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Mehrwert - Seite 2/3

Klein Mäxchen könnte man das ungefähr so erklären: Als der Mensch noch ein Affe war, hatte er Spass beim Essen und beim Sex. Der Affe Smarty entdeckte, dass man sich auch einen ähnlich starken Kitzel dadurch verschaffen konnte, dass man viele Nüsse in seiner Höhle hortete. Das funktionierte nicht nur mit Nüssen, sondern auch mit Fellen, Werkzeugen, mit einem möglichst grossen Revier und mit mehr als einer Frau. Dieses lustvolle Geheimnis verriet Smarty seinen Kindern unter der Auflage, es nicht weiter zu erzählen. Die konnten es aber nicht für sich behalten, sondern sie gaben es an ihre Nachkommen und an die besten Freunde weiter. Die wollten sich nicht weiter auf den Buschfunk verlassen, sie liessen sich diesen lustvollen neuen Stimulus sogar in ihre Erbanlagen einbauen. Die Menschwerdung des Affen kann man genau auf diesen Zeitpunkt datieren: Der Affe, der gierig auf Mehrwert ist, dieser Affe ist ein Mensch. Gleichzeitig mit der Gier hat er auch die Techniken parat, diese Leidenschaft zu befriedigen: Tausch- und Zinswirtschaft. Es gibt also deswegen in unserer gegenwärtigen Hochkultur nur die steinzeitliche Ökonomie, weil sich der Mensch vom Tier nicht durch seinen Verstand unterscheidet, sondern dadurch, dass er neben Essen und Sex auch noch gierig auf Mehrwert ist. Wie sagt man: So einfach ist das!

Schon Marx hatte erkannt, dass die Ungerechtigkeit unter den Menschen etwas mit dem Mehrwert zu tun haben muss. Darüber machte er sich heftige Gedanken und schrieb dicke Bücher. Und schliesslich präsentierte er den Kommunismus als die endgültige Lösung aller Übel. Aber ihm unterlief dabei ein verhängnisvoller Irrtum. Er war nämlich der Meinung, die Erkenntnis über das Wesen des Mehrwertes würde ausreichen, seine fatalen Nebenwirkungen zu beseitigen. Die Menschen sind ja vernunftbegabt. Wenn sie also wissen, wie schädlich das Streben nach dem Mehrwert sein kann, dann werden sie es einfach lassen. Alles ist nur eine Frage der Vernunft, der Bildung und der Erziehung. Der Mensch, der das begriffen hat, das ist der Neue Mensch. Und der Neue Mensch hat nur wieder Spass beim Essen und beim Sex und ansonsten ist er gerecht, edel und gut.

Siebzig Jahre lang wurden sozialistische und kommunistische Experimente mit lebenden Menschen angestellt. Länger schon wird über die Konstitution des Menschen geforscht. Als Ergebnis dieser Erkundungen des menschlichen Wesens in Theorie und Praxis gilt für mich heute als bewiesen, dass es eine irrige Annahme ist, der Mensch könnte seine Emotionen durch die Vernunft in Schacht halten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Emotionen dominieren das menschliche Verhalten und der Verstand ist eine nette Zugabe: Eine Option, die nur selten und nur bei untergeordneten Anlässen zum Einsatz kommt.

 

Deshalb wird es keine prinzipiell anderen ökonomischen Prinzipien in der zukünftigen Menschheitsgeschichte geben, solange sich die triebhafte Wollust nach Mehrwert in den Genen des Menschen manifestiert. Nicht, dass es prinzipiell und überhaupt keine Alternativen gäbe. Die Natur führt uns in allen Gemeinschaften von Lebewesen vor, dass es auch ohne Tausch, Zinswirtschaft und Mehrwert geht. Das funktioniert sogar in geschlossenen Kreisläufen, die der Mensch bisher nie zustande gebracht hat. Nur menschliche Gesellschaften machen da eine Ausnahme. Ihre grundlegenden Antriebskräfte beziehen sie aus dem Streben nach Mehrwert. Die sozialistischen Gesellschaftsexperimente haben gezeigt, der Mensch wird in seinem Wesen reduziert, in seinen elementarsten Bedürfnissen eingeschränkt, wenn man ihn daran hindert (das geht nur mit Gewalt!), nach Mehrwert zu streben. Ein solcher Mensch ist schwer gehandikapt, existentiell bedroht und nur mit Hilfe des Staates lebensfähig. Eine Wirtschaft mit solchen Menschen ist gegenüber dem Kapitalismus chancenlos, ihre Haupttriebkraft ist entmannt. Marx war der Meinung, die Arbeit ist das Gattungswesen des Menschen. Fundamentaler als die Arbeit ist für den Menschen die Gier nach Mehrwert. Der Mehrwert ist das Gattungswesen des Menschen.

Trotzdem funktioniert die heutige Zivilisation mit dieser Sorte von Mensch hervorragend, fast perfekt. Perfekt bis zum Untergang. Natürlich gibt es jede Menge Schwierigkeiten, Ungerechtigkeiten und unlösbare Probleme. Antagonistische Widersprüche, sagen die Wissenschaftler dazu und sie haben recht, es sind systemimmanente Widersprüche. Widersprüche, die zum System gehören. Sie können so gravierend werden, dass sie das ganze System zum Einsturz bringen. Und es wäre nicht das erste Mal, wenn das auch bei einer hoch entwickelten Zivilisation passiert. Die wesentlichsten antagonistischen Widersprüche unseres aktuellen Gesellschaftssystems liegen in der steinzeitlichen Ökonomie und in der nur endlichen Menge der natürlichen Recourcen. Diese beiden Widersprüche haben schon in der Vergangenheit ausgereicht, ganze Hochkulturen in den Untergang zu reissen. Bei unserer Zivilisation kommt noch ein qualitativ neuer, aber ganz gravierender Widerspruch dazu: Der Mensch ist nicht in der Lage, seine eigenen technischen Entwicklungen unter Kontrolle zu halten. Dazu wäre er nur mit Verstand, mit Ethik und Moral in der Lage. Aber seine Emotionen, seine Begehrlichkeiten und Begierden sind ungleich stärker, als Ethik und Moral. Ausserdem werden sie durch die animalisch Neugier des Menschen immer wieder neu angestachelt. Wenn diese Zivilisation also nicht an Recourcenmangel zugrunde geht, dann wird sie an der eigenen Technik scheitern.

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