So wie es erstaunliche
und beängstigende Parallelen gibt, sind aber auch ganz wesentliche
Unterschiede zwischen der Bundesrepublik und der DDR auszumachen:
- Der Pluralismus ist das absolut
beste an dieser Gesellschaft. Es ist für intellektuelle Menschen
eine wirkliche Wohltat, daß sie nicht gezwungen sind, ständig nur
dem gerade Mächtigen nach dem Munde zu reden. Diese Welt ist pluralistisch
und komplex, keiner hat ein Abonnement auf die Wahrheit und schon
gar nicht auf Unfehlbarkeit (außer dem Papst...). Es gehört viel
Größe dazu, diese Tatsache zur Staatsphilosophie zu machen.
- Im Gegensatz zur DDR besitzt
die BRD keine gesellschaftliche Vision, sie setzt sich keine moralischen
oder ethischen Ziele, sie besitzt auch keine. Die ehemals christlichen
Werte sind zur Farce verkommen. Die DDR verfolgte offiziell eine
"historische Mission" die Menschheit zu neuen, besseren Ufern zu
führen. Daß die obersten Genossen sich schon sehr früh von diesen
Idealen verabschiedet haben, zeigt nur wieder die Konvergenz.
- Der Begriff "Freiheit" war
für mich in der DDR immer hohl. Ich hatte den Eindruck, er ist generell
gehaltlos. Und genau das stimmt nicht. In der Bundesrepublik gibt
es an einigen Stellen wirklich Freiheit. Beispielsweise kann man
sich mit Geld wirklich alles kaufen. Geld und Freiheit sind deshalb
identisch. Aber auch die "Freiheit von Forschung und Lehre" an einer
Universität ist wirklich reale Freiheit. Einem berufenen Professor
kann lebenslang keiner mehr vorschreiben, was er zu tun und zu lassen
hat und wann bzw. ob er zur Arbeit erscheint. Ob diese Freiheit
der Bundesrepublik nutzt ...? Das steht auf einem anderen Blatt,
ich habe da so meine Zweifel.
- Geld war in der DDR nichts
wert, hier ist es alles. Was Geld eigentlich ist, erkennt man erst
mit einer konvertierbaren Währung. In der DDR habe ich mehrfach
gesagt, auch wenn ich 500.000 'Mark der DDR' hätte, wie sollte ich
sie ausgeben? Ich konnte mir keinen Hubschrauber, kein Grundstück
und nicht mal sofort ein Auto kaufen. Auch auf Reisen konnte ich
nur mit Mühe gehen, dann aber fast umsonst! Das ist jetzt komplett
anders.
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- Es gibt große soziale und tatsächlich
auch Klassenunterschiede, die es in der DDR nicht gab. Mehr oder
weniger waren alle gleich reich oder arm. Die Nivellierung ging
bis dahin, daß ich entsetzt darüber war, als ich nach der Wende
sah, in welchem Stil unsere großen Führer in Wandlitz gelebt haben:
Nicht besser, als ein Kleinbürger in Recklinghausen an seinem Feierabend:
Im Plüschsessel mit Schrankwand vor dem Fernseher mit "Widschohrekohrdahr".
Erstaunlich ist auch, nach welch' kurzer Zeit es auch in Neufünfland
Obdachlose und Millionäre gab und gibt.
- Die Kriminalitätsrate ist heute
wesentlich größer als in der DDR. Das hat sicher zwei Gründe. Erstens
ist das soziale Gefälle größer, deshalb auch die Not vieler Menschen
so groß, daß sie fast zwangsläufig kriminell werden. Außerdem kann
sich im Gegensatz zu DDR-Zeiten ein richtiger Coup wirklich lohnen.
Wo war in der DDR wirklich was zu holen und wo sollte man seine
Beute verjubeln?! Schwer, wenn man nicht mal problemlos nach Polen
reisen konnte.
- Das soziale Verhalten der Menschen
untereinander war in der DDR völlig anders, menschlich besser. Das
liegt einmal daran, daß alle mehr oder weniger gleich waren. Gleichheit
minimiert den Neid. Außerdem existierte so etwas wie eine Notgemeinschaft.
Wir saßen alle in einem Boot, waren aufeinander angewiesen und hatten
den gleichen Feind: Die sozialistische Lebensweise, von oben verordnet.
Wir konnten nicht ausweichen. Die Mauer zwang zum Mitsingen. Solche
Zustände führen zur Solidarisierung. Wir sind miteinander ehrlicher
und menschlicher umgegangen. Jetzt hat man den Eindruck, jeder ist
in feindlicher Umwelt auf sich allein gestellt. Wer nicht selber
auf die Beine kommt, geht unter. Der Nachbar hilft nicht, keine
Mittel, keine Zeit und keinen Nerv.
Die Reihe der Parallelen und der
Unterschiede ließe sich endlos fortsetzen. Hier wurden nur Beispiele
für eine eindeutige Tatsache aufgelistet: Es gibt erstaunlich viele
Parallelen zwischen beiden Systemen, obwohl sie doch so verschieden
waren!
Jürgen
Albrecht, 06. Juni 1994
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