Ein Essay 1/2
Essay's werden von 'Intellektuellen' geschrieben und die gab es in der DDR nicht. Deshalb gab es in der DDR auch keine Essay's. Das ist etwas sarkastisch formuliert, aber im Grunde richtig. Die DDR war eindeutig antiintellektuell, darum geht es aber hier nicht in erster Linie. Es geht darum, daß einem DDR-Bürger wieder erst sehr spät aufgeht, wie die Bundesrepublik funktioniert, z. B. welche Rolle die 'Intellektuellen' in ihr zu spielen haben. Deutschland ist nach dem Abzug der Alliierten und der Russen im Sommer 1994 auch real ein eigenständiger und selbständiger Staat. Die 'Intellektuellen' haben in einem Staat die Aufgabe, über den Überbau nachzudenken, über die 'höheren Werte', über die 'schönen Künste' und über das Selbstverständnis dieses Staates. Sie liefern oder interpretieren die Staatsphilosophie. Welche Funktion hat eine solche Philosophie (gesetzt den Fall, es gäbe sie) in dieser Bundesrepublik? Keine. Sie hat nicht mehr Funktion als die Blume im Lauf des Gewehres des an die Front marschierenden Soldaten. Dieser Staat braucht keine Philosophie, denn im marxistischen Sinne hat er nur einen rudimentären Überbau. Das wesentlichste am Überbau sollte die Vision, die Utopie, das gesellschaftliche Ziel sein. Ein solches Gedankengebäude aber hat die Bundesrepublik nicht und sie hat es in ihrer Geschichte auch nie gehabt. An die Stelle einer solchen Intention ist das Geld, die Beschaffung und der Besitzt von Geld getreten. Und wenn man in Richtung Westen schaut, dann sieht man, daß die Bundesrepublik ein Kind ihrer Zeit ist: Nur der Osten hatte mit dem Sozialismus und Kommunismus eine gesellschaftliche Utopie, dem Westen ist alles egal und alles recht, wenn es nur Geld bringt. Aus einem einfachen und einsichtigen Grund: Geld REALISIERT jede vorstellbare Utopie, wozu also noch Visionen? Das ganze hat nur einen Schönheitsfehler: Diese 'Philosophie' ist so einfach, daß sie jeder Analphabet versteht. Aber (das Volk der Dichter und Denker !) man würde sich doch so gerne auch mit tiefschürfenden Gedanken und mit denen schmücken, die in solchen Tiefen schürfen. In dieser Situation kommen einem die 'Intellektuellen' mit ihren Essay's gerade recht. Das hat (vielleicht) Tiefe, das ist nicht leicht zu lesen, weil oft verquast geschrieben, man versteht es eigentlich gar nicht. Aber war das nicht bei Kant, Marx und Rousseau genau so? Das sind eben die Geistesgrößen, da muß man sich mühen. |
Aber meistens reicht es, daß man ihre Namen im Munde führt. Genau dann erfüllen die neuen Philosophen ihre Funktion: Wer über Botho Strauß, Adorno, Habermas, Walser und den wilden Carsdorf redet, der ist selber hoch intelligent, besonders dann, wenn er auch noch Millionen auf dem Konto hat. Was man selber nicht versteht oder gar nicht gelesen hat, das kauen einem Reich-Ranicki und Karasek vor und erklären es uns mit Heilsgewißheit in einer Talkshow. Damit ergibt sich eine ganz seltsame Antwort auf die Frage, ob etwa auch die Bundesrepublik intelligenzfeindlich ist ... Soweit der durchsichtige Mechanismus, auch wenn ich ihn unnötig zynisch und bitter beschrieben habe. Mein Problem ist nicht der Mechanismus, obwohl ich ihn wirklich erst jetzt richtig begriffen habe (angestoßen durch die Sendung ASPEKTE in dieser Woche). Mein Problem sind die Utopien und Ihre (Rück-) Wirkung auf die Gesellschaft. Es ist offensichtlich: Der Pluralismus führt zur Beliebigkeit von Kunst und Kultur. Pluralismus ist Beliebigkeit. In dieser Beliebigkeit manifestiert sich die Hilflosigkeit der einzelnen Menschen, ihrer Organisationen und der Staaten gegenüber den lokalen und globalen Menschheitsproblemen. Es gibt rechte, mittlere (gibt es die?) und linke Problemlösungsstrategien. Der Pluralismus ist eine relativ neue, weitere Variante dafür. Aber ich bin sicher: Diese Zivilisation kann durch Utopien oder das bewußte Vermeiden von Utopien nicht stabilisiert werden. Sie wird untergehen, wie viele Hochkulturen vor ihr, aus einem einzigen Grund: Das animalische Erbe des Menschen ist zu dominant. Vor allen Dingen: Diese Aussage ist keine These mehr. Sie wurde, nur durch die Zeitgeschichte der letzten sechzig Jahre, im 'Feldversuch' bewiesen: Hitler hat mit einer rechten Vision ein weltweites Chaos erzeugt, Stalin und seine Nachfolger haben das gleiche 'mit links' gemacht (auch wenn jetzt gleich wieder die 'Intellektuellen' aufschreien, daß man das nicht gleichsetzen darf, die Juden von der Singularität des Holocaust nicht lassen wollen, usw. ). Der Kapitalismus, kombiniert mit dem Pluralismus der letzten fünfzig Jahre löst kein einziges Menschheitsproblem, im Gegenteil, er hat erst die richtigen globalen ökologischen Probleme geschaffen, während die UNO sich über die n-te Protestresolution streitet. |