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Ein neuer Staubsauger

Ich habe mir einen neuen Staubsauger gekauft. Der alte aus der DDR machte es zwar noch, aber die DDR-Filtertüten sind ausgegangen und die neuen passen nicht in den alten Staubsauger. Außerdem hatte ich den Eindruck, ich könnte einen neuen Entstauber gebrauchen, der stärker, komfortabler und mit einer besseren Filtertechnik ausgestattet ist.

Ich sah mich um: Es gibt Staubsauger in Hülle und Fülle, mindestens 35 verschiedene Typen. Schon das ist ein Problem: Warum müssen 35 Typen entwickelt werden, die alle fast ähnlich konstruiert sind und auch ähnlich gut funktionieren. Aber daran habe ich mich ja inzwischen gewöhnt, auch das ist eben Pluralismus. Nur sinnvoll und ökologisch ist es nicht. Der teuerste Staubsauger kostet fast 500 DM, in der Zeitung habe ich gelesen, daß es im Penny-Markt einen Staubsauger (von Siemens) für 99 DM gibt. Aber als ich hinkam, war dieses Schnäppchen schon ausverkauft. Ich habe mir hier unten in meiner Kaufhalle die Staubsauger angesehen und den billigsten genommen, er kostete 149,95 DM. Da ist alles dran, 1200 Watt, Saugkraftregelung, spezielle Düsen als Zubehör, sechsfache Luftfilterung, Räder, Schlauch, Kabeleinrollung usw.

Nachdem ich das Ding ausgepackt und ausprobiert hatte stellte ich fest, daß nur ein Staubbeutel mitgeliefert wurde, ein weiterer war schon im Gerät eingesetzt. Bei der Bedienungsanleitung lag eine Karte: Bestellen Sie Staubbeutel! Alles war zu bestellen, aber alles ohne Preise. So nicht mit mir. Also ging ich noch mal runter, um mir einige Reservebeutel zuzulegen. Ein ganzes Regal nur voller Staubbeutel, denn natürlich herrscht hier auch Pluralismus und jeder erfindet seinen speziellen Beutel für seinen speziellen Sauger. Mein Staubsauger hat zwar einen Namen: EIO morphy richards (Made in Sonneberg, früher DDR), aber keine Typenbezeichnung und keine Nummer. Den Staubsaugerbeuteln aber sind Nummern, Namen und Typenbezeichnungen zugeordnet. Hier war also mehr als das Abitur nötig, wenn man den Beutel dem richtigen Staubsauger zuordnen wollte. Ich war mir nicht sicher, deshalb ließ mir meine Auswahl von der Dame an der Kasse bestätigen (sie öffnete, um ganz sicher zu gehen, die Verpackung ...!).

Und dann kam der Hammer: Fünf Staubbeutel kosten 16.95 DM. Das heißt, jede volle Tüte aus dem Staubsauger kostet rund 3,50 Deutsche Mark. Anders herum gerechnet, hat man nach 44 Tüten genau so viel Geld für Staubbeutel ausgegeben, wie für den ganzen Staubsauger. Bei diesem Beispiel beschleicht mich die Vermutung, auch der Staubbeutel kennzeichnet den problematischen Standort Deutschland:

Alles, was sich industriell herstellen läßt, ist durch hohe Stückzahlen, Automatisierung und Rationalisierung extrem billig. Es ist so billig, daß man sich fragt, ob z.B. der Preis eines Staubsaugers eigentlich nicht schon für das unbearbeitete Material erforderlich ist. Der Einkauf der Rohstoffe in der Dritten Welt zu Dumpingpreisen und die hoch automatisierte Produktion ermöglichen so niedrige Preise, die in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum Gebrauchswert stehen. Neben dem Staubsauger sind Industrieprodukte wie Kompaktkameras, Fernseher, HIFI-Anlagen, Computer und Kaffeemaschinen weitere Beispiele.

Auf der anderen Seite ist alles genau so extrem teuer, wie Industrieprodukte billig sind, wenn die Automatisierung nicht möglich ist. Die menschliche Arbeitskraft in Deutschland ist extrem teuer. Beim Staubbeutel kann es nur Geldschneiderei sein, denn auch hier ist sicher alles rationalisiert. Aber wenn es um Dienstleistungen aller Art geht, die individuell zu erbringen ist, gehen die Preise in schwindelerregende Höhen: TV-Reparatur, egal was kaputt ist, unter 200 DM ist nichts zu machen. Ein Monat Unterbringung im Pflegeheim zwischen 6 und 10.000 DM. Autodurchsicht ab 500 DM. Ein neues Karosserieteil ist billig, weil hochproduktiv hergestellt, aber der Ausbau des alten Teils, der Einbau des neuen und das Lackieren ... kein Blechschaden geht unter 1.000 DM ab.

Warum eigentlich? Verdienen die Menschen in Deutschland so entsetzlich viel? Ja, sie verdienen viel. Wer hier Arbeit hat, dem geht es gut. Aber das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Nur ca. 1/3 des Preises, den der Kunde zahlt, landet wirklich im Portemonnaie des Handwerkers, fast 2/3 sind als Steuern an den Staat abzuführen.

Das sind die täglichen Auswirkungen des Reformstaus in Deutschland und das steckt hinter dem Unwort des Jahres 1997: 'Steuerreform'. Gerade heute, jetzt um diese Zeit (25.09.1997, 20:20 Uhr) tagt in Bonn der letzte Vermittlungsausschuß in dieser Sache. Es scheint sicher: In dieser Legislaturperiode wird es die lauthals vor drei Jahren angekündigte 'große Steuerreform' nicht geben. Nicht mal eine kleine solche haben die intelligentesten Damen und Herren der Nation zustande gebracht ...

Diesen Leuten geht es nur um Machterhalt und die kleinkarierten Interessen ihrer Klientel: Ein ganz wesentlicher Grund für die Reformunfähigkeit in Deutschland. Das Gemeinwohl steht nur im Grundgesetz.

Jürgen Albrecht, 26. September 1997

 

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