BACK

Hard- und Soft Design

Am 11. Mai fand in der HDK, Berlin, eine Vernissage statt. Skandinavische Designstudenten stellten im Rahmen eines europäischen 'Netzwerkes' ihre Arbeiten aus.

Ich traf Didier Aubry wieder, einen Architekten der Osloer Kunsthochschule, den ich bei einem Besuch dort kennen gelernt hatte. Bei der Diskussion über das Verhältnis von Ingenieuren und Designern, sagte er: 'Na, wenn Sie Ingenieur sind, machen Sie ja auch Hard Design!' Ich guckte erstaunt und fragte, was er damit meint. 'Hard Design ist auf einen Zweck ausgerichtet, etwas, das einen praktischen Sinn, eine Funktion hat. Im Gegensatz zu Soft Design, das hier auf dieser Ausstellung herumsteht.' Auf der Ausstellung waren keine Geschirr-, Maschinen- oder Werkzeugentwürfe zu sehen, sondern z.B. ein Zelt für einen 'Stadtnomaden', der darin zwar einen Fernseher und einen Computer, aber kein Bett, keinen Ofen und kaum einen Schutz vor Wind und Wetter hatte. Oder Stoffe, handgewebt, aber aus Draht und Blechstreifen, die wie Wände aufgestellt und nicht etwa verarbeitet waren. Wozu auch hätte man sie verarbeiten sollen/können?

Die (sicher sarkastisch gemeinte) Unterscheidung von Hard- und Soft Design hat mich in den letzten vier Wochen immer wieder beschäftigt. Es ist tatsächlich eine mögliche Klassifikation, man kann die heutige Welt so sehen. Auch an unserer Hochschule für Kunst und Design kann man Hard- und Soft Designer beobachten. Vor der Wende gab es fast nur die Hard Designer. Mit den Wessis kamen die Soft Designer. Prof. Jonas führt den Studenten mit einem professionellen Tänzer vor, wie man den Tanz als Methode der Problemlösung und Ideenfindung einsetzt. Prof. Stief baut mit seinen Studenten Häuser auf dem Mond. Prof. Meinel und Partner philosophieren über die 'Aktualität der Stadt als Metapher' und sie sind dabei zu der Auffassung gekommen, die wesentlichsten Probleme der Obdachlosen von Berlin wären dann gelöst, wenn man ihnen einen Anschluß an das weltweite Datennetz zur Verfügung stellen würde. Herr Dozent Luckner baut im Garten der Hochschule ein Haus, das allen Regeln der Architektur widerspricht, 51 Wochen des Jahres ungenutzt ist, in dem teure Solartechnik eingebaut ist, die niemand benutzt und in dem einmal pro Studienjahr ein internationaler Guru einen Workshop abhält. Der letzte lief zu 'beheizbaren Möbeln'.

Soft Designer vertreten die These, daß die Leute, die immer nur nach dem Sinn, dem Nutzen und der Funktion eines Gegenstandes oder eines Prozesses fragen, blockiert und beschränkt sind, nicht mehr kreativ denken können. Der wahre Kreative fragt nicht nach dem bleibenden Wert, es geht um Feeling, um den permanenten neuen 'Kick'. Die Form ist alles, Inhalt existiert nicht. Vehement werden alle Soft Designer diesen Satz bestreiten!

 

In der Kunst ist die gleiche Tendenz zu beobachten: Es gibt kaum noch Hard Künstler, die Soft Künstler sind auf dem Vormarsch. Hardware haben die Künstler der Vergangenheit abgeliefert: Ölbilder mit Porträts und Landschaften, Marmorbüsten, Goldschmiedearbeiten, Porzellan, Gärten, Triumphbögen, Burgen, Schlösser und gotische Kathedralen mit bunten Glasfenstern.

Gerade jetzt läuft in Venedig die 100jährige Biennale der Kunst. Nur Soft Kunst wird dort ausgestellt: Bettzeug und darauf ein paar überdimensionale Weihnachtskugeln. Eine Säule mit einem Bullenring, Brüste am Pflaumenbaum. Der Renner aber sind multimediale Installation mit der willkürlichen Bilderflut von MTV. Multimedia ist in.

Ein weiteres Beispiel für Soft Kunst habe ich zur Zeit direkt vor dem Auge. Von meinem Balkon aus kann ich verfolgen, wie Christo den Reichstag verpackt. Exemplarische Soft Kunst. Dreihundert Jünger wurden vom Meister persönlich instruiert und um den Reichstag postiert, um dem staunenden Volk zu erklären, worin hier die Kunst besteht. Dieses Soft Objekt gefällt sogar mir, denn es hat eine ganz erstaunliche und faszinierende Wirkung. Sehr schade ist, daß bornierte westdeutsche Politiker die Verpackungsaktion nicht zehn Jahre früher gestattet haben. Da wäre das Ganze unmittelbar an der Mauer wirklich ein politisches Spektakel geworden. Jetzt ist es nur eine Sehenswürdigkeit und offensichtlich ein gutes Geschäft.

Mein Hauptproblem, das ich mit dieser Art von Kunst habe ist zweifach. Es gibt Ausnahmen, den verpackten Reichstag nehme ich ausdrücklich aus: Soft Design und Soft Kunst sprechen nicht für sich selbst. Es entstehen Bilderrätsel, die ohne die Hilfe des Autors objektiv nicht zu entschlüsseln sind. Entscheidend ist auch ein zweiter Aspekt: In fast allen Fällen fehlt die kreative Idee, das handwerkliche, künstlerische Können und der Geistesblitz, die Pointe. Die ungewöhnliche Idee und die Ausmaße sorgen dafür, dass der verpackten Reichstag zu einem Kunstobjekt wird, zur Ausnahme. Warum aber fünf oder sogar acht Jahre Kunst studieren, um danach Bettzeug mit Weihnachtskugeln zu arrangieren? Wenn man der Welt etwas mitzuteilen hat, sollte man dann lieber ein Buch schreiben. Aber das genau ist der Haken an der Sache: Man hat nichts mitzuteilen und einen Roman zu schreiben, bedeutet Arbeit und Anstrengung.

DAS ist der Zeitgeist! Des Pudels Kern wird erkennbar, wenn man dieses Phänomen noch abstrakter betrachtet: 'Macher' haben unter Nutzung der Naturwissenschaften die gesamte Technik der heutigen Zivilisation entwickelt. Der Reichtum und der Pluralismus dieser Gesellschaft macht es möglich, dass sich neben den Machern auch Esotheriker, Naturheiler, Wiedergeborene, Außerirdische, Parapsychologen und Sektenführer etablieren konnten. Sie behaupten, daß es Dinge gibt, von denen die Wissenschaft nichts ahnt. Sie aber haben den Durchblick und die Heilsgewißheit. Diese Welle kommt ganz wesentlich aus den USA. Geringe Bildung und unsichere Zeiten sind ein hervorragender Nährboden für solche Art von Soft Wissenschaft. Sie fußt auf dem Glauben und ist damit praktisch Religion.

Je weniger Bildung die breite Masse besitzt und je einfacher sie zu manipulieren ist, je näher die technischen oder ökologischen Katastrophen kommen, desto mehr Zulauf werden die Soft Designer, Soft Künstler, Soft Philosophen und Soft Wissenschaftler haben.

Jürgen Albrecht, 19. Juni 1995

BACK