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Leben ohne Regen

 

Gestern auf der Tour zum Mt. Connor habe ich gesehen, wie viel Leben in diesem Bushland existiert, in dem es vor drei Jahren das letzte Mal richtig geregnet hat. Offensichtlich ist die Natur mit einem Dreiphasenprogramm an die Besiedelung der Erde durch das Leben gegangen:

Phase 1: Leben im Wasser
Phase 2: Leben an Land, mit Regen
Phase 3: Leben an Land, ohne Regen

Um die Fähigkeiten der Natur und ihre Methoden richtig einzuschätzen sei daran erinnert: Der Mensch ist nicht in der Lage, Leben aus den Elementen des Periodischen Systems zu synthetisieren.

Am einfachsten kann die Natur offensichtlich im Wasser Leben schaffen. Die 'Besiedelung' des Landes erfolgte vom Wasser aus. An Land ist die Art und die Vielfalt des Lebens entscheidend vom verfügbaren Wasser abhängig.

Unabhängig von der Geologie und trotz sehr grosser Unterschiede von Luftdruck und Temperatur, ist jede feste Oberfläche der Erde in Phase 2. oder 3. mit Leben besiedelt worden. Es gibt praktisch keine Stelle auf der Erdoberfläche, die steril und ohne Leben ist.
Es gibt zwar eine Reihenfolge der Besiedlung mit Leben von Phase 1 zu Phase 3, aber es existieren keine Abhängigkeiten der Phasen untereinander. Das bedeutet, jede Phase ist in sich stabil und stationär.

Ist es nicht erstaunlich, dass man so ein klares, methodisches Vorgehen der Natur beobachten kann ??! Das ist zwar verblüffend aber nicht verwunderlich, denn dieses Vorgehen entspricht dem der Naturwissenschaften: Die Natur agiert vorhersehbar, ihr Verhalten ist reproduzierbar. Die Natur funktioniert überall, mindestens aber auf dieser Erde, nach den gleichen, Naturgesetzen. Das, was ich zur Abhängigkeit von Wasser und Leben aufgeschrieben habe, ist natürlich bekannt. Es wurde bisher nicht in die Form eines Naturgesetzes gebracht, aber es ist ein Naturgesetz.

Im konkreten Fall bedeutet es für viele Flächen in Australien und zum Beispiel für die Cattle Station von Curtin Springs etwas ganz Erstaunliches: Pflanzen und Tiere in diesem Gebiet gehen davon aus, dass es nicht regnet. Sie sind darauf eingerichtet, auf Dauer ohne Regen auszukommen! Auch wenn alle Wasserstellen versiegen, existiert Leben noch solange, wie es Luftfeuchtigkeit gibt. Pflanzen und Tiere sind an diese extremen Bedingungen angepasst, keiner wartet auf Regen um zu überleben: DAS ist für mich eine entscheidend neue Erkenntnis !!

Kommt dann Regen, zufällig und unvorhersehbar, dann wird ein völlig anderes Programm gestartet, denn für diesen Fall ist zweifach vorgesorgt: Erstens erhält das bereits vorhandene Leben einen gewaltigen Entwicklungsschub. Der hält aber nur solange an, wie es zusätzliches Wasser gibt.

 

Zweitens existieren plötzlich in dieser Gegend Pflanzen und Tiere, die es in der trockenen Phase hier nicht gibt. Sie halten einen 'Trockenschlaf', der über Jahrzehnte andauern kann. In der (sehr kurzen) Phase, wo es genug Wasser gibt, besteht das entscheidende Entwicklungsziel dieser Tiere und Pflanzen darin, sich möglichst schnell zu vermehren und auf das Überleben der nächsten Trockenzeit vorzubereiten.

Der Mensch kann seine (unnatürlichen) Aktivitäten nur unter Berücksichtigung der nicht zu umgehenden Naturgesetze voran treiben. Unter diesem Gesichtspunkt ist zum Beispiel Rinderzucht in dieser Gegend nur möglich, wenn es gelingt, regelmässig und über Jahre, zusätzliches Wasser zu beschaffen. In Curtin Springs wird zu diesem Zweck das Grundwasser hoch gepumpt. Das Umhacken der Bäume (es wird hier Gott sei Dank nicht praktiziert) ist als eine weitere Variante zu werten, zusätzliches Wasser zu beschaffen.

Allein dieses unter natürlichen Umständen nicht vorhandene Wasser ermöglicht in allen Teilen Australias mindestens die Rinderzucht. Schafe brauchen mehr Wasser als Rinder und für den Anbau von Getreide und Gemüse reicht das artesische Wasser nicht aus. Die Aboriginals konnten dieses Grundwasser nicht nutzen. Deshalb existieren heute in Australia Tiere und Pflanzen, die es hier vor der Weissen Landnahme nicht gegeben hat.

Ein richtig revolutionärer Ansatz wäre, Rinder und Schafe zu züchten, die ohne Wasser auskommen, weil sie sich das Wasser von verschiedenen Pflanzen oder aus der Luft holen. Bisher konnte die Tierzucht solche Erfolge nicht erreichen. Es gibt Rinder, die ohne Wasser auskommen, aber das sind individuelle Eigenschaften, die durch Züchtung nicht vererbt werden. Mit Schafen funktioniert das gar nicht. Auch nicht mit Weizen, Dattelpalmen oder Gemüse. Aber mit den Kangaroos, Eidechsen, Mäusen, Insekten und den vielen Pflanzen, die ohne Regen auskommen, macht uns die Natur vor, dass es funktioniert! Denn obwohl es staubtrocken ist, existiert ja Wasser! Zum Beispiel jeden Morgen in Form von Tau und immer verfügbar ist die Luftfeuchtigkeit. Man muss das vorhandene Wasser nur intelligent nutzen. Die Natur hat den 'revolutionären' Ansatz längst realisiert. Aber weil der Mensch kein Leben schaffen kann, kann er natürlich auch keine speziellen Tiere oder Pflanzensorten erzeugen, die mit dem Morgentau auskommen oder die sich aus der Luftfeuchtigkeit bedienen. Er kann es nur mit Trial and Error über die Züchtung versuchen. Bisher erfolglos.

Für mich war das eine wirklich neue Erkenntnis: Dieser wüstenähnliche Landstrich wartet nicht auf Regen! Er ist auch ohne Regen voller Leben das sich darauf eingestellt hat, auf Dauer ohne Regen auszukommen. Interessant, was uns die Natur wieder vormacht. Nachmachen können wir es nicht, wir können nur staunen.

 

Jürgen Albrecht, Alice Springs, NT, 05. Oktober 1999

 

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