BACK

 

Lug und Trug beim Kaffee

Diese Kaffeefahrt habe ich nur mitgemacht, weil ich dachte, es könnte ja vielleicht wieder eine schöne Story werden. Dass ich mit einem Grundig Fernseher, 70-er Bild, nach Hause kommen würde, habe ich nicht erwartet. Das aber ist die einzige Erwartung, die nicht enttäuscht wurde. Für die Fahrt habe ich 17,90 DM plus 19,50 DM für Essen und Trinken bezahlt. Dafür wurde ich erst eine Stunde in Berlin spazieren gefahren (Einsammeln der Teilnehmer), dann ging es eine Stunde nach Waltersdorf bei Zossen. In einem verräucherten Saal (draussen schien die Sonne !) redete Heinrich mehr als drei Stunden. Eine weitere Stunde ging für Warten und das Essen drauf. Dann wieder Rückfahrt und Spazierfahrt in Berlin. Um 10 Uhr ging es los, kurz vor 18 Uhr war ich wieder in meiner schönen Wohnung, vollgepackt mit ‚Geschenken': Eine Flasche Sekt, die Flasche wäre eine Parfümflasche, wenn sie noch kleiner wäre, ein Fotoalbum für 2,99 DM, das ich wegen des kleinen Formats nicht verwenden kann und eine ‚antike Standuhr', ca. 120 mm hoch, Made in China, Preis ca. 5 DM, Wert gleich null.

Gestern war ich von so viel Dummheit und Dreistigkeit so geplättet, dass ich keine Lust mehr zu gar nichts hatte. Ich habe mir im Fernsehen ‚Verstehen Sie Spass' angesehen. Der Titel passt zur Kaffeefahrt, das Niveau auch. Seit Jahren habe ich nicht mehr den Sonnabend vor dem Fernseher zugebracht.

Es ist einfach erschütternd, mit welchen Methoden den Rentnern, die in diesem Lande zu den Ärmsten der Armen gehören, das Geld aus der Tasche gezogen wird. Offenbar haben sie durch mehrfachen Schaden in den letzten 10 Jahren nichts gelernt. Diese Kaffeefahrten sind nach wie vor ein lohnendes Geschäft, denn die Dummen werden nie alle. Und der Rechtsstaat schützt sie nicht. Aus meiner Sicht ist so eine Kaffeefahrt eine einzige Kette von Betrugsdelikten. Richter und Betrüger scheinen sich geeinigt zu haben, wo die Grenze zwischen Betrug und lässlicher Sünde liegt. Man hat als Kunde kaum eine Chance, den Veranstalter zu verklagen. Ausserdem unterlässt man es wegen Geringfügigkeit, es geht ja höchstens um 40 DM. Aber 40 DM mal 50 ‚Liebe Gäste' reichen den Veranstaltern, um ihre Unkosten zu decken. Danach wird mit ca. 15 Leuten noch mal ein Umsatz von ca. 15 bis 20.000 DM gemacht und davon sind mindestens 50 % Gewinn! So lange das so einfach geht, wird es Kaffeefahrten geben.

Alle Teilnehmer dieser Fahrt wussten nicht, wo die Fahrt hingeht und was eigentlich verkauft werden sollte. Aber jeder hatte schwarz auf weiss, dass er einen Fernseher, einen Videorecorder oder eine Stereoanlage gewonnen hat. Es gibt ein ‚Festtagsmenü' und ein Glas Sekt kostenlos, ‚jeder kann so viel essen wie er will'

 

und nach der Verkaufsveranstaltung werden alle bei einem Nachmittag der Volksmusik ‚mit Berühmtheiten aus Funk und Fernsehen' beglückt. Das hat jeder schriftlich.

In einem Tanzsaal auf dem Lande sitzen 50 Leute an drei langen Tischen. Auf der Bühne mit Tüchern verhangene ‚Überraschungen'. Zur Begrüssung gibt es Kaffee und Wiener Würstchen. Nur an den Zetteln, die die Kellnerinnen auf die Tische legen merkt man, dass das wohl nicht umsonst ist. Heinrich stellt sich vor: 49 Jahre, fünf Kinder mit der gleichen Frau. Er kann gut und laut reden aber eigentlich ist nach ein paar Minuten schon klar, dass es einer von den Typen ist, denen man kein Wort glauben kann. Er hofiert die Ossis (der Bus kommt ganz gezielt aus Ostberlin), schürt ihre latenten Ressentiments gegen die Wessis. Er erweckt den Eindruck, dass er eigentlich ein studierter Mediziner ist, er fragt das Publikum kumpelhaft, ob sie denn wissen, wer Steffi Graf ist und alle sagen artig und laut ‚Ja!!' und er zieht sich halb aus und zeigt mitleidheischend seine grosse Operationsnarbe am Bauch. Seine Grundmasche besteht darin, den Ehrlichen unter lauter Betrügern zu spielen. Zum Beispiel sitzen hier 50 Leute, die schamlos betrogen worden sind, sagt er, denn die Ankündigung mit den Fernsehern und Videorecordern von Grundig ist natürlich blanke Lüge und Betrug. Böse Leute (in dieser Branche gibt es ganz schrecklich schlimme Methoden ...) haben diesen betrügerischen Brief geschrieben. Aber inzwischen sind sie vom Staatsanwalt gefasst und pleite. Seine ehrliche Firma aber wollte die armen Rentner, die sich auf diese schöne Ausfahrt gefreut haben, nicht einfach hängen lassen. Für die versprochenen Fernseher und Stereoanlagen aber kann sie nicht gerade stehen, die gibt es hier natürlich nicht. Dafür aber geht es hier und jetzt richtig solide und ehrlich zu und zum Schluss bekommt jeder neben der angekündigten Flasche Sekt von seiner grundsoliden Firma auch noch eine Standuhr geschenkt.

So einfach werden mit dem uralten Trick ‚Ich war es nicht, haltet den Dieb !!' die schriftlichen Ankündigungen und Lockangebote innerhalb der ersten 10 Minuten vom Tisch gewischt. Kameradschaftlich klärt er die Leute auf, dass doch sonnenklar ist, dass Markengeräte nicht einfach verschenkt werden, dass man kostenlos nicht so viel essen kann, wie man will und auch ein Nachmittag mit Berühmtheiten aus Funk und Fernsehen ist nicht für 17,90 DM zu haben: ‚Das habt Ihr doch alle gewusst, oder ...?!! Sagt mal alle Ja !!' ‚Ja !!' rufen alle Leute im Saal. Es ist nicht zu fassen, wie blöd ‚das Volk' ist ...!!

Nächste Seite

 

BACK