das erkläre ich jetzt ganz kurz, dann ist das Mittagessen dran und dann geht es gleich wieder nach Hause. Das ist doch in Ordnung, oder ??' ‚Jaah !!' ruft das Volk. Trotzdem redet er mindestens drei Stunden und das Mittagessen gibt es erst gegen 15 Uhr. Endlos verbreitert er sich über den Betrug mit den Magnetarmbändern. Jeder weiss ja inzwischen, dass wir überall von schädliche Stahlen umgeben sind: Mikrowellen, Fernseher, Handy, Computer. Es ist ja klar, dass deshalb das Magnetfeld der Erde schon um 60 % abgenommen hat, woher sollten sonst die Ozonlöcher kommen !? Und dagegen verkaufen irgendwelche dubiosen Leute Magnetarmbänder. Lachhaft! Er zeigt, wie so ein Magnetarmband aussieht und wie man erkennt, wie schlecht es ist. Die richtigen, die echten, die patentierten, die kommen aus Japan und die sind nicht für 97 DM zu haben, die kosten 248 DM. Auch mit Kochtöpfen kann man schrecklich reinfallen. Wieder geht es eine halbe Stunde um Kochtöpfe und die Betrüger, die Töpfe mit goldenen Glasdeckeln verkaufen wo doch jeder gebildete Mensch weiss, das nur die Töpfe von WTM gut und mit der lebenslangen Garantie ausgestattet sind. Die aber können nicht nur 399 DM kosten. ‚Klar ?!!' ‚Jaah !!' Aber Kochtöpfe verkauft er (dieses Mal) nicht. Er kriegt über die Erdstrahlen und die Magnetarmbänder die Kurve zur Arterienverkalkung. Wieder ein langer, pseudo-medizinischer Vortrag über Blut, Sauerstofftransport und Ablagerungen. ‚Jeder würde doch 1,30 DM pro Tag ausgeben, wenn er dafür die Garantie bekäme, keinen Herzinfarkt zu bekommen !! Oder ??!' ‚Jaah !!' Er deckt auf der Bühne einen edlen Lederkoffer auf, der mit 30 Ampullen bestückt ist: Das Wundermittel Q10. Er erläutert, was das für ein tolles Medikament ist: ‚Dafür hat Linus Pauling den Nobelpreis bekommen!!' Das ist zwar eine dreiste Lüge, aber wer merkt das hier in diesem Landgasthof schon. Linus Pauling hat zwar den Nobelpreis bekommen, er hat auch sich auch mit Blut befasst und die Funktion des Hämoglobin erforscht, aber ich bezweifle, dass er von Q10 je etwas gehört hat. |
In der Encarta Enzyklopädie 99 steht: ‚Seine populär gewordene Theorie, Erkältungen mit hohen Dosen von Vitamin C zu kurieren, blieb in der Fachwelt sehr umstritten.' Jetzt wird hier vielleicht diese Theorie unter anderen Vorzeichen wieder aufgewärmt. Als Kronzeuge dient ein Buch über Q10, ‚das in jeder Bibliothek der Welt zum Standardwerk für Mediziner gehört!' Ich gucke mir dieses Werk später an, es stammt aus einem Eigenverlag und wurde 1983 in einer Auflage gedruckt. Aber Heinrich klärt auf, auch hier sind viele Fälscher und Betrüger am Werk. Das ‚reine Q10' ist ganz schwierig zu produzieren, es ist teuer und schwer zu bekommen. Wir aber haben ein riesiges Glück, dass er noch ein paar Koffer voll davon hat. Es handelt sich um Jahreskuren, die für die nächsten 5 Jahre vor Herzinfarkt schützen. So eine Kur in zwei Koffern kostet nicht wie ursprünglich angekündigt 2.399 DM, sondern weil wir es sind, nur 1498 DM. Ganz zufällig hat er auch noch ein paar von den echten Magnetarmbändern dabei, nur 50 DM, egal, ob für Herren und Damen, aber immer links tragen !! Die Salbe, die schon Steffi Graf und Michael Jordon geholfen hat, gibt es für 20 DM geschenkt. Dann noch die Supergelegenheit nach Griechenland zu reisen. Diese Reise hat Heinrich gleich am Anfang so nebenbei angekündigt: Mit dem Bus nach Venedig, von dort mit dem Schiff nach Griechenland, zwei Wochen Halbpension im 4 bis 5 Sterne Hotel (... die haben da eine andere Einteilung ...). Auf dem gleichen Weg geht es wieder zurück: Zwei Kreuzfahrten inklusive !! Diese tolle Reise, direkt ab Berlin für sage und schreibe nur 1098 DM statt des normalen Preises von 1699 DM. Zehn Leute kaufen Armbänder, zwanzig die Salbe, sechs oder sieben die Jahreskur und knapp zehn fahren nach Griechenland. Ein schöner Umsatz. Die Kellnerinnen kassieren und erst hier erfährt man, dass eine kleine Flasche Saft oder Cola, die schon zur Begrüssung auf dem Tisch standen, 3,50 DM kosten. Bevor dem Volk vom Busfahrer die ‚Geschenke' ausgehändigt werden, steigt Heinrich in seinen Vitara-Geländewagen und fährt winkend vom Hof. So ist gesichert, dass bei eventuellen Reklamationen keiner mehr als Ansprechpartner vor Ort verfügbar ist. Der Busfahrer hat schon bei der Begrüssung deutlich gesagt, dass er nur die Aufgabe hat, uns wieder heil nach Hause zu bringen. ‚Die da haben uns nur für die Fahrt angemietet...' Dass bei diesem professionell organisierten Betrug aber die Rollen gut verteilt sind, fällt keinem auf. Mit kumpelhafter Anbiederung und der plumpen Masche: ‚Vorsicht, Betrüger! Kauft nur bei mir !!', wurde in wenigen Stunden ein hoher Gewinn gemacht: Wenn man so einfach Geld verdienen kann, warum gehen morgen früh um 6 Uhr alle wieder auf Arbeit ?! |
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Jürgen Albrecht, 14. März 1999
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