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Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer
 

Es ist kaum zu fassen, aber es sind schon wieder zehn Jahre vergangen, seit die DDR implodiert ist. Welche Gedanken stellen sich bei mir heute ein, wenn ich an den Fall der Mauer denke?

Zuerst muss klargestellt werden, dass jede derartige Bilanz nur subjektiv sein kann. Das gilt auch für die offiziellen Rückblenden, mit denen uns die Medien im November überschütten werden. Es ist sehr schwierig, objektiv und distanziert Rückschau zu halten. Wir sind alle noch viel zu sehr persönlich in diese Geschichte involviert.

Wenn ich heute an die DDR denke, stellt sich als erstes ein Gefühl der Erleichterung ein, dass diese Zeit vorbei ist. Gleich danach beglückwünsche ich mich dazu, dass dieses bornierte System nicht zwanzig Jahre später zusammengebrochen ist. Hätten die 'guten Genossen' etwas geschickter agiert, so hätte alles durchaus noch viele Jahre länger dauern können. So aber hatten wir im Osten Deutschlands endlich mal richtig Schwein. Dazu gehört auch, dass wir - im Gegensatz zu Polen, Russen, Bulgaren und anderen ehemaligen Ostblockländern - im Westen reiche 'Brüder und Schwestern' hatten, die uns alimentiert haben.

Das beste am Systemwechsel ist für mich der Pluralismus und das nie für möglich gehaltene Ausmass der damit verbundenen Freiheit. Beides kann man allerdings nur nutzen, wenn man eine konvertierbare Währung in der Tasche hat. Und wir ehemaligen DDR-Bürger haben 'Westgeld' im Portemonnaie! Noch bis vor ca. drei Jahren ist mir das immer mal wieder freudestrahlend aufgefallen, wenn ich dieses Geld in meiner Hosentasche klimpern hörte. Solange sich der kleine Mann in Deutschland den Pluralismus leisten kann, leben wir im besten Gesellschaftssystem, das mit der heute existierenden Sorte von Menschen auf dieser Welt machbar ist. Für mich heisst Pluralismus: Ich kann denken, sagen und machen was ich will, solange ich es mir finanziell leisten kann. Dazu kann man auch Freiheit sagen, ein Begriff, mit dem ich zu DDR-Zeiten überhaupt nichts anfangen konnte. Immer wenn im RIAS die Freiheitsglocke läutete

und der pathetische Spruch von der 'unantastbaren Würde jedes einzelnen Menschen' über den Äther in die DDR schwappte, war das für mich genau so eine 'Losung', wie sie zu Tausenden überall in der DDR an den Wänden hingen und solche Plattheiten verkündeten wie 'Im Mittelpunkt steht der Mensch'. Erst auf meinen Reisen wurde mir klar, dass es Freiheit wirklich gibt. Wenn man in der Lage ist, sich von heute auf morgen ein Ticket nach Australien zu kaufen und sich dann plötzlich mit einem Rucksack in einem völlig fremden Land wiederfindet, sich dort aber ganz selbstverständlich und unbeschränkt bewegen kann, solange man eine gültige CreditCard besitzt, dann bekommt man ein Gefühl dafür, was die 'Freie Welt' immer schon unter Freiheit verstanden hat. Wir waren in der DDR ausserstande, zu diesem Freiheitsbegriff eine Beziehung aufzubauen. Man kann sich die Totalität dieser Freiheit nicht in einem Lande vorstellen, das von Mauer und Stacheldraht umgeben ist und in dem man mit der 'Mark der DDR' bezahlt (auch Alu-Chips genannt). Freiheit wurde in der DDR als Einsicht in die Notwendigkeit definiert. Und die Notwendigkeit hiess zu akzeptieren, dass die Fiktion von der Gleichheit aller Menschen mit Gewalt zur Realität gemacht worden war.

Schon ein Jahr nach dem Fall der Mauer ist es gelungen, die 17 Millionen armen DDR-Bürger mit soviel Westgeld zu versorgen, dass sie heute einen besseren Lebensstandard besitzen, als sie in der DDR je hatten. Das ist das Beste, was die Wiedervereinigung Deutschlands geleistet hat. Die meisten Ostdeutschen wurden durch den Umbruch der letzten Jahre zu einem kompletten Neustart gezwungen. Dafür aber war mit dem Pluralismus und dem Westgeld eine brauchbare Basis vorgegeben. In den meisten Fällen reichen die finanziellen Mitteln nicht für grosse Unternehmungen aus. Grösser als in der DDR aber sind die Möglichkeiten allemal. Ausserdem kann jetzt jeder ausloten, wie die in der DDR gezwungenermassen brach liegenden Talente nutzbringend einzusetzen sind. Was jeder mit diesem 'Startkapital' macht, ist seine Sache. Bewegen muss sich jeder selber. Und genau an diesem Punkt fangen die Probleme an.

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