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Deutschlands marodes Bildungssystem

   

 

Bestandteile des Bildungssystems

Auf den ersten Blick glaubt man nicht, wie tief das Bildungssystem in die Gesellschaft eingreift. Aber es begleitet jeden Deutschen buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre. Vom Kindergarten über die Schule in die Universität und von den berufsbildenden Massnahmen über die täglichen Medien bis hin zu Bildungsangeboten für Senioren. Das Bildungssystem besitzt viele Bestandteile:

  • Übergeordnete Ziele
  • Steuerung und Organisation
  • Gesetze
  • Familie/Eltern
  • Kindergarten
  • Schulen
  • Universitäten
 
  • Weiterbildung
  • Lehrerausbildung
  • Elitenförderung
  • Behinderte
  • Medien
  • Forschung für Bildung
  • Kulturpolitik

Im Internet findet man zu jedem dieser Stichpunkte sehr viel Material. Nur zu den übergeordneten Zielen existiert nichts. Die Zielstellung des Staates, der Länder und der Kommunen, für ein gebildetes Volk zu sorgen, wurde auf einen Etatposten in den chronisch knappen Haushalten reduziert. In den Programmen der politischen Parteien finden sich zur Bildungspolitik nur Nebensätze, die in dem Versprechen münden, mehr Geld für Bildung bereit zu stellen.

 

Geld für das Deutsche Bildungssystem

Die Deutschen investieren zu wenig in ihr Bildungssystem:


... das sind 4,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Mehr ...

26,7 Milliarden Euro müsste Deutschland jedes Jahr zusätzlich für die Bildung ausgeben, damit das Land bis 2020 im internationalen Bildungswettstreit aufholt. Das ist ein Viertel mehr als bisher in Bildung investiert wird. Um die Kraftanstrengung zu meistern, müssten Staat, Wirtschaft und der Einzelne künftig tiefer in die Tasche greifen. Auf die Privathaushalte kämen Mehrkosten von etwa vier Milliarden zu. Die Bundesregierung hat im Haushalt für das Jahr 2005 keine 25-prozentige Erhöhung der Ausgaben für das Bildungssystem vorgesehen. Mehr ...

 

Vergleich mit anderen Bildungssystemen

Das deutsche Bildungssystem ist im Vergleich mit anderen Ländern höchstens Mittelmass. Die Pisa-Studien der OECD haben es an den Tag gebracht. An PISA II beteiligten sich im Jahr 2003 41 Staaten (30 OECD-Staaten und 11 Partnerländer). International wurden ca. 250 000 Schülerinnen und Schüler getestet. In Deutschland nahmen 216 Schulen und 4660 Schülerinnen und Schüler an den Erhebungen zum internationalen Vergleich teil. Die teilnehmenden Schulen und die Schülerinnen und Schüler wurden mit einem Zufallsverfahren für den Test ausgewählt. In der Gesamtskala Mathematik erreicht Deutschland einen Mittelwert von 503 Punkten (OECD-Durchschnitt: 500 Punkte). Im Bereich der Lesekompetenz in PISA 2003 beträgt der Mittelwert für Deutschland 491 Punkte; der internationale Durchschnitt liegt bei 494 Punkten. Der OECD-Mittelwert zur naturwissenschaftlichen Kompetenz beträgt 2003 ebenfalls 500 Punkte; die Schülerinnen und Schüler in Deutschland erreichen 502 Punkte. Im Bereich Problemlösen liegen die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland mit 513 Punkten signifikant über dem OECD-Mittelwert (500 Punkte). Mehr ...

Als Hauptproblem des deutschen Bildungssystems hat die OECD die viel zu frühe Aufteilung der 10-Jährigen auf Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien (das deutsche, dreigliedrige Schulsystem) ausgemacht. Ausserdem sind in keinem Land die Bildungschancen der Kinder so stark abhängig vom sozialen Status der Eltern, wie in Deutschland. Das stellt im Klartext dem deutschen Schulsystem ein vernichtendes Zeugnis aus: Die Schule tut nichts für die sozial Schwachen und die von Geburt her Benachteiligten. Alle Mängel sind teilweise seit Jahrzehnten bekannt, aber es ändert sich nichts. Die deutsche Bürokratie bevorzugt alt hergebrachte, lieb gewordene Trampelpfade. Mehr...

Finnland ist bei Pisa Spitzenreiter. Warum? Weil die Fehler Deutschlands in Finnland nicht gemacht werden. Niemand will in der Deutschen Bundesrepublik hören, dass sich das finnische Bildungssystem ehemals am Bildungssystem der DDR orientiert hat. In Finnland wird das Bildungssystem zentral und staatlich dirigiert. Die Schüler gehen (wie in der DDR) zehn Jahre in eine einheitliche Schule mit einheitlichen, aufgeklärten, an den Naturwissenschaften orientierten Bildungsstandards. Die Förderung der Schüler steht im Mittelpunkt der Bemühungen der Schule, nicht die unzureichenden Stellenpläne, Baumängel und der Kampf um Ausstattungen. Mehr ...

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft wird von Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie getragen und wissenschaftlich begleitet vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Sie hat das Schwarzbuch Bildung herausgebracht.
Das Fazit: Das Deutsche Bildungssystem befindet sich in schockierend armseliger Verfassung. Mehr ...

 

Die Schwachstellen
des deutschen Bildungssystems

Die Deutschen sind ungebildet, sie können weder gut rechnen noch ordentlich lesen und gerade mal schreiben. Ist das Deutschlands Perspektive? Wenn sich das Bildungssystem nicht qualitativ ändert, werden die Deutschen in 25 Jahren das Bildungsniveau der Amerikaner und Canadier erreicht haben: Lesen und schreiben können die meisten, aber die Frage zu beantworten, was den qualitativen Unterschied zwischen Astronomie und Astrologie ausmacht, bleibt den Eliten vorbehalten.

Ich bezweifle, dass die Reform des deutschen Bildungswesens politisch gewollt ist. Aus meiner (natürlich subjektiven) Sicht sehe ich folgende (provokant formulierten) Schwachstellen:

  • Es existiert kein gesamtgesellschaftlicher Bildungswille, weil Bildung auf der Werteskala der Bürger dieses Staates keinen Stellenwert besitzt.
  • Auch 250 Jahre nach Kant sind in Deutschland die Ideen der Aufklärung immer noch nicht angekommen. Staat und Kirche - Wissen und Glauben - sind nicht sauber getrennt.
  • Das naturwissenschaftliche Denken ist nicht durchgängig die Basis des Bildungssystems.
  • Der deutsche Föderalismus schafft ideale Voraussetzungen, um Bildung zu verhindern ('organisierte Verantwortungslosigkeit' +)): Die Länder bestehen auf ihrer Bildungshohheit**). Damit sind sechzehn deutsche Kultusministerien (!) nicht zur Kooperation verpflichtet und einigen sich - wenn überhaupt - in der Kultusministerkonferenz (KMK) nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.
  • Bildung ist zum Geschäft verkommen, auch hier zählt nur die kurzfristige Rendite.*)
  • In allen Stufen des Bildungssystems fehlt bei Lehrenden und Lernenden der Leistungswille - Spätfolgen der 68-er-Generation und des Beamtenwesens.
  • Die Investitionen in das Bildungswesen sind zu gering (s.o.). Es existiert nicht genug qualifiziertes Personal und es fehlt an Ausstattung.
  • Auf allen Ebenen - vom Kindergarten bis zur Universität - fehlen Bildungsstandards. Sie sind erst seit dem ersten Pisa-Schock in der Diskussion (der KMK).
  • Das dreigliedrige Schulsystem ist gescheitert. Die Aufteilung der Kinder nach dem vierten Schuljahr auf Gymnasium, Realschulen und Hauptschulen führt dazu, dass schwache Schüler abgeschoben statt individuell gefördert werden... sagt der PISA-Koordinator der OECD, Andreas Schleicher.
  • Die Schule ist nicht auf die Lebenswirklichkeit der Schüler ausgerichtet und auch nicht entsprechend ausgestattet (elektronische Medien).
  • Die Qualität der allgemeinen, akademischen Bildung sinkt durch die Vereinheitlichung der Hochschulabschlüsse (Bachelor, Master statt Diplom-Abschluss) und die Förderung der Elitenbildung.
  • Die Elitenbildung begünstigt die Wohlhabenden und ist im Interesse der Wirtschaft und des Staates. Sie geht zu Lasten des Bildungsniveaus der Gesamtbevölkerung (s. beispielsweise USA und Canada).
  • Die Medien dieses Landes tun alles für die Volksbelustigung, aber fast nichts für die Volksbildung.

*) 1. Beispiel: Das novellierte Hessiche Hochschulgesetz (HHG) sieht die Einführung von Premiumstudiengängen in Hessen vor. D.h. künftig sollen Universitäten die Möglichkeit erhalten, für die zahlungskräftige Klientel ein besseres Studieren zu ermöglichen. Mehr ...
2. Beispiel: Die WebSite wissenschaft-online ähnelt viel mehr einem Online-Shop, als einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift. Nur wenig ist (grosszügig ...!) ohne Geld zu lesen.

**) Am 17. Dezember 2004 ist die Föderalismus-Reform an der Bildung gescheitert. Die Länder sehen die Autonomie in der Bildungspolitik als Kernstück ihrer Kulturhoheit an. Bestimmt nicht zu Gunsten des deutschen Bildungssystems. Mehr ...

+) Die Blamage - Reformwerk für den Papierkorb ... DER SPIEGEL 52/2004, Seite 22

 

Das gebildete Volk ist nicht in Sicht

Keine politische Partei hat sich die Beseitigung dieser Schwachstellen und damit die qualitative Erhöhung des Bildungsniveaus in Deutschland auf die Fahne geschrieben. Was ist daraus zu schliessen? Die politische und wirtschaftliche Elite Deutschlands will und braucht kein gebildetes Volk.

Wozu auch?!
Wer vor dem Fernseher ruhig gestellt ist,
geht nicht auf die Barrikaden und schreit:
Wir sind das Volk!

Jürgen Albrecht, 23. Oktober 2004
update 08.11.2007

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