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Die verlorene Unschuld der Grünen

Eine hitzige Bundestagsdebatte über den NATO-Krieg gegen Yugoslawien. Fischer läuft zu grosser Form auf und hält eine aufrüttelnde Rede gegen diesen wahnsinnigen Krieg: Schlüsselworte darin sind das Primat der Politik gegen das der Gewalt, die Unverhältnismässigkeit der Mittel und die Sinnlosigkeit des Bombardements angesichts der unverändert andauernden Vertreibungen. Gunda Röstel assistiert ihm und verweist darauf, dass die NATO ein Bündnis zur Friedenssicherung ist, jetzt aber ohne UNO-Mandat einen Angriffskrieg führt. Gegen die beiden stimmgewaltigsten Grünen macht die Regierung keine gute Figur mehr und ihre Konzeptionslosigkeit wird für alle deutlich offenbar. Die Grünen aber haben die Moral, die vernunftbegabte Öffentlichkeit und das Recht auf ihrer Seite. Sie profilieren sich seit 20 Jahren als intelligente, ethisch anspruchsvolle und unabhängige Alternative. Gerade weil sie nicht an der Regierung beteiligt sind, ist ihr Ansehen deutlich höher als das der Regierungsparteien. Denn nur in der Opposition kann man sich ehrenhafte Wertmassstäbe und Charakter leisten.

Was für ein schönes Bild. Aber leider ist es nur eine Fata Morgana. Den Part des Moralisten übernimmt im Kosovo-Krieg die PDS. Und das passt wieder genau zum politischen Tagesgeschäft: Populistisch wird diese Rolle über einen Besuch bei Milosevic bis zum eigenen Friedensplan ausgereizt. Gysi hält eine blendende Rede. Aber kein Mensch, der die Sozialisten und Kommunisten 40 Jahre am eigenen Leib erlebt hat, will und kann ihm dieses Engagement abnehmen. Die realen Sozialisten haben ihre Glaubwürdigkeit schon vor Jahrzehnten in der DDR verspielt. Mit solchen Aktionen wird (erfolgreich) auf die Vergesslichkeit der Wähler spekuliert.

Keine Partei des Deutschen Bundestages tritt als moralisch glaubwürdige Instanz gegen diesen unsinnigen und völlig überflüssigen Krieg auf. Alle demonstrieren nach aussen Einigkeit und Geschlossenheit mit der NATO. Das Schlüsselwort heisst Solidarität. Die Amerikaner haben im Kalten Krieg dem 'Reich des Bösen' Paroli geboten und immer den Osten des geteilten Deutschlands für die 'Freie Welt' reklamiert. Als der Ostblock vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen zusammenbrach, wurde das auch als Sieg der militärischen Stärke der USA und der NATO interpretiert. Jetzt will die USA ihre neue Rolle als Weltpolizist auf dem Balkan demonstrieren. Alle Vernunft wird vom Tisch gewischt, es zählen nur noch partnerschaftliche Bindungen und vielfältige Abhängigkeiten: Deutschland ist moralisch den USA verpflichtet und hat Solidarität zu demonstrieren. Ausserdem muss das Gewissen der Öffentlichkeit beruhigt werden: Man kann doch der Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo nicht tatenlos zusehen!

 

Pech, dass gerade in dieser Situation die Grünen das (vermeintliche) Ziel von 20 Jahren alternativer Opposition erreicht haben: Die Regierungsbeteiligung. Schon bei dieser Zielsetzung haben die Grünen gezeigt, dass sie keine wirkliche Alternative zu den bestehenden Parteien sind. Sonst hätte ihnen klar sein müssen, dass Regierungsverantwortung immer nur zu Lasten der eigenen Ziele zu erkaufen ist. Das ist eine simple politische Spielregel und sie muss akzeptiert werden. Die Frage ist nur, wie weit man sich von den eigenen Vorstellungen entfernt, um an der Macht teilzuhaben. Die Verschiebung des Atomausstiegs auf 2020 war für viele schon unannehmbar. Aber es war auch Illusion, das in den nächsten vier Jahren zu realisieren. Die Schmerzgrenze war aber schon vor dem Beginn des Luftkrieges gegen Yugoslawien erreicht. Was für ein flammendes Fanal für alle Fans der Grünen wäre es gewesen, wenn der deutsche Aussenminister Fischer mit den ersten Bomben auf Belgrad zurückgetreten wäre !!

Dass er es nicht gemacht hat und (wetten dass) auch noch einem Bodenkrieg gegen die Serben zustimmen wird, zeigt nur eines: Auch den Grünen geht die Macht über die Moral. Wie sollte es anders sein, auch die Grünen sind ja nur Menschen! Ausserdem scheint Macht eine Droge zu sein: Man ist bereit, die letzten Grundsätze fahren zu lassen und rennt mit offenen Augen mindestens in den moralischen Untergang.

Dabei existieren die Argumente vom 'gerechten Krieg' und der nicht vorhandenen Alternative einfach nicht. Ein vermeintlich gerechter Krieg ist immer nur für eine der beiden Seiten gerecht. Ausserdem wollen uns Politiker immer glauben machen, für jedes Problem eine Lösung zu besitzen. Langsam aber sollte es sich bei allen halbwegs mit Verstand ausgestattete Mensch herum gesprochen haben, dass es in unserer Zivilisation mehr unlösbare als lösbare Probleme gibt.

Auch der machtgierigste Politiker weiss das, aber weder sagt er es laut, noch handelt er entsprechen. Das über Tausende von Jahren aus ethnischen Konflikten gewachsene Balkan-Problem ist nicht mit 'Luftschlägen' zu lösen. Es ist überhaupt nicht in einer endlichen Zeit zu entwirren. Jeder sieht, dass die Vertreibung aus dem Kosovo trotz Bombardement weitergeht. Jeder hat den Eindruck, dass die Verhältnismässigkeit der Mittel längst überschritten ist, wenn Brücken, Strassen, Fernsehzentren bombardiert werden, wenn die Infrastruktur eines ganzen Landes systematisch zerstört und verwüstet wird. Alle an diesem Konflikt als Entscheidungsträger beteiligten Politiker müssen das ähnlich sehen wie ich, denn sie sind alle nicht dümmer oder uninformierter als ich.

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