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Sie wollen eine andere Republik !

Sie wollen eine andere Republik !!' Einen größeren Schimpf kann man in Deutschland niemandem an tun. Dabei müßte eigentlich jedem intelligenten Menschen klar sein, daß man immer eine andere Republik wollen muß, weil die gegenwärtige mit Sicherheit mehr oder weniger große Mängel aufweist. Kein System ohne Mängel. Aber in der Regel werden sie von den Beteiligten nicht gesehen.

In der Bundesrepublik haben sich alle bisherigen Regierungen mehr oder weniger konservativ verhalten. Mit der Konsequenz, daß Deutschland zu einem permanenten Strukturwandel offensichtlich nicht fähig ist. HighTech Produkte und -Verfahren kommen nicht mehr - wie noch vor 50 oder 100 Jahren - aus Deutschland. Für brach liegende landwirtschaftliche Nutzflächen werden Prämien gezahlt. Der Abbau von Steinkohle wird hoch subventioniert. Ein rohstoffarmes Land baut Schiffe, während Indien dabei ist, zum größten Softwareentwickler der Welt zu werden. In Deutschland wird vehement an eingefahrenen Wegen und eroberten Besitzständen festgehalten. Vom Ladenschluß über breit gestreute Subventionen bis zum Asylrecht. Nicht einmal die deutsche Wiedervereinigung konnte Reformen anstoßen. Die ehemalige DDR wurde kurzerhand auf BRD-Standard gebracht. Damit waren alle Probleme gelöst. Danke, das genügt.

Was lernen die Kinder in der Schule über die Welt von morgen? Wo sind die Investitionen des Staates in die Jugend? Gerade habe ich einen Vortrag an einem Gymnasium gehört, in dem der (achtzigjährige) Referent forderte, die Schulbildung müßte sich wieder an den Zielen der 'humanistischen Bildung' orientieren, wie das vor 1933 der Fall war. Ganz wichtig dabei wären die alten Sprachen (Griechisch, Latein, Hebräisch). Nicht ein Wort sagte er zu den Bildungszielen, die erforderlich sind, damit heutige Abiturienten vor oder nach dem Studium nicht sofort in die Arbeitslosigkeit fallen.

Damit ist das Stichwort Generale gefallen: Arbeitslosigkeit. Kurz nach dem Krieg gab es Vollbeschäftigung. In der DDR gab es Vollbeschäftigung, weil es in der DDR keine freie Marktwirtschaft gab. Freie Marktwirtschaft und Arbeitslosigkeit bedingen sich gegenseitig. In Deutschland sind heute vier Millionen Menschen arbeitslos, im Westen 9, im Osten 16 Prozent. Offiziell - wie sehen die Zahlen tatsächlich aus? Dunkelziffer plus Schwarzarbeit mindestens 50 Prozent. Die gleiche Situation herrscht in der EG.

 

Jugendarbeitslosigkeit ist ein Spezialproblem. Sie ist generell höher als die durchschnittliche Arbeitslosigkeit. Zum Beispiel in Spanien 40 %, in Deutschland offiziell 20 Prozent. Die Regierung Kohl propagiert jetzt ihr strategisches Ziel: Halbierung der Arbeitslosenzahl bis zum Jahr 2000. Ein Konzept dafür existiert nicht, jeder weiß, es sind nur Sprüche, Wahlversprechen. Wegen der eklatanten Strukturdifferenzen in der deutschen Wirtschaft wäre schon die Stagnation der Arbeitslosigkeit ein Erfolg.

Auch aus einem anderen, ganz erstaunlichen Grund entstehen keine neuen Arbeitsplätze: Große Konzerne erwirtschaften ihre Dividende nicht mehr durch den Verkauf von Produkten oder Leistungen, sondern durch Spekulation mit Kapital. Im Jahr 1994 hat zum Beispiel SIEMENS zwei Drittel seines Milliardenüberschußes auf diese Weise realisiert. Die Deutsche Bundesbank schenkt jetzt dem Finanzminister 10 Milliarden DM. Woher kommt soviel Geld? Es wurde durch Zinsgewinne und Spekulationen im Jahr 1995 'erzeugt'.

Damit stellt sich eine interessante Frage: Wie sieht eine Republikaus, die so reich ist, daß sie ihren Bürgern einen hervorragenden Lebensstandard ohne jede Produktion, nur durch Zinsen und Spekulationen an der Börse bieten kann?! Die materielle Produktion wird eingestellt und die meisten arbeiten nicht, aber niemand leidet Not, weil die Kassen der Sozialhilfe gut gefüllt sind. Warum soll man eine solche Republik nicht wollen? In Kuwait existiert sie ja schon.

Will man sich auf diese andere Republik einstellen, so tauchen sehr interessante Fragen auf. Das Problem der Jugendarbeitszeit existiert nicht mehr. Welche Bildungsziele sind gefragt? Keine. Wahrscheinlich braucht man keine Schulpflicht mehr und es gibt nur noch elitäre Privatschulen. Das hätte den entscheidenden Vorteil, daß die Masse Mensch wesentlich einfacher durch Fernsehen und Regierung zu dirigieren wäre. Die Gesellschaft wäre noch deutlicher als heute in Arm und Reich getrennt. Wobei Arm bedeutet, eine monatliche Rente von 5.000 DM ohne Gegenleistung zu erhalten.

Wie würden unter solchen Umständen Kultur, die Freizeit und der normale Tagesablauf von Arm und Reich aussehen? Nur die Reichen hätten Arbeit, Bildung und die Übersicht. Deshalb gilt für jede andere Republik: Reich muß man sein.

Jürgen Albrecht, 08. Mai 1996

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