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Multiversen statt Universum

 

Das Jahr 1998 scheint für Astronomen und Kosmologen ein Jahr bedeutender neuer Erkenntnisse zu sein. Noch vor einem Jahr war unklar, wie alt unser Universum ist und ob es sich für immer ausdehnt, oder ob es pulsiert. Nach nur einem Jahr gibt es Dank Hochleistungs-Beobachtungstechnik und dem Hubble Space Telescope wesentliche neue Erkenntnisse:

  • Das Universum ist 15 Milliarden Jahre alt.
  • Es dehnt sich für immer aus.
  • Dafür ist eine bisher nicht bekannte Kraft des Vakuums verantwortlich: Antigravitation. Das ist Einsteins ‚Kosmologische Konstante‘.
  • Die Theorie von Linde ‚Chaotische Inflation‘ kann die Ausdehnung des Universums kurz nach dem Urknall von Null auf stronomische Grösse naturwissenschaftlich erklären.
  • Die Wahrscheinlichkeit spricht für Multiversen statt für nur ein Universum.
  • Unterschiedliche Anfangsbedingungen beim Urknall ergeben unterschiedliche Universen.

Zwei hervorragende Artikel im SPIEGEL 52/1998 befassen sich mit diesen Ergebnissen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse scheinen so gesichert zu sein, dass eine Fehlinterpretation nicht mehr möglich ist. Es gibt offensichtlich heute hinreichend genaue mathematische Modelle, mit denen die Entstehung unseres Universums vom Urknall bis heute nachvollzogen und erklärt werden kann. Eine Schlüsselstellung nimmt darin die erste Phase des Urknalls ein. Kurz nach der Zündung erfolgt eine Ausdehnung des Universums von Null auf astronomische Größe, die mit den bisherigen Naturgesetzen nicht vereinbar war (Überlichtgeschwindigkeit u.a.). Die Theorie der chaotischen Inflation des Moskauer Kosmologen Linde von 1983 (!) liefert aber dafür ein Modell. Die gleichen Naturgesetze wirken völlig anders, wenn sich gleichzeitig der Raum extrem schnell vergrößert.

Der Urknall kann durch die neuen Erkenntnisse so gut beschrieben werden, dass es naheliegend erscheint, dass dieser Vorgang nicht einmalig ist, sondern ständig passieren kann und vielleicht auch passiert. Man kann sogar die Randbedingungen des Urknalls verändern und damit nachweisen, dass mit anderen Randbedingungen auch anderen Universen entstehen. Kosmologen und Astronomen sind von den neuen Erkenntnissen begeistert (ich auch !!!) und sprechen von der zweiten Kopernikanischen Revolution. Dieser Ausdruck ist absolut treffend: Bei der ersten ging es um die Erde oder die Sonne als den Mittelpunkt der ‚Welt‘. Jetzt geht es um unser Universum oder Multiversen.

 

Was bleibt noch für Gott übrig? Hoch interessant ist, dass auf dem Gebiet der Astronomie alles geklärt scheint, bis auf die Frage nach der Entstehung der punktförmigen Anfangsenergie, des Raumes und der Zeit vor dieser Anfangsenergie. Das würde den dialektischen Materialismus bis zum Urknall zurück bestätigen !!

Bis jetzt ist aber nicht nachgewiesen, dass mit den Bedingungen des Urknalls auch alle Schalter für die Entstehung des Lebens bereits eingestellt sind. Dass das Leben auf dieser Erde für die heutigen Menschen eine unzugängliche Schicht ist, ist ein Hinweis darauf, mehr aber nicht. Es ist absolut wahrscheinlich, dass es in unserem Universum verschiedene Formen von Leben und auch von Intelligenz und Denken gibt. Auch wenn jetzt noch unklar ist, was in diesem Zusammenhang unter Intelligenz und Denken zu verstehen ist.

In diesem Kontext ist für mich eine hoch interessante Frage, ob diese Lebewesen alle in ‚ihrer Schicht‘ gefangen sind, oder nicht. Es spricht einiges dafür, dass jedes einzelne Lebewesen einen begrenzten, aber spezifischen, ‚Horizont‘ besitzt, über den hinaus es nicht wirken und auch nicht wahrnehmen kann. Es wäre sehr spannend, diese Grenzen für den Menschen auszuloten: Die Grenzen seiner Erkenntnisfähigkeit. Heute sieht es so aus, als ob eine solche Grenze unser Universum ist. Es ist heute für uns nicht vorstellbar, in ein anderes Universum zu gucken. Wechselwirkungen zwischen unserem und anderen Universen könnten wir aber prinzipiell erkennen. Seltsam aber ist, dass wir über andere Universen nachdenken können. Was machen wir, wenn wir das tun? Wir bauen virtuelle Modelle und spielen damit. Ist das ein wesentlicher Teil einer generellen Definition für Intelligenz und Denken?

Eine viel spekulativere Frage ist, ob es innerhalb unseres Universums nicht nur andere Lebensformen und andere Intelligenz gibt, sondern ob es auch eine übergeordnete Form von Intelligenz geben kann, die so über verschiedenen Lebensformen des Universums steht, wie wir über den Lebensformen dieser Erde stehen. Ich könnte mir viel eher so etwas als Konsequenz der ‚Schalterstellungen‚ beim Urknall vorstellen, als einen 'Gott', der mit den verschiedenen Lebensformen im Universum spielt.

Es würde mich ja wahnsinnig interessieren, ob man je in der Lage sein wird, solche, heute noch absolut spekulativen, Fragen zu beantworten. Aus heutiger Sicht kann ich mir das nicht vorstellen. Aber die Astronomen haben in nur einem Jahr einen riesigen Erkenntnisgewinn gemacht. Das lässt hoffen.

Jürgen Albrecht, 26. Dezember 1998

 

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