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Hotline zum Himmel
Zitiert aus der
Titelstory DER SPIEGEL 21/2002, Seite 190

 

... (es existieren) verblüffende Gemeinsamkeiten, die fast alle Glaubenssysteme weltweit teilen, gleichgültig ob die Verehrung nun einem Christengott, einem griechischen Götterpantheon oder schattenhaften Naturgeistern gilt: Alle Religionen kennen Wesen mit übersinnlichen Kräften oder Eigenschaften, sie alle erklären die Welt mit Hilfe von in Geschichtenform gefassten Mythen. Alle berichten sie von irgendeiner Form des Jenseits. Dabei wird fast immer zwischen einem irdischen Körper.

 

und einer von diesem unabhängigen Seele unterschieden. Stets gibt es festgelegte Rituale ... (es ist) kaum eine Religion bekannt, die den Göttern nicht Geschenke in Gestalt von Opfergaben darbrächte ... Schliesslich ist den Religionen gemein, dass sie eine Gruppe zusammenschweissen: Ethische Normen, oft in Gestalt von Tabus, werden religiös legitimiert ...

Religionspsychologen und Biologen ... (erklären die Religionen) ... mit zwei grundsätzlich verschiedenen Modellen:
Adaptionstheorie: Ihr zufulge rüstete die Natur das Gehirn eigens zum Zwecke der religiösen Empfindungsfähigkeit mit einem eigenen Schaltkreis aus; demnach müsste die Religion einen Vorteil im steinzeitlichen Überlebenskampf bedeutet haben, der gross genug war, Individuen mit diesem Gottesmodul zu selektieren.
Exaptationstheorie: Sie besagt, dass die Religion gleichsam als unausweichliches Begleitprodukt der Hirnentwicklung entstand; das Heranwachsen der Bewusstseinsfähigkeit führte nach dieser Theorie zwangsläufig auch zu übersinnlichen Wahrnehmungen, auch ohne dass diese dem Überleben sonderlich förderlich gewesen wären.

Verfechter der Adaptationstheorie hingegen empfinden es als höchst unbefriedigende Erklärung für die Religion, dass diese Trost angesichts der eigenen Endlichkeit spende: "Warum", so fragt etwa der Soziobiologe Steven Pinker vom MIT, "sollte sich ein Gehirm dahin entwickeln, in Überzeugungen Trost zu finden, die es eindeutig als falsch erkennen kann?" Zudem zeite sich auch in Umfragen, dass nur eine Minderheit der Befragten als Grund für ihren Glauben die Tröstung nennt.

Jürgen Albrecht, 02. Juno 2002

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