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Endlich Ferien ... Seite 2/2

Die Schweizer haben die Natur vermarktet, verbaut, verwertet und geschändet. Nur eins haben sie nicht geschafft: Sie haben sie nicht besiegt. Auch wenn es nur eine Nacht richtig schneit, bricht der Verkehr auf Strasse, Schiene und in der Luft zusammen. Das ist sehr beruhigend. Auch bei bestem Wetter hatte die berühmte Schweizer Eisenbahn bis zu 40 Minuten (!!) Verspätung. Die legendäre Pünktlichkeit ist tatsächlich nur eine Legende. Andere Legenden stimmen: Trockenfleisch und hartes, dunkles Brot schmecken hervorragend. Die Schweizer sind mehrsprachig, fast jeder spricht Deutsch, Französisch und Italienisch. Selbstverständlich sprechen auch alle ‚Schwizerdütsch', eine Variante des Deutschen, die ein Deutscher aus Berlin so wenig versteht, wie japanisch. Es gibt keine Religionskriege (mehr). Auch mit einem Ausländeranteil von fast 20 % wird die stockkonservative Schweiz, die sich per Volksabstimmung gegen Europa ausgesprochen hat, problemlos fertig. Erstaunlich. Auf einer Bahn Toilette lese ich: ‚Heil Hitler! Juden verpisst Euch!' Auch hier gibt es mehr oder weniger verdeckten Rassismus und auch der Nationalsozialismus ist hier latent noch vorhanden. Jeder Schweizer hat sein Gewehr zu Hause im Schrank und ist jederzeit bereit, gegen den Feind aufzustehen, der die Heimat bedroht. Das ist keine Legende, die Schweiz ist gut und teuer hochgerüstet.

 

Und die Schweiz ist sauber, die Schweiz ist ordentlich und zuverlässig. Nur mit den Sprayern wird man nicht fertig. Hier fing mit dem legendären ‚Sprayer von Zürich' alles an. Überall sieht man von der Bahn aus die Werke der illegalen, aber offensichtlich sehr kreativen Sprayer. Aber auch hier geht es nur um Form, um Expression und Feeling, nicht um Inhalt. Typisch: Die Informationsgesellschaft hat keine Message.

Wir hatten eine Woche Sonne und herrliche Sicht von den Bergen, auf die wir uns haben hinauftragen lassen. Dann fing es an zu schneien. Keine Sicht, keine Sonne, gesperrte Strassen, ausfallende Züge. Was soll man unter solchen Bedingungen in der Schweiz, was ist die Schweiz ohne ihre Kulissen wert? Wir zwängen uns an einem Sonnabend wieder in einen überfüllten Zug und stehen länger als eine Stunde unbequem in der nur manchmal fahrenden Bahn. ‚Endlich Ferien !!' sage ich ziemlich laut. Keiner lacht. Das ist nicht das erste Mal. Meine Art von Humor verstehen die Schweizer nicht. Es schneit weiter und am nächsten Tag sitzen tausende Touristen eingeschneit und gefangen in ihren schweizer Ferienquartieren fest. Genau so viele können ihre bereits gebuchten Ferienzimmer nicht beziehen. Wir aber sind inzwischen wieder in Berlin angekommen und sitzen gemütlich am Frühstückstisch. Wir waren gerade noch rechtzeitig aus dem Rhonetal abgefahren ... Wir sind noch einmal davon gekommen!

Jürgen Albrecht, 26. Februar 1999

 

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