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Deutsche Bomben auf Belgrad

Es zahlt sich doch irgendwann aus, dass man mal das Abitur gemacht hat. Sonst wüsste ich wahrscheinlich nichts von diesem schönen Satz aus Faust I: ‚Nichts Besseres weiss ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei. Wenn hinten weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen.' Ich halte nicht viel vom offiziellen Goethe, das ist mir zu viel Personenkult, Legende und Weihrauch. Aber dieser kluge Mann hat das Leben geliebt und verstanden. Und aus diesem Satz kann man erkennen, dass er bestimmt nicht auf die Idee gekommen wäre, die Völker, weit hinten in der Türkei, mit seinen Ansichten zu missionieren, viel weniger noch, sie ihnen mit roher Gewalt einzutrichtern.

In den letzten paar tausend Jahren hat es wahrscheinlich auf dem Balkan noch nie Ruhe und Frieden gegeben. Das liegt an dem explosiven Völkergemisch, das sich dort als Folge der Völkerwanderung aus dem Osten niedergelassen hat. Heute noch haben die Serben nicht die Schmach der Niederlage auf dem Kosovo Polje verwunden, obwohl das schon 610 Jahre her ist. Das Osmanische Reich war auf seinem Höhepunkt und die Türken besiegten ein Heer, dass das Völkergemisch auf dem Balkan (damals wie heute) widerspiegelt: Serben, Bulgaren, Bosnier, Albaner, Polen, Ungarn und Mongolen. Zu Goethes Zeiten war der Niedergang des Osmanischen Reiches in vollem Gange und die Türken verloren u.a. die Gebiete nördlich der Donau (die Türken in Wien...). Seine ruhigste Periode erlebte der Balkan nach dem II. Weltkrieg: Der zentralistische Sozialismus Titos hielt die streitenden Völker mit Gewalt im Zaum. Kaum aber war diese Staatsform zusammengebrochen, fingen die uralten Streitereien um Land und Einfluss zwischen den Serben, Slowenen, Kroaten, Bosniern, Albanern, Kosovaren und Mazedoniern wieder an. Die Serben unter Milosewic (ehemals ein sozialistischer Parteikader !) wollen jetzt endlich das Gross-Serbien auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien schaffen. Sie stellen auch seine Grenzen in Frage, Ungarn, Griechenland, Bulgarien, Rumänien und Albanien sehen sich Gebietsforderungen und latenten Aggressionen ausgesetzt. In den Jahren 1998/99 wollen die Serben ihre Provinz Kosovo disziplinieren (dort liegt auch das Amselfeld und die ungesühnte Schmach von 1389 ...!). Sie inszenieren einen Bürgerkrieg: Panzer und Armee gegen alles, was nicht serbisch ist. ‚Ethnische Säuberung' ist das serbische Schlagwort, den Begriff könnten Göbbels und Hitler erfunden haben.

Das ist die aktuelle Lage. Jeder vernünftige Mensch weiss, den Balkan politisch zu befriedigen ist ein unlösbares Problem.

 

In Europa hat heute kaum jemand Interesse, sich an Sonn- und Feiertagen in einer der vielen Talkshows mit diesem Thema zu befassen.Alles was zu diesem Thema zu sagen ist, wurde in den letzten fünf Jahren bereits gesagt. Es gibt keine Lösung für dieses historisch gewachsene, uralte Problem. Die einzige Lösung hat Tito vorgeführt: Das gesamte Gebiet wird mit einer zentralistischen Macht überzogen, die auch die Verwaltung komplett übernimmt. Damit kann man die Streitereien so lange unterdrücken, wie man in der Lage ist, diese Macht aufrecht zu erhalten. Lässt man die Zügel wieder locker, geht alles wieder von vorne los.

Aber die vernünftigen Leute auf dieser Welt sind rar. Die UNO hat sich erfolglos mit dem Problem befasst, die EU hat ohne Effekt versucht, politisch Einfluss zu nehmen, die Russen haben vergeblich ihren auf die Mongolen zurück gehenden Einfluss auf dem Balkan ins Spiel gebracht. Die von den USA dominierte NATO hat auf das einfachste aller Verfahren gesetzt: Drohungen mit Gewalt. Aber die NATO hütet sich, mit der Machtübernahme auf dem Balkan zu drohen. Jeder weiss, dass dazu hunderttausende von Soldaten und Zivilisten nötig wären. Nein, es wird mit Luftschlägen, mit Bombardierungen gedroht. Das tut Serbien weh, kostet aber die NATO nur Geld und keine Menschen. Ausserdem kommt damit die grosse Stunde der Waffenlobby: Endlich ergibt sich jetzt wieder einmal die Gelegenheit, neue Waffen und neue Trägersysteme im ‚Feldversuch' zu erproben.

Gedroht hat die NATO ungefähr seit einem Jahr. Milosewic hat das nicht beeindruckt. Er weiss, dass damit keines der vielen balkanischen Probleme gelöst wird. Maximal werden sie für die Dauer der Bombardements ausgesetzt. Seit drei Tagen aber wird bombardiert. Die NATO fliegt mit einer riesigen Kriegsmaschinerie, die weitestgehend automatisiert und computerisiert ist, pausenlos Luftangriffe gegen Serbien. Die NATO das heisst USA, die westeuropäischen Staaten (ohne Frankreich...) und die drei osteuropäische Staaten, die gerade in die NATO aufgenommen wurden: Tschechien, Polen und Ungarn. Was soll das massive Bombardement bezwecken: Milosewic soll mit Gewalt zur Unterschrift unter ein Friedensabkommen genötigt werden, mit dem eine UNO-Friedenstruppe in seinem Land die Einhaltung der Menschenrechte kontrolliert. Das ist die Lösung, die sich die westliche Welt für das Balkanproblem vorstellt. Diese Einschränkung seiner Souveränität aber will und wird Milosewic nicht hinnehmen, weil er völlig andere Ziele verfolgt.

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