Hamburger
Bahnhof, Berlin |
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Das erste Mal habe ich den Hamburger Bahnhof (schwach) 1989 wahrgenommen, als ich bei der offenen Grenze dort nach 'Westberlin einreiste'. Hier war der Grenzübergang Invalidenstraße. Dort bin ich sogar mal zu Zeiten von Ratioprojekt mit dem PKW durch den damals noch sehr eisigen eisernen Vorhand gefahren. Vor ein paar Jahren fiel mir dann das Gebäude bei einer meiner vielen Fahrradtouren auf. Vor ein paar Monaten wurde der Bahnhof wieder eröffnet: Er ist jetzt das 'Museum für Gegenwart Berlin' (ohne Komma). Kann man Gegenwart ins Museum stellen? Deutsche Sprache, wie ist sie schwer und schön, aber na ja ... Heute ist Winter in Berlin. 5 Grad minus gegen 10 Uhr und Schnee. Der Schnee wird durch das Fahrrad aufgewirbelt, verändert die Form der Räder und des Rahmens und macht aus den Hosen weiße Stiefel: Moderne Winterkunst. Ich steige vor dem Bahnhof ab und gehe ins Museum mit der Kunst der Gegenwart. Filigrane Stahlkonstruktion des Bahnhofs. Mao im Zentrum einer langen, schmalen Halle. Ein schöner, heller Raum mit einem ungewöhnlichen Grundriß: Eine Bahnhofshalle, lang und schmal, höchstens für zwei Züge nebeneinander. Riesige Bilder ohne Inhalt an den Wänden. Ein paar echte Warhol's ... banal. Das einzige, was mir bei ihm und Lichtenstein auffällt: Sie haben die ersten Anfänge der sich durch neue Technologien revolutionierenden Drucktechnik als künstlerisches Ausdrucksmittel benutzt. Leider hatten sie kein Thema, keinen Gegenstand, keine Botschaft. Und mit unserer heutigen Kenntnis der digitalen Bildverarbeitung sind es nicht mehr als alltägliche Experimente. Eine schöne, breitere Halle mit genieteten Stahlträgern. Schön ist der Kräfteverlauf zu sehen: Im Zentrum, auf dem Dachfirst, sind die Kräfte null ... Ja, so etwas sieht nur der Herr Ingenieur. Die ganze Halle gehört Kiefer. Alles ist groß und schwer, aber nichts rührt meine Emotionen. In kleineren Räumen Licht und Videoinstallationen, Geräusche. Ein schöner, heller, großer Raum im Obergeschoß: Aber was sagen mir die bunten Bilder voller Symbole? Nichts. Der ganze Westflügel gehört Beuys. Unten Steine, Eisenbahnschienen, Tafeln und Wachsblöcke. Darüber ein ganzer, großer Raum voller Zeichnungen. Jeder für sich eine Ikone, das Universum oder Nichts. Je nach Sicht des Betrachters. Ein Wort steht exemplarisch für diese Art von Kunst: Beliebigkeit. Was Clara (5) malt, hat die gleiche Formqualität, ist aber (noch ?) nicht mit bedeutungsschwerem Inhalt befrachtet. |
Gerade bei Beuys stelle ich mir die Frage, als ich den Raum mit diesen Wachsblöcken überblicke: Das also bleibt von einem ganzen Leben übrig? Das hat der Künstler der Nachwelt hinterlassen. Was hat er, was haben diese Werke bewirkt? Wie haben sie unseren Alltag, Deutschland, die Welt, das Universum, verändert? Nichts wäre anders, gebe es Beuys nicht. Was ist das, was hier liegt, steht und hängt? Alltägliche Gegenstände, aus dem gewohnten Kontext gerissen. Mehr nicht. Man muß nicht irgendein Handwerk können, eine Ausbildung haben, um ein Künstler der Moderne zu sein. Man muß sich eine 'Masche' zulegen (Blei, Nägel, Fett, ein Hut, Bilder verkehrt herum ...) und sich entscheiden, diese Masche ein ganzes Leben lang konsequent durchzuhalten. Dieses Prinzip sichert heute die Unsterblichkeit. Darin erschöpft sich offensichtlich die Schaffenskraft fast aller Gegenwartskünstler. Die Kunst der Moderne findet im Kopf statt. Sie wird nicht durch die Hände gemacht, wird nicht durch den Gegenstand repräsentiert, an dem der Künstler wirkte. Dagegen wäre überhaupt nichts zu sagen, wenn sie stattfinden würde, die Kunst. Bei mir aber regt sich keine, wie auch immer geartete Emotion, und kein hochfliegender Gedanke. Hier ist ein Unternehmen, ein Geschäft im Gange. Mit diesen Gegenständen wird spekuliert wie mit Aktien. Sie haben keinen Eigenwert, ein Wert wird erst durch Spekulanten erzeugt, die in allen verfügbaren Medien die Trommel rühren und von diesem fiktiven Wert reden. Es ist nur eine Frage der Zeit und der Prominenz der Spekulanten und Künstler, dann erhält der vom Material, von der Machart und vom Inhalt objektiv wertlose Gegenstand tatsächlich einen (teilweise unbezahlbaren) Wert. Das ist der Mechanismus. Er paßt wie die Faust aufs Auge zur Marktwirtschaft und er funktioniert auch nur mit ihr. Hier geht es also gar nicht um Kunst im Sinne von Können. Hier geht es nicht um Emotionen und Botschaften. Hier geht es um Show und um den Betrug, der zu jeder Show gehört. Mich amüsiert am meisten, daß es viele Künstler gibt, die diesen Mechanismus nicht durchschauen und sich wirklich für unsterbliche Künstler neben Leonardo und Vincent halten. Daß der kunstbeflissenen Dame und dem karrierebewußten Yuppi im Angesicht von Beuysens Unschlitt/Talow der Atem vor Ehrfurcht stockt, das ist nachvollziehbar. Genau für diesen stockenden Atem haben die Kunstkritiker und die Medien gearbeitet. Mir stockt auch der Atem, denn ich sehe fasziniert den modernen Zauberlehrling, der aus Wachs Gold macht.
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Jürgen
Albrecht, 12. Januar 1997
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