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Elektronische Spielchen

Warum hat das nicht ein Designer der BURG aus dem Fachbereich Spielmittel erfunden: Ein elektronisches Spielzeug, was den Pflege- und Streicheltrieb des Menschen mit grundsätzlich neuen Technologien befriedigt. Ein simples, elektronisches Gerät, das (angeblich) Zuwendung braucht, auf Zuwendung reagiert und ohne Zuwendung unrettbar seinen Geist aufgibt.

Das, was mich an diesem Spielzeug am meisten beeindruckt, ist das geniale Konzept. Es muß aufgehen, egal, wie banal das simulierte Lebewesen ist, denn es spricht menschliche Urinstinkte an: Der Mensch ist gleich nach dem Essen und dem Sex auf das Baby fixiert. Nur das eigene Baby sichert die Fortpflanzung der eigenen Gene. Das ist zwar logisch, aber genau um Logik und Verstand geht es nicht, wenn man auf der Straße, in der U-Bahn oder im Supermarkt ein niedliches Baby oder Kleinkind sieht. Völlig ausgeschaltet ist der Verstand bei Müttern, die Kinder zwischen null und zwanzig Jahren haben. Die Väter reagieren mit Stolz auf ihre 'Leistung', die Mütter sind in erster Linie besorgt, daß der Nachwuchs auch das zeugungsfähige Alter erreicht.

Beides äußert sich in Zuwendung zum Baby, zum Kleinkind, zum Kind. Füttern, Streicheln, Ansprechen, Spielen, Beschäftigen und immer wieder Anfassen und Füttern. Ich konnte meiner Mutter auch im Alter von 50 Jahren keine größere Freude machen, als viel und mit großem Appetit bei ihr zu essen. Zwanghafte Handlungen.

Diese Urtriebe auf ein Spielzeug zu lenken, ist die naheliegendste Idee, die es überhaupt gibt. Warum ist jetzt erst einer darauf gekommen, daß man das Baby noch viel weiter als bis zur Puppe oder dem Teddybär abstrahieren kann? Vor zwei Jahren hat es schon einmal einen Anfang gegeben, der auch sehr erfolgreich war: Der virtuelle Hund. Es war eine Software, die auch aus Japan kam. Warum kommen solche Ideen immer aus Japan?

Der entscheidende Nachteil war, daß man den Hund nur am Bildschirm streicheln konnte und auch nur, wenn der Rechner an war. Viel zu umständlich.

Das mit einem Mini-Bildschirm ausgestattete Ei mit dem einprägsamen Namen Tamagotchi, das jetzt auf den Markt gekommen ist, stellt aus meiner Sicht einen Quantensprung dar. Dieses 'Tier' kann man überall hin mitnehmen, ständig im Auge behalten und 24 Stunden am Tag 'versorgen'. Wer kann schon widerstehen, wenn EiEi piepst oder weint? Noch viel weniger ist es auszuhalten, wenn etwa EiEi wegen mangelnder Nahrung oder verweigerter Streicheleinheiten zu sterben droht! Der genialste Schachzug aber ist, daß es wirklich sterben kann und auch stirbt, ohne eine Chance der Revitalisierung. Einen besseren Vermarktungstrick kann man sich nicht vorstellen: Ein Produkt, das seinen permanenten Nachkauf selbst erzwingt. Das ist einfach genial.

Ich bin fest davon überzeugt, dieses Ei des Kolumbus ist der Stammvater vieler ähnlich strukturierter, virtueller Lebewesen. Ihre Komplexität und vor allen Dingen ihr Verhaltensrepertoire wird deutlich und schnell wachsen. Mit einem Verhalten, das auf unsere vorprogrammierten Pflege- und Beschützerreize ausgerichtet ist, wird der Eindruck von Intelligenz vermittelt. Herrchen ist nach 10 Jahren des gemeinsamen Lebens mit seinem Hund völlig davon überzeugt, daß ihn sein Hund in jeder Lebenslage versteht. Natürlich stimmt das nicht, der Hund antwortet mit typischen Reflexen auf ähnliche Situationen. Genau das ist keine Intelligenz, aber erweckt den Anschein von intelligenter Kommunikation. Genau dieses Repertoire von situationstypischen Reflexen kann man mit einem einfachen Chip und ein paar Sensoren und Aktoren simulieren: Das große, weite Feld zukünftiger digitaler Babys und Haustiere. Das ist DIE Geschäftsidee für das 21. Jahrhundert. Sofort sollte man eine Firma gründen.

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