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UMZUG IN
DAS ORIENT HOTEL

22. Februar 1997, Sonnabend, Hanoi

 

Ein hoher Raum, 4 x 5 Meter. Ein breites Fenster mit Balkon davor. Vom Balkon Sicht auf einen großen See, dahinter das Fernsehzentrum mit dem gestylten Turm und eine Golfanlage ohne Golfplatz. Rötlicher Himmel, Sonnenuntergang bei stark bewölktem Himmel. Fledermäuse umschwirren mich auf dem Balkon, taumelnd wie Schmetterlinge.

Im Zimmer zwei große Betten. Schwarzes Ebenholz, reiche Perlmutteinlagen und Schnitzereien, die am Kopfende sogar durchbrochen sind. Leuchtend rote, bestickte Seidendecken auf den Betten. Zwischen den Betten ein Nachttisch im gleichen Stil. In diesem Schränkchen ist ein massiver Save versteckt. Neben den Betten der passende Kleiderschrank. An der rechten Wand, gegenüber dem Fenster, zwei breite, niedrige, schwarze Lehnstühle im Stil der alten Holzstühle in den Pagoden. Dazwischen ein zierlicher, quadratischer Tisch mit Einlegearbeiten, bedeckt mit einer Glasplatte. An der vierten Wand sitze ich an einem kleinen Schreibtisch, schwarzes Holz, Schnitzereien, Perlmutt. Auf dem eingelegten Perlmutt befinden sich angefärbte Ritzzeichnungen, die die Bildwirkung der Einlegearbeiten verstärken. Wer hat noch soviel Zeit, so etwas heute herzustellen? Links davon der Fernsehapparat, darunter der Kühlschrank und der Blick auf das Fenster. Hinter mir die passende Frisierkommode mit Spiegel und Sitzhocker, links davon kommt die Eingangstür zu diesem Zimmer.

Zwischen Schreibtisch und Frisierkommode befindet sich die Tür zum Bad. Waschtisch mit Marmorplatte, große, flache Badewanne, ein hohes Fenster, helles Licht, helle Kacheln. Der Heater läuft. Der durchgehende Marmorfußboden in Bad und Zimmer ist kalt. Deshalb stehen vier Paar warme Hausschuhe unter dem Bett. Zwei Seidenkimonos im leuchtenden Rot der Bettdecke hängen im Kleiderschrank.

Das ist mein Zimmer Nummer 207 im Orient Hotel. Es liegt etwas außerhalb des Stadtzentrums, zehn Minuten Fußweg zur Hochschule. Es besteht aus mehreren zweistöckigen Villen, die in einem Park an diesem See stehen. Das Zimmer sollte ursprünglich 80 $ kosten, jetzt bezahlen wir 45 $ pro Nacht. Heute sind wir umgezogen.

Minuten bevor wir in die Taxe stiegen, habe ich wie Scharno bei Lily 500 $ für 14 Nächte im Hotel Elegant bezahlt, wie sich das gehört. Ich überreichte ihr die Blumen, die man mir gestern bei der Einführungsvorlesung geschenkt hat. Sinniger Weise waren es ... Lilien! Sie freut sich, ist gerührt. Verabschiedung, Winken '... see you next time, may be later ...' Wir hatten uns eine Taxe rufen lassen, so war der Umzug kein Problem.

Die neue, nette Dame an der Rezeption des Orient Hotels freute sich über unsere Ankunft: ‚Sie wollten doch erst Sonntag kommen?' ‚Ja, am Sonntag den 22.02.1997, aber den gibt es nicht!' Natürlich ist das kein Problem, 20 der 25 Zimmer dieses Hotels stehen leer. Das ist auch der Grund, warum es Mr. Ho geschafft hat, hier den Preis deutlich herunter zu handeln. Das ganze Hotel ist mit solchen tollen Möbeln ausgestattet, die Rezeption reich geschnitzt mit verschwenderischen Einlegearbeiten. Die Staffs stecken in Phantasieuniformen im chinesischen Stil. An der Rezeption ein Computer mit WinWord, der Drucker, den ich zu Hause habe, steht hier auch. ‚Darf ich diesen Computer mal benutzen?' ‚Aber bitte, wenn Sie damit umgehen können - kein Problem.'

Es ist sehr angenehm, wieder ein Zimmer mit Fenster zu haben. Der Luxus hier müßte nicht sein. Aber es ist wirklich entscheidend, daß man von der Hochschule schnell mal ins Hotel laufen kann. Die Mittagspause von 11:30 bis 14 Uhr wäre sonst schlecht zu überbrücken.

Nach dem Umzug gehen wir die Umgebung erkunden und eine Suppe essen. Ein erster Spaziergang in der direkten Umgebung. Der erste Eindruck: Laut und dreckig. An der breiten Strasse vor dem Hotel liegt die Amerikanische Botschaft. Der Weg zur Hochschule führt jeden Tag daran vorbei. Wie ist das Verhältnis der privaten Vietnamesen zu den Amerikanern? Noch weiss ich es nicht. Auf alle Fälle wird Amerika bewundert, weil es so reich ist.

Auch hier gibt es in der Nähe eine Eßstraße. Viele Garküchen aneinandergereiht. Wir haben für 6.500 Dong eine gute Pho gegessen. Die nächsten drei Wochen werden wir es hier mühelos aushalten. Das Hotel ist Spitze, auch wenn der Heater nur ein Cooler ist, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Dafür ist der Schlüssel für den Save inklusive und ich bin meinen Brustbeutel mit Paß, Flugticket und Reiseschecks los.

In der Hochschule war heute ein entscheidender Tag: Nach der gestrigen Einführungsvorlesung, heute die erste Lehrveranstaltungen mit Studenten. Ein Lichtblick: Rigide Öffnungszeiten des PC-Labors, aber am Sonnabend wird gearbeitet. Die erste Begegnung mit den Studenten, die bei mir etwas über Computer erfahren sollen: 40 Studenten, um 8:30 soll es losgehen. Die letzten kommen 8:50 und ich begrüße sie mit Handschlag, allgemeine Heiterkeit. Bis 10 Uhr sage ich etwas zu dem hier vorhandenen PC-System, erkläre Vokabeln der Computertechnik und informiere über das Verhalten im PC-Raum. Dann erkläre ich mit Arbeitsschritten 1., 2., 3. ... , wie das System zu starten und zu verlassen ist. Zum Schluß erfolgt die Trennung von 'Spezialisten' und Anfängern. Das Kriterium ist die Beherrschung des Dateimanagers! Alles verstanden? Gibt es Fragen? Gehorsames Schweigen. Ganz im Sinne von Konfuzius.

 

22. Oktober 2002

 

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