BACK

 

Einfach nur ein Versuch ...?

Angenommen, ich wäre so gut wie die Natur und ich wäre ein Entwicklungsingenieur bei VOLVO. Dann würde ich versuchsweise in das neueste Modell eine BlackBox einbauen. Diese Box würde dem Auto ein Bewußtsein seiner selbst vermitteln, das Auto hätte eine Skala von Gefühlen und eine auf den Straßenwetterbericht und die Staumeldungen reagierende Motivation. Welche Auswirkungen hätten diese neuen Funktionen des Autos auf seinen Gebrauchswert?

Die erste spannende Frage wäre, ob das Auto etwas von seinem Fahrer wüßte und wenn ja, was!? Es müßte etwas von seinem Fahrer wissen, denn es gibt eine Arbeitsteilung zwischen Auto und Fahrer. Also wäre es sicher notwendig, eine Kommunikationsmöglichkeit zwischen beiden einzubauen. Wenn es seinen Fahrer kennt, dann würde sich ein emotionales Verhältnis zwischen Auto und Fahrer einstellen. Wäre das gut und nützlich? Bei heutigen Autos existiert auch ein solches Verhältnis, aber es liegt einseitig nur beim Fahrer, das Auto ist völlig passiv.

Damit das Auto situationsgerechte Gefühle entwickeln kann, müßte es seine Umgebung wahrnehmen. Glatte Straße, freie Fahrt, Motor und Fahrwerk i.o.: Das Auto fühlt sich wohl. Stau, Glatteis und ein kaputter Stoßdämpfer, das Auto ist im Streß ... mit welchen Konsequenzen? Der Streß müßte eine Reaktion erzeugen, um die Situation in Richtung Streßverminderung zu verändert. Das könnte im Extremfall bedeuten: Das Auto entscheidet sich dafür, am nächsten Parkplatz rauszufahren, anzuhalten und dem Fahrer eine Mängelliste zu überreichen. Damit ist das Dilemma vorprogrammiert, denn der Fahrer hat einen Termin und will ihn einhalten. Sofort würde sich ein sachlicher und emotionaler Konflikt zwischen Fahrer und Auto einstellen.

Die Sonne scheint und die Straße ist frei, der Tank ist voll, Motor und Getriebe haben gerade Ölwechsel hinter sich ... aber das Auto hat keine Lust. Unerklärlich, warum? Alles spricht eigentlich dafür, daß es eine schöne Fahrt werden könnte, aber aus für den Fahrer völlig unerklärlichen Gründen, hat das Auto 'keinen Bock', es bleibt stehen. Der Fahrer gibt auf, läßt das Auto in Ruhe. Drei Tage später, Regen, Glatteis, dichter Verkehr, das Auto schnurrt, bewältigt spielend riskante Überholmanöver und schneidet erfolgreich unübersichtliche Kurven. Der Fahrer merkt, heute ist das Auto gut aufgelegt, hohe Motivation, heute könnte man gut auf eine lange, schwierige Strecke gehen.

Die BlackBox ist nicht besonders abgeschirmt. Es gibt Gefahren. Immer, wenn das Auto unter Überlandleitungen durchfährt, verliert es kurzzeitig das Bewußtsein: Alle elektronischen Systeme fallen aus, aber Gott sei Dank, die Zündung hat eine autonome Versorgung und die Lenkung funktioniert mechanisch, es passiert also bei diesem Blackout nichts. Aber richtig gefährlich wird es in der Rapsblüte. Das Auto ist extrem allergisch auf den Blütenstaub von Raps. Das Auto reagiert euphorisch und bekommt Halluzinationen.

Es fährt auf Straßen, die es nicht gibt, die rechten Räder fahren nach links, die linken nach rechts, die Tachonadel vibriert bei einer Geschwindigkeit von 328 km/h, aber das Auto steht tatsächlich bewegungsunfähig im Rapsfeld.

Es ist schwer erkennbar, ob das Bewußtsein unseres Autos für den Fahrer einen Vorteil hätte. Klar ist eigentlich nur, dass es schwieriger wäre, mit so einem Auto umzugehen. Es wäre kein willenloser Sklave mehr, irgendwann würde es anfangen, für seine Gleichberechtigung zu streiken.

Das Auto hat (Gott sei Dank) kein Bewußtsein, die Menschen haben eines: Warum? Wozu brauchen wir es? Es ist blanker Unsinn zu behaupten, ohne Bewußtsein wäre die Welt voller Monster. Die meisten Lebewesen haben einen Instinkt und auch damit kann man hervorragend leben. Instinkt heißt im Gegensatz zu Bewußtsein: Ein festes Programm. Solange das Auto noch irgendwie in der Lage ist zu fahren, fährt es und es gerät dadurch auch nicht in Streß. Streß, Motivation und Selbstbewußtsein gibt es überhaupt nicht. Gefühle nur um festzustellen, ob die Straße und das Benzin in Ordnung sind: Das Auto mit Instinkt funktioniert wie eine Ameise: Es geht nur darum, das vorhandene Programm fehlerfrei abzuspulen. Nichts anderes interessiert bis an das Ende seiner Tage.

Gehören unser Bewußtsein, die Gefühle und Motivationen zu einem Feldversuch der Natur? Soll damit einfach ein anderes Steuerungsprinzip für Leben ausprobiert werden? Wie lange läuft der Versuch schon? Ultrakurz, er hat erst vor höchstens ½ Mio. Jahren begonnen. Ergebnisse: Wenige Vorteile, viele Nebenwirkungen. Der entscheidende Nachteil des neuen Steuersystems ist, daß es neben der eigentlich entscheidenden Zielstellung, die Art zu erhalten, jetzt auch noch andere, z.T. gegenläufige Ziele gibt, die das Subjekt selber erfindet! Das kann auch contraproduktiv sein. Und als wesentlicher konstruktiver Mangel stellt sich heraus, daß die BlackBox relativ ungeschützt ist, das Bewußtsein kann und wird durch äußere, läppische Umstände, beeinflußt und desorientiert.

Ein Aspekt aber ist völlig neu: Das einzelne Lebewesen fühlt sich als Subjekt, es hat eine Vorstellung von sich und es kann sich mit wohligen Gefühlen selbst beschäftigen, sich selbst genug sein. Genau das aber ist für das Große Ganze unerheblich, uninteressant. Es kann sogar ruinös für die Arterhaltung sein, denn das Subjekt hat die Tendenz, aus der gerichteten Masse, aus der Herde auszuscheren. Das Subjekt wird privat, es will etwas und jagt eigenen, persönlichen Vorstellungen nach.

Die Ergebnisse des Experiments sind nicht besonders ermutigend, aber sie sind interessant. Das alleine war den Versuch wert.

 

Jürgen Albrecht, 21. März 1998

 

BACK