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BESUCH BEI
EINER SCHÖNEN FRAU

08. Februar 1997, Sonnabend, Hanoi

 

Es ist Neujahr in Vietnam und das TET-Fest hat begonnen. Die Familienmitglieder kommen aus der Ferne zurück und feiern eine Woche lang gemeinsam. Das TET-Fest richtet sich nach dem Mondkalender (der erste Neumond im Februar) und hat die Bedeutung von Weihnachten und Neujahr in Europa. Um Mitternacht, wenn das neue Jahr beginnt, ist einen Altar unter freiem Himmel aufgebaut. Es wird gebetet und symbolisch dem Feuer geopfert. Wünsche werden aufgeschrieben, Orakel werden befragt: Man kauft einen Zettel, aus dem Text wird die Zukunft gedeutet. Ein kundiger Mönch liest und interpretiert den Text für die gläubigen Buddhisten und die vielen Analphabeten, die es noch in Vietnam gibt.

Heute war die Stadt voller festlich gekleideter Menschen. Überall in den nach vorn zur Straße hin offenen Häusern sieht man viele Leute um eine große Tafel auf der Erde sitzen: Familienfeiern, Wiedersehen.

Als ich am Nachmittag wieder unten an der Rezeption bin, lädt mich die nette Lady hinter dem Tresen in ihr Haus ein: Ich möchte doch bitte mal ihre Mutter besuchen kommen! Diese Einladung erhalte ich mit einem strahlenden Lächeln von einer schönen Frau: Sie ist gross, hat schwarze Augen, einen vollen Mund, lange schwarze Haare, ein weisses Kleid und sie ist so schlank, daß es schlanker nicht mehr geht. Schmale Hände mit endlos langen Fingern ... Ich bin erstaunt und sage und zeige das auch. Das habe ich einfach nicht erwartet. Lily kann sehr gut English und ich habe auch mit ihr geschäkert, wie das so meine Art ist. Sie ist mir sehr sympatisch, ich ihr offensichtlich auch - was hat das zu bedeuten? Ich frage sie, wann ich sie besuchen soll. 'When ever you want!' sagt sie mit dem Augenaufschlag einer Jungfrau, der ich gerade einen Heiratsantrag gemacht habe. Wir verabreden, daß wir in einer Viertelstunde zusammen mit der Taxe zu ihr nach Hause fahren, denn jetzt hat sie Feierabend.

Ich gehe hoch in mein Zimmer und erzähle Scharno von der Einladung. Er ist begeistert, findet Lily auch sehr attraktiv und beglückwünscht mich zu meiner 'Eroberung'. Es ist ein richtiges Problem, daß wir das Signalsystem dieser Menschen und dieser Kultur nicht kennen. Wir müssen es erst durch Erfahrungen verstehen lernen. Was bedeutet diese Einladung? Alles ist möglich in der Phantasie alter Männer, die eine junge und hübsche Frau sehen. Ich deute es so: Heute ist hier Neujahr und es bedeutet Glück für die ganze Familie und das ganze Jahr, wenn der erste Besucher ... s.o.

Die Viertelstunde ist um, ich ziehe meine Jacke an. Es klopft und ein Boy überreicht mir einen Umschlag, darin ein Zettel:


If you can come to my house
I write add for you.
I'm sorry I can't go with you now
because my friend will pick me up.
About 4 PM you come to my house.
It's OK.

Please give add for taxi driver
he 'ill pick you up.



Die Verabredung wird verändert, der Freund ist unverhofft aufgetaucht. Aber 'gegen 16 Uhr kannste kommen, dann ist alles OK. Hier ist meine Adresse und Telefonnummer.' Die Verunsicherung wächst - ein konspirativer Treff mit einer schönen Frau!

Um 16 Uhr steige ich in eine Taxe und gebe dem Driver den Zettel. Es geht nach Norden. Ich habe den Stadtplan schon so gut im Kopf, daß ich verfolgen kann, wo wir hinfahren. Die Adresse wird nach einigen Fehlversuchen erreicht. 'I'm a good driver!' Lily (so nenne ich sie, weil der Name zu ihr paßt) steht vor einem schmalen, einstöckigen Haus und erwartet mich. Sie hat fast nichts an - ein ganz leichtes BaumwollEtwas in beige. Die Mutter - ein zahnloser, schwarzer Mund vom Cat-Kauen - empfängt mich voller Glück und Freundlichkeit, weitere ältere Frauen und viele Kinder bewundern das Eintreffen des Gastes von einem anderen Stern. Ich werde in das Haus gebeten. Ein heller Raum, eine Sitzecke, ein Tisch mit Teeschalen, Kunstblumen an der Wand, nach vorn, zur Straßenseite ist alles offen. Mindestens acht Erwachsene sind in dem Raum, davor, auf der Straße 10 bis 12 Kinder. Smaltalk, große Freude, keiner außer Lily spricht English. Der Vorhang zu den hinteren Räumen geht auf - der Freund wird mir vorgestellt.

Keine fünf Minuten danach werden wir allein gelassen: Lily, ihr Freund und ich. Es gibt Bier, Tee, Kuchen, Nüsse und es entwickelt sich eine völlig normale, lebhafte Unterhaltung über Gott und die Welt in einer ganz lockeren Atmosphäre. Woher, wie lange, wo arbeiten, wie alt, wie viele Kinder, wie sieht die Zukunft aus? Es geht mit English sehr gut, auch Lily's Freund spricht English, obwohl er nicht sehr trainiert und ein bißchen schüchtern ist. Die beiden leben hier nicht zusammen. ‚Nein, nur Freundschaft !!' Lily ist 32, er ist 30 Jahre alt. Er würde sie gerne heiraten, sie aber wartet auf den reichen Prinzen aus dem Märchenland. Gleichzeitig hat sie aber Angst, auf Dauer allein zu sein. Ob ich nicht jemanden wüßte, der sie heiraten möchte ...? Wir diskutieren die Problematik der Heirat von Leuten aus verschiedenen Kulturen. Wir sind uns einig, daß das leicht schief gehen kann und daß ich für Lily ein paar Jahre zu alt bin. Aber mein Sohn in Deutschland, Stefan wäre im richtigen Alter! Ich stachle den Freund auf, sich mehr um Lily zu bemühen, sie besser und öfter zu streicheln: 'No, no, only my friend!!' Er würde wohl gerne mehr wollen, als Freundschaft, sie aber ist noch nicht davon überzeugt, daß er der richtige Mann für sie ist. Er ist Buchhalter und sitzt an einem Computer, von dem er wenig versteht. Wir verabreden, uns morgen das Ding mal gemeinsam anzusehen.

Die Zeit vergeht wie im Fluge. Um 17:30 verabschiede ich mich. Der Freund fährt mich mit dem Moped zum Hoan Kiem See, von dort aus laufe ich zurück zum Hotel. Dort erzähle ich Scharno die Story meiner ersten vietnamesischen Eroberung.

In einer Garküche ganz in der Nähe (am Großmarkt) esse ich eine sehr gute und große Suppe. Das kostet 10.000 Dong = 0,9 $. Der Großmarkt ist mehrstöckig, kein Vergleich mit einem europäischen Kaufhaus. Heute ist er aber, wie die meisten Geschäfte, wegen dem TET-Fest geschlossen. Aber davor auf der Straße sitzen unzählige Händler und man kann Gemüse, Obst, Fisch, Fleisch, geräucherte Tauben (!) und Blumen kaufen. Sogar lebende Frösche, handtellergroß, Fische im Wasser, Schnecken und jede Menge Hühner, zusammengepfercht in Körben, kann man hier haben. Und überall gibt es Suppe, kleine Kuchen, Reis in unendlichen Variationen: Aus zwei Tragekörben mit Stange kann eine komplette Gaststätte mit Küche entstehen und das ganze ist noch mobil! Niemand hungert hier mehr und besonders an Feiertagen ist der Tisch reichlich und gut gedeckt. Zu allen Speisen gibt es Reis oder Nudeln. Kartoffeln auch, aber sie sind lange nicht so verbreitet, wie Reis. Man ißt aus (meist kleinen) Schüsseln mit Stäbchen. Ich kann auch schon perfekt die Suppe mit Stäbchen essen: Stäbchen rechts und in der linken Hand den flachen Löffel. Es geht auch ohne Löffel, dann trinkt man zum Schluß die Schale aus.

Vor ein paar Tagen haben wir mit Van gegessen. Eine wirklich gute Pho für 5.000 Dong in einer unbeschreiblichen 'Gaststätte'. Die Küche war auf einem Gestell aus losen Brettern in einem Durchgang aufgebaut, lang, schmal, ohne elektrische Beleuchtung. Holzbänke, Holztische, alles schmutzig. Stäbchen aus Bambus, jahrelang in Benutzung, sie werden vor dem Essen durch Abwischen mit einer Altpapier Serviette keimfrei gemacht. Ich sehe, wie in einem Eimer auf der Erde mit acht Litern Wasser ein ganzer Tag lang abgewaschen wird ... Ich frage Van 'Warum essen wir gerade hier?' 'Das ist eine sehr gute chinesische Küche. Die Vietnamesen sind Feinschmecker. Wo es sauber ist, aber keine Menschen beim Essen sitzen, da ist es nicht gut - da schmeckt es nicht!' Hier schmeckt es wirklich vorzüglich. Wenn wir das ohne Durchfall überstehen, hat unser Immunsystem hervorragende Arbeit geleistet und ist völlig in Ordnung, dann können wir überall und alles essen.

 

03. September 2002

 

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