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ERKUNDUNGEN
IN HOI AN

19. Februar 1997, Mittwoch, Hoi An

 

Gut geschlafen bis 7 Uhr unter dem (fast) automatisch aus der Wand zu fahrenden Moskitonetz. Aufstehen, Rasieren, Duschen. Um 7:30 frühstücke ich mit Scharno im Regen auf der River-Terasse. Unsere Wege trennen sich heute Morgen: Scharno will mit der Videokamera filmen, ich gehe auf den Markt.

Dort mache ich ein paar Fotos, es ist aber noch kein Büchsenlicht. Ich gehe weiter am Hafen entlang, bewundere alte Häuser, eine Straßenbrücke, die gleichzeitig Tempel ist. Die überbaute Brücke führt auf der anderen Seite in eine ganz alte Straße.

 

Holzhäuser, 100 bis 120 Jahre alt. Eine Art Gallery an der anderen. Alte Häuser, viele dem Verfall nahe, Moos, Schimmel und Flechten durch die hohe Luftfeuchtigkeit. In einem solchen Haus sehe ich, die Eingangszeichen an den Türpfosten sind Perlmutt-Einlegearbeiten. Ich frage, ob ich ein Foto machen darf.

Die Mutter spricht English, die Tochter (15) ist sehr schüchtern, kann aber auch English. Sie führen mich durch das Haus, immer wenn ich frage, darf ich natürlich ein Foto machen. ‚Kommen Sie weiter!' und wieder öffnet sich eine Tür, ein neuer Raum, herrliche Holzarchitektur, ein Innenhof, überdacht von einem üppig wuchernden Buschwerk. Die ganze Zeit schon hört man dumpfe Trommelschläge vom gegenüberliegenden Ufer des Flusses. Die Frau erklärt mir, das ist eine Totenwache in einem buddhistischen Tempel. Zum Schluß öffnet sich die letzte Tür und wir stehen am Fluß. Ich bitte, ein Foto der Familie machen zu können, denn mit jedem Raum kamen mehr Menschen dazu. ‚Urahne, Großmutter, Mutter und Kind ...' Ein schönes Bild (hoffentlich). Ich bitte um die Visitenkarte und verspreche, einen Satz Bilder zurück zu schicken. Das habe ich dann von Hanoi aus auch getan.

Danach laufe ich die Straße noch ein Stück weiter hinunter. Da wird es ländlich und ich gehe zurück. Ich suche die berühmten chinesischen Versammlungshäuser und finde sie nicht. Dafür gehe ich ins Keramikmuseum und anschließend noch einen neuen Weg über den undurchschaubaren Markt. Eine Marktfrau bietet mir an, Ginger zu besorgen (gerade habe ich mir davon Ginger-Tee gekocht, das geht!). Nach 10 Minuten ist sie wieder da und will für die gleiche Menge, die in Hue 5.000 Dong gekostet hat, 33.000 Dong haben. Handeln ist die erste Bürgerpflicht. Aber ich habe zu wenig Zeit und bezahle 20.000 für Mu't gung.

An einer anderen Stelle werden Tragestangen aus Bambus und die dazugehörigen Körbe verkauft: Zwei Körbe, zwei Tragevorrichtungen für die Körbe und eine Tragestange, alles aus Bambus, die Grundausstattung für ein Marktgeschäft, kosten 20.000 Dong, knapp zwei Dollar!

Am Hafen bieten sich überall ‚Wassertaxis' an. Schmale Boote, meistens von Frauen gerudert. Eine Stunde einen Dollar. Ich suche mir die älteste Frau aus, steige in das kipplige Boot. Die Frau sieht aus, als ob sie 80 Jahre alt wäre, wahrscheinlich aber ist sie mindestens 25 Jahre jünger. Schwarzer Mund mit Stummelzähnen: Sie kaut Cat. Sie sitzt am Heck des Bootes und paddelt langsam und gemächlich den Fluß hinunter. RUHE. Herrlich! Am Ufer geschäftiges Treiben, auf dem Fluß Taxis, Fähren, Sandtransporte, Fischer. Ich sehe in dieser Stunde nur noch ein einziges weiteres Boot mit Touristen. Bald greife ich auch selber zum Paddel. Ich kann es noch und erinnere mich an meine Blechboote in Salzwedel, 1947, Benzinkanister von Kriegsflugzeugen. Auf die Dauer ist das Paddeln ungewohnt und schwer, wenn ich nicht aufpasse, bekomme ich Blasen an den Händen.

Die Oma sagt nicht viel, das ist gut, ich will meine Seele baumeln lassen. Außer o.k. kann sie kein English. Ich darf sie fotografieren. Sie bietet mir ihre Cat-Schüssel an. Nein Danke, aber ich fotografiere ihre heutige Cat-Ration. Dann ist die Stunde um und ich lasse mich an einem Bootssteg in der Nähe des Hotels absetzen. Ich habe keine 10.000 Dong, sondern nur einen Schein im Wert von 20.000 Dong . Mir ist klar, was jetzt passiert! Das Mienenspiel der Alten, als ich die Hälfte davon wieder zurück haben will! Ein Ausdruck zwischen Hoffnung und großer Enttäuschung. Kein Wechselgeld. Natürlich nicht. Ich gebe bald auf, denn die Situation ist ziemlich aussichtslos, wer wechselt mir hier diesen Schein?! Sie freut sich über das ganze Gesicht und mit vielen guten aber unverständlichen Worten werde ich verabschiedet.

Ein letzter Spaziergang in Hoi An. Häuser, denen die Luftfeuchtigkeit schwer zusetzt. Die Tempelbrücke. Gleich dahinter eine kreative Konstruktion: Mit weniger Material kann man eine Treppe kaum bauen. Für Scharno machen ich ein Foto. Er ist begeistert, denn das ist seine Welt.

Wieder im Hotel angekommen, packe ich meinen Rucksack. Scharno taucht auf. Er war mit dem Fahrrad noch einmal an der Beach. Er ist high und begeistert, weil er im Pazifischen Ozean gebadet hat und redet pausenlos. Das Wasser war 25 Grad warm - das typische Seeklima, Wasser- gleich Lufttemperatur, weil ... wieder folgt eine lange Geschichte. Auf alle Fälle fand auch er heute Morgen Ruhe und Entspannung.

Eine kleine Story von der langen Geschichte, die er erzählte, ist typisch für dieses Land und seine Menschen: Nur eine von sehr vielen Bretterbuden am Strand hatte auf, schließlich ist keine Saison. Die Inhaberin (40) hatte es Scharno sofort angetan (Lisa war leider nicht zu sehen). Sie paßt auf seine Sachen auf, während er schwimmen geht, sie verkauft ihm etwas Essen, sie schäkern zusammen und zum Schluß ... gibt sie ihm ihre Visitenkarte: ‚Besuchen sie das Restaurant Nr. 6 an der Beach von Hoi An und empfehlen sie mich in Europa weiter!' Herrlich. Visitenkarten hat hier jeder, sie sind ein ganz wichtiges Statussymbol.

Wir packen unsere Sachen, gehen noch einmal Essen, warten auf die bestellte Taxe und fahren um 12:15 mit einem schrecklich klapprigen Ersatzauto los, denn die Taxe kommt nicht. Marke und Baujahr dieses Autos ist nicht mehr feststellbar. Aber es fährt und wir erreichen für 10 Dollar den Flugplatz von Danang. Von Danang haben wir nicht viel gesehen, wir haben aber auch nicht viel verpaßt. Auf dem Flugplatz wird alles zügig abgewickelt, der Airbus A 320 ist halb leer. Ich hatte organisiert, daß wir beide einen Fensterplatz hatten. So hatten wir beide einen schönen, ruhigen Flug durch ein Tiefdruckgebiet (Scharno) mit dichter Wolkendecke.

Schon 20 Minuten nach der Landung in Hanoi sitzen wir um 15:30 in dem Transferbus, der uns in die Stadt bringt. Auf dem Heimweg gehen wir beim Fotolabor vorbei und bringen die Filme weg. Scharno ist heute nicht in Form, er findet weder Film noch Geld. Ich hole jetzt die bestellte Software-CD für 50 Dollar ab, sie ist fertig, auch der entdongelte PageMaker ist jetzt in Hanoi wieder verfügbar!

Zwei Stunden Ruhepause sind vorbei und wir gehen eine der berühmten Hanoier Suppen essen. So eine Pho haben wir vermißt. In der Mitte von Vietnam gibt es solche Suppen nicht, so kocht man nur in Hanoi! Die Suppe war gut, aber es war keine Pho. Eine dunkle Brühe, aus der Hühnerbeine guckten, abgefüllt in aufgeschnittenen Cola-Dosen. Mich interessierte einfach, was das ist und wie es schmeckt. Es wird warm gemacht und in eine Schüssel gegossen. Eine schmackhafte, dunkle Brühe, darin Seegras oder Tang (sehr fein, lang und dunkelgrün)? Ich wollte Reis dazu haben, damit es eine richtige Suppe wird. Die Chefin gab mir Reis in einer separaten Schüssel- der Kunde ist König - aber offensichtlich gehört Reis gerade nicht zu diesem unbekannten Gericht. Es hat gut geschmeckt, aber mit unseren schlechten Sprachkenntnissen war nicht festzustellen, was es war.

Anschließend sind wir eine Stunde bei Van und Lan. Die Reise wird ausgewertet und wir bereiten uns auf morgen vor, denn dann soll an der Hochschule die Organisation unserer Lehrveranstaltungen festgelegt werden. Ich dränge zum Aufbruch, ich will Van nicht so viel Zeit stehlen.

Auf dem Nachhauseweg entdecken wir durch Zufall - wir gucken an den eklektizistischen Hausfassaden hoch - den Mond!! Das erste Mal ist in Vietnam der Mond zu sehen! Es ist nicht mehr weit bis zum Vollmond, er steht hoch im Zenit. Jetzt wird klar, woher gestern die hellen Flecken am Nachthimmel in Hoi An kamen. Der Mond guckt nur kurzzeitig durch die Wolken, dann ist das schöne Schauspiel wieder vorbei. Glück gehabt.

 

21. Oktober 2002

 

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