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Von Hyänen und Menschen

Im Fernsehen ein Film über Hyänen in Afrika. Was haben Hyänen für ein schweres Leben! Ihr Hauptproblem: Wie werde ich und meine Familie satt. Dazu gibt es nur einen Weg: Kampf, Gewalt, Brutalität, erbarmungslose Verfogungsjagd und am Schluß: Mord. Alles ist erlaubt: List, Täuschung, Rafinesse, Betrug. Der Zweck, etwas in den eigenen Magen zu bekommen, heiligt alle Mittel. Gekämpft wird permanent: Gegen Löwen, Leoparden, Gnus, Zebras, Antilopen, gegen Hyänen vom anderen Clan und gegen die eigene Verwandtschaft.

Die Hyänen leben in Rudeln, nicht weil sie sich so lieben, sondern weil es Vorteile bringt. Nur dann, wenn es nützlich ist und nicht anders geht - beispielsweise bei der Treibjagd - arbeitet man für ein gemeinsames Ziel. Ist es erreicht, gilt wieder die erkämpfte Rangordnung. 'Ruhe und Ordnung' im Sozialverband wird durch eine strenge Machthierarchie aufrechterhalten und notfalls mit Gewalt wieder hergestellt. Jeder weiß, welche Stellung er in dieser Hierarchie besitzt, täglich, stündlich wird um den Erhalt und um die Verbesserung dieser Position gekämpft. Hierarchische Stellungen werden vererbt. Nur nebensächlich, daß hier die Frauen das Sagen haben, ein Matriachat.

Physische Stärke und Agressivität sind die einzigen Werte, die im Rudel anerkannt werden. Die Agressivität ist so dominant, daß sich die zwei Jungen, die normalerweise geboren werden, von der ersten Sekunde an bekämpfen. Ist keiner zur Unterwerfung bereit, gibt es nach wenigen Tagen nur noch ein Junges: Der Stärkere überlebt. Aggressivität ist Antrieb, steuert den Tagesablauf, das ganze Leben. Ohne Agressivität keine Jagdbeute, keine Position im Rudel. Sex spielt keine Rolle, Sex muß sein. Aber nur kurz in einer Kampfpause mit dem Ziel, schnell die Schwangerschaft zu erreichen.

Für die Pflege der Jungen wird die gesamte Zeit aufgewendet, die neben Jagd und Kampf zur Verfügung steht. Aber auch hier gilt ein rigoroser Egoismus: Es zählt nur der eigene Nachwuchs, andere werden maximal geduldet. Nur die eigenen Jungen werden gesäugt und sobald sie feste Nahrung zu sich nehmen, zählt die geerbte Rangordnung. Schon die Jungen müssen hart im Nehmen sein. Die Eltern sind oft mehrere Tage auf 'Dienstreise' und die Jungen müssen warten. Sie können bis zu einer Woche hungern und dabei überleben. Nachbarn der eigenen Art sind Feinde, denn sie sind Nahrungskonkurrenten. Deshalb muß das Revier abgegrenzt, verteidigt und wenn möglich vergrößert werden. Rundherum wohnen nur Feinde. Sie haben es auf das Leben der Hyänen abgesehen. Wer unvorsichtig ist, wird gefressen.

 

Das Wohnungsproblem ist durch tiefe Erdbauten gelöst. Feinde können nicht eindringen, aber Badewanne, WC und einen Kühlschrank gibt es nicht. Wenigstens erledigt die Natur die Müllentsorgung.

Die Umwelt ist extrem unwirtlich, das Wetter entweder zu trocken, oder zu naß. Regen ist rar, Trinkwasser ist knapp und Gemüse gibt es nur nach einem Gewitter. Lange Wanderungen zu Wasser- und Nahrungsquellen sind erforderlich. Trockenheit, Steppenbrände und Überschwemmungen verwüsten den Lebensraum, es fehlen nur noch Schneestürme und Erdbeben.

Ein Leben, geprägt ausschließlich durch Streß. Es ist ohne jeden Komfort, ohne Urlaub und Entspannung, ohne Freizeit. 24 Stunden Arbeit unter permanenter Lebensgefahr und totaler Existenzbedrohung. Ein Leben völlig auf sich selbst gestellt, ohne Freunde und ohne Freuden. Weit und breit kein Fernsehsessel, kein Bett, keine Kneipe, keine Kaufhalle, keine Bank, kein Arzt, kein Psychiater. Wie hält man das als Hyäne ein Leben lang aus?

Kein Vergleich mit dem Leben ganz normaler Menschen. Wir sind nicht nur lieb zu Onkel und Tanten, nein, auch zu den Kindern in der Dritten Welt. Wir haben komplett andere Gene. Deshalb beißen wir unsere Geschwister nicht und jagen uns auf der Autobahn nur aus Spaß. Nur manchmal kommt dabei einer zu Tode, ganz aus Versehen. Hühner, Kühe und Schweine fressen wir nicht. Wir jagen sie auch nicht, sie sterben von alleine. Wir kochen und braten Fleisch und dann dinieren wir. Wo das Fleisch her kommt, sehen und wissen wir nicht, das ist Sache von Spezialisten.

Statt Agressivität gibt es bei uns Fairneß und Gerechtigkeit. Rangordnungen, hierarchische Strukturen, Reviere und Machtkartelle kennen wir nicht. Wir sind alle gleich, besonders die Frauen. Mit Barmherzigkeit, Mitleid, Liebe, Toleranz und den christlichen Geboten regeln wir unseren friedlichen Alltag. Gibt es doch einmal Konflikte, lösen wir sie mit demokratischen Spielregeln, vor Gericht oder mit gerechten Kriegen.

Wir haben Stil und lieben Luxus, Komfort und Hygiene. Für Sex nehmen wir uns viel Zeit. Nie laufen wir nach dem Essen blutbeschmiert herum und unseren Abfall kippen wir viel geschickter in die Natur, als die Hyänen.

Natürlich haben wir auch Streß. Weil wir noch keine Zwanzigstundenwoche haben und im Supermarkt immer an der falschen Kasse stehen.

Jürgen Albrecht, 17. Dezember 1995

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