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J. K. ist tot

Ich hatte eine Nierenkolik und lag in Halle im Krankenhaus. Als Ablenkung und weil vom Westen als halber Dissident und Wissenschaftler hoch gelobt, las ich zwei Bücher von Jürgen Kuczynski. Die Gespräche mit seinem Urenkel und den ersten Band der Memoiren. Dabei habe ich mich so aufgeregt, daß mein Kreislauf wieder schön in Schwung kam und ich bald entlassen werden konnte.

Gleich nachdem ich wieder zu Hause war, griff ich zur Schreibmaschine und schrieb J. K. (Kuczynski spricht in seinen Büchern oft und viel von sich, von J. K.) einen bitter bösen Brief. Ganz nebenbei war das der Anfang meiner Schreibereien. Es war im September 1989 und die Mauer war noch nicht gefallen. Aber alle, die auch nur ein bißchen Grips im Kopf hatten, wußten, so kann es nicht weiter gehen, hier muß was passieren. Die Widersprüche in der DDR hatten sich so zugespitzt, daß sie mit schönen Reden und dialektischen Argumenten nicht mehr zu verschleiern waren.

Aber genau das war die Methode der DDR-Ideologen. Vorne weg: J. K. Sein Urenkel stellte nur Fragen, die man auch mit Pathos, Weisheit und unerschütterlicher Heilsgewißheit beantworten und klären konnte. Fragen, die mit der gültigen Heilslehre nicht zu klären waren, wurden einfach nicht gestellt. Ein äußerst praktisches Verfahren. So brauchte man sich nicht äußern zur nicht vorhandenen Dialektik der sozialistischen Ideologie, zur Isolierung der DDR-Bürger (Reise, Information) gegenüber dem Westen und zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alternativen der DDR gegenüber der Bundesrepublik. Ich weiß noch wie unbegreiflich es für mich war, daß auch die DDR-Führung das Ziel verfolgte, jedem DDR-Bürger sein eigenes Auto in die Garage zu stellen. An ein alternatives Verkehrskonzept dachte kein Mensch.

An J. K. regte mich seine unerträgliche Eitelkeit, seine gläubige Heilsgewißheit und sein Opportunismus auf. Er hatte nur kurz studiert, sehr viel geschrieben, verteidigte die unsinnigen ökonomischen und wirtschaftlichen Prinzipien der DDR, hielt sich aber für einen der größten lebenden Wirtschaftswissenschaftler. Seine Heilsgewißheit kam exemplarisch im Vorwort des ‚Urenkels‘ zum Ausdruck: ‚Der Sozialismus ist gut, es gibt nur noch nicht die Menschen, die ihn verwirklichen können.‘ Heute merkt man sofort (hoffentlich), wie haarsträubend so eine Argumentation ist. Vor zehn Jahren war sie in der DDR gängige Praxis und das Grundmuster der J. K.-Agitation. Er legte aber größten Wert darauf, als Wissenschaftler zu gelten, obwohl er außer (vielleicht) im Bereich der Statistik nie mit wissenschaftlichen Methoden gearbeitet hat. Er war ein Schriftsteller und ein Ideologe, borniert und blockiert von seinem Glauben an die Gleichheit aller, an die Gerechtigkeit und an den ‚Neuen Menschen‘. Schöne hehre Werte der französischen Revolution, aber leider eben nur Glaube oder Ideologie.

In meinem Brief habe ich ihm explizit vorgeworfen, daß er einen so intelligenten Eindruck macht, daß ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, daß er das ernsthaft und ehrlich meint, was er da gegen jede Vernunft schreibt. Es muß ‚augenzwinkernd‘ geschrieben sein! Nein! Bis zu seinem Tode hat er das abgestritten und felsenfest an seinen kommunistischen Visionen festgehalten. Nein, er denkt und glaubt wirklich das, was er schreibt. Beklatscht von westlichen Wissenschaftlern und Philosophen, die es besser wissen sollten.

Na denn, gute Reise, J. K. Der liebe Gott wird sich über den frommen Neuzugang freuen.

Jürgen Albrecht, 15. August 1997

 

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