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Loblied auf die Fernbedienung

 

Jetzt singe ich das hohe Lied der Fernbedienung ... denn mein Leben wäre um vieles anstrengender, ja, es wäre streckenweise unerträglich, gäbe es die Fernbedienung nicht. Die Fernbedienung, der Lichtblick, der Halt und Ruhepol in dieser modernen, reizüberfluteten und hektischen Welt. Gerade aus dem Bett gestiegen, noch die wohlige Abgeklärtheit dieser ruhigen Nachtstunden im Kopf und im Körper, setze ich mich zum Frühstück an den Tisch. Nebliges, dunkles und regnerisches Aprilwetter. Ich schalte das Radio ein und werde von hektischer Musik (oder das, was die Jugend heute Musik nennt) überfallen. Die Fernbedienung befreit mich sofort. Mit einem Fingerdruck habe ich Nachrichten. Aber auch die sind mir zu laut und sie nehmen sich so schrecklich wichtig. Ein Knopfdruck, das Radio ist aus und der Fernseher ist an. Ich komme vom Regen in die Traufe. Frühstücksfernsehen – manchmal ganz interessant, aber heute nicht: Der unerträglich wichtigtuerische Sportmoderator, den ich bei jeder Stimmungslage weg 'zippe', sitzt mit Alice Schwarzer, der Emma-Erfinderin, auf dem Sofa und sie diskutieren das Thema 'Der halbe Fußball für die Frauen!'. Ich kann mir kaum unausstehlichere Leute und auch kein uninteressanteres Thema vorstellen, als das, was ich jetzt hier sehe. Aber – dem HERRN sei Dank – ich habe ja die Fernbedienung!! Zwischen Wahrnehmung, Wertung, Entscheidung und Ausführung liegen höchstens 5 Sekunden, dann bin ich mit der Fernbedienung im wahrsten Sinne des Wortes erlöst: Ein Click hat mich ins Kloster Andechs versetzt, die tausendjährige, bayerische Reliquie. Herrliche Bilder von Landschaft und ruhiger Klosteratmosphäre – die bis zu 10.000 täglichen Besucher sind nicht zu sehen. Aber der Text zu diesen Bildern ist überhaupt nicht mein Geschmack, es geht um die ideale Kombination von Marienverehrung, Bier und christlicher Kunst. Auch dieses Problem löst für mich die Fernbedienung: Ton aus! Ein Druck auf den richtigen Knopf schaltet wieder das Radio (Neudeutsch die HIFI-Anlage) ein, noch ein Click auf Knopf Nummer 7 und die schönste klassische Musik erfüllt, passend zu den ruhigen Bildern, den Raum – werbefrei, auch so etwas gibt es noch: Auf SFB 3 / Radio 3.

Was wäre aus dem Beginn des Morgens ohne die Fernbedienung geworden!? Was für aufgeregte Nachrichten hätte ich mir anhören, welche Diskussionen über die Rechte der Frauen am Fußball über mich ergehen lassen müssen, und auch dem erzkonservativen Mix aus Gläubigkeit, Rummel, Geschäft und Schweinshaxen wäre ich nicht entkommen. Das wahre Wunder der NeuZeit, die genialste zivilisatorische Erfindung ist die Fernbedienung! Sie ist die einzigste, hochwirksame Waffe gegen den Generalangriff der Medien

 

auf die Befindlichkeiten, Überzeugungen und vor allem auf den Geldbeutel und das Bankkonnto jedes einzelnen Menschen dieser Gesellschaft. Wo wären wir ohne die Fernbedienung, den MausClick und den entscheidenden Schalter, der einem nervenden Gerät den Strom abdreht?? Es ist kaum auszudenken!

Aber es ist zu erleben. Beispielsweise auf der Reichsbahn, die inzwischen tatsächlich Bundesbahn heißt und die ich so liebe, weil ich sie so oft benutze. Es erfordert größte mentale Anstrengungen, einen Morgen auf der Bundesbahn zu überstehen: Ich stehe um 5:30 Uhr auf, Frühstück in Ruhe, im Halbschlaf und mit der Fernbedienung. Dann laufe ich zur Jannowitzbrücke auf Wegen, die ohne Autos am Wasser entlang führen. Eine kurze Schlafpause in der S-Bahn. Schlaftrunken aber zielsicher schleppe ich mich in den richtigen Zug nach Konstanz. Fast immer ist ein Abteil frei und weil ich immer ca. 15 Minuten vor Abfahrt schon da bin, schlafe ich schon wieder tief und herrlich, wenn der Zug unbemerkt und sanft abfährt. Aber dann !! Es kann sofort passieren oder erst kurz vor Schönefeld: Plötzlich ein mörderischer Krach, ein Gewitter von Worten, ein Überfall, laut, lästig und ohne Vorwarnung: 'Guten Morgen, meine Damen und Herren, mein Name ist Dieter Müller und ich bin Ihr Zugchef ....' Besonders beim 'Ihr Zugchef' sträuben sich mir alle Haare, so wie bei der Siemens-Reklame: 'Wir gehören zur Familie!' Das würde mir noch fehlen ... Dann folgen Bahnverbindungen, Hinweise auf Serviceleistungen, den 'freundlichen Mitarbeiter der Mitropa' und den nächsten 'fahrplanmäßigen Halt' und im schlimmsten Fall endet die Attacke mit der alles entscheidenden Information: '.... Ausstieg links !!!'

Alles was dieser Mensch sagt, liegt gedruckt auf einem Zettel neben mir auf dem Sitz. Vielleicht 3 % der Reisenden interessiert das, die restlichen wissen genau, was sie und wo sie hin wollen. Das entsetzlichste an diesem Anschlag aber ist: Es gibt keinen Ausschalter, es gibt keinen Lautstärkeregler und natürlich gibt es auch keine Fernbedienung. Man ist zum Zwecke der verbalen Folterung vom monopolistischen Transportunternehmen als Geisel genommen. Nur autogene Training ermöglicht es, die nächsten zwei Stunden bis zur Befreiung auf dem Hauptbahnhof in Halle zu überstehen. Und es bleibt die Hoffnung, daß es bei der Eigenwerbung der Bahn bleibt und die Lautsprecheranlage nicht an beliebige Firmen vermietet wird. Was dann?

Dann hilft nur noch Vandalismus und Sabotage: Für einen Inschenöhr ist nichts zu schwöhr ... !

Jürgen Albrecht, 02. April 1998

 

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