BACK

 

Geschäfte mit der Krankheit

 

Vor vier Wochen habe ich das Krankenhaus verlassen (Reparatur der linken Hand), jetzt gehen die Rechnungen ein. Eigentlich hat mich die erste Forderung schon viel früher erreicht, im Krankenbett. Die OP war noch keine 24 Stunden vorbei, da reichte man mir ein Schreiben ins Bett: Bitte überweisen Sie 10 x 650,69 DM (alle Zahlen dieser Story sind echt !!) innerhalb der nächsten fünf Werktage ... Bei der Aufnahme hatte ich die ClinicCard meiner Privatversicherung vorgelegt. Mir wurde bestätigt, ja, wir rechnen direkt mit Ihrer Versicherung ab. Jetzt diese Forderung. Ich fragte die Stationsschwester, was ich in dieser Angelegenheit machen solle. 'Ignorieren Sie das Schreiben einfach. So ein Schreiben erhalten hier prophylaktisch alle Privatpatienten. Für das Krankenhaus ist das die Vorzugsvariante der Bezahlung.'

Ich habe den Rat der Stationsschwester befolgt und nichts gemacht. Vom Krankenhaus erhielt ich keine neue Forderung, also hat es wohl mit der Direktabrechnung funktioniert. Aber jetzt schickt mit der Anästhesist eine Rechnung: Ich habe Ihren Arm außer Gefecht gesetzt, macht 333,58 DM. Ein Kardiologe, Chefarzt Prof. Dr. Andresen, den ich nie gesehen habe behauptet, er hätte für mich ein Ruhe-EKG zum Preis von 38,93 DM gemacht. Herr Prof. Dr. Friedrich, den ich auch nie zu Gesicht bekommen habe, will mich beraten haben, einen ausführlichen Befundbericht erstellt und meine Brustorgane in zwei Ebenen geröntgt haben. Jetzt soll ich ihm dafür 110,56 DM auf sein Privatkonto überweisen.

Wirklich gesehen und wirklich etwas an mir gemacht hat Prof. Dr. Hartung. Er hat mich wirklich ausführlich beraten und dann bei der OP den Arm mit einer geschickt dosierten Giftspritze außer Gefecht gesetzt. Er hat auch ein EKG überwacht, das eine OP-Schwester angeschaltet hat. Vor der OP aber war ich zum Röntgen. Eine ältere, freundliche Dame bedauerte mich während des Röntgens, weil ich meinen Geburtstag im Krankenhaus verbringen muß. Ich konnte sie trösten. Eine Stunde vorher bin ich durch lange Gänge zu einem Raum gelaufen, an dem 'EKG' zu lesen war. Eine mürrische Schwester machte routiniert das EKG, ohne einen Ton zu sagen. Ich hatte den Eindruck, sie war vollbeschäftigt mit anderen Dingen, die sie in ihrem Kopf ventilierte.

Als unbedarfter und naiver Patient gehe ich davon aus, daß der Anästhesist und die beiden Schwestern einen Arbeitsvertrag mit dem Urban-Krankenhaus haben. Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch den Tatsachen entsprechen. Warum erhalte ich dann noch eine separate Rechnung, wenn ich die Leistungen schon beim Krankenhaus bezahlt habe?!

 

Man könnte in weiterer Naivität annehmen, aha, das sind offensichtlich Leistungen, die in den 650,69 DM des Krankenhauses nicht enthalten sind. Das Krankenhaus erbringt im Verbund mit Privatfirmen seine Leistungen. Die Professoren haben Firmen, die im Krankenhaus residieren und deren Leistungen getrennt in Rechnung gestellt werden. Genau so ist es, allerdings mit einem klitzekleinen Unterschied: Die Professores agieren wie Firmen, sie haben aber keine. Sie sind beim Krankenhaus angestellt, sie besitzen keine eigene Technik, sie zahlen keine Miete für irgendwelche Räumlichkeiten und auch keine Betriebskosten. Das einzige, was sie haben (nach einem mir unbekannten deutschen Recht), ist das Liquidationsrecht. Sie tun so, als ob ihnen Ausrüstung, Personal und Räume gehören. Und von dieser Position aus, stellen sie mir eine Rechnung. Und nicht nur mir: Jedem Patienten, der im Urban-Krankenhaus geröntgt wird, schickt Prof. Dr. Friedrich eine Rechnung. Die Rechnungsbeträge werden entweder von der gesetzliche oder der private Krankenkasse auf das Privatkonto des Professors eingezahlt. Wenn er gut ist, gibt er dem Krankenhaus davon 10 bis 20 % ab. Das ist die Geschäftsidee, mit der Deutschlands Chefärzte sich pro Jahr ein Einkommen zwischen einer und zehn Millionen beschaffen – 'verdienen' kann man ja wohl nicht sagen.

Warum funktioniert diese hervorragende Gelddruckmaschine nur im staatlichen Gesundheitswesen? Noch einmal wiederholt: Das Verfahren gilt in staatlichen Betrieben!! Dem Finanzminister entgehen hier trotz Gesundheitsreform Milliardenbeträge! Nehmen wir doch einfach mal an, die gleichen Spielregeln würden an der Burg Giebichenstein gelten. Ich bin der Chef des Medienzentrums. Für jeden Kurs, der im Medienzentrum läuft – ob ich daran persönlich beteiligt bin, ist ohne jeden Belang – bekommen die Studenten von mir eine Rechnung. Sie werden aufgefordert, für 18 Doppelstunden a 74,32 DM (die Technik ist teuer !) im Herbstsemester 1337,76 DM auf mein Privatkonto zu überweisen. Rund 200 Student absolvieren mindestens zwei ähnliche Veranstaltungen (tatsächlich haben 600 Studenten eine Zugangskarte). Was sammelt sich da in einem Semester nach Abzug von 20 %, die ich großzügig der Hochschule überwiesen habe, auf meinem Konto an: 428.083,20 DM.

Das einzige, was ich jetzt noch wissen will ist: Warum darf ich nicht das machen, was Mediziner in ähnlicher Position offensichtlich schon seit 50 Jahren in diesem unserem Lande tun?

Jürgen Albrecht, 05. April 1998

 

BACK