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Servicewüste ... Teil II

Ich kaufe Fussbodenbelag bei einer kleinen Firma in der Friedrichstrasse. Die Lieferung wird für heute vereinbart. Damit ich nicht so lange warten muss wird mündlich abgesprochen, dass ich als erster auf der Tour beliefert werde. ‚Ab 8 Uhr' steht auf dem Kaufbeleg. Um 10 Uhr rufe ich das erste Mal an und frage, wo die Lieferung bleibt. Der Mann am anderen Ende der Strippe lässt mich nicht zu Worte kommen, er will mich für dumm verkaufen, ist arrogant und unhöflich. Ich habe Schwierigkeiten, ihm klar zu machen, dass es neben der schriftlichen Vereinbarung ‚ab 8 Uhr' auch noch eine mündliche Vereinbarung gibt: Ich bin der erste dieser Tour. Unter diesen Umständen sind zwei Stunden eine ziemliche Verspätung. Er wiegelt ab, er vertröstet mich, er will seine Lieferfirma erreichen, was nicht funktioniert und er sieht auch um 12 Uhr noch alles als Normalfall an. Kein Anflug einer Entschuldigung. Um 12:30 Uhr stelle ich ihm ein Ultimatum: Wenn der Fussbodenbelag nicht bis 13 Uhr geliefert ist, wird heute nicht mehr geliefert und er bekommt eine Rechnung über 5 Stunden Wartezeit. Grosses Geschrei am anderen Ende der Leitung. Natürlich weiss ich, dass ich so eine Rechnung nur vor Gericht durchsetzen kann und auch nur vielleicht. Aber diese Ankündigung erzeugt Bewegung auf der anderen Seite. Mehr aber nicht. Die Lieferung kommt nicht bis 13 Uhr. Morgen früh um 8 Uhr wird als nächster Termin vereinbart. Morgen geht das Spiel von vorne los. (Die Lieferung hat geklappt, aber der Belag in der Grösse von 3,5 x 5 Meter wurde in Form einer 5 Meter langen Rolle geliefert, die natürlich in keinen Fahrstuhl passt. Das nächste Problem ...!)

Die CitiBank schreibt mir einen Brief: ‚Leider ist es uns nicht möglich, Ihnen eine separate VISA-Kreditkarte auszustellen, da Sie bereits eine gültige BahnCard-VISA besitzen. In der Anlage erhalten Sie zu unserer Entlastung den von Ihnen ausgefüllten Antrag zurück.' Ich hatte bei der CitiBank angefragt, ob man mir eine VISA-Karte mit einer Laufzeit von zwei Jahren ausstellen könnte, Passbild als Anlage. Darauf bekam ich einen freundlichen Brief mit einem Antragsformular, auf dem die ‚bisherige BahnCard Kartennummer' bereits ausgefüllt war: Bitte füllen Sie den Antrag aus, wir übersenden Ihnen umgehend die neue CreditCard. Jetzt schickt man mir den Antrag ohne mein Foto mit der oben zitierten Begründung zurück. Warum geht heute das nicht, was vor 8 Tagen gehen sollte und wo ist mein Passfoto?

Ich wohne in einem sanierungsbedürftigen Hochhaus. Der Eigentümer verspricht seit fast 10 Jahren die Renovierung. Als ihm schon lange keiner mehr glaubt, verkauft er das Hochhaus: Er hat es nur als Spekulationsobjekt benutzt. Der neue Eigentümer aber organisiert die Sanierung.

 

Nicht aus Menschenliebe, sondern er will die Miete auf ca. 180 % erhöhen. Es wird Rekonstruktion in bewohnten Wohnungen vereinbart. Das ist eigentlich nicht machbar, jeder weiss, was das für Probleme aufwirft, aber man wählt das kleinere Übel: Aus- und Umzug sind noch schlimmer.

Bei 5 Grad Aussentemperatur und stürmischem Wind werden die mit Fenstern und Balkontüren versehenen Aussenwände ausgewechselt. Es dauert 12 Stunden, dann ist es überstanden. Seit zwei Tagen aber ist die ‚Kernbauzeit' in meiner Wohnung gekommen: 14 Tage, in denen die Wohnung eigentlich unbewohnbar ist, weil alles aus- und umgebaut wird: Wasser, Abwasser, Elektroenergie, WC, Bad, Küche, Heizung, Lüftung, Klingelanlage, Austausch aller Steigleitungen, Kacheln, Eingangstüren. Ich habe eine Zweiraumwohnung und in allen Räumen sind zwischen 7 und 20 Uhr die Handwerker beschäftigt. Bohrhämmer erschüttern den Fussboden, Kernbohrmaschinen erzeugen einen permanenten Körperschallpegel, Schneid- und Trennsägen kreischen, Kabelkanäle werden gefräst und im Wohnzimmer wird Mörtel angerührt. Mehrmals am Tag ist die ganze Wohnung vom Bohren oder Trennschleifen eingenebelt, heller Staub setzt sich auf Betten, Möbeln, Büchern und Computern ab. Die Handwerker sind freundlich, aber sie müssen natürlich ihre Arbeit machen und dabei entsteht z.B. in der Küche soviel Schutt, dass er mit Schippe und Schubkarre abtransportiert werden muss. Als ich heute vom Warten auf den Teppichboden zurück komme, werden in meinem Wohnzimmer gerade in Decke und Fussboden Löcher für die neuen Heizungsrohre gebohrt. Es wird trocken gebohrt, weil da die Nebelbildung besser gelingt.

Ist das noch zumutbar? Kann man auch unter solchen Umständen noch leben und wohnen oder ist man nur damit beschäftigt zu hoffen, dass diese 14 Tage irgendwie und irgendwann vorbeigehen?

Das alles passierte heute innerhalb von 6 Stunden. Der Schlüsselbegriff für das Problem Service heisst 'Zumutbarkeit'. Es klafft eine riesige Schere zwischen den Erwartungen des Kunden und dem, was der Lieferer zu leisten bereit ist. Das Konfliktpotential wird durch den Grad der Zumutbarkeit bestimmt, die jede Seite für erträglich hält. Man schont dann maximal seine Nerven, wenn man mit dem Schlimmsten rechnet, nichts erwartet und sich immer mit dem noch schlechteren Fall tröstet. Aber wer besitzt schon eine solche Grösse, wer ist so abgeklärt und hat schon alle Hoffnungen auf einen soliden und zuvorkommenden Service aufgegeben?

Jürgen Albrecht, 14. April 1999

 

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