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Festgefahren im Talkeetna River 1/3

Weisse Nächte in Talkeetna

Heute ist mein dritter Tag in Talkeetna. Am ersten Tag habe ich auf besseres Flugwetter gewartet und vom Talkeetna River aus erlebt, wie die Wolken am Gipfel des Mt. McKinley verschwanden. Am zweiten Tag habe ich dann tatsächlich den Mt. McKinley mit einer kleinen Czesna umrundet und bin bis zur Gipfelhöhe von rund 6.200 Metern aufgestiegen. Erstaunlich, was so eine kleines Flugzeug leistet, schon bei 3.000 Meter Höhe mussten wir Sauerstoffmasken aufsetzen! In beiden Nächten habe ich im kilometerbreiten, von Sandbänken, Schotterinseln und kleinen Flussläufen durchzogenen Flussbett des Talkeetna Rivers kampiert. Von hier aus hat man einen Blick auf den Mt. McKinley, der sonst nirgends zu finden ist. Heute hatte ich mir vorgenommen, Talkeetna nach einem schönen Frühstück in Ruhe wieder zu verlassen und weiter nach Norden in Richtung Denali National Park und Fairbanks zu fahren.

Gestern Abend habe ich zum Abschied wieder ein schönes Feuer gemacht. Mit dem vielen Holz, das hier im Flussbett liegt, ist das kein Kunststück. Wieder beobachte ich den Sonnenuntergang hinter dem Mt. McKinley und stellte fest, dass man hier um diese Zeit ganz deutlich schon die weissen Nächte erlebt. Talkeetna liegt höher als Stockholm und St. Petersburg, etwa auf dem gleichen Breitengrad wie Trondheim und Archangelsk. Da wird es Ende Mai nicht mehr richtig dunkel. Um 0:30 Uhr machte ich das letzte Bild vom Sonnenuntergang. Um 3 Uhr guckte ich aus meiner Ausstiegsluke und musste schon wieder den Fotoapparat zur Hand nehmen: Der Halbmond über dem Massiv des Mt. McKinley ...! Er hing da so unschlüssig in einer Kulisse, die weder hell, noch dunkel beleuchtet war: War es später Abend, war es früher Morgen? Zwielicht zu einer ganz seltsamen Tageszeit. Die weisse Nacht von Talkeetna. Die Nacht vor dem Desaster ...!

Dann aber schlafe ich ein und wache erst gegen 8:45 Uhr auf. Die Sonne scheint !! Ich springe aus dem Bett und gucke aus dem Fenster ... schon beim ersten Blick sehe ich, was hier los ist: Vor meinem Haus fliesst ein Fluss, den es gestern abend und auch in der Nacht hier noch nicht gab !! Sofort ist mir klar, heute kann ich nicht in Ruhe frühstücken, ich muss sehen, dass ich möglichst schnell aus dem Flussbett komme und das rettende Ufer erreiche. Auf meinem Schlafplatz bin ich nicht in Gefahr, aber das kann ja noch kommen! Der Talkeetna River ist über Nacht 10 bis 15 cm gestiegen.

 

Das ist nicht viel, aber es reicht, um in dem flachen Flussbett die Situation grundlegend zu verändern. Es muss eine kleine, aber plötzliche Flutwelle gegeben haben. Wahrscheinlich ist sie das Ergebnis des gestrigen, schönen und warmen Tages. Heute kommt hier das Schmelzwasser an und sofort sieht es im Flussbett völlig anders aus. Wo gestern eine riesige, weite Geröllfläche war, glitzern grosse Wasserflächen in der Sonne und zwei neue Flussarme führen relativ viel Wasser.

Schnell mache ich noch ein paar Fotos, dann packe ich in Windeseile meine Sachen zusammen und starte mein hervorragendes Auto mit Allradantrieb. Durch den ersten Fluss fahre ich mit Bravour, auch durch den zweiten. Lauter runde Steine liegen im Flussbett und das Wasser ist höchstens 25 cm tief. Das ist für einen Dodge Dakota 4x4 kein Problem. Dann ist nur noch ein kleiner Fluss vor der Ausfahrt auf das Ufer zu durchfahren. Hier sieht die Situation aber anders aus. Ich steige aus und gucke mir die Lage an. Diesen Fluss gab es gestern schon, aber die ehemalige Furt ist nicht mehr erreichbar. An dieser Stelle ist er mindestens 30 cm tief, er hat nicht viel Strömung, aber es gibt keine Steine im Flussbett, alles ist Sand. Was soll ich machen, wie komme ich von dieser grossen Sandinsel wieder an Land? Weiter nördlich existiert noch eine zweite Furt, aber sie war gestern schon schwierig und zu tief. Heute ist diese Abfahrt sicher einen Meter tief und schmal, da fliesst viel Wasser. Dort mit meinem Fahrzeug an Land zu kommen, ist aussichtslos. Ich habe keine andere Wahl, mir bleibt nur diese Abfahrt, vor der ich jetzt stehe.

Ich vertraue auf meinen Allradantrieb und fahre an der Stelle durch den sandigen Fluss, wo er in der Mitte durch eine kleine Sandbank geteilt ist. Bis auf die Sandbank komme ich (mit Mühe), dann aber senken sich die Vorderräder ins tiefe Wasser ... ich sitze mit dem Chassis auf der Sandinsel fest, die Räder drehen sich hilflos im Wasser und im Sand. Ich nehme sofort den Fuss vom Gas, denn mit meinen australischen Erfahrungen weiss ich, das jetzt nichts mehr zu retten ist. Jede weitere Umdrehung der Räder fährt den Karren nur noch tiefer in den Sand.

Ich mache die Tür auf, das Wasser läuft gerade noch nicht zur Vordertür herein. Nachdem ich die Socken ausgezogen habe, stehe ich mit meinen Sandalen buchstäblich im kalten Wasser. Dieses Malheur muss natürlich zuerst dokumentiert werden. Diese Bilder tragen die Uhrzeit 9:12 Uhr. Danach krempele ich mir die Hosenbeine hoch, wate durch das maximal knietiefe, aber eiskalte Wasser an Land und laufe nach Talkeetna, um Hilfe zu holen.

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