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Denken, Denkstil und Bewusstsein ... Seite 3/4

3. Bewusstsein
In der Encarta Enzyklopädie '99 wird definiert (von mir verkürzt zitiert): Das Bewusstsein '... begleitet und überwacht die Auseinandersetzung eines Lebewesens mit seiner Umwelt ...' Mit dieser Definition bin ich einverstanden. Aber obwohl hier von 'Lebewesen' die Rede ist, wird implizit davon ausgegangen, dass nur Menschen Bewusstsein besitzen. Ich denke es ist zu einfach, Bewusstsein nur Menschen zuzubilligen (s. Punkt 1.). Die Natur macht Sprünge und es gibt den Sprung von der Quantität zur Qualität. Es erscheint mir aber sehr unwahrscheinlich, dass sich bei der Evolution des Lebens plötzlich ein Tier mit Bewusstsein entwickelt (der Mensch) und die vorherigen Tiere haben keines. Mindestens müsste es Vorstufen und Übergänge geben. Ausserdem kann offensichtlich heute niemand beweisen (mit dieser Definition von Bewusstsein und unserer Unfähigkeit, mit Tieren zu kommunizieren), ob Tiere ein Bewusstsein haben, oder nicht. Meine Frage also ist: Was ist Bewusstsein?

Alle Lebewesen haben Sensoren und Aktoren. Das Verhalten verknüpft diese Organe und macht Aktionen und Reaktionen lebender Organismen möglich. Unter Verhalten kann die Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Aktions- und Reaktionsverfahren verstanden werden: Was ist zu tun, wenn die Situation X oder Y auftritt? Bei X muss das Verfahren Vx angewendet werden, bei der Situation Y das Verfahren Vy und so weiter. Die Summe dieser eingebauten Verfahren beschreibt das Verhalten der Kreatur. In der Regel ist das Verhalten reproduzierbar: Lebewesen verhalten sich situationsgerecht.

Bei einfachen Organismen ist das Verhalten automatisiert. Es gibt wenige Zustände, die von den Sensoren erkannt werden. Diesen erkennbaren Zuständen sind Verfahren fest zugeordnet. Sensoren und Aktoren sind über eine If-Then-Bedingung verknüpft, automatisiert. Auf eine komplexe, instationäre Umgebung können solche Lebewesen nicht reagieren und deshalb u.U. dort auch nicht existieren und agieren.

Je komplexer die Umwelt, desto komplexer muss auch das Verhalten der dort lebenden Wesen sein. Wer in einer solchen Umgebung leben will, muss auf jede Situation angemessen reagieren. In einer komplexen Umwelt (z.B. in unserer Realität) sind die möglichen Situationen nicht mehr abzählbar, sie sind höchstens zu klassifizieren. Wenn das der Fall ist, versagt die Automatisierung und man benötigt ein anderes Steuerungsprinzip.

Höhere Lebewesen sind mit eine Statusüberwachung ausgestattet. Sensoren und Aktoren sind weiterhin über das Verhalten miteinander verknüpft, aber diese Verknüpfung ist nicht automatisiert, sondern wird durch eine Zentrale, das Gehirn, gesteuert. Die Sensoren melden den Zustand der Organe und der Umwelt an das Gehirn und das Gehirn macht daraus in real time (wie ist unklar, aber mit dem Denken ...) einen 'Statusreport'. Der aktuelle Status wird dem Organismus als 'Gemütszustand' mitgeteilt, Emotionen entstehen als Folge des Statusreports: Ich bin hungrig, ich habe Angst, mir ist kalt, ich bin müde oder ich bin aufgeregt. Emotionen sind Aussagen über den Zustand des Lebewesens in seiner Umgebung. Gleichzeitig sind den Emotionen Aktions- und Reaktionsverfahren zugeordnet. Auf diese Weise steuern höhere Lebewesen ihr Verhalten über Emotionen.

Die emotionale Steuerung setzt nicht zwangsläufig Ratio und Bewusstsein voraus! Mit diesem Verfahren steuern Menschen weitestgehend, höhere Tiere vollständig ihr Verhalten. Mindestens beim Menschen wird diese Steuerung aber noch durch rationale Einsichten beeinflusst.

Auch das menschliche Gehirn produziert über das Denken aus den Daten, die das Wahrnehmungssystem liefert, einen Statusreport. Er wird auch vorwiegend in Form von Emotionen wirksam, aber es kommen 'mit dem Verstand' gewonnene Einsichten dazu.

 

Damit wird der Statusreport komplexer, er wird zum 'Weltbild' und ein neues Steuerungsprinzip wird erkennbar: Die Steuerung mit einem Referenzmodell. Mit den vom Wahrnehmungssystem gelieferten Daten erstellt das Lebewesen ein Modell seiner Umgebung und macht sein Verhalten von diesem 'Weltbild' abhängig.

Heute kennen wir also drei unterschiedliche Denkverfahren, mit denen Lebewesen sich selber und ihr Verhalten in der Umwelt steuern: Feste Verknüpfung von Sensoren und Aktoren, emotionale Steuerung und Steuerung über ein Referenzmodell. Die Verfahren korrelieren mit dem evolutionären Alter der Lebewesen. Offenbar werden aber alle drei Verfahren auch gleichzeitig eingesetzt, wie es beim Menschen zu beobachten ist.

Das 'Wissen über den eigenen Status' kann man sich bildlich als Lichtkegel einer Taschenlampe in der Dunkelheit vorstellen: Er entspricht dem 'Weltbild', das man mit seinen Sinnen erfassen kann. Bei Würmern werden zwei Quadratzentimeter des Erdbodens beleuchtet, ein Hund 'kennt' den ganzen Bauernhof, der Mensch (im besten Fall) seine Galaxis. Voraussetzung für ein zielgerichtetes Reagieren und Agieren ist in jedem Fall ein Statusreport, der den Zustand des Lebewesens in seiner Umgebung beschreibt. Ist er komplex genug, kann man dazu auch 'Weltbild' sagen. Wie weit das Wissen über den eigenen Status geht und wie komplex in der Folge das Weltbild ist, ist für jedes Lebewesen unterschiedlich und von seinem Denkvermögen abhängig. Genau das unterscheidet die verschiedenen Lebewesen voneinander. Aber es gilt für alle Lebewesen ein Prinzip: Der Aktionsradius eines Lebewesens, in dem er sinnvoll agieren und reagieren kann, ist von der Komplexität des Statusreports abhängig.

Damit besteht aus meiner Sicht der qualitative Unterschied zwischen Tieren und Menschen in dem Bild, was sie sich von dieser 'Welt' machen. Ob und wer über Bewusstsein verfügt, ist nebensächlich weil das ausschliesslich von der Definition des Begriffs Bewusstsein abhängt. Die wissenschaftliche Aufgabe ist, den Qualitätsunterschied der 'Weltbilder' von Lebewesen zu beschreiben. Diese Beschreibung muss nach oben offen sein, denn der heutige Mensch hat mit Sicherheit nur eine bestimmte Stufe der Sicht auf diese 'Welt' erreicht.

Es ist unklar, was den Nachfolgern der heutigen Menschen in drei Millionen Jahren vom Gehirn als Statusreport geliefert wird, wie weit er damit denken kann und was er damit für eine Welt 'sieht'. Aber genau das ist ja die Realität: Wir wissen nicht, wie und wohin sich das heutige menschliche Denken entwickeln wird. Nur eines ist klar, es wird sich weiterentwickeln, wenn sich die Menschheit nicht selber kaputt spielt.

Die Streitfrage, ob Tiere ein Bewusstsein besitzen ist weitgehende uninteressant, denn mit diesen Überlegungen kann man auf den Begriff Bewusstsein völlig verzichten. Statt Bewusstsein kann man auch sagen: 'Wissen über den eigenen Status' (sehr verkürzt: 'Weltbild'). Der oben zitierten Satz ist dann auch noch gültig: Das Wissen über den eigenen Status '... begleitet und überwacht die Auseinandersetzung eines Lebewesens mit seiner Umwelt ...' Nur darauf kommt es ja an. Der schöne deutsche Begriff 'sich bewusst sein' sagt wörtlich genommen eigentlich genau das richtige aus. Die Begriffe 'sich bewusst sein' und 'sich ein Bild von der Welt machen' liegen nahe bei einander. Aber 'Bewusstsein' ist aus meiner Sicht derzeitig mehrfach, und teilweise semantisch falsch belegt.

Mit diesen Betrachtungen kann man unter 'Denken' folgendes verstehen: Denken ist ein Verfahren, mit dem ein Statusreport (Weltbild) erzeugt und das sinnvolle Verhalten eines autonom agierenden Systems in seiner Umwelt gesteuert wird. Die Komplexität des Weltbildes ist entscheidend für den Aktionsradius des Systems.

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