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IN MEMORIAM
VIETNAMKRIEG

07. März 1997, Freitag, Saigon

 

Ein sehr gutes Frühstück! So hatte ich mir ein Palace Hotel vorgestellt: Großes Frühstuckbüfett, ein weiter, heller Raum, nach außen offen, Bäume, Wasser, Bonsais. Von den zwischen den Bäumen röhrenden Hirschen aus Pappmaché mal abgesehen, eine wirklich angenehme, aber betont europäische Atmosphäre. Tee mit dicker, gesüßter Kaffeesahne, aber nicht aus Glastassen wie bei Caroline in TukTuk auf Sumatra ... Ich habe gut geschlafen, trotz dem lauten Cooler, der in der Nacht gelaufen ist. Am Morgen um 6 Uhr ist es auch draußen angenehm frisch - 24 Grad. Jetzt um 8 Uhr haben wir eine gute Sicht auf das Land hinter dem Saigon River, das Mekong-Delta. Der Himmel ist bedeckt, aber nur locker, die Sonne ist zu sehen. Lauter Straßenlärm dringt bis in den 12. Stock. Die Leute können das Hupen nicht lassen.

8 Uhr, Palace Hotel. Mit einem sehr hart gefederten Minibus fahren wir für je 27 US$ nach Cu Chi. Wir wollen die Tunnelanlagen des Viet Cong besichtigen. Diese Gegend hier ist das Gebiet, was von den Amerikanern am meisten bombardiert, verbrannt und vergiftet worden ist. Gesiegt haben trotzdem die Vietnamesen, sie hatten die bessere Motivation und unschätzbare Landeskenntnisse. So konnten sie über weite Strecken mit primitiven, selbst gebastelten Waffen, Katze und Maus mit den hochgerüsteten Amis spielen.

Es ist interessant, die Tunnel zu sehen und zu fühlen. Ich krieche hinein, ein Eingang, durch den sich nur Vietnamesen zwängen können, ca. 40 x 15 cm. Ich bin früher schon besser in solche Löcher gekommen, als andere. Mein Knochengestell ist sehr schmal. Aber es ist kein Maßstab für Europäer und Amerikaner, die auf dem Gestell u.U. noch jede Menge Fett deponiert haben.

Meine eigenen Kriegserlebnisse von 1945/47 holen mich hier ein. Welch ein Wahnsinn, gegen ein Land auf der anderen Seite der Welt so einen Krieg zu führen, nur weil die hier glaubten, mit dem Kommunismus eine bessere Welt zu schaffen. Absolut arrogant und idiotisch. Wahrscheinlich haben mich der Krieg, die Flucht und die zwei Jahre Internierung in der Tschechei mehr geprägt, als mir bisher bewußt war. Aber meine Aversionen gegen jede Form von Militär und Bevormundung, die hat mit Sicherheit ihren Ursprung in den Jahren 1945 bis 1949. Auch die Überzeugung, daß man durch und mit Agitation und Propaganda keinen neuen Menschen schaffen kann, ist in dieser Zeit gewachsen. Verstärkt dann durch die Schulerlebnisse vor dem Abitur in Salzwedel.

Die Vietnamesen haben nie aufgegeben und in ihrem zähen Widerstand nicht nachgelassen. Sie waren so grausam wie die Amerikaner, nur mit anderen Mitteln, einfallsreicher und cleverer. Die Amerikaner haben ihnen sogar einen Teil der logistischen Probleme abgenommen und ihnen mit Blindgängern und Militärschrott Rüstungsmaterial geliefert! Wirklich bewundernswert! Eigentlich sollte der Vietnamkrieg für alle Aggressoren (USA, Israel, Despoten, Diktatoren ...) eine bleibende Lehre sein: Auch mit High Tech kann man gegen einen armen, nackten Gegner nicht gewinnen, wenn der besser motiviert ist, als der hochgerüstete Soldat, der nur gezwungen wird, unter solchen Umständen seinen 'Job' zu machen. Leider lernt niemand aus Kriegen.

Wir besichtigten schreckliche, selbst gebaute Waffen, kriechen durch Tunnels und trinken hervorragenden Tee in einem unterirdischen Unterstand, dem heute das originale Dach fehlt: Eine schizophrene Situation: Als wir Tee trinken fällt mir auf, daß die ganze Welt hier am Tisch versammelt ist: Ein vietnamesischer Führer, ein Amerikaner, ein Ehepaar aus Australien, ein Japaner, ein Franzose und zwei Deutsche. Ich werde (unfreiwillig) als Kommandeur in diesem Unterstand fotografiert. Sicher wäre ich in einer solchen Situation auch General geworden, anstatt Chef eines zivilen Unternehmens mit 2000 Mann in Eberswalde zu sein. Gott sei Dank, daß das an mir vorüber gegangen ist ...

Gegen 13 Uhr sind wir wieder in Saigon. Wir gehen eine Pho essen - diesmal ist sie sehr gut und auch hier werden wieder kalte, nasse und weiße Tücher gereicht. Dann fahren wir mit der Taxe (nie wieder Cyclo !) für 15.000 Dong zum War Criminal Museum. Im Museum gehen wir von Anfang an getrennte Wege. Scharno bleibt zwei Stunden dort. Ich bin schon nach 30 Minuten damit fertig. Hoch interessante Details und viele authentische Bilder. Aber die Konzeption ist sehr einseitig gegen die Amerikaner ausgerichtet. Viel - zu viel Propaganda. Weniger wäre mehr. Aber aus der Sicht der Vietnamesen und mit dem Zeitgeist von vorgestern ist das zu verstehen.

Ich laufe zurück zum Hotel. Es ist sehr heiß, trotzdem aber angenehm zu laufen. Ich mache einige Photos von der Stadt, kaufe für Peter Musik-CD's - Raubkopien aus China (?) für 2 US$ das Stück. Von 15:00 bis 16:30 leiste ich mir einen herrlichen Mittagsschlaf. Der erste Arbeitstermin am heutigen Abend platzt. Der Date im Club von Prof. Ai kam nicht zustande. Er ist verschoben auf Sonntag, 10 Uhr.

Gegen 19 Uhr haben wir sehr gut (und sehr teuer: 34.000 Dong für beide) in einer Garküche gegessen. Es gab COM: Hervorragender Fisch, geröstete Raupen (!!), Gemüse, Manjok. Alles sehr gut gewürzt und heiß. Die Leute hier sind sehr friedlich, aber bei Ausländern nehmen sie einfach den doppelten Preis. Die kommen ja kein zweites Mal. Vor allen Dingen werden Phantasiepreise gemacht, wenn man vorher nicht um den Preis verhandelt hat.

Ein ruhiger Abend in Saigon. Gegen 20:30 gehe ich noch mal eine Stunde spazieren. Es sind angenehme 25 bis 27 Grad, immer noch schwül, aber am Fluß weht ein leichter Wind. Auf dem Weg zum Saigon River stehen kleine Tische und Stühle (wie für Kinder) an der Straße. Hier kann man sich hinsetzen und wird von Straßenhändlern mit Getränken und Knabbereien versorgt. Das gleiche am Fluß. Stühle, Lichterketten, ein angenehmer Wind vom Fluß - warm und feucht. Restaurantschiffe. Um 21 Uhr fährt eines dieser Boote ab - das habe ich leider verpaßt.

Viele Leute sitzen und laufen in den Parkanlagen hier am Kai. Kinder, ganze Familien. Liebespärchen auf Mopeds oder Motorrädern - das ist offensichtlich gerade 'in'. Ist es auch bequem ...?. Zehn Jahre später werden sie im Cabrio sitzen! Auch jetzt kann man noch ein Boot mieten: Eine Mondscheinfahrt, allerdings ohne Mond. Ich laufe rüber zum Hotel Majestik. Die Straße zu überqueren ist lebensgefährlich: Die gleiche Fahrweise wie in Hanoi, aber doppelt so schnell. Es gibt keine Zeitungen im Hotel. Einige englische Bücher im Souvenirshop. Aber im Innenhof liegt ein schöner Swimmingpool. Angelegt wie ein Atrium. Reminiszenzen an das Atrium Hyatt in Budapest. Sehr schön, sehr ruhig, sehr schwül und sehr leer: Kein Mensch ist hier. Hier steht die Luft, es ist kaum auszuhalten.

Auf dem Rückweg zum Hotel gehe ich wieder an den Stühlen vorbei. Trockenfisch, stark riechend, hängt an einem Bambusgestell: Fast Foot. Gegen 21:40 bin ich zurück im angenehmen Hotel. Heute war es klar, Sonne. Weite Sicht vom Balkon aus ins Mekong Delta.

 

23. Oktober 2002

 

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