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Die Sprache der Kunst

Ich sitze beim Frühstück und das Frühstücksfernsehen läuft. 3Sat zeigt einen kurzen Bericht über eine Künstlerin aus Österreich, die grosse Glasplatten aufgestellt hat und sich an den Moiree-Effekten berauscht, die dabei entstehen. Sehr interessant, da könnte ich mich auch berauschen, das ist die Strecke, wo auch meine Sensibilität liegt aber ... neu und innovativ ist das ja nun nicht gerade! Die Dame kommt vom Siebdruck und sie druckt auf Glas und Blei. Warum Blei? Das ist etwas Neues. Es ist im Fernsehen kaum darstellbar aber ich kann mir vorstellen, dass die Bleioberfläche interessante visuelle Effekte erzeugt. Und jetzt erklärt der Kunstkritiker  uns künstlerischen Laien, was die Künstlerin erreichen will (wörtlich):


Damit versucht sie, Raum aus der stofflichen Qualität der Oberfläche zu erzeugen.

Was will uns der Kritiker damit sagen ??! Nichts. Oder besser gesagt nichts, was wir mit unserem Verstand erfassen könnten und was eine Erklärung oder die Beschreibung eines Verfahrens wäre. Denn unter naturwissenschaftlichem Gesichtspunkt z.B. ist dieser Satz buchstäblich sinnlos: Die stoffliche Qualität der Oberfläche eines Gegenstandes ist physikalisch beschreibbar. Aber man kann aus dieser Beschreibung keinen physischen, materiellen Gegenstand schaffen, am wenigsten aber ein dreidimensionales Gebilde, einen Raum. Auch wenn ich einen Schritt in der Abstraktion zurück gehe, funktioniert dieser Satz physikalisch nicht: Ich kann keinen Raum aus einer Oberfläche erzeugen. Das funktioniert mit den bekannten Naturgesetzen nicht, das ist unmöglich, das ist Unsinn. Eine Oberfläche ist eine abstrakte Bezeichnung für ein natürliches Phänomen, genau so wie die Bezeichnung Raum. beide Begriffe bezeichnen aber qualitativ verschiedene Dinge und ich kann sie auch nicht ohne weiteres ineinander überführen. Ein Raum hat Oberflächen, aber ich brauche Objekte mit Oberflächen, um einen Raum herzustellen. Ich kann in der Realität nicht die Oberfläche von einem Körper lösen und damit einen Raum erzeugen.
Hoch interessant: Das geht nicht einmal virtuell im Rechner !!

Was also will uns der Kunstkritiker mit diesem Satz sagen? Nichts. Er will uns nichts sagen, sondern er will bei uns ein Feeling erzeugen, Emotionen hervorrufen, uns in einen bestimmten Zustand versetzen, in Stimmung bringen. In welche Stimmung?

 

In eine Stimmung, in der wir den Verstand ausschalten, uns auf unsere Emotionen konzentrieren und (das wäre das Optimum für den Kritiker und für den Künstler) diese Kunstwerke als die überwältigende Sublimation des Zeitgeistes ansehen, der in diesen Werken exemplarisch destilliert, komprimiert und materialisiert wurde. Was ist die Konsequenz dieser Wirkung beim Betrachter: Die Besitzgier greift um sich, der Betrachter wird zum Kunden. Hurra ! Gott sei Dank! Endlich ist das ersehnte Ziel erreicht, die Qualität schlägt um:  Aus Scheisse wird Bonbon: Die Kunst ist zur Ware geworden.

Leider hat der Kunstkritiker heute kaum eine andere Funktion, als die Werke eines Künstlers, oder eines Menschen der sich dafür hält, verkaufsfähig zu machen. Wie er das schafft, ist egal, er ist völlig frei in der Wahl seiner Mittel, aber er hat keine anderen Mittel als die Sprache und (in Ausnahmefällen) die Gewalt seiner Rede. Die Basis der Kunstkritik sind Texte, nicht das gesprochene Wort. Das ist um so erstaunlicher, weil man ja Texte wesentlich besser analysieren kann, als eine flüchtige Rede. Aber inzwischen ist es offensichtlich weltweit anerkannte Auffassung und gültige Überzeugung, dass man solche Texte nicht auf ihre sachlichen Aussagen hin untersucht. Erst recht nicht werden sie einer streng logischen Analyse unterzogen: Pfui! Vielmehr kommt es auf die Suada, den Redefluss, den Tonfall, die Melodie an. Es zählt nur eines: Der potentielle Kunde muss das Gefühl bekommen, er steht vor einem der grössten Kunstwerke der Gegenwart. Alles ist solide, ehrenwert und absolut zuverlässig. Denn das ist die allererste Voraussetzung für eine danach (vielleicht) reifende Kaufbereitschaft.

Zwischen Künstler und Kunstkritiker entwickelt sich bei der Kunst der Moderne eine Symbiose (zynisch könnte man auch sagen: ... eine Kumpanei): Sie sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen und sie können nur gemeinsam zu Geld kommen. Als Kartell treten sie an, die Kapitalanleger um den klaren Verstand zu bringen, sie mit obskuren, aber angenehmen Reden einzulullen, um sie in diesem Zustand dann dazu zu bewegen, einen Scheck auszufüllen.

Es ist entsetzlich, aber ich sehe keine andere Funktion hinter der Kunst der Moderne. Und die Vermarktungstechnik hat man bei den Religionen entliehen. Dort wurden diese nebulösen Beschreibungsmethoden im Verlauf der letzten Jahrtausende entwickelt und ständig verfeinert und dort werden sie auch immer noch erfolgreich praktiziert.

Jürgen Albrecht, 08. Januar 1999

 

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