Der
Künstler und sein Werk |
||
Heute habe ich im Deutschlandfunk eine sehr interessante Diskussion zum Thema 'Lebensziele' gehört. Leider nur die letzten fünf Minuten. Aber dabei habe ich die Grundthese gerade noch begriffen: 'Das Werk des Künstlers und sein Leben sind untrennbar miteinander verbunden. Nur dann ist ein Künstler ein Künstler und sein Werk ist sein Lebensziel. Das Werk muß nur ihm, dem Künstler genügen, was andere zu seinem Werk sagen, ist ohne Belang.' Das ist eine rigorose Definition für die Begriffe 'Werk' und 'Künstler'. Aber wenn man sich und sein Werk so definiert, dann ist das in sich geschlossen und stimmig. Allerdings scheint mir, daß eine solche Auffassung nur in dieser heutigen Zeit möglich ist, in der man zur Not eben auch von Sozialhilfe leben kann. Nur dann, wenn der Satz 'Die Kunst geht nach Brot' außer Kraft gesetzt wird, kann diese Auffassung ein Leben lang durchgehalten werden. Außerdem muß man bereit sein, auf Anerkennung durch die Umgebung, auf Ruhm, Ehre, Markt und Verkauf zu verzichten. Man kann auch auf die Frage nach der Funktion, nach dem geistigen Gehalt und nach der künstlerischen Meisterschaft verzichten. Alles das braucht nur dem eigenen, völlig subjektiven Anspruch zu genügen. Diese Auffassung paßt hervorragend in die pluralistische Gesellschaft: Jeder schafft sich seine Welt und lebt in ihr zur vollsten Zufriedenheit solange er es schafft, mit sich und seinem Tun im Reinen und von keinem anderen abhängig zu sein. Diese Sicht erleichtert das Verständnis der Moderne. Es geht überhaupt nicht darum, für andere etwas zu schaffen, was ihnen gefällt. Es geht auch nicht darum, daß der Künstler von der Gesellschaft Anerkennung oder irgendwelchen Nutzen mit oder durch sein Werk erreichen will. Die Konfrontation des Werkes mit der Umwelt ist für ihn ein interessantes, aber völlig nebensächliches Phänomen. Es beeinflußt sein Schaffen und sein Werk nicht. Das ist die Sicht des Künstlers. Der 'Rezipient' (ich hasse dieses Wort, aber es gibt kein anderes) hat auch Vorteile von dieser Sicht: Er kann genau so egoistisch nur danach fragen: Interessiert mich dieses Werk in irgend einer Weise, verschafft es mir interessante Emotionen? Wenn nicht, dann ... ex und hop, weg damit! Künstler und Werk existieren für mich nicht. Der Künstler muß als erster diese Sicht akzeptieren, denn es ist seine Sicht. Es gibt offensichtlich viele Künstler, die mit dieser Auffassung leben. |
Ich kenne nur einen etwas näher, aber er lebt diese Sichtweise exemplarisch: HORST BARTNIG. Ich habe ihn in Adlershof kennen gelernt, als wir mit DECOS die ersten Versuche an dem dort stehenden HP-Rechner machten. Damals habe ich ihn überhaupt nicht verstanden: Er sagte mir (sinngemäß) auf meinen Hinweis, daß er mit DECOS viel mehr Möglichkeiten hat: 'Ich habe mich auf senkrechte und waagerechte Striche beschränkt, alleine das, was es da zu variieren gibt, kann ich in meinem Leben nicht ausschöpfen.' Jetzt las ich in der Zeitung, daß er 60 oder 65 geworden ist. Er ist Minimalist und bei den Strichen geblieben und macht nichts anderes. Viel verkauft hat er bestimmt nicht, es sei denn, er ist von einem Kunstspekulanten entdeckt worden. Ich finde diese Definition und diese Sicht so außerordentlich interessant, weil sie mich selber betrifft. Das, was ich bisher mit DECOS gemacht habe, ist aus meiner Sicht keine Kunst. Aber das ist nur eine Frage der Definition. Nach Boys ist es selbstverständlich Kunst. Und wenn ich ab sofort davon ausgehe, daß es Kunst ist, ist es Kunst. Wer will mir widersprechen und wenn ja, mit welchen Argumenten!? Viel wichtiger aber ist mir, daß mich nie interessiert hat, ob diese Grafiken und Bilder anderen gefallen. Mir hat der Prozeß großes Vergnügen bereitet und ein Teil der Bilder ist auch richtig gut. Entscheidend aber ist, alles was ich mit DECOS gemacht habe, habe ich nur zu meinem eigenen Wohlbefinden gemacht. Ähnlich ist es beim Schreiben: Es interessiert mich nur am Rande, ob das, was ich aufschreibe, heute jemanden interessiert. Mir macht es Spaß, das genügt. Außerdem bin ich sicher, daß Conny und Clara manches in 50 Jahren mit Interesse lesen werden, vielleicht vorher auch Stefan und Cati . Aber das ist ein absoluter Nebeneffekt. Die Hauptsache ist tatsächlich, daß es mir Spaß macht. Aber ob das Literatur ist oder Kunst, diese Frage interessiert mich nicht. Wäre ich ein Künstler, dann würde ich dem Schreiben (und den DECOS-Bildern) mein gesamtes Leben unterordnen. Aber so wichtig ist mir das eindeutig nicht. Das Leben ist mehr als Schreiben. Für mich jedenfalls und für jetzt. Könnte ich mir vorstellen, mein Leben völlig auf das Schreiben von Storys oder auf das Experimentieren mit einem Motiv zu reduzieren? Nein, dazu ist meine Neugier auf die unendlich vielen Aspekte des Lebens einfach viel zu groß. |
|
Jürgen
Albrecht, 10. Mai 1998
|