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Weltführerschaft der USA

Ein Phänomen: So wie es unter Menschen ein unterschiedliches, angeborenes Verhalten gibt, so ist das auch unter Ländern zu beobachten. Es gibt introvertierte und extrovertierte, aggressive und friedliche, sanguinische und depressive (u.a.) Menschen und Länder. Und eigenartig ist dabei, daß dieses Verhalten nicht mit dem Pro-Kopf-Einkommen (wirtschaftliche Macht) zusammenhängt. Beispiel: Das Einkommen des einzelnen Bürgers ist in der Schweiz und in Norwegen am höchsten. Von beiden Ländern hört man in den Nachrichten fast nichts. Das Einkommen in den USA ist hoch, aber deutlich geringer als in Norwegen. Die USA findet man trotzdem immer in den Schlagzeilen.

Das Paradebeispiel für das extrovertierte Verhalten eines Staates sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Hier paart sich wirtschaftliche Macht, eine große Menge von Menschen, eine aggressive Grundeinstellung und missionarischer Eifer mit der Heilsgewißheit, das beste Gesellschaftssystem zu besitzen. Nur die USA, als Staat und jeder einzelne Bürger, fühlen sich als 'Number One' und sagen das auch zu jeder Gelegenheit. Gerade der jetzt laufende Wahlkampf um die Präsidentschaft zeigt, wie unbekümmert, banal und platt sich die Amerikaner selber feiern können. Als Grundphilosophie gilt, daß jeder Millionär oder Präsident sein könnte, er muß es nur skrupellos und intensiv genug wollen. Wer nicht strampelt (oder strampeln kann) ist selbst schuld, wenn er zu nichts kommt. Es zählt nur der, der es zu etwas gebracht hat, wie er das geschafft hat, ist egal. Alles und jeder ist mit Geld zu haben, jedes Problem ist nur eine Frage des Preises. Kraft und physisches Durchsetzungsvermögen rangiert weit vor Intelligenz. Das Bildungsniveau des Durchschnittsamerikaners ist gering, ein Land mit vielen Analphabeten. Streitigkeiten werden wie zu Wildwest Zeiten selbstverständlich mit der Pistole geklärt. Es gibt Zahlen, nach denen die Anzahl der Waffen in Privathand drei mal größer als die Einwohnerzahl ist.

Man merkt an der Schreibweise, wie mir das Verhalten der Amerikaner zuwider ist. Es ist nicht meine Welt, es ist meine Antiwelt.

Ganz erstaunlich aber, daß sich das Verhalten der Amerikaner im eigenen Lande auch in der Außenpolitik wieder findet. Kein anderes Land sagt offen und laut, daß es die 'Weltführerschaft' anstrebt und erreichen will. Nicht einmal Hitler hat das mit diesen Worten laut gesagt.

 

Die USA sagen das nicht nur, sie praktizieren Weltführerschaft in der Form des Weltpolizisten USA. Die private Überzeugung, alles mit physischer Gewalt klären zu können und die Welt auf den rechten Weg zu führen, wird auf die Außenpolitik übertragen. So wird rigoros die Souveränität von Staaten verletzt, wenn Amerika der Meinung ist, daß sich dieser Staat nicht 'richtig' verhält: Beispiel Grenada, Panama, Mexiko. Nach dem Prinzip 'Wie Du mir, so ich Dir' wird Libyen bombardiert. Jetzt greifen amerikanische Flugzeuge und Soldaten den Norden des Irak an.

In den USA wurde ein Gesetz erlassen, mit dem allen anderen Staaten der Welt mit Sanktionen gedroht wird, die mit Libyen oder dem Iran Handel treiben. Unfaßbar! Israel ist wirtschaftlich stark von den USA abhängig. Das Verhalten Israels gegenüber seinen Nachbarn entspricht aber so völlig amerikanischer Mentalität, daß man Israel auch als Klein Amerika ansehen kann.

Aber ich muß auch neidlos anerkennen, daß die Existenz dieses Weltpolizisten USA auch gute Seiten hat. Der kalte Krieg wäre ohne die Rolle, die die USA 40 Jahre weltweit und in der NATO gespielt haben, für Europa und Deutschland wesentlich anders ausgegangen. Das ist auch ein Grund, weshalb Deutschland als Staat vollständig hinter der Außenpolitik der Vereinigten Staaten steht.

Ein aktuelles Beispiel für positive Wirkungen der US-Politik ist der Balkankonflikt. Ich hätte mich längst aus dem Balkan zurückgezogen, weil dieser ethnische Konflikt unlösbar ist. Offensichtlich denkt die Europäische Union genauso. Daß der Balkankrieg derzeitig nicht offen ausgetragen wird, liegt nur an den USA. Sie haben Gewalt angewendet und mit Gewalt gedroht. Mit diesen Mitteln kann man zwar das Problem nicht lösen, man kann aber erreichen, daß nicht mehr geschossen wird. Solange ein Stärkerer mit einer großen Pistole in der Nähe ist, wird auf dem Balkan latent Ruhe herrschen. Zieht sich big Brother zurück, fängt alles wieder von vorne an. Aber hier hat das Recht des Stärkeren wirklich dazu geführt, daß der Krieg (vorübergehend) erst mal vorbei ist.

Mir ist klar, daß meine Version, alle zwischenmenschlichen Probleme mit Vernunft und Intelligenz lösen zu wollen, in dieser Gesellschaft nicht funktioniert. Trotzdem: Gewalt ist mir zuwider. Gewalt ist einfach nicht meine Sache.

Jürgen Albrecht, 02. September 1996

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