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Zurück in die DDR

 

Peter und ich machen Urlaub in Malchin. Wir wollen Abendbrot essen. Der Reiseführer (Marco Polo: Mecklenburger Seenplatte) empfiehlt den Moorbauer. Plötzlich sind wir wieder in der DDR.

Schon von weitem und von außen ist zu sehen: Diese Architektur richtet sich nicht nach Stil und Funktion, sondern nach dem verfügbaren Baumaterial. Eine Baracke, eine Bretterbude mit Butzenscheiben. Neben den Gebäuden gab es mal einen großen Garten. Einige verwilderte Obstbäume weisen auf frühere Kultivierungsversuche hin. Jetzt hat hier in den letzten 10 Jahren keiner mehr einen Handschlag gemacht. Die Holzstege sind verrottet, am Kanal hängen einträglich Reifen von Pneumant und Good Year als Poller.

Im saalartigen Gastraum Steinholzfußboden. Schalung an den Wänden und an der Decke aus billigstem Holz, mit Latex (vor Jahren) weiß gestrichen. Die Gestelle für die Tische hat der Schmied zusammengeschweißt. Darauf ist eine rohe Holzplatte geschraubt. Die klassischen Stahlrohrstühle der DDR halten bis zur Ewigkeit: Mattschwarz lackiert, die Sitzfläche mit braunem Lederol bezogen und mit Chemie ausgepolstert. Rohe Schalbretter an der umlaufenden Brüstung mit Tauen abgeschlossen. Fischernetze als Gardinen. Ein großer Heißluft-Kachelofen mit Luftklappen. Genau so einer stand 1962 in unserem Leipziger Erkerzimmer. Allerdings in braun, der hier ist gelb. Der Schornstein wurde vor 15 Jahren mit den gleichen Klinkern gemauert, die wir uns mit viel Mühe, Beziehungen und Geld für die Verblendung des Flachdaches in Spindlersfeld besorgt hatten. Ein aus Pflastersteinen gemauerter Kamin, der keiner ist, mehr eine offene Feuerstelle mit einer Abzugshaube aus Blech, in Heimarbeit gebastelt. So, wie die Petroleumlampen, gestrichen mit Bronzefarbe und nachträglich elektrifiziert, die von der windschiefen Decke hängen. Kunstblumen ersetzen das Feuer auf der Kaminfläche. Ein paar Wanderkarten sind mit Klebestreifen an den Schornstein geklebt, Bilder von einheimischen Fischen wurden vollflächig auf eine weiß lackierte Tür kaschiert. Eine Deutschlandkarte ist mit Reißzwecken an die Wand gepinnt. An der Wand Fotos und eine Ansichtskarte vom Moorbauer, sogar eingerahmt. Zu kaufen gibt es so eine Ansichtskarte nicht mehr. Die Theke ist mit heimischem Sprelakart verblendet, garantiert verrottungssicher. Zapfhahn und Spülbecken aus den 50-er oder 60-er Jahren, wie die Kühltheke mit Sichtscheiben. Auch sie ist mit Sprelakart beplankt, leider nur in einem ähnlichen Farbton, aber mit einem anderen Decor – man mußte nehmen, was zu haben war.

 

An der Wand hinter der Theke ein Spiegelschrank mit Gläsern, gebastelt aus einer DDR-Schrankwand. Wahllos Bierreklame, Hinweisschilder, eine schreckliche Handarbeitsfahne der MS Dömitz an der Wand, daneben ein Rettungsring. Ein Uralt-DDR-Samowar aus Glas auf der Kühltheke neben Grünpflanzen, die nicht wissen, ob sie leben oder sterben sollen.

Die Sanitäreinrichtungen im Anbau über den Hof stammen aus den Jahren 1930 oder 1940: Pißrinne, geteert. Wasser tröpfelt nur aus dem Hahn über dem Waschbecken, das Handtuch ist schon lange reif für die Wäsche. Den Anblick des WC’s habe ich mir erspart.

Das Essen ist wie zu DDR-Zeiten: Rustikal und nahrhaft. Schwerer Kartoffelsalat mit viel Majonaise zum guten Fisch. Gemüse aus der Dose. Gott sei Dank fragt keiner, ob das Essen geschmeckt hat. Im Gegensatz zur DDR ist es heute überteuert: Zwei Gerichte, eine Cola, einen Tee für 34 DM. Außerdem ist die Rechnung unklar: Was sollen die 2 DM? Die Überfahrt steht doch mit 2 DM bereits zu Buche.

Zwei DDR-Familien haben offensichtlich mit dieser Gaststätte hier überlebt: Lieblose Kleidung, Jeans, blau gestreifte Bluse die Kellnerin, formlose Hose in braun, der Moorbauer. Drei Frauen zwischen 40 und 50 Jahren und ein Mann nahe dem Rentenalter warten lustlos und gelangweilt auf den Feierabend: Morgen ist Ruhetag. Der Moorbauer, der sicher schon lange kein Bauer mehr ist, holt uns mit dem Boot rüber. Er lächelt nicht, er sagt nichts, er ist auf Arbeit und die stinkt ihn an. Die normale Einstellung des DDR-Gaststättenpersonals: Beleidigt und eingeschnappt, weil es ein Gast tatsächlich wagt, die Gaststätte zu besuchen und der jetzt auch noch was zu Essen haben will ...

Was könnte man aus dieser Gaststätte, umgeben von Moor und idyllisch am Peene-Kanal gelegen, alles machen – mit Geld und anderen Menschen! Aber in der DDR wird nichts draus, maximal bleibt alles so, wie es ist. Hier wurde seit 1989 nicht eine DehMark investiert. Das verdiente Geld wurde in zwei großen Autos angelegt, die an Land stehen. Beschriftet mit: Moorbauer, Montag Ruhetag. Diese muffeligen Leute sind wie viele DDR-Bürger ohne Motivation aber mit neuen Bedürfnissen in der Neuen Zeit angekommen. Neuen Ideen, Elan und Leistungswille: Fehlanzeige.

Eine trostlose deutsche Geschichte.

Jürgen Albrecht, 19. August 1998

 

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