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Wanderung im Maligne Valley 1/2

Morgenlicht in den Rocky Mountains, Jasper, CAN

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Bizarre Wolken bilden sich am Morgen an den Flanken und über den Bergen um Jasper. Gestern abend habe ich beobachtet, wie sich eine breite, aber sehr flache Wolke innerhalb von Minuten bildete. Als ich den Tee aufgebrüht hatte und wieder aus dem Fenster sah, war sie nicht mehr da: Sie war schon wieder verdunstet! Heute am frühen Morgen Postkartenmotive mit diesen Wolken im Gegenlicht, als ich zum Maligne Canyon fahre.

Hier ist das Schmelzwasser des Opal Gletschers abgelaufen. Es hat eine nur Meter breite, aber bis zu 120 Meter tiefe Schlucht in den Felsen gesägt. Teilweise kann man nicht bis zum Grund sehen, wo der Maligne River rauscht. Es sind keine glatten Wände. Sie bestehen aus halbrunden Schalen, die durch 'Kugelmühlen' entstanden sind: Steine rotieren mit dem Wasser und schleifen so riesige Löcher in den Felsen. Unten am Wasser kann man solche Kugelmühlen auch im Betrieb beobachten. Der Canyon ist nur 500 m lang, dann wird es ein offener Fluss. Er hat viel Wasser und auch unterirdische Zuläufe, denn der Medicine Lake verschwindet im Untergrund und taucht in vielen solchen 'Quellen' nach bis zu 70 Stunden wieder auf.

Ganze Busladungen von Menschen werden von Jasper aus hier her gefahren. Einige der meist älteren Damen haben goldene Schühchen an und sie stehen damit entsetzt im Schlamm und klettern unsicher über die Felsen. Aber je weiter man am Fluss nach unten läuft, um so weniger Menschen sind unterwegs. Nach einer halben Stunde bin ich alleine. Ich klettere einen Hang hoch, denn da oben stehen rote Lilien und auf einem Weg, der von Bikern und Reitern benutzt wird, laufe ich zurück. So komme ich schnell wieder zu meinem Auto. Gerade noch rechtzeitig vor einem heftigen, kurzen Gewitter. Mit Blitz und Donner regnet viel Wasser vom Himmel. Aber auf der Fahrt in Richtung Medicine Lake scheint bald wieder die Sonne.

Das Staunen fängt an, als der Medicine Lake noch gar nicht in Sicht ist. Auf der schönen Strasse zum Maligne Lake fährt man fast immer am Maligne River entlang. Ein bis zu 30 Meter breiter Fluss mit viel Wasser. Aber vor dem Medicine Lake ist das steinige Flussbett plötzlich trocken! Wo ist der Maligne River geblieben?! Den Medicine Lake erreicht man an seinem nördlichen Ende. Der Maligne River fliesst durch diesen See und er besitzt hier auch einen Abfluss. Aber jetzt ist das Flussbett trocken und der Wasserspiegel des Sees liegt 8 bis 10 Meter tiefer als der Abfluss! Der Medicine Lake hat viele unterirdische Dränagen. Im Winter und bei Schneeschmelze ist viel Wasser im See und es fliesst ganz normal über den Flusslauf ab. Mit dem Ende des Frühlings aber beginnt der Wasserspiegel des Sees unter den des Abflusses zu sinken.

Der Wasserspiegel dieses Sees schwankt über das Jahr um mehr als 20 Meter. Das kam den Indianern sehr verdächtig vor. Sie nahmen an, dass Manitu hier mit grosser Medizin seine Hand im Spiel hat. Deshalb mieden sie diesen ungewöhnlichen See und daher der Name Medicine Lake. Das Wasser des Sees verschwindet in seiner Nordspitze im felsigen Untergrund und kommt erst 17 Kilometer weiter nördlich an vielen unterschiedlichen Stellen wieder ans Tageslicht, beispielsweise auch am Maligne Canyon.

 

Am Medicine Lake fällt sofort die scharf gezackte, steile und silbergraue Felswand auf, die den Medicine Lake auf der Ostseite begrenzt. Es ist die Queen Elizabeth Range, ein geologisch hoch interessantes Gebirge in den kanadischen Rocky Mountains. Diese Wand steigt steil 1.500 Meter über dem See auf und es ist unübersehbar: Diese Wand besteht aus grauem, in der Sonne leuchtendem Kalkstein. Es ist Palliser Limestone, Kalkstein eines 360 Millionen Jahre alten Reefs aus dem Oberdevon! Der Kalkstein wurde in einem vorzeitlichen Meer horizontal aufgeschichtet. Vor 80 Millionen Jahren wurde die riesige Kalksteinplatte durch tektonische Kräfte über einen Zeitraum von 30 Millionen Jahren zerbrochen und aufgefaltet. Jetzt steht sie um 80 Grad angekantet und erodiert wie ein Sägeblatt in der Landschaft!

Auf den steilen, glatten Flächen spiegelt sich die Sonne und man erkennt deutlich eine Vegetationsgrenze. Es ist erstaunlich, wo und wie sich Bäume in so eine glatte Wand einkrallen können. Deutlich sieht man die steil aufragende Schichtung dieses Gebirgszuges. Muster wie bei Holzfurnieren liegen in der Sonne. Noch offensichtlicher ist die Schichtung beim Berg am Südende des Medicine Lake zu beobachten. Die Schichtung verläuft fast senkrecht. Hier hat der Maligne River ein Delta aus Geröll aufgeschüttet. Dieser Berg ist nur der Kopf eines weiteren gezackten und steilen Schiefergebirges. Hinter der östlichen Felswand des Medicine Lake erhebt sich gleich noch einmal eine solche messerscharfe Bergkette. Sie kommt nur bei der Rückfahrt vom Maligne Lake in Sicht. Aber da sieht man diese drei Barrieren wie grosse Steinmesser in der Landschaft stehen. Ein erstaunliches geologisches Phänomen. Dieses Reef steht auch nördlich von Jasper gegenüber den Les Palisadas steil in der Landschaft. Noch eindrucksvoller ist es im Fiddle Valley auf der Strasse nach Miette Hot Springs zu sehen.

Um 13:30 Uhr bin ich am Maligne Lake. Es ist herrliches Wetter, die Sonne scheint und es ist nicht sehr warm, das ideale Wanderwetter. Erst aber setze ich mich in das schöne Restaurant und leiste mir Kaffee und Kuchen für knapp 7 Dollar. Der Kuchen ist eine hervorragende 'Black Forest' Torte mit Sahne, der Kaffee aber kommt aus der Spülmaschine. Ich studiere die Wanderwege, von hier aus kann man viel unternehmen: Wildwasserfahrten, ein Kanu kann man mieten, Reiten wird angeboten und eine Bootstour auf dem See ist das obligatorische Highlight. Aber 35 Dollar für 90 Minuten ist mir zu teuer. Da gehe ich lieber wandern: Opal Hills 8,2 km Rundkurs, Höhenunterschied 460 m. Die anderen Wege sind deutlich kürzer und für die Menschen gedacht, die mit dem Bus hier her gefahren werden, goldene Schuhe, aber nicht viel Zeit haben. Entscheidend für die Auswahl dieser Tour war für mich der Satz: 'Spectacular view of Maligne Lake.' Genau so eine Tour mit Aussicht brauche ich heute, den ganzen Nachmittag habe ich Zeit dafür, was sind da acht Kilometer ..!

Felswände des Maligne Canyons

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