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Stars und ihre Fans

Tony Blair wurde in England zum Premierminister gewählt, Menschenmassen jubeln ihm zu, bewundern seinen Einzug in Downing Street Number 10, jeder will ihn anfassen. Heute am 9. Mai, wieder mal eine Siegesparade in Moskau. Die Begeisterung für die großen Führer hat stark nachgelassen, kein Vergleich zu den Zigtausenden, die früher den Großkopfigen auf der Tribüne zugejubelt haben. Aber jeden Mittwoch und Sonntag (mindestens) auf dem Fußballplatz kann man noch Stars und Fans in Reinkultur erleben. Da identifiziert man sich nicht nur mit seinem Star und seinen Waden, sondern auch noch mit seinem Clan, dem Fußballclub. Der Kult treibt prächtige Blüten und ist seit Fernsehrechte verkauft werden, ein Milliardengeschäft. Mitgliedsbeiträge, T-Shirts, Schals und Biergläser spielen da beim Umsatz überhaupt keine Rolle mehr.

Jetzt fallen Cannes auch gerade wieder die Fans in Ohnmacht, weil dort Michael Jackson tatsächlich life und realy zu sehen war - wenn es nicht wieder ein Doppelgänger gewesen ist. Außerdem gibt es dort eine so schöne, große und breite Treppe ... Einmal dort rauf oder runter gehen, viele würden ihr halbes Leben dafür geben und ziehen sich alles aus, um aufzufallen.

Was jetzt in Cannes los ist, zeigt exemplarisch die zwei Seiten der Medaille: Es gibt Exibitionisten, die den 'ultimativen Kick' erst dann erleben, wenn sie von den Massen bejubelt und bewundert werden. Alle Filmschauspieler und alle Politiker gehören zu dieser Sorte von Menschen. Das ist ja eine relativ kleine Gruppe von Menschen. Auf der anderen Seite aber sind da die Fans, die endlos auf ihre Idole warten, ihnen um die Welt nachreisen, täglich Briefe schreiben und sich in die Hosen machen, wenn tatsächlich mal ein Shakehand zustande kommt.

Die Schwester meiner Mutter, Tante Cläre, hatte ca. 1940 das Erlebnis ihres Lebens: 'Der FÜHRER hat mir die Hand gedrückt!!!' Ich hab' das noch im Ohr, so oft hat sie es gesagt. Bis zu ihrem Lebensende hat sie davon gezehrt, vor ca. 6 Jahren ist sie gestorben.

Wie kommt das, warum wollen Menschen wie Götter behandelt werden und warum ist es auf der anderen Seite so viel leichter, mit dem Leben fertig zu werden, wenn man an einen oder mehrere Götter glauben kann? Einer bei Bayern München, einer in Cannes, eine Göttin in Hollywood und ein großer Gott im Himmel.

Die erste Frage ist noch einfach zu beantworten. Je mehr man es schafft, Platzhirsch oder Salonlöwe zu sein, desto wohler fühlt man sich. Davon bin ich auch nicht frei. Ein fachlich unbestrittenes Ansehen, Kompetenz und schöne Titel bedeuten nichts mehr, wenn man sie hat, aber sie schaffen eine hervorragende Sicherheit und psychische Ausgeglichenheit. Das ist durchaus mit dem Status eines Platzhirsches vergleichbar. Welche Vorteile das hat merkt man erst, wenn man Leute sieht, die zwar mehr als den üblichen Ehrgeiz haben, aber nicht das fachliche Vermögen. Das Ergebnis sind Neurosen und Phobien.

Warum aber brauchen die meisten Menschen Vorbilder, Leitbilder, Idole, Helden, Stars, Halbgötter und Götter? Wahrscheinlich auch, weil sie sonst psychisch nicht rund laufen. Sie werden mit sich alleine nicht fertig. Es funktioniert wesentlich besser, wenn man sich in die Rolle eines Vorbilds begibt, sich bemüht, so zu sein wie dieser Held. Mit den Göttern geht es noch einen Schritt weiter, da ist das entscheidende Motiv wahrscheinlich die Suche nach Schutz und Geborgenheit. Wenn 'da oben' einer ist, der alles sieht und alle Gefahren abwendet, dann kann man sich in Sicherheit wiegen. Als Gegenleistung kann man dann ruhig mal ein paar Räucherstäbchen anzünden oder ein Huhn zu seinen Ehren schlachten.

An Stars und Götter zu glauben fällt nur denen schwer, die wissen, daß unsere Einsichten sehr begrenzt sind, daß Stars die gleichen Menschen sind, wie wir auch und daß die Götter unsere Erfindungen sind.

Jürgen Albrecht, 09. Mai 1997

 

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