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Kraniche
über den Langenhägener Seewiesen

Mittwoch, 9. Oktober 2002

Das dritte Mal fahre ich von Dobbertin aus mit dem Fahrrad zu den Kranichen. Es ist mein letzter Abend in Dobbertin. Was für ein herrliches Herbstwetter, aber schon ist es kalt! Über die Felder hinter dem Dobbertiner See. Ein Restloch, das immer anders beleuchtet ist, wenn ich hier vorbeikomme. Durch Goldberg, dann die Strasse nach Techentin. Links abzweigen nach Hof Hagen. Die tief stehende Sonne bringt die Wintersaat zum Leuchten. Eine Eichenallee vor Hof Hagen! Kurz vor Langenhagen ein kleiner Berg, schöne Sicht zurück nach Hof Hagen. Wieder ein Restloch. Diese eiszeitlichen Tümpel faszinieren mich. Biotope voller Leben, umgeben von Monokultur.


bei Goldberg, 17:26


vor Hof Hagen, 17:49


Hof Hagen, 18:05

Das Naturschutzgebiet Langenhägener Seewiesen gehört zum Naturpark Nossentiner Schwinzer Heide. Von Dobbertin aus muss man zehn Kilometer über Feldwege oder Landstrassen strampeln, um mit dem Fahrrad hier her zu kommen. Ein grosses Feuchtgebiet an einem flachen See. Das Dorf Langenhagen. Hier befindet sich der Schlafplatz von bis zu dreitausend Kranichen. Sie rasten hier in den Monaten September/Oktober, bevor sie in wärmere, südliche Gefilde weiterziehen. Im flachen Wasser sind sie geschützt vor Räubern und Menschen. Übernachten in Ruhe und Sicherheit. Spätestens zwei Stunden nach Sonnenaufgang fliegen sie in kleinen Gruppen 'auf Arbeit': Nahrungssuche im Umkreis von fünfzig Kilometern. Bei Sonnenuntergang finden sich alle wieder ein. Die Gruppen sammeln sich in der Luft, drehen grosse Runden und fallen dann auf dem Schlafplatz ein.

Am besten sind die Kraniche von der Langenhägener Dorfstrasse aus zu beobachten. Man ist auf Neugierige eingerichtet: Naturstation, Lehrpfad, Beobachtungshütten. Heissen Tee und eine Info Broschüre bekommt man an einem Imbissstand. Zehn Autos stehen heute Abend hier. Viel mehr sind es am Wochenende. Ferngläser, Videokameras, Fotoapparate, auch das Fernsehen kommt immer mal vorbei. Es ist schwierig, gute Bilder zu machen: Es wird dunkel, man ist mindestens 600 Meter vom Schlafplatz entfernt, der schwierig einzusehen ist. Die Fluchtdistanz der Kraniche beträgt 200 Meter. Da ist eine lange Brennweite, ein Stativ und viel Glück gefragt. Ich habe nur Glück und meine PowerShot A50: Der Zoom funktioniert nur noch bei Temperaturen über 30 Grad ... also hier nicht.


Sonnenuntergang: 18:30


18:30

Aus dem Faltblatt des Fördervereins Langenhägener Seewiesen e.V. (seewiesen@t-online.de):

  • Kraniche sind monogam und leben in lebenslanger Dauerehe und in Familien.
  • Sie brüten in einem vom Wasser umgebenen Bodennest.
  • Ein Gelege besteht meistens aus zwei Eiern.
  • Gebrütet wird im April/ Mai.
  • Die Jungen werden von den Eltern 9 bis 10 Monate lang geführt.
  • Kraniche fressen Getreide, Insekten, Schnecken, Mäuse, Reptilien und Amphibien.
  • Einheimische Kraniche sammeln sich ab Ende Juli an gemeinsamen Schlafplätzen.
  • Später rasten auch Kraniche bei uns, die aus Skandinavien kommen.
  • Kraniche fliegen auf zwei Routen in die südlichen Winterquartiere: Über Ungarn, Albanien nach Nordostafrika, oder über Frankreich nach Spanien, Portugal und Nordwestafrika.
  • Kraniche fliegen mit 45 bis 65 km/h, bei Rückenwind auch bis zu 130 km/h.
  • Sie fliegen in Höhen von 100 bis 2.500 Metern, bei Gebirgen auch bis 4.600 m hoch!
  • Bis zum Winterquartier brauchen sie nicht länger als zwei Tage, manchmal geht es auch Non Stop.
  • Man hat bisher 18 verschiedene Rufe erkannt. Sie sind ein- oder zweisilbig und dienen verschiedenen Zwecken: Nahrungssuche, Rufe bei der Fütterung der Jungen, Drohrufe, Angriff, Orientierung in der Luft. Warnrufe ermöglichen die Verständigung über die Artgrenzen hinweg!

Hier ist mehr über Kraniche zu erfahren: Kranichschutz, Vogelstimmen, Kranichzug.


18:37


18:37

Mit einem heissen Tee habe ich mich vor dem nördlichen Ortseingang von Langenhaben postiert. Eine grosse Gruppe von Kranichen fliegt um 18:37 Uhr von Ost nach West fast über mich hinweg.


18:41

Nur wenige Minuten später taucht weit im Osten ein riesiger Zug von Kranichen auf. Ich schätze, es sind mindestens 500 Vögel. In einem grossen Bogen fliegen sie über die Strasse nach Goldberg und drehen dann nach Süden ab. Im Sonnenuntergang fliegen sie hoch über ihren Schlafplatz und kreisen noch eine Weile, bis sie sich auf dem Wasser niederlassen. Im Abendrot steht die blasse Mondsichel.


18:42


18:44


18:44

Gegen 19 Uhr sind die meisten Kraniche gelandet. Ich fahre im Zwielicht in Richtung Goldberg. Hinter mir der helle Horizont, vor mir fast schon Nacht. Immer noch sind Kraniche in der Luft. Ich sehe sie nicht, aber ich höre sie. Sehen mich die Autos auf meinem spärlich beleuchteten Fahrrad? Zwei Kilometer vor Dobbertin steht der Mond tief über dem Horizont, Wolken verschlucken ihn.

Jürgen Albrecht, 13. Oktober 2002


vor Dobbertin, 19:21 - Monduntergang 20:00

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