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AUSGERAUBT
IN SAIGON - FAST

06. März 1997, Donnerstag, Saigon

 

Um 4:30 werden wir vom Hotel geweckt. Pünktlich. Ich habe gut geschlafen, wäre aber auch alleine aufgewacht. Rasieren, Duschen, um 5 Uhr wird Frühstück für uns gemacht. Zwei Rechnungen liegen im Schlüsselfach: Gestern gab es viel Aufregung, denn man wollte uns nicht glauben, dass wir nur zu einem verlängerten Wochenende nach Saigon fliegen und garantiert auch wiederkommen. ‚You can pay - you can pay later ..!' sagt kulant der Staff an der Rezeption. Wir einigen uns auf later und als wir gegen 5:30 in die Taxe steigen sage ich zu ihm: ‚May be we will come back !' Das war ein gemeiner Scherz und er lächelte gequält. Dafür aber hatte er zur Sicherheit fast unser gesamtes Gepäck in seinem Hotel.

Um 5 Uhr auf den Straßen von Hanoi: Paradiesische Zustände: Breite Straßen, dunkel, ganz wenige Fahrräder (natürlich unbeleuchtet), einige Leute machen Jogging, kaum Mopeds, keine Motorräder, kaum mal ein Auto. Jetzt kann man hier rasen, keinen stört das. Unser Fahrer fährt am Anfang 60, dann 80, außerhalb der Stadt fährt er 100 km/h, obwohl immer mal ein Radfahrer unverhofft aus der Dunkelheit auftaucht. Das führt zu einigen ‚gefährlichen Begegnungen' und groben Lenkausschlägen. Man merkt, daß bei dieser Geschwindigkeit die gewohnten Reaktionen nicht mehr funktionieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann es da mal kracht, aber wir kommen heil am Flugplatz an.

Der Check-In kann sofort losgehen, es ist eine Flughafengebühr von 15.000 Dong zu zahlen. Sicherheitscheck, mein kleiner Rucksack verhakt sich und blockiert den Röntgenautomaten. Dann eine Stunde Pause, warten auf den Starttermin. Wir haben nur den Flug gebucht und sehen jetzt im Loose nach, welche Hotels in Saigon annehmbar sind. Wir einigen uns auf das Palace Hotel. Es ist hoch, Dachgarten mit Swimmingpool, mitten im Zentrum. Das Zimmer ist angeblich für 50 bis 60 US$/night zu haben.

Um 7:25 startet der Airbus A 320. Ich sitze rechts, Scharno links. Sonne von links, ein sehr schöner Flug. Der Wolkenpaß, Danang, Kondensstreifen, die Schatten auf der Erde werfen - habe ich noch nie gesehen. Ich mache einige Bilder - interessant. Fliegen ist immer wieder ein Erlebnis. Problemlose Landung um 9 Uhr in Saigon. Der Mann, der uns abholen soll, ist nicht da. Wir warten. Scharno telefoniert und erreicht tatsächlich auch jemanden: Irgendwas ist dazwischen gekommen, der Mann kann nicht kommen.

Gegen 10 Uhr nehmen wir uns eine Taxe, nachdem wir sie von 8 auf 6 US$ runter gehandelt haben. Mit Taxameter hätte es 4,5 $ gekostet. Das alte Lied: Am Flugplatz ist die Wahrscheinlichkeit am größten, betrogen zu werden. Wir sind erst ein paar hundert Meter gefahren, da haben wir schon einen Unfall: Unser Fahrer fährt auf den Vordermann auf. Es kracht und es gibt einen heftigen Ruck, aber bei 10 km/h passiert nicht viel. Nach der Begutachtung der nicht vorhandenen Schäden geht es weiter. Der gleiche Verkehr wie in Hanoi, aber etwas geordneter: Autos in der Mitte, alle Zweiräder rechts. Stau.

Gegen 10:40 sind wir am Palace Hotel. Ein großer Kasten. Hier wird gerade renoviert, deshalb sind Dachgarten und Swimmingpool geschlossen. Wir besichtigen das Standardzimmer (Sicht auf den Innenhof) und nehmen die Luxus-Variante mit Blick auf den Saigon River. 55 $ + 15 % ... aber wie oft sind wir in Saigon?! Wir haben zwei nebeneinander liegende Zimmer im 12. Stock. Eine tolle Sicht vom Balkon, wenn es klarer ist, als heute, Bad, zwei Betten, TV, Kühlschrank, Aircondition. O.K.

Sofort gehen wir auf die erste Erkundungstour. Scharno hat noch keine Erfahrung mit Bettlern. Entweder man muß ihnen etwas geben oder sie völlig ignorieren. Er diskutiert mit ihnen und erklärt: ‚We are not Tourists, we are working here!' Die erhoffte Wirkung bleibt aus, im Gegenteil, er wird die Leute nicht mehr los. Nur die Flucht auf die andere Straßenseite hilft.

Der Saigon River ist breit, braun und träge. Voller Seerosen und anderem Treibgut. Kinder springen mit allen Sachen (Mädchen mit Kleidern!) von der hohen Kaimauer ins Wasser. Hier ist auch ein großer Laster gestrandet: Achsbruch. Die Ladung - Asbestmehl aus der SU - liegt in Bergen auf der Straße. Spielende Kinder. Nichts ist in Deutschland mehr gefürchtet und verboten, als Asbest.

Wir müssen etwas essen, stellen wir fest, als wir wieder beim Hotel sind. Gegen 11:30 gab es hier überall Stände mit Mittagessen, schon eine Stunde später ist alles aufgegessen, die Garküchen sind abgebaut. Gegenüber vom Hotel, zwei Querstraßen weiter, ist ein großer, unübersichtlicher Markt. Eine mobile Küche mit einer Gasflasche. Ich bestelle etwas, was wie Xe Mau aussieht. Wir werden nach hinten gebeten, da gibt es Hocker und viele Frauen, Mädchen und Kinder. Die Mädchen sind hier rundlicher als in Hanoi, nicht so dünn und flach. Sie lächeln uns freundlich an, beobachten gespannt, wie die Langnasen essen. Wenige Worte wären nötig und wir hätten in den nächsten Tagen Begleitung. Es schmeckt, es ist aber unklar, was es eigentlich ist. Sind es Kartoffeln oder ? Es sieht wie Bratkartoffeln aus, schmeckt aber nicht so. Der übliche Preis für zwei Portionen: 8.000 Dong.

Gegen 13 Uhr sind wir zurück im Hotel. Duschen und Mittagsschlaf bis 14:30. Der Gewährsmann hat angerufen. Er kommt um 15:30 zu uns ins Hotel. Unser Mann spricht sehr schlecht Deutsch, English gar nicht. Wir verständigen uns auf ein Programm: Alles findet am Samstag statt. Da haben wir heute und morgen für Sightseeing Zeit. Wir saßen mit unserem Freund im Hotel Café. 80.000 Dong (ca. 8 Dollar = 14 DM) kosten drei Liptons Tea und ein Shake für Scharno. Hier setzt sich jeder nur einmal hin, also muß man das eine Mal richtig zuschlagen!

Gegen 16 Uhr verabschieden wir uns: Wir wollen ins Museum Criminal War. Ich frage Scharno: ‚Taxe oder laufen?' Die Richtung ist klar, aber er will erst einen Stadtplan kaufen. 100 Meter weiter ist ein Bookshop. Wir kaufen eine Karte für 3.500 Dong, die sich als unübersichtlicher als die Karte im Loose erweist. ‚Wollen wir hin mit der Taxe und zurück laufen?' frage ich ihn. ‚Nee, wir nehmen ein Cyclo!' Einverstanden. In Hanoi sind wir noch nie mit einem Cyclo gefahren, hier auch noch nicht. Da, vor dem Photo Express, stehen welche. Ein Fahrer behauptet genau zu wissen, wo dieses Museum ist: ‚Zwei Cyclo, jeder einen Dollar!'

Wir steigen ein und es geht los - in die falsche Richtung. Aber vielleicht wird das nach der nächsten Kreuzung korrigiert. Scharno im Cyclo - das Urbild des deutschen Professors: Karte in der Hand, Brille, Konzentration. Er merkt nicht, daß ich ihn aus einem Meter Entfernung mit Blitz fotografiere. Er ist in den Stadtplan vertieft und um Orientierung bemüht. Die Cyclos fahren nebeneinander. Nach höchstens einem Kilometer streiken wir: Das ist die falsche Richtung! Wir wollen aussteigen! Der eine Fahrer versteht, was wir wollen. Er dachte, wir wollen zur alten, amerikanischen Botschaft.

Die Cyclos werden umgedreht, mit gleichem Eifer geht es jetzt in die Gegenrichtung! Wir fahren in der Nähe des Wiedervereinigungspalastes, gerade haben wir die Kirche Notre Dame passiert. Scharno fährt einen Meter vor mir. Er fährt außen, ich innen. Plötzlich wendet er sich um und schreit mir zu: ‚Ein Mopedfahrer wollte mir meine Gürteltasche wegreißen!!' Ich habe noch gar nicht begriffen, was eigentlich los ist. Mein Cyclofahrer ruft immerzu: 'Foto !! Foto !!' Plötzlich sehe ich ein Moped neben Scharnos Cyclo, der Beifahrer hat Scharnos Rucksack gegriffen!! Der Rucksack hängt in der Luft, auf der einen Seite Scharno im Cyclo, auf der anderen der Mopedbeifahrer. Es dauert keine zwei Sekunden, da hat Scharno gesiegt. Am Rucksack zerreißt etwas. Das Moped rast davon. Scharno springt aus dem Cyclo, ständig die Nummer des Mopeds laut vor sich her betend. Er hockt sich nieder, schreibt sie auf. Ich denke in diesen 5 Sekunden: Da vorne ist die Ampel rot, da müssen sie halten, wenn ich jetzt los renne, kriegen wir sie! Aber im gleichen Moment fällt mir ein: Wir sind in Vietnam, da interessieren rote Ampeln keinen Menschen. Außerdem sind es bis zur Ampel mindestens 200 Meter ... das kann man vergessen.

Scharno ist geschockt, er schreit nach der Polizei. Mit dem Cyclo will er nicht mehr weiterfahren. Ein Menschennauflauf bildet sich auf beiden Seiten der Straße. Scharno nimmt ein Bündel Geldscheine aus seiner Gürteltasche, will sie sichern und steckt sie lose in seine Hosentasche ... Ich versuche, ihn zu beruhigen. Vor allen Dingen kein Aufsehen machen! Kein Mensch hilft hier unbekannten Ausländern. Ich gebe den Cyclofahrern 20.000 Dong und wir gehen langsam weiter in Richtung des Museums. Scharno ist erregt, redet pausenlos, was das für eine Schweinerei ist: Polizei! Absprache der Cyclofahrer untereinander! Hier gibt es Banden! Große Stadt, große Kriminalität. Das ist ja viel schlimmer, als in Hanoi. Er steht mächtig unter Streß, das ist zu verstehen.

An einer Kreuzung fragen wir zwei Verkehrspolizisten nach dem Museum. Sie lächeln beide. Als sie nicht gleich was sagen, redet Scharno auf sie ein, erzählt von dem Überfall im Cyclo, zeigt die notierte Mopednummer. Es passiert genau das, was ich erwartet habe: Beide verstehen auf einmal überhaupt nichts mehr. Kein Wort Deutsch oder English. Der eine guckt finster und zeigt mit der Hand über die Straße, unklar, was das bedeuten soll. Der andere lächelt breit, als ob wir gerade einen guten Witz erzählt hätten! Es gelingt mir, Scharno wegzuziehen, hier können wir nichts erreichen.

Mit Mühe und dem schlechten Stadtplan finden wir das Museum: Es ist 16:15 und das Museum ist seit 15 Minuten geschlossen ... Wir ändern den Kurs und gehen in Richtung der alten, amerikanischen Botschaft. Direkt davor spielen 12- bis 14-jährige Jungen Fußball: 'Wo ist die alte, amerikanische Botschaft?' frage ich sie auf english.

Einer der Jungen spricht English, aber er weiß nicht, daß wir direkt vor dieser Botschaft stehen. Die hohen Mauern hier, oben Stacheldraht, das ist die ehemalige Botschaft. Seit dem Abzug der Amerikaner ist sie geschlossen. Wir machen Fotos von dieser historischen Bastion. Ich habe noch die Fernsehbilder vor den Augen: 30. April 1975: Überstürzte Evakuierung der Amerikaner über den Hubschrauberlandeplatz oben auf dem Dach dieses Gebäudes. Zweiundzwanzig Jahre ist das her. Der Ort der panischen Flucht ist jetzt noch unverändert dort oben zu sehen. Wie schnell vergehen zweiundzwanzig Jahre?!

In großer Runde gehen wir zurück zum Hotel. Scharno hat sich etwas beruhigt, ist aber immer noch aufgeziegelt. Wir essen eine nicht sehr gute Pho in der Nähe des Hotels. Direkt gegenüber ist ein weiß gestrichener Bauzaun, auf dem in riesigen Buchstaben WINDHORST TOWER steht. Vom Tower ist noch nichts zu sehen, noch kämpft der Jungunternehmer aus Deutschland um die Finanzierung. An dieser Straße liegt auch unser Hotel, 250 Meter entfernt.

Es wird dunkel. Gegen 18:30 sind wir wieder im Hotel. Ich gehe gleich noch einmal runter und mache einen Spaziergang durch die ‚Antik'-Läden direkt um das Hotel herum: Ich suche eine ‚Klapper', das Gegenstück zu meiner Tempelglocke. Ich finde eine sehr schöne und kaufe sie sofort. Ohne zu handeln zahle ich 15 Dollar. So eine große Klapper, aus Eisenholz, schwarz und schwer, habe ich nirgends gesehen. Ein schöner Klang, sauber und sorgfältig gearbeitet. Dann kaufe ich in einem anderen Laden noch vier Stäbchen aus dem gleichen Holz. Es ist schwer, Stäbchen ohne jede Verzierung mit Perlmutt oder Silber zu finden. 16 Stück sollen 4 $ kosten. Für 4 Stück bezahle ich 15.000 Dong = 1,3 Dollar. Das Mädchen ist erfreut und einverstanden.

Gegen 20 Uhr bin ich wieder im Hotel zurück. Nach einer guten Stunde mache ich einen letzten Spaziergang auf dem Nguyen Hue Boulevard. Inzwischen hat es sich abgekühlt, nur noch 24 Grad, unter Mittag waren es bestimmt 30 Grad. Aber es ist jetzt noch genau so schwül, wie am Tage. Das warme, südchinesische Meer liefert Energie und Wasserdampf.

Es ist viel los auf diesem Boulevard: Mopeds, Motorräder, Fahrräder, aber die meisten stehen am Straßenrand. Auf manchem Motorbike sitzt ein schmusendes Pärchen. Garküchen, Luftballons, Souvenirs. Die meisten Geschäfte aber sind schon geschlossen. Im Gegensatz zu Hanoi machen hier die ersten Läden schon um 19 Uhr ihre Scherengitter zu. Leuchtreklame auf den Hochhäusern und auf der gegenüberliegenden Flußseite. Dort stehen keine Häuser, aber riesige Reklametafeln.

Die breiten Boulevards sind fast leer. Nur wenige Autos, die hier in der Mitte ihre eigenen Fahrbahnen haben. Szenekneipen, davor dichte Reihen von Mopeds und Motorrädern, die bewacht und für den Kunden weg- und wieder vorgefahren werden. Man gönnt sich ja sonst nichts. Sogar ein offenes Cabrio steht vor der Karaoke Bar LILU.

Ich bin noch nicht satt, die Pho war nicht besonders. Das Beste waren die weißen Tücher, die dazu gereicht wurden. Sie waren nicht heiß, sondern kamen direkt aus dem Kühlschrank. Sehr angenehm. Ich kaufe mir noch ein Brötchen, das reicht. Dann sehe ich mir noch einmal die ‚Antik'-Läden an. Wie überall gibt es auch hier viel Ramsch, der aus dem schönen Tropenholz gemacht wird. Uhren, alte Breitlings (80 $) von Piloten des Vietnamkrieges (oder aus Bangkog!?) und neue Automatik-Uhren der US-Navy (30 $). Buddha's in jeder Größe, Form und aus jedem Material, Perlmutt-Einlegearbeiten, Brillen und Schmuck aus gelb/schwarzen Schildkrötenpanzern. Die armen Schildkröten.

Hubschrauber, Panzer, Motorbikes aus Metallschrott und Colabüchsen recycled - ganz interessant, aber inzwischen scheint auch das industriell hergestellt zu werden. So wie die Musik CD's. Alles ist hier zwischen ABBA und Elvis mit den täuschend echten Covers zu haben. Made in China oder Vietnam.

Maler haben sich darauf spezialisiert, die berühmtesten Bilder von Monet, Degas, van Gogh, Gauguin u.a. kopiert. Das ist teilweise wirklich gut gemacht. Man kann zusehen und auf Bestellung wird jeder Porträt- und Kopierwunsch innerhalb von spätestens 48 Stunden geliefert. Bei Porträts oder Kopien funktioniert das. Aber wenn versucht wird, vietnamesische Landschaften im Stil von Renoir zu malen, sind diese Bilder sehr gewöhnungsbedürftig.

Zurück zum Hotel: Meinen Brustbeutel mit Reisechecks und Paß deponiere ich im Hotelsave, das ist bequemer. Ob es auch sicherer ist ... eine große und ungewisse Frage. Unter die Dusche. Dann noch mal klappern mit der schönen schwarzen Klapper und ab ins Bett. Bis morgen, 7:30: Breakfast, inklusive.

 

22. Oktober 2002

 

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